S. 9 / Nr. 4 Doppelbesteuerung (d)

BGE 76 I 9

4. Auszug aus dem Urteil vom 15. März 1950 i. S. Röthlisberger und Stiftung
«Wengi» gegen Kantone Solothurn und Bern.


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Regeste:
Interkantonale Doppelbesteuerung, Art. 46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV.
1. Familienstiftung mit Sitz in einem andern als dem Wohnsitzkanton des
Stifters. Legitimation des Stifters zur staatsrechtlichen Beschwerde sowohl
gegenüber dem Kanton, der ihn selbst auch für das Stiftungsvermögen besteuert,
als auch gegenüber dem Kanton, der die juristische Person als solche besteuert
(Erw. 1).
2. Verwirkung des kantonalen Besteuerungsrechtes bei verspäteter Veranlagung
(Erw. 2).
3. Verwirkung des Rechts zur staatsrechtlichen Beschwerde durch vorbehaltlose
Steuerbezahlung: Die Verwirkung gilt mir in Bezug auf die in Kenntnis des
kollidierenden Steueranspruchs bezahlten, nicht auch in Bezug auf die früher
bezahlten Steuerbetreffnisse (Raten); Änderung der Rechtsprechung (Erw. 3).
Double imposition en matière intercantonale. Art. 46 al. 2 Cst.
1. Fondation de famille dont le siège n'est pas dans le même canton que le
domicile du fondateur. Qualité du fondateur pour agir par la voie du recours
de droit public contre le canton qui l'impose aussi sur la fortune de la
fondation et contre le canton qui impose la personne morale comme telle
(consid. 1).
2. Péremption du droit du canton à l'imposition en cas de taxation tardive
(consid. 2).
3. Péremption du droit à agir par la voie du recours de droit public admise en
raison du fait que les impôts ont été payés sans réserve: La péremption ne
touche que les impôts payés nonobstant la connaissance de la collision des
prétentions fiscales et non pas les impôts (acomptes) payés précédemment.
Change. ment de jurisprudence (consid. 3).
Doppia imposto intercantonale. Art. 46 cp. 2 CF.
1. Fondazione di famiglia, la cui sede non è nello stesso cantone ove trovasi
il domicilio del fondatore. Qualità del fondatore per agire mediante ricorso
di diritto pubblico contro il cantone che lo impone anche sul patrimonio
(Iella fondazione e contro il cantone che impone la persona giuridica come
tale (consid. 1).
2. Perenzione del diritto d'imposizione da parte del cantone in caso di
tassazione tardiva (consid. 2).
3. Perenzione del diritto d'interporre un ricorso di diritto pubblico ammessa
pel fatto che le imposte sono state pagate senza riserva: la perenzione
colpisce soltanto le imposte pagate

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nonostante la conoscenza della collisione delle pretese fiscali e non le
imposte (acconti) pagati precedentemente. Cambiamento di giurisprudenza
(consid. 3).

A.- Röthlisberger wohnt in Herzogenbuchsee. Er errichtete am 18. Dezember 1942
die Familienstiftung Wengi mit Sitz in Solothurn und widmete ihr einen Teil
seines Vermögens. Als Stiftungszweck wird angegeben Erziehung, Ausstattung und
Lebensunterhalt der Kinder und deren Nachkommen.
Die Stiftung Wengi wurde bisher für Vermögen und Erträgnisse in Solothurn
besteuert. Die Staatssteuern für 1947 bezahlte sie in zwei Raten am 27. Mai
und am 23. Dezember 1947, diejenigen für 1948 desgleichen am 30. April und am
29. Oktober 1948. Röthlisberger wurde in Herzogenbuchsee für sein verbliebenes
Vermögen und für sein Einkommen besteuert. Für die Veranlagungsperiode
1947/1948 wurde er zunächst mit seinem persönlichen Einkommen und seinem
persönlichen Vermögen eingeschätzt. Mit Einsprache vom 10. September 1948
hiegegen beantragte die kantonale Steuerverwaltung, dass ihm auch das Vermögen
der Stiftung Wengi und dessen Erträgnisse anzurechnen seien, weil die Gründung
der Stiftung eine Steuerumgehung darstelle. Mit Entscheid vom 29. März 1949
wurde die Einsprache geschützt und das Einkommen des Röthlisberger und sein
Vermögen entsprechend festgesetzt.
B. - Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV
gegen die Kantone Bern und Solothurn stellen Hugo Röthlisberger und die
Stiftung Wengi «das Rechtsbegehren: «Die Doppelbesteuerung für die Jahre 1947
und 1948 sei aufzuheben und zu Unrecht bezogene bereits bezahlte Steuerbeträge
seien zurückzuerstatten oder zu Unrecht geltend gemachte Steuerforderungen
seien aufzuheben».
C. - Der Regierungsrat und das Verwaltungsgericht des Kantons Bern beantragen
die Abweisung der Beschwerde, soweit sich diese gegen den Kanton Bern richte.

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D. - Der Regierungsrat des Kantons Solothurn beantragt Abweisung der
Beschwerde, soweit sie sich gegen den Kanton Solothurn richte und darauf
eingetreten werden könne.
Eine Doppelbesteuerung möge für 1947 und 1948 vorliegen: doch habe der Kanton
Solothurn davon erst seit dem Entscheid des bernischen Verwaltungsgerichtes
vom 17. Oktober 1949 Kenntnis. Der Steueranspruch des Kantons Bern für 1947
und 1948 sei erst mit dem Einspracheentscheid vom 29. März 1 949 und damit
verspätet erhoben worden. Durch die ursprüngliche Einschätzung Röthlisbergers,
welche das Stiftungsvermögen nicht erfasste, habe Bern die Steuerhoheit
Solothurns hierüber anerkannt, und die Veranlagung habe nach Ablauf des
Steuerjahres nicht mehr abgeändert werden dürfen.
Die Stiftung Wengi habe in Solothurn die Steuern stets vorbehaltlos bezahlt
und damit den Steueranspruch des Kantons Solothurn anerkannt. Es wäre
unbillig, wenn Solothurn diese Steuern zurückerstatten müsste, zumal die
zuständigen Behörden dieses Kantons von einer kollidierenden Einschätzung
durch Bern erst anfangs 1950 Kenntnis erhalten hätten. Diesbezüglich sei der
Solothurnische Anspruch durch die bundesgerichtliche Praxis in
Rückforderungsfällen geschützt.
Das gegen Solothurn erhobene Rückerstattungsbegehren sei deshalb abzuweisen:
zumindest sei beim Kostenentscheid zu berücksichtigen, dass Solothurn von dem
kollidierenden Steueranspruch Berns keine Kenntnis gehabt habe.
E. - Zur Einrede, der Steuerauspruch des Kantons Bern für die Jahre 1947 und
1948 sei verspätet geltend gemacht worden, repliziert der bernische
Regierungsrat: Der bernische Steueranspruch sei mit der Einsprache erhoben
worden, die dem Beschwerdeführer am 15. September 1948 eröffnet wurde seine
Geltendmachung sei also im Laufe der Veranlagungsperiode erfolgt und demnach
nicht verspätet.

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F. - Der Verwirkungseinrede halten die Beschwerdeführer entgegen, es möge
unbillig erscheinen, wenn der Kanton Solothurn vorbehaltlos bezahlte Steuern
zurückvergüten müsse. Ebenso unbillig wäre es aber, wenn für das nämliche
Steuerobjekt die Steuern zweimal bezahlt werden müssten. Es wäre zu prüfen, ob
die Berufung des Kantons Solothurn auf die formelle Rechtskraft seiner
Veranlagung nicht wegen Verstosses gegen das Gebot der Billigkeit unbeachtet
bleiben müsse. Röthlisberger habe zum ersten Mal am 15. September 1948
erfahren, dass die bernische Steuerverwaltung Aufrechnung des Vermögens und
Ertrages der Stiftung zu seinem eigenen Vermögen und Einkommen beantrage.
Vorher habe die Stiftung Wengi keinen Anlass gehabt, gegenüber Solothurn einen
Vorbehalt anzubringen. Das wäre höchstens bei der Zahlung der zweiten Rate für
1948 am 29. Oktober 1948 in Frage gekommen, die aber auf einer vor dem 15.
September 1948 rechtskräftig gewordenen Veranlagung beruht habe. Mindestens
bezüglich der früheren Zahlungen könne sich Solothurn nicht auf vorbehaltlose
Zahlung berufen.
Ans den Erwägungen:
1.- Nach der Praxis des Bundesgerichts ist ein Kanton auch im interkantonalen
Verhältnis berechtigt, Vermögenswerte eines seiner Steuerhoheit unterstehenden
Steuerpflichtigen, die auf eine juristische Person übertragen worden sind,
weiter beim ursprünglichen Steuerpflichtigen als Teil seines Vermögens zu
besteuern, wenn nachgewiesen werden kann, dass die juristische Person nur zu
dem Zwecke gegründet worden ist, um der sonst bestehenden Steuerpflicht in dem
betreffenden Kanton zu entgehen, und dass in Wirklichkeit nach wie vor der
bisherige Vermögensträger mit Bezug auf das der juristischen Person
übertragene Vermögen die Befugnisse ausübt, auf die es für die Zuscheidung der
Steuerhoheit ankommt. Wird die juristische Person für das gleiche Vermögen in
einem anderen Kanton besteuert, so hat die Praxis trotz der

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Verschiedenheit der Steuersubjekte eine unzulässige Doppelbesteuerung
angenommen.
Das Bundesgericht hat in solchen Fällen den Steuerpflichtigen als zur
staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert betrachtet sowohl gegenüber dem
Kanton, der ihn selbst auch für das Vermögen der juristischen Person
besteuert, als auch gegenüber dem Kanton, der die juristische Person als
solche besteuert (BGE 52 I 373 und 383, 53 I 443 und 449). Im vorliegenden
Falle ist somit auf die Beschwerde des Röthlisberger gegenüber den Kantonen
Bern und Solothurn einzutreten, obwohl im letzteren formell nicht der Stifter,
sondern die Stiftung «Wengi» besteuert wurde er ist legitimiert,
gegebenenfalls Aufhebung der Besteuerung der Stiftung durch den Kanton
Solothurn und Rückerstattung zu Unrecht bezogener Steuern an sie zu verlangen,
weil bei Nichtanerkennung der Stiftung als selbständiges Steuersubjekt damit
in Wahrheit der Stifter durch den Kanton Solothurn besteuert wurde. Es braucht
deshalb nicht untersucht zu werden, ob die Stiftung «Wengi» ebenfalls zur
Beschwerde legitimiert sei.
2.- Der Regierungsrat von Solothurn macht geltend, der Kanton Bern habe einen
allfälligen Anspruch auf Besteuerung des Vermögens und der Erträgnisse der
Familienstiftung «Wengi» beim Stifter für die Jahre 1947 und 1948 verwirkt,
indem er ihn erst am 29. März 1949, also nach Ablauf jener Steuerjahre,
geltend gemacht habe.
Nach der bundesgerichtlichen Praxis verwirkt ein Kanton, der die für die
Steuerpflicht in örtlicher Beziehung massgebenden Tatsachen kennt oder kennen
kann, dann sein Recht auf Besteuerung, wenn er gleichwohl ungebührlich lange
mit der Erhebung des Steuerauspruches zuwartet und wenn bei Gutheissung des
erst nachträglich erhobenen Anspruches ein anderer Kanton zur Rückerstattung
von Steuern verpflichtet werden müsste, die er in Unkenntnis des
kollidierenden Steueranspruches bezogen hat (BGE 74 I 271 und dort zitierte
frühere Urteile). Die damit statuierte Pflicht zur Rücksichtnahme auf

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beteiligte andere Kantone gilt als verletzt, wenn neue, von der bisherigen
Besteuerung abweichende Steueransprüche aus interkantonalen Beziehungen erst
nach Ablauf des Steuerjahres erhoben werden oder wenn die Taxationsanzeige
zwar rechtzeitig während des Steuerjahres zugestellt, die endgültige
Entscheidung über den Anspruch im Rechtsmittelverfahren aber ohne
ausreichenden Grund ungebührlich lange verzögert wird (BGE 63 I 237).
Die ursprüngliche Veranlagung Röthlisbergers für die Steuerperiode 1947, 48,
die ihm am 23. Juli 1948 eröffnet wurde, enthielt keinen Anspruch auf
Besteuerung des Stiftungsvermögens bei ihm. Diese Frage wurde erst aufgeworfen
durch die Einsprache der kantonalen Steuerverwaltung vom 10. September 1948
gegen jene Veranlagung und entschieden durch den Einspracheentscheid vom 29.
März 1949. Der Kanton Bern erblickt eine Geltendmachung seines Steueranspruchs
im Sinne der zitierten Praxis in der Erhebung der Einsprache, der Kanton
Solothurn dagegen erst in dem Entscheid über diese. Nach dem Sinn und Zweck
jener Rechtsprechung, ungebührliche Verzögerungen zu treffen, und nach der
Organisation der Steuerbehörden und des Steuerverfahren im Kanton Bern erweist
sich die Auffassung des bernischen Regierungsrates als die richtige. Bildet
auch die Erhebung der Einsprache noch keinen verbindlichen Entscheid, an den
eine Doppelbesteuerungsbeschwerde angeknüpft werden könnte so wird doch damit
von der hiefür zuständigen Behörde ein Steueranspruch geltend gemacht, und es
muss genügen, dass dies innert des Steuerjahres geschieht. Es wäre zu viel
verlangt, dass auch noch der Entscheid darüber im Steuerjahr selbst ergehe,
zumal diese Art der Geltendmachung naturgemäss erst spät, nämlich nach
Durchführung des gewöhnlichen Veranlagungsverfahrens, möglich ist. Eine solche
Einsprache ist gleich zu behandeln wie eine Einsprache des Steuerpflichtigen
gegen den mit der Veranlagung erhobenen Steueranspruch, d. h es genügt, dass
das Verfahren ohne grundlose Verzögerung durchgeführt, wenn

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auch nicht innerhalb des Steuerjahres erledigt wird. Dass das Verfahren
ungebührlich verzögert worden sei, behauptet der Regierungsrat von Solothurn
mit Recht nicht; ist doch über die Einsprache am 29. März 1949, über den
Rekurs am 28. Juni 1949 und über die Beschwerde am 17. Oktober 1949
entschieden worden.
Für das Steuerjahr 1948, während dessen er erhoben wurde, ist der bernische
Steueranspruch somit nicht verwirkt. Dagegen fragt sich, ob das auch für das
Jahr 1947 gilt, das mit 1948 zusammen die zweijährige Veranlagungsperiode
gemäss Art. 103
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
StG bildet m.a.W. ob die bundesgerichtliche Praxis, die auf
das Steuerjahr abstellt, auf die zweijährige Veranlagungsperiode des neuen
bernischen Steuergesetzes vom 29. Oktober 1944 auszudehnen sei. Der Sinn der
zweijährigen Veranlagungsperiode ist indessen nicht, dass die Steuerbehörden
sich mit der Veranlagung für das erste Jahr zwei Jahre Zeit lassen können,
sondern dass diese für ein weiteres Jahr gilt, ohne wiederholt werden zu
müssen. Selbst wenn sie jene erste Bedeutung beanspruchen sollte, so könnte
diese auf jeden Fall im interkantonalen Verhältnis nicht anerkannt werden denn
ein Kanton darf nicht gestützt auf seine interne Gesetzgebung die andern
Kantonen geschuldete Rücksicht verletzen, d. h. diesen zumuten, Steuern
zurückzuerstatten, die sie in einem bereits abgelaufenen Jahr erhoben haben,
ohne dass er damals seinen kollidierenden Steueranspruch geltend gemacht
hätte. Massgebend ist somit nicht die Veranlagungsperiode, sondern das
Steuerjahr. Hieraus folgt, dass der erstmals am 10. September 1948 erhobene
bernische Steueranspruch für das Jahr 1947 verwirkt ist, da seitens des
Kantons Bern auch nicht dargetan worden ist. seine Steuerbehörden hätten die
massgebenden Tatsachen im Jahre 1947 noch nicht gekannt und nicht kennen
können.
3.- Indem der Regierungsrat von Solothurn geltend macht, die Stiftung «Wengi»
habe die Steuern in Solothurn stets vorbehaltlos anerkannt und bezahlt und der

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solothurnische Steueranspruch sei deshalb nach der bundesgerichtlichen Praxis
geschützt, erhebt er die Einrede der Verwirkung des Beschwerderechts.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts verwirkt ein Steuerpflichtiger das
Recht zur staatsrechtlichen Beschwerde wegen Doppelbesteuerung, wenn er der
Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung vorbehaltlos nachkommt oder den
von ihm geforderten Steuerbetrag vorbehaltlos bezahlt, obgleich er in diesem
Zeitpunkt vom kollidierenden Steueranspruch eines andern Kantons Kenntnis hat
(BGE 73 I 225, 74 I 374). Ein solches Verhalten bildet eine Anerkennung des
zuerst erhobenen Steueranspruchs auf die Gefahr doppelter Besteuerung hin wer
ihn trotz Kenntnis dieser Gefahr anerkennt, kann sich nicht beklagen, wenn die
Gefahr sich dann verwirklicht. Zwar wird die Verwirkung nicht von Amtes wegen
berücksichtigt, sondern nur auf Einrede des Kantons, dessen Steueranspruch
dermassen anerkannt wurde doch kann keine Rede davon sein, dass die Erhebung
dieser Einrede rechtsmissbräuchlich sei oder gegen die Billigkeit verstosse.
Ausdrückliches Erfordernis ist ja die Kenntnis des kollidierenden
Steueranspruchs im Zeitpunkt der vorbehaltlosen Steuererklärung bzw.
Steuerzahlung die frühere Gleichstellung des Falles wo der Steuerpflichtige
mit jedem Anspruch lediglich rechnen musste, ist in BGE 73 I 225 aufgegeben
werden.
Im vorliegenden Falle ist das Beschwerderecht der Stiftung «Wengi» somit nur
verwirkt, wenn sie bei Abgabe ihrer vorbehaltlosen Steuererklärungen bzw. bei
der vorbehaltlosen Bezahlung der Steuern in Solothurn den bernischen
Steueranspruch gegenüber Röthlisberger bezüglich des Stiftungsvermögens
kannte. Dabei ist ihrer eigenen Kenntnis diejenige Röthlisbergers schon
deshalb gleichzusetzen, weil er dem Stiftungsrat angehörte. Wie bereits fest
gestellt wurde, ist der bernische Steueranspruch erstmals durch die Einsprache
vom 10. September 1948 erheben und am 15. September Röthlisberger zur Kenntnis

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gebracht worden; vor diesem Tage kannte ihn weder dieser persönlich noch die
Stiftung «Wengi». Deren Steuererklärungen für 1947 und 1948, die vom 9. April
1947 bzw. vom 30. März 1948 datieren, konnten mithin keine Verwirkung des
Beschwerderechtes zur Folge haben. Wenigstens zum Teil gilt das auch für die
vorbehaltlose Bezahlung der Steuern, auf die sich der Regierungsrat von
Solothurn vor allem stützt, nämlich für die Zahlungen vom 27. Mai 1947, vom
23. Dezember 1947 und vom 30. April 1948. Dagegen wurde die zweite Rate der
Staatssteuer für 1948 erst am 29. Oktober 1948 bezahlt und trotzdem kein
Vorbehalt angebracht. In diesem Zeitpunkt kannte die Stiftung «Wengi» den
bernischen Steueranspruch betreffend das Stiftungsvermögen; das ergibt sich
nicht nur daraus, dass ihr die persönliche Kenntnis Röthlisbergers anzurechnen
ist, sondern auch daraus, dass derselbe Anwalt, der am 22. September 1948 für
diesen die Einsprache der bernischen Steuerverwaltung beantwortet hatte, auch
ihr Anwalt ist und insbesondere ihre Steuergeschäfte besorgt, z. B. ihre
Steuererklärungen unterzeichnet hat.
Im weitem ist abzuklären, ob die Stiftung «Wengi» mit der vorbehaltlosen
Zahlung vom 29. Oktober 1948 (2. Rate der Staatssteuer für 1948) das
Beschwerderecht überhaupt oder nur bezüglich dieser letzten Rate verwirkt hat.
Das Bundesgericht hat in früheren Entscheiden (nicht veröffentlichte Urteile
vom 22. Dezember 1933 i. S. Immobiliengesellschaft Schaffhausen und vom 26.
Januar 1942. i. S. Zeier) angenommen, dass mit der vorbehaltlosen Bezahlung
einer Steuerrate trotz Kenntnis des kollidierenden Steueranspruches eines
andern Kantons jeder Anspruch auf Rückforderung der bereits bezahlten Steuern
verwirkt sei. Eine erneute Prüfung dieser Frage zeigt jedoch, dass es sich
rechtfertigt, eine Verwirkung des Beschwerderechtes nur bezüglich jener
Steuerbetreffnisse anzunehmen, welche in Kenntnis des kollidierenden
Steueranspruches des andern Kantons noch vorbehaltlos erbracht worden sind.
Diese Praxisänderung entspricht der seit dem Jahre 1929 befolgten

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Tendenz, die Verwirkung des Beschwerderechtes und des Rückforderungsanspruches
an strengere Voraussetzungen zu knüpfen (BGE 73 I 223 und dort zitierte
frühere Urteile). Sie trägt auch dem Umstand Rechnung, dass dem Laien nicht
ohne weiteres zugemutet werden darf, nach Kenntnisnahme vom kollidierenden
Steueranspruch eines andern Kantons bei weiteren Zahlungen an den bisherigen
Steuergläubiger auch noch Vorbehalte bezüglich jener Zahlungen anzubringen,
die er auf Grund einer rechtskräftigen Steuerveranlagung bereits früher
geleistet hat, und dass es deshalb unbillig wäre, beim Nicht anbringen dieses
Vorbehalt es auf unbedingte Anerkennung des getilgten Steueranspruchs bzw.
Verwirkung des Beschwerderechtes zu schliessen.
Im vorliegenden Fall hat somit die Stiftung Wengi ihr Beschwerderecht und
damit ihren Rückforderungsanspruch nur hinsichtlich ihrer Zahlung vom 29.
Oktober 1948 verwirkt, da lediglich diese Rate noch vorbehaltlos bezahlt
worden ist, nachdem ihr der kollidierende bernische Steueranspruch zur
Kenntnis gebracht worden war.