S. 321 / Nr. 45 Eisenbahnhaftpflicht (d)

BGE 76 II 321

45. Urteil vom 7. Dezember 1950 i. S. Schweiz. Bundesbahnen gegen Ruppen.


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Regeste:
Eisenbahnhaftpflicht. Haftung für den Schaden infolge der Körperverletzung,
die ein Motorfahrzeughalter beim Zusammenstoss seines Fahrzeugs mit der
Eisenbahn erlitten hat. Konkurrenz der Kausalhaftpflicht nach MFG mit
derjenigen nach EHG. Selbstverschulden des Verunfallten. Verschulden der Bahn.
Erhöhte Betriebsgefahr.
Responsabilité des entreprises de chemins de fer. Responsabilité en raison du
dommage résultant d'une lésion corporelle subie par le détenteur d'un véhicule
automobile à la suite d'une collision de ce véhicule avec un chemin de fer.
Concours de la responsabilité causale instituée par la LA avec celle découlant
de la LRC. Faute de la victime. Faute de l'entreprise. Risque d'exploitation
aggravé.
Responsabilità delle imprese di strade ferrate. Responsabilità a dipendenza
del danno che risulta da una lesione corporale subita dal detentore d'un
autoveicolo in seguito ad uno scontro tra questo autoveicolo e un treno.
Concorso della responsabilità causale istituita dalla LA con quella derivante
dalla LRC. Colpa della vittima. Colpa dell'impresa ferroviaria. Rischio
aggravato dell'esercizio.

A. - Bei der Kapelle von Riti (Gemeinde Eyholz) zweigt von der Kantonsstrasse
Visp-Brig eine Strasse II. Klasse ab, die in nördlicher Richtung über die
Rhone nach Brigerbad führt. Vor der Brücke kreuzt diese Strasse im rechten
Winkel drei nebeneinander verlaufende

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Bahngeleise: zunächst das Geleise der (bis nach Brig verlängerten)
Visp-Zermatt-Bahn (VZB) und dann die beiden Geleise der Schweiz. Bundesbahnen
(SBB), von denen das erste (dem VZB-Geleise benachbarte) dem Verkehr Brig-Visp
und das zweite dem Verkehr Visp-Brig dient. Vom Bahnübergang gegen Brig
(Osten) verlaufen die Geleise 550 m weit gerade; dann münden sie (vom Übergang
aus gesehen) in eine flache Linkskurve ein. Die Spurweite des VZB-Geleises
beträgt 1 m, diejenige der SBB-Geleise 1,435 m, der Abstand zwischen dem
Geleise der VZB und dem nähern Geleise der SBB 4,48 m und derjenige zwischen
den beiden Geleisen der SBB 2,05 in. Der Niveauübergang ist auf beiden Seiten
durch ein Doppelkreuzsignal kenntlich gemacht.
Am 14. Mai 1947 gegen 9 Uhr näherte sich der ortskundige Kläger mit seinem
5,70 m langen Motorlastwagen, der mit Baugeleisen beladen war, von Riti
kommend dem Bahnübergang. Er wollte vor dem Übergang am linken Strassenrande
die Baugeleise abladen. Als er seinen Wagen durch Vor- und Rückwärtsfahren zur
Abladestelle gelenkt hatte und dessen Spitze sich ca. 3 m südlich der ersten
Schiene des VZB-Geleises befand, setzte er die Kippvorrichtung in Gang, bis
die Ladebrücke vorn hochstand und die Baugeleise davon so weit nach hinten
abgeglitten waren, dass sie mit dem einen Ende den Boden berührten. Hierauf
schaltete er den Kipphebel aus und den Vorwärtsgang des Wagens ein und fuhr
langsam gegen die Rhonebrücke, um die Ladung vollends abgleiten zu lassen und
dann jenseits der Rhone den Wagen zu wenden. Das Schienenmaterial kam nach den
Aussagen des Zeugen Meichtry so zu liegen, dass der Abstand zwischen diesem
Material und dem Geleise der VZB ca. 1 m betrug. Nachdem der wachen das
Geleise der VZB und mit den Vorderrädern auch schon das erste Geleise der SBB
überquert hatte, blieb er stehen. Als der Kläger in diesem Augenblicke gegen
Brig Ausschau hielt, sah er einen Zug der SBB (den mit einer
Stundengeschwindigkeit von 90-100 km

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fahrenden Schnellzug Nr. 535, der Brig um 8.55 Uhr verlassen hatte)
herannahen. Es gelang ihm noch, seinen Wagen wieder in Fahrt zu setzen, doch
vermochte er ihn nicht mehr ganz aus der Gefahrenzone hinauszuführen. Die
Lokomotive, deren Führer die vorgeschriebenen Signale abgegeben und eine
Schnellbremsung eingeleitet hatte, traf den Wagen mit dem rechten Puffer im
hintern Drittel der Ladebrücke und schleuderte ihn fort. Der Kläger wurde
schwer verletzt, der Wagen zertrümmert.
B. - Der Kläger wurde der fahrlässigen Störung des Eisenbahnverkehrs im Sinne
von Art. 238 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
StGB angeklagt. Das Kreisgericht des ersten Kreises für
den Bezirk Visp sprach ihn mit Urteil vom 12. März 1948 frei, da keine
strafbare Fahrlässigkeit nachgewiesen sei, auferlegte ihm aber die Hälfte der
Kosten, da sein Verhalten immerhin fehlerhaft gewesen sei.
C. - Mit Klage vom 15. Januar 1949 belangte der Kläger die SBB auf Ersatz des
ihm entstandenen Schadens. Er berechnete den Schaden infolge vollständiger
Arbeitsunfähigkeit während 50 Tagen auf Fr. 2500.-, den Schaden infolge
Entwertung des Wagens auf Fr. 7500.- und die Vermögenseinbusse, die er (über
den Verdienstausfall während der Dauer der vollständigen Arbeitsunfähigkeit
hinaus) infolge seiner Verletzungen und des Verlustes seines Wagens erlitten
habe, auf Fr. 10,000., und erklärte sich bereit, vom hieraus sich ergebenden
Gesamtschaden von Fr. 20,000.- 20 % selber zu tragen, weil sein Verhalten nach
der Ansicht des Kreisgerichtes nicht ganz fehlerfrei gewesen sei. Demgemäss
klagte er Fr. 16,000.- ein.
Das Kantonsgericht Wallis nahm in seinem Urteil vom 4. Juli 1950 an, der
Schaden sei gemäss BGE 67 11 185 f., von der Verschuldensfrage zunächst
abgesehen, zu 2/3 von der Bahnunternehmung und zu 1/3 vom Kläger zu tragen der
Bahn sei ein Verschulden vorzuwerfen, weil in der ganzen Anlage des
Niveauüberganges ein Fehler liege, und weil dieser Übergang zudem mangelhaft

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unterhalten gewesen sei; der Kläger habe den Unfall mitverschuldet, indem er
vor Einleitung seines Manövers, das erhöhte Vorsicht verlangt habe, nur einen
allzu flüchtigen Blick nach Osten geworfen habe; das beidseitige Verschulden
wiege sich auf, so dass es bei der erwähnten Schadensteilung sein Bewenden
haben müsse. Den Schaden berechnete das Kantonsgericht auf Fr. 10,200.-.
Demgemäss sprach es dem Kläger 2/3 von Fr. 10,200.- = Fr. 6800.- zu.
D. - Gegen dieses Urteil haben die SBB die Berufung an das Bundesgericht
erklärt mit dem Antrag auf Abweisung der Klage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Erleidet ein Motorfahrzeughalter mit seinem Fahrzeug einen Zusammenstoss
mit der Eisenbahn, und wird er dabei verletzt, so ist nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtes (BGE 67 II 183 ff., 69 II 159) der ihm hieraus entstandene
Schaden, falls weder ihm noch der Bahn ein Verschulden vorzuwerfen ist,
zwischen ihm und der Bahnunternehmung nach dem Verhältnis zu teilen, in
welchem die den beteiligten Verkehrsmitteln innewohnenden Betriebsgefahren zum
Schaden beigetragen haben. Im Falle BGE 67 II 18:3 ff., wo es sich um einen
Zusammenstoss zwischen einem Motorrad und der Strassenbahn Arth-Goldau
handelte, nahm das Bundesgericht an, der Schaden, den der Motorfahrzeughalter
erlitten hatte, sei zu 1/3 auf die Betriebsgefahren des Motorrades und zu 2/3
auf die Betriebsgefahren der Strassenbahn zurückzuführen (S. 187). In BGE 69
II 150
ff., bei Beurteilung der Haftpflicht für den Schaden, der aus dein
Zusammenstoss zwischen einem Personenautomobil und einem Zuge der Nebenbahn
Murten-Freiburg entstanden war, bezeichnete es das Bundesgericht wiederum als
angemessen, unter dem Gesichtspunkte der Kausalhaftung den Motorfahrzeughalter
mit 1/3 und die Bahnunternehmung mit 2/3 des Schadens zu belasten (S. 159).

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Im vorliegenden Falle, wo ein Lastwagen mit einem Schnellzuge einer Hauptbahn
zusammengestossen ist, rechtfertigt es sich, den gleichen Verteilungsschlüssel
anzuwenden, sofern beim Unfall kein Verschulden und auch keine erhöhte
Betriebsgefahr mitgespielt hat. Haben Momente der eben bezeichneten Art zum
Unfall beigetragen, so kann sich je nach der ursächlichen Bedeutung dieser
Momente und je nachdem, wer sie zu vertreten hat, eine andere Schadensteilung
rechtfertigen (vgl. BGE 67 II 187 E. 3, 69 II 159 unten). Erscheint das
Verschulden des verunfallten Motorfahrzeughalters für sich allein oder in
Verbindung mit der dem Motorfahrzeug innewohnenden Betriebsgefahr als die
einzige adäquate Ursache des Unfalls, so wird die Bahnunternehmung von der
Haftung ganz befreit.
2.- Die Vorinstanz betrachtet als erwiesen, dass der Kläger wie sein Gehilfe
Furrer vor der Einleitung des Ablademanövers nach beiden Richtungen Ausschau
hielt und dabei den Zug wegen zu grosser Entfernung (mehr als 570 m) noch
nicht sehen konnte, hält jedoch dafür, er habe «offenbar doch nur einen allzu
flüchtigen Blick nach Osten geworfen; eine eingehendere Prüfung, bestehend
nicht nur in einem flüchtigen Blick, hätte eine Verzögerung zur Folge gehabt,
die mutmasslich den mit einer Geschwindigkeit von 95 St/km heransausenden Zug
ins Blickfeld gebracht hätte». Mit dieser Begründung kann dem Kläger nicht
wohl ein Verschulden am Unfall vorgeworfen werden. Es ist nicht dargetan, dass
es für den ortskundigen Kläger mehr als einen raschen Blick brauchte, um
festzustellen, ob ein Zug sichtbar sei. Nachdem der Kläger und Furrer
festgestellt hatten, dass kein Zug in Sicht war, bestand für den Kläger kein
Anlass, noch länger nach Osten zu blicken, bevor er mit dem Abladen begann.
Ein grober Fehler war es dagegen, dass der Kläger nicht neuerdings Richtung
Brig Ausschau hielt, als er gegen das erste Geleise der SBB vorrückte. Er
musste mit der

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Möglichkeit rechnen, dass während des Kippens der Ladebrücke, des Anfahrens
und des langsamen Überquerens der VZB-Linie ein Zug herannahen konnte.
Deswegen hätte er sich so weit vom erwähnten Geleise entfernt nochmals
umschauen sollen, dass er nötigenfalls noch in angemessenem Abstand vom Raume,
den ein auf diesem Geleise vorüberfahrender Zug beansprucht, hätte anhalten
können. Das hat er nach seiner eigenen Darstellung nicht getan; er hat sich,
wie er selber angibt, erst wieder umgeschaut, als sein Wagen auf diesem
Geleise stehen geblieben war.
Dass der Kläger sich nicht rechtzeitig nochmals umschaute und den Zug auch
nicht hörte, bevor es zu spät war, mag seine Erklärung darin finden, dass
seine Aufmerksamkeit während der Annäherung an das erste Geleise der SBB noch
durch das Abladen in Anspruch genommen war, und dass das Geräusch des
Automotors und der Lärm, den die von der Ladebrücke abrutschenden und zu Boden
fallenden Schienen verursachten, das vom Zug ausgehende Geräusch übertönten.
(Wenn die Aussage des Zeugen Meichtry richtig ist, wonach das abgeladene
Schienenmaterial bis auf 1 m an das Geleise der VZB heran zu liegen kam, war
das hintere Ende des 5,70 m langen Lastwagens im Moment, da die letzten
Schienen zu Boden fielen, 1m + 1m + 4,48 m = 6,48 m und dessen Spitze somit
6,48 m - 5,70 m = 0,78 m vom ersten Geleise der SBB entfernt und ragte bei
Berücksichtigung der seitlichen Ausladung der Eisenbahnfahrzeuge bereits in
die Zone der Kollisionsgefahr hinein). Diese Erklärung ist aber keine
Entschuldigung. Der Kläger musste sich davon Rechenschaft geben, dass er
während des Ablademanövers möglicherweise nicht imstande sein werde, dem
Bahnverkehr die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Es war daher schon ein
Fehler, dass er die von ihm mitgeführten Schienen durch Abgleitenlassen
während der Fahrt über den Bahnübergang ablud. Er hätte das Ablademanöver in
umgekehrter Richtung durchführen sollen.

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Nach der Ansicht des Kreisgerichtes hätte er die Möglichkeit gehabt, den
Lastwagen vor dem Abladen an Ort und Stelle oder aber jenseits der Rhone zu
wenden. Noch einfacher wäre es vielleicht gewesen, vor der nahen (weniger als
100 m entfernten) Kantonsstrasse aus rückwärts zur Abladestelle zu fahren.
So abzuladen, dass für dieses Manöver der Bahnübergang nicht in Anspruch
genommen werden musste, wäre im übrigen auch deswegen angezeigt gewesen, weil
das Abladen den Kläger offenbar zwang, noch langsamer als «im Schritte» (Art.
4 Abs. 1 des Bahnpolizeigesetzes) zu fahren, m.a.W. länger auf dem Übergang zu
verweilen, als es für dessen Überquerung normalerweise nötig war. (Die
Vorinstanz nimmt an seine Geschwindigkeit habe nur 2,5 Stundenkilometer
betragen).
War es aber aus irgendeinem Grunde nicht tunlich, in dieser Weise vorzugehen,
so hätte sich der Kläger im Hinblick auf die Ablenkung seiner Aufmerksamkeit
durch das Ablademanöver doch wenigstens von einem der anwesenden Arbeiter
pilotieren lassen müssen, als er bei diesem Manöver den Bahnübergang
überquerte. Aus dem vom Kläger angezogenen Urteil der I. Zivilabteilung vom
19. September 1950 i. S. «Zürich» Allg. Unfall- und Haftpflicht-Versicherungs
A. G. gegen Escher, wo es sich um das Ausfahren aus einem Hofe auf das
Trottoir und dann auf die Strasse handelte, lässt sich keineswegs ableiten,
dass in einem Falle wie dem vorliegenden das Pilotieren nicht nötig sei. Die
I. Zivilabteilung hat die Pflicht zum Beizug einer Hilfsperson nicht etwa
grundsätzlich verneint, sondern ausdrücklich festgestellt, dass sich aus den
gegebenen Umständen eine solche Pflicht ergeben könne.
Hätte der Kläger sein Manöver in umgekehrter Richtung durchgeführt, oder hätte
er durch einen Gehilfen Ausschau halten lassen oder sich selber rechtzeitig
nochmals umgeschaut, so wäre der Unfall sicher oder doch höchst wahrscheinlich
nicht passiert.

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Nach dem Gutachten von Dr. Brüstlein war freilich die Sicht auf die
SBB-Geleise für einen von der Kantonsstrasse her kommenden Autofahrer durch
die Träger der Fahrleitung der SBB erheblich behindert. «Obwohl diese Maste
von schlanker Konstruktion sind, so bilden sie doch in einer gewissen Sphäre
infolge ihrer grossen Zahl eine Wand gegen den Blick auf die Geleise, sodass
man eigentlich erst 2 m vor den Geleisen einwandfrei sagen kann, diese seien
frei und passierbar». Wenn dies heissen soll, dass der Kläger sich über die
Vorgänge auf dem Geleise Brig-Visp nicht genügend orientieren konnte, bevor er
(im Führersitz) auf 2 m an dieses Geleise herangerückt war, so bedeutet dies,
dass es ihm überhaupt unmöglich war, sich im gebotenen Abstand von diesem
Geleise nochmals zu vergewissern, dass von Brig her kein Zug nahe; denn im
Momente, da der Kläger selber sich dem Geleise auf 2 m genähert hatte, befand
sich die Spitze des Wagens bereits in der Gefahrenzone. Diese Unmöglichkeit
hätte aber sein Verhalten nicht entschuldigt, sondern wäre für ihn ein
weiterer Grund dafür gewesen, sich pilotieren zu lassen. Ob die
Sichtverhältnisse bei der Anfahrt gegen die Geleise der SBB so schlecht waren,
wie Dr. Brüstlein annimmt, ist im übrigen zweifelhaft, da die Berechnungen
dieses Experten u. a. auf der Annahme beruhen, dass der Abstand von Mast zu
Mast 40 m betrage, während der Abstand, wie die Vorinstanz feststellt, in
Wirklichkeit 60 m misst. (Der zweite Experte Wiesendanger, dessen Gutachten
die Vorinstanz mit keinem Worte würdigt, bezeichnet die Sichtverhältnisse als
sehr günstig).
Der Kläger muss sich demnach ein für den Unfall kausales fahrlässiges
Verhalten vorwerfen lassen, und zwar ist sein Selbstverschulden so erheblich,
dass es als einzige adäquate Ursache des Unfalls angesehen werden muss, wenn
kein Verschulden der Bahn und keine von ihr zu vertretende erhöhte
Betriebsgefahr zum Unfall beigetragen haben.
3.- Die Vorinstanz ist der Ansicht, die SBB tragen

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in erster Linie wegen fehlerhafter Anlage des Niveauüberganges eine Schuld am
Unfalle; ihre Verwaltung habe es gestattet, dass das Geleise der VZB auf ihrem
(der SBB) Gebiet zu nahe an ihre eigenen Geleise gelegt worden sei; wer mit
einem Lastwagen über Geleise der VZB fahre, müsse danach trachten, auch über
die SBB-Geleise hinweg zu kommen, um nicht eventuell von einem Zug der VZB
erfasst zu werden zwischen den beiden Geleiseanlagen sei nicht genügend Platz
vorhanden, um einen solchen Wagen in Sicherheit zu bringen. Im weitem zitiert
die Vorinstanz in diesem Zusammenhang Ausführungen von Dr. Brüstlein, der
neben der Tatsache, dass ein Auto in diesem Zwischenraum nicht Platz finde,
noch den Umstand hervorhebt, dass man sich wegen der zwischen dem VZB-Geleise
einerseits und den SBB-Geleisen anderseits stehenden Masten «nicht
gleichzeitig ein einheitliches Bild darüber machen» könne, «ob die Geleise der
VZB und der SBB frei sind».
Dass die fehlerhafte Anlage oder die mangelhafte Unterhaltung einer Bahnbaute
die Haftung der Bahn als Werkeigentümerin (Art. 58
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
1    Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
OR) begründen kann, ist
entgegen der Auffassung der Beklagten kein Hindernis dafür, die bei Erstellung
oder Unterhaltung der Baute begangenen Fehler der Bahnunternehmung zum
Verschulden anzurechnen, wenn sie zu einem Betriebsunfall im Sinne von Art. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
1    Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.

