S. 62 / Nr. 14 Strafgesetzbuch (d)

BGE 75 IV 62

14. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. Mai 1948 i. S.
Hengärtner gegen Justizdirektion des Kantons Appenzell-A. Rh.

Regeste:
Art. 169
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 169 - Wer eigenmächtig zum Schaden der Gläubiger über einen Vermögenswert verfügt, der
StGB. Wer eine gepfändete Sache verbirgt oder an einen Ort schafft,
wo sie dem Zugriff des Betreibungsamtes entzogen ist, verfügt über sie, selbst
wenn er die Verwertung der Sache bloss vorübergehend verhindert.
Art. 169 CP. Dispose d'un objet saisi celui qui le cache ou le soustrait à la
mainmise de l'office des poursuites, même s'il n'empêche la réalisation que
temporairement.
Art. 169 CP. Dispone d'un oggetto pignorato colui che lo nasconde o lo sottrae
al potere dell'ufficio d'esecuzione, anche se ne impedisce la realizzazione
soltanto temporaneamente.

A. - In einer Betreibung gegen Hengärtner pfändete das Betreibungsamt
Walzenhausen am 19. Januar 1948 eine Schreibmaschine. Nachdem der Schuldner
bereits im Juni 1948 das Betreibungsamt ersucht hatte, die Maschine als
Kompetenzstück freizugeben, und erfolglos bis an das Bundesgericht gelangt
war, wiederholte er am 30. Juli das Gesuch und führte am 2. August gegen den
abschlägigen Bescheid des Betreibungsamtes wiederum Beschwerde. Am 10. August
wurde ihm die Wegnahme der gepfändeten Sache angekündigt. Als der Ortspolizist
diese holen wollte,

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erklärte ihm Hengärtner, er sei zur Selbsthilfe geschritten, er habe die
Schreibmaschine auswärts in Sicherheit gebracht. Mit Brief vom 10. August
forderte das Betreibungsamt:Hengärtner nochmals auf, den gepfändeten
Gegenstand bis am 11. August auf dem Amte abzugeben. Obwohl es ihm für den
Fall des Ungehorsams Strafe androhte, gehorchte er nicht. Am 30. August wies
die kantonale Aufsichtsbehörde seine Beschwerde vom 2. August ab. Am 7.
September kündete das Betreibungsamt dem Schuldner auf 7. Oktober nochmals die
Steigerung an, mit der Verfügung, dass die Schreibmaschine auf 11. September
zur Abholung bereit zu halten sei und Ungehorsam bestraft würde. Am 10.
September meldete Hengärtner dem Betreibungsamt, die Schreibmaschine gehöre
seiner Ehefrau. Das Betreibungsamt antwortete ihm am gleichen Tage, dass es
diesen Anspruch nicht anerkenne, und ersuchte ihn nochmals, die Maschine dem
Ortspolizisten zu übergeben. Am 11. September fand dieser bei Hengärtner, der
abwesend war, die gepfändete Sache wiederum nicht. Das Betreibungsamt reichte
daher am gleichen Tage gegen Hengärtner Strafklage ein.
B. - Am 13. Januar 1949 verurteilte das Kriminalgericht des Kantons
Appenzell-A.Rh. Hengärtner wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen (Art.
292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB).
Auf Appellation des Verurteilten bestätigte das Obergericht von
Appenzell-A.Rh. am 28. März 1949 die Strafe, wandte jedoch statt Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
den
Art. 169
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 169 - Wer eigenmächtig zum Schaden der Gläubiger über einen Vermögenswert verfügt, der
StGB an. Es ist der Auffassung, Hengärtner habe durch das
Beiseiteschaffen der Schreibmaschine vorsätzlich über diese verfügt.
C. - Hengärtner führt gegen das Urteil des Obergerichts Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrag, es sei aufzuheben und der Beschwerdeführer freizusprechen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
3.- Nach Art. 169
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 169 - Wer eigenmächtig zum Schaden der Gläubiger über einen Vermögenswert verfügt, der
StGB ist strafbar, wer über eine gepfändete Sache «
eigenmächtig zum Nachteile der Gläubiger

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verfügt » oder sie « beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht ».
Nicht nur, wer über die Sache ein Rechtsgeschäft abschliesst (Eigentum
überträgt, ein beschränkt dingliches oder ein persönliches Recht bestellt),
sondern auch, wer sie zum Gegenstande anderer Handlungen macht, die den
Endzweck der Pfändung, den betreibenden Gläubiger zu befriedigen, vereiteln, «
verfügt » über sie. Es ist nicht zu sehen, weshalb das Gesetz die tatsächliche
Verfügung über eine Sache anders hätte behandeln wollen als die rechtliche
Verfügung. Die eine kann dem Gläubiger gleich nachteilig sein wie die andere.
Art. 96 Abs. 1
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 96 - 1 Der Schuldner darf bei Straffolge (Art. 169 StGB212) ohne Bewilligung des Betreibungsbeamten nicht über die gepfändeten Vermögensstücke verfügen. Der pfändende Beamte macht ihn darauf und auf die Straffolge ausdrücklich aufmerksam.213
1    Der Schuldner darf bei Straffolge (Art. 169 StGB212) ohne Bewilligung des Betreibungsbeamten nicht über die gepfändeten Vermögensstücke verfügen. Der pfändende Beamte macht ihn darauf und auf die Straffolge ausdrücklich aufmerksam.213
2    Verfügungen des Schuldners sind ungültig, soweit dadurch die aus der Pfändung den Gläubigern erwachsenen Rechte verletzt werden, unter Vorbehalt der Wirkungen des Besitzerwerbes durch gutgläubige Dritte.214
SchKG verbietet denn auch dem Schuldner Verfügungen über die
gepfändeten Vermögensstücke schlechthin, ohne zwischen rechtlichen und
tatsächlichen Verfügungen zu unterscheiden. Dass Art. 169
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 169 - Wer eigenmächtig zum Schaden der Gläubiger über einen Vermögenswert verfügt, der
StGB auch für
Handlungen gilt, welche die Verwertung der Sache bloss aus tatsächlichen,
nicht aus rechtlichen Gründen vereiteln, ergibt sich aus der Strafbarkeit
dessen, der die Sache a beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht
n. Diese Worte sagen nicht abschliessend, welche Einwirkungen auf die Sache
strafbar sein sollen. Es ist nicht denkbar, dass der Gesetzgeber mit Strafe
habe bedrohen wollen, wer die Sache beschädigt oder entwertet (ihren Wert
vermindert), dagegen eine Handlung, welche die Verwertung der Sache
verunmöglicht und damit dem Gläubiger ihren Wert vollständig entzieht,
straflos habe ausgehen lassen wollen. Wer eine gepfändete Sache verbirgt oder
an einen Ort schafft, wo sie dem Zugriff des Betreibungsamtes entzogen ist,
verfügt über sie. Das tut er sogar schon dann, wenn er durch diese Handlungen
die Verwertung der Sache bloss vorübergehend verhindert. Schon das wirkt sich
« zum Nachteile der Gläubiger » aus. Mit diesem Merkmal verlangt das Gesetz
nicht, dass der Gläubiger in der Betreibung zu Verlust komme, sondern bloss,
dass er irgendwelche, wenn auch nicht bleibende Nachteile erleide.
4.- Durch das Verbergen der Schreibmaschine hat der

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Beschwerdeführer das Betreibungsamt verhindert, die Maschine am vorgesehenen
Tage zu verwerten. Er hat damit über sie verfügt, und zwar zum Nachteile der
Gläubiger, für deren Forderungen sie gepfändet war. Er hat seine Handlung «
eigenmächtig », ohne Erlaubnis des Betreibungsamtes vorgenommen. Der objektive
Tatbestand des Art. 169
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 169 - Wer eigenmächtig zum Schaden der Gläubiger über einen Vermögenswert verfügt, der
StGB ist erfüllt.
Auch subjektiv ist er gegeben, gleichgültig ob der Beschwerdeführer, wie er
behauptet, zum vornherein beabsichtigt hat, die Schreibmaschine dem
Betreibungsamte zu übergeben, falls er im Beschwerdeverfahren über ihre
Pfändbarkeit unterliegen würde, oder ob er, wie die Akten nahe legen, ihre
Verwertung ein für allemal hat verhindern wollen. Er hat gewusst, dass seine
Tat zum Nachteile der Gläubiger wenigstens vorübergehend gegen den Willen des
Betreibungsamtes die Verwertung der gepfändeten Sache verunmögliche, und hat
zum mindesten diesen Erfolg gewollt
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.