S. 185 / Nr. 44 Strafgesetzbuch (d)

BGE 75 IV 185

44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. Dezember 1949 i. S.
Wüthrich gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau.


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Regeste:
Art. 20 Satz 2 MFG, Art. 40 Abs. 1 MFV. Wann hat der Führer des
Motorfahrzeuges zu warnen?
Art. 20 LA et 40 al. 1 RA. Quand le conducteur d'un véhicule automobile
doit-il avertir?
Art. 20 LA e 40 cp. 1 RLA. Quando il conducente d'un autoveicolo deve far uso
dell'apparecchio di segnalamento acustico?

A. - Wüthrich führte am Nachmittag des 21. Oktober 1948 auf der Fahrt von
Eschlikon gegen Wil ein Personenautomobil durch das Dorf Sirnach. Vor
Erreichung der katholischen Kirche, wo die Strasse eine Linksbiegung macht und
von rechts eine andere einmündet, hatte er eine Geschwindigkeit von 50 km/h
inne. Die Biegung weit nehmend, kam er bis auf einen Meter an das rechts, vor
der Kirche gelegene Trottoir heran, auf dem drei bis vier Kinder miteinander
sprachen. Als er nur noch wenige Meter von der Gruppe entfernt war, lief eines
der Kinder, der sechsjährige Otto Frei, ohne sich umzusehen auf die Strasse,
um in den gegenüber liegenden Laden etwas kaufen zu gehen. Wüthrich bremste
und steuerte nach links. Trotzdem wurde der Knabe vom Kotflügel des Automobils
erfasst und. zu Boden geworfen. Er erlitt leichte Schürfungen. Das Automobil
geriet links in den Durchgang zwischen zwei Häusern, stiess an das eine Haus
an und beschädigte ein dort stehendes Motorfahrzeug.
B. - Am 3. November 1949 verurteilte das Obergericht des Kantons Thurgau
Wüthrich wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237
SR 311.0 Code pénal suisse du 21 décembre 1937
CP Art. 237 - 1. Quiconque, intentionnellement, empêche, trouble ou met en danger la circulation publique, notamment la circulation sur la voie publique, par eau, dans les airs ou par chemins de fer, et par là met sciemment en danger la vie ou l'intégrité corporelle des personnes ou la propriété d'autrui est puni d'une peine privative de liberté de cinq ans au plus ou d'une peine pécuniaire.
1    Quiconque, intentionnellement, empêche, trouble ou met en danger la circulation publique, notamment la circulation sur la voie publique, par eau, dans les airs ou par chemins de fer, et par là met sciemment en danger la vie ou l'intégrité corporelle des personnes ou la propriété d'autrui est puni d'une peine privative de liberté de cinq ans au plus ou d'une peine pécuniaire.
2    L'auteur est puni d'une peine privative de liberté de trois ans au plus ou d'une peine pécuniaire s'il agit par négligence.
StGB)
zu Fr. 60.- Busse. Den für die Störung ursächlichen Fehler sah es