EHG beigetragen haben, dessen Folgen sich nach dem EHG bestimmen.
Bei der Beurteilung der Anlage des hier in Frage stehenden Bahnübergangs ist
der Vorinstanz zuzugeben, dass ein Übergang, der unmittelbar nacheinander drei
Geleise kreuzt, für den Strassenverkehr gefährlicher ist als ein solcher, der
nur über ein oder zwei Geleise führt, und dass die Gefährlichkeit noch
zunimmt, wenn zwischen den Geleisen aufgestellte Masten die Übersicht
erschweren. Es darf daher von einer erhöhten Betriebsgefahr gesprochen werden.
Übergänge über drei Geleise sind aber immerhin nicht unzulässig. In Art. 4
lit. b Abs. 1 und lit. c Abs. 2 und

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Art. 5 lit. e Abs. 4 der Verordnung betr. den Abschluss und die Signalisierung
der Niveaukreuzungen vom 7. Mai 1929723. November 1934 ist das
Blinklichtsignal bzw. das gewöhnliche Doppelkreuzsignal ausdrücklich für
Kreuzungen mit zwei- und mehrgleisigen Linien vorgesehen. Die
Sichtbeeinträchtigung durch die Masten ist sodann selbst nach dem Gutachten
von Dr. Brüstlein (der diese Beeinträchtigung, wie schon gesagt, überschätzen
dürfte) nur in der Nähe der Fluchtlinie dieser i Masten erheblich. Vor dem
Warnsignal das der Kläger bei Beginn seines Manövers bereits im Rücken hatte)
kann offenbar ein von der Kantonsstrasse gegen den Bahnübergang fahrender
Autolenker die Bahnlinien nach beiden Seiten auf so weite Distanz überblicken,
dass er bei ununterbrochener Fahrt in normaler (nicht unter das Schrittempo
herabgesetzter) Geschwindigkeit den Übergang ohne weiteres queren kann, wenn
von jener Stelle aus kein Zug zu sehen ist. Die Schienen so zu legen, dass
zwischen der Linie der VZB und der Doppellinie der SBB nötigenfalls ein Auto
Platz fände, hätte einen unverhältnismässig grossen Aufwand erfordert und den
Benützern des Bahnüberganges übrigens wohl nicht bloss Vorteile gebracht. Bei
dieser Sachlage kann den SBB nicht zum Verschulden angerechnet werden, dass
sie beim Bahnübergang nach Brigerbad die beschriebene Anlage duldeten.
4.- Entgegen der Ansicht des Klägers bedeutet auch die Tatsache, dass der
erwähnte Übergang nur mit einem gewöhnlichen Warnsignal statt mit einer
Barriere oder einem Blinklichtsignal mit Warnglocke oder Sirene versehen
wurde, kein Verschulden der Bahn. Die geschilderten Verhältnisse boten keinen
genügenden Anlass, beim nicht stark frequentierten Übergang nach Brigerbad
eine solche Vorrichtung anzubringen. Im übrigen steht dahin, ob eine derartige
Schutzvorkehr den streitigen Unfall verhindert hätte.
5.- Den Unterhalt des Bahnüberganges beanstandet die Vorinstanz deswegen, weil
die Schienen der SBB so

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viel höher gewesen seien als das Strassenniveau, dass die Hinterräder des
Lastwagens des Klägers (wegen Abgleitens dieser Räder an den Schienen oder
vielleicht auch wegen einer durch das Hindernis hervorgerufenen Motorstockung)
im ersten Anlauf nicht darüber hinweg gekommen seien. Diesen Sachverhalt
betrachtet die Vorinstanz auf Grund des Polizeirapportes über den Unfall und
der Aussagen zweier Zeugen als bewiesen. Darin liegt eine tatsächliche
Feststellung, die gemäss Art. 63 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
1    Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
OG für das Bundesgericht verbindlich
ist, da sie weder unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften
zustande gekommen ist noch offensichtlich auf Versehen beruht. Die Vorinstanz
sagt allerdings selber, ein «einwandfreier Beweis i, für den Zustand des
Bahnübergangs hätte nur durch Erhebungen an Ort und Stelle erbracht werden
können. Eine solche Beweisführung haben jedoch die SBB verunmöglicht, indem
sie im August 1947 (also vor Einleitung des vorliegenden Prozesses und auch
noch vor der Ortsschau in dem durch ihre Anzeige veranlassten Strafverfahren)
am Übergang bedeutende Verbesserungen anbrachten, ohne für die Feststellung
des bisherigen Zustandes zu sorgen. Die Vorinstanz hat daher mit Recht an den
vom Kläger zu leistenden Beweis für den schlechten Zustand des Übergangs zur
Zeit des Unfalls keine sehr strengen Anforderungen gestellt. Auf die Rüge,
dass die Vorinstanz die Zeugenaussagen willkürlich gewürdigt habe, kann das
Bundesgericht als Berufungsinstanz nicht eintreten.
Dass der Bahnübergang zur Zeit des Unfalls den erwähnten Zustand aufwies,
gereicht den SBB, die für den gehörigen Unterhalt der Bahnanlagen
verantwortlich sind, zum Verschulden. Es ist zwar anzunehmen, dass die
festgestellte Lage der Schienen gegenüber dem Strassenniveau den Lauf eines
mit gewöhnlicher Geschwindigkeit fahrenden Motorfahrzeugs nicht stören konnte.
Dass ein solches Fahrzeug so langsam über den Übergang fährt wie vor dem
streitigen Unfall der Lastwagen des Klägers, ist aber

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immerhin nichts so Aussergewöhnliches und bedeutet nicht unter allen Umständen
eine so schwere Unvorsichtigkeit, dass die Bahnunternehmung an diese
Möglichkeit nicht denken oder darauf nicht Rücksicht nehmen müsste.
Ebensowenig lässt sich sagen, es sei nicht voraussehbar gewesen, dass die
vorstehenden Schienen den Lauf eines sehr langsam fahrenden Autos zu hemmen
vermochten. (Die Vorinstanz stellt fest, ein Hindernis wie das in Frage
stehende könne bei sehr langsamer Fahrt ohne weiteres dazu führen, dass der
wagen einen Moment stillstehe). Den SBB ist daher vorzuwerfen, dass sie beim
Unterhalt des streitigen Bahnübergangs die gebotene Sorgfalt nicht angewendet
haben.
In diesem Verschulden liegt eine Mitursache des Unfalls vom 14. Mai 1947 denn
wenn der Wagen des Klägers nicht wegen des zu grossen Höhenunterschieds
zwischen Schienen und Strasse stehen geblieben wäre, hätte sich der
Zusammenstoss trotz der Unvorsichtigkeit des Klägers sehr wahrscheinlich nicht
ereignet, sondern wäre der Kläger gerade noch rechtzeitig vom Geleise
Brig-Visp weggekommen. Das Verschulden der Bahn und die von ihr zu vertretende
erhöhte Betriebsgefahr (Erw. 3) fallen aber immerhin nicht so stark ins
Gewicht, dass mit der Vorinstanz angenommen werden dürfte, die Unfallursachen
liegen trotz dem groben Verschulden des Klägers zu 2/3 auf Seiten der Bahn und
nur zu 1/3 auf Seiten des Klägers. Das Verschulden des Klägers bleibt vielmehr
die wichtigste Ursache des Unfalls. Es rechtfertigt sich daher, das angegebene
Verhältnis umzukehren und die Beklagten nur 1/3, den Kläger dagegen 2/3 des
Schadens tragen zu lassen.
7.- Die Berechnung des Schadens auf Fr. 10,200.- ist von keiner Seite
beanstandet worden. Die Beklagten haben auch nicht geltend gemacht, dass es
sich bei dieser Summe zum Teil nicht um Schaden infolge der Körperverletzung,
sondern um Schaden infolge der Zertrümmerung des Autos handle, für den nicht
nach den Grundsätzen der Kausalhaftpflicht im Sinne des EHG und MFG,

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sondern nach OR gehaftet würde (BGE 69 11 160 lit. e, 410 E. 3 vgl. Art. 39
Satz 2 MFG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird teilweise gutgeheissen und das angefochtene Urteil dahin
abgeändert, dass die Schweiz. Bundesbahnen dem Kläger nur Fr. 3400.- nebst 5 %
Zins seit Klageanhebung zu zahlen haben.