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darin, dass er entgegen Art. 20 MFG bei der Annäherung an die Kinder kein
Signal gegeben hatte. Die Geschwindigkeit von 50 km/h erachtete es als
übersetzt, weil die Stelle unübersichtlich sei, mitten im Dorf liege und der
Angeklagte den Vortritt nicht hätte gewähren können, wenn von rechts ein
Fahrzeug gekommen wäre. Das Gericht nahm indes an, die übersetzte
Geschwindigkeit sei für die Störung des Verkehrs nicht ursächlich gewesen, und
Strafe nach Art. 25 MFG verhängte es nicht, weil diese Übertretung verjährt
sei. Den Vorwurf, Wüthrich habe sein Fahrzeug nicht beherrscht, sah es als
unbegründet an, denn er habe auf die unerwartete Bewegung des Knaben rasch und
zweckmässig reagiert.
C. - Wüthrich führt Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt, das Urteil des
Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung zurückzuweisen. Er
macht geltend, er habe nicht damit rechnen müssen, dass eines der Kinder, ohne
sich umzusehen, kopflos die Fahrbahn betreten und gerade vor das Automobil
laufen würde. Er habe deshalb nicht zu warnen brauchen.
D. - Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragt, die Beschwerde sei
abzuweisen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Da einerseits Art. 20 MFG vorschreibt, dass die Warnvorrichtung des
Motorfahrzeuges zu gebrauchen sei, « wenn die Sicherheit des Verkehrs es
erfordert », und anderseits Art. 40
SR 311.0 Code pénal suisse du 21 décembre 1937
CP Art. 237 - 1. Quiconque, intentionnellement, empêche, trouble ou met en danger la circulation publique, notamment la circulation sur la voie publique, par eau, dans les airs ou par chemins de fer, et par là met sciemment en danger la vie ou l'intégrité corporelle des personnes ou la propriété d'autrui est puni d'une peine privative de liberté de cinq ans au plus ou d'une peine pécuniaire.
1    Quiconque, intentionnellement, empêche, trouble ou met en danger la circulation publique, notamment la circulation sur la voie publique, par eau, dans les airs ou par chemins de fer, et par là met sciemment en danger la vie ou l'intégrité corporelle des personnes ou la propriété d'autrui est puni d'une peine privative de liberté de cinq ans au plus ou d'une peine pécuniaire.
2    L'auteur est puni d'une peine privative de liberté de trois ans au plus ou d'une peine pécuniaire s'il agit par négligence.
Abs. I MFV den « grundlosen Gebrauch »
dieser Vorrichtung untersagt, befindet sich der Führer in Grenzfällen in einem
Dilemma, ob er warnen soll oder nicht; durch überflüssiges Warnen macht er
sich strafbar gleich wie durch Unterlassung der Signalgabe in Fällen, wo sie
nötig ist. Daraus leitet die Rechtsprechung des Bundesgerichtes ab, dass dem
Führer in der Beurteilung der Lage im Hinblick auf die Notwendigkeit oder
Überflüssigkeit des Warnens ein gewisses Ermessen zusteht und ihm aus dem
Nichtgebrauch der Warnvorrichtung kein

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Vorwurf gemacht werden darf, wenn beachtliche Gründe ihn zur Auffassung
bringen konnten, er brauche sich nicht anzukünden (BGE 64 I 217).
2.- Solche Gründe hatte der Beschwerdeführer. Er brauchte nicht mit der nahen
Möglichkeit zu rechnen, dass eines der Kinder, die er auf dem Trottoir stehen
sah, ohne sich umzusehen auf die Strasse laufen würde, wie es im Eifer des
Spiels etwa geschieht. Die Kinder spielten nicht, sondern standen im Gespräch
ruhig beieinander. In solcher Gemütsverfassung weiss und bedenkt selbst ein
erst sechs Jahre altes Kind in der Regel, dass es die Strasse nicht betreten
darf, ohne sich zu überzeugen, dass sie frei ist. Daher kommt nichts darauf
an, dass eines der auf dem Trottoir stehenden Kinder dem Beschwerdeführer den
Rücken zugewandt hat. Müsste der Führer unter solchen Umständen warnen, so
wären die Automobile nicht nur in der Stadt, sondern auch in ländlichen
Verhältnissen eine Quelle unerträglichen Lärms und würden die Kinder dazu
erzogen, die Lage mit den Ohren statt mit den Augen zu beurteilen.
Fragen kann man sich bloss, ob nicht die verhältnismässig hohe
Geschwindigkeit, mit der sich der Beschwerdeführer den Kindern näherte, den
Gebrauch der Warnvorrichtung erfordert hätte. Denn damit, dass das Obergericht
den Kausalzusammenhang zwischen der Geschwindigkeit des Automobils und der
Störung des Verkehrs (dem Unfalle) verneint, ist nicht gesagt, dass der
Beschwerdeführer im Hinblick auf die Pflicht zu warnen die Lage in guten
Treuen gleich beurteilen durfte wie ein langsam Fahrender. Allein die
örtlichen Verhältnisse sind nicht so, dass der Knabe das von Eschlikon her
kommende Automobil wegen dessen Geschwindigkeit erst so spät hätte sehen
können, dass ein Signal nötig gewesen wäre, um ihn rechtzeitig vor dem
Betreten der Strasse zu warnen. Hätte der Knabe sich umgesehen, so hätte er
das Automobil trotz der Geschwindigkeit, mit der es sich näherte, vom Trottoir
aus bemerkt.
Die Auffassung, der Beschwerdeführer habe durch

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Nichtgebrauch der Warnvorrichtung fahrlässig den Öffentlichen Verkehr gestört,
hält somit nicht stand.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des
Kantons Thurgau vom 3. November 1949 aufgehoben und die Sache zur
Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen.