S. 144 / Nr. 24 Obligationenrecht (d)

BGE 75 II 144

24. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. Mai 1949 i. S. Züger
gegen Jurt.

Regeste:
Liegenschaftskauf, Formgültigkeit (Art. 216
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 216 - 1 Kaufverträge, die ein Grundstück zum Gegenstande haben, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der öffentlichen Beurkundung.
1    Kaufverträge, die ein Grundstück zum Gegenstande haben, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der öffentlichen Beurkundung.
2    Vorverträge sowie Verträge, die ein Vorkaufs-, Kaufs- oder Rückkaufsrecht an einem Grundstück begründen, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der öffentlichen Beurkundung.76
3    Vorkaufsverträge, die den Kaufpreis nicht zum voraus bestimmen, sind in schriftlicher Form gültig.77
, 11
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 11 - 1 Verträge bedürfen zu ihrer Gültigkeit nur dann einer besonderen Form, wenn das Gesetz eine solche vorschreibt.
1    Verträge bedürfen zu ihrer Gültigkeit nur dann einer besonderen Form, wenn das Gesetz eine solche vorschreibt.
2    Ist über Bedeutung und Wirkung einer gesetzlich vorgeschriebenen Form nicht etwas anderes bestimmt, so hängt von deren Beobachtung die Gültigkeit des Vertrages ab.
, 12
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 12 - Ist für einen Vertrag die schriftliche Form gesetzlich vorgeschrieben, so gilt diese Vorschrift auch für jede Abänderung, mit Ausnahme von ergänzenden Nebenbestimmungen, die mit der Urkunde nicht im Widerspruche stehen.
, 115
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 115 - Eine Forderung kann durch Übereinkunft ganz oder zum Teil auch dann formlos aufgehoben werden, wenn zur Eingehung der Verbindlichkeit eine Form erforderlich oder von den Vertragschliessenden gewählt war.
OR).
Eine in ihrem möglichen Maximalumfang beurkundete Verpflichtung kann zum
voraus formlos beschränkt werden (z. B. durch Bedingung) (Erw. 1 a).
Beurkundungsbedürftig sind nur die objektiv und subjektiv wesentlichen
Vertragsabreden (Erw. 1 b und o).
Vente d'immeubles, conditions de forme (art. 216, 11, 12, 115 CO).
Il n'est besoin d'aucune forme pour réduire (par ex. par une condition) une
obligation que les parties ont fait constater par acte authentique dans
l'étendue maximum qu'elle pouvait avoir (consid. 1 litt. a).
Sont seules soumises à l'observation de la forme authentique les clauses
objectivement et subjectivement essentielles (consid. 1 litt. b et c).
Vendita d'immobili, condizioni di forma (art. 216, 11, 12, 116 CO).
Non occorre una forma per ridurre (p. es. mediante una condizione)
l'obbligazione che lo parti hanno definita nella sua massima estensione
possibile in un atto pubblico (consid. 1 lett. a).
Sono assoggettate all'osservanza della forma dell'atto pubblico soltanto le
clausole oggettivamente e soggettivamente essenziali (consid. 1 lett. b e c).

Walter Züger, Wirt und Liegenschaftenhändler, verkaufte am 17. Juli 1943 seine
Liegenschaft Gasthof

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« Du Lac » in Lachen (SZ) an den Betreibungsbeamten Jurt. Anlass hiezu gab der
Umstand, dass gegen Züger und seine Ehefrau am 15. Juli 1943 eine
Strafuntersuchung wegen Kuppelei angehoben worden war und Züger am Nachmittag
des 17. Juli die amtliche Mitteilung erhalten hatte, die Wirtschaft werde noch
am gleichen Tage polizeilich geschlossen. Züger, der seit dem 15. Juli
Anstrengungen gemacht hatte, die Liegenschaft zu verkaufen, um die Schliessung
zu vermeiden, traf am 17. Juli ca. um 22 Uhr mit Jurt im Verandastübli des «
Du Lac » eine schriftliche Vereinbarung (den sog. « Verandavertrag »), wonach
er Jurt das « Du Lac » samt allem Inventar mit sofortigem Antritt zum Preis
von Fr. 75500.­ verkaufte; falls die Wirtschaftskonzession nicht entzogen
werden sollte, hatte Jurt weitere Fr. 5000.­ in bar zu bezahlen. Bei einem
allfälligen Wiederverkauf der Liegenschaft durch Jurt sollte der Gewinn
zwischen den Parteien geteilt werden.
Im Anschluss an die Unterzeichnung dieser Vereinbarung wurde in der Wohnung
des Jurt ca. um 23 Uhr durch den Notar-Stellvertreter Bruhin in Anwesenheit
der Parteien und der Frau des Käufers der Kaufvertrag notariell verurkundet.
In der Kaufsurkunde wurde der Kaufpreis mit Fr. 80,500.­ angegeben, zahlbar
durch Übernahme der Hypotheken von Fr. 75500.­ und durch Barzahlung des Restes
von Fr. 5000.­, wofür der Verkäufer gleichzeitig mit der
Vertragsunterzeichnung quittierte. Der Besitzantritt wurde auf den 18. Juli
angesetzt.
Zur Beilegung von Differenzen, die sich anlässlich der Inventaraufnahme
ergaben, schlossen die Parteien unter Mitwirkung des Notar-Stellvertreters
Bruhin am 24. Juli 1943 eine neue privatschriftliche Vereinbarung, in der
festgestellt wurde, dass alle zwischen den Parteien bestehenden mündlichen und
schriftlichen privaten Abmachungen aufgehoben seien und Gültigkeit lediglich
der am 17. Juli öffentlich verurkundete und bereits vollzogene Kaufvertrag
habe; danach sei also Jurt Eigentümer des Hotels «Du Lac » ohne jede
Nebenabrede oder

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Nebenverpflichtung. Für die Aufhebung der privaten Abmachung vom 17. Juli
sollte Jurt an Züger unter allen Titeln eine einmalige Entschädigungssumme von
Fr. 5000.­leisten, zahlbar in bar, sobald die Konzessionsfrage geordnet sei.
Am 14. Juni 1944 focht Züger den Kauf an und reichte am 14. Juli 1944 gegen
Jurt die vorliegende Klage ein, mit der er die Feststellung der Nichtigkeit
des Kaufvertrages verlangte, weil der verurkundete Kaufvertrag in
verschiedenen Punkten mit dem wirklichen Willen der Parteien nicht im Einklang
gestanden habe. Das Bundesgericht weist die Klage in Bestätigung des Urteils
des Kantonsgerichts Schwyz ab.
Aus den Erwägungen:
(1. ­) Der Kläger macht zur Begründung der von ihm behaupteten Nichtigkeit des
Kaufvertrages geltend, nicht dieser, sondern der sog. Verandavertrag habe dem
wirklichen Willen der Parteien entsprochen; es sei also das Verurkundete nicht
gewollt, das Gewollte nicht verurkundet worden.
a) Das soll nach den Darlegungen des Klägers einmal der Fall sein beim
Kaufpreis. Nach dem Verandavertrag hätte der Beklagte über die Uebernahme der
Hypotheken von Fr. 75,500.­hinaus noch Fr. 5000.­ zu bezahlen gehabt unter der
Bedingung, dass die Wirtschaftskonzession nicht entzogen werde; im notariellen
Kaufvertrag sei dagegen ein unbedingter Kaufpreis von Fr. 80,500.­ verurkundet
worden.
Wenn die Parteien eines Kaufvertrages eine vor dessen Verurkundung vereinbarte
Nebenabrede nicht verurkunden lassen, spricht die Vermutung für den Verzicht
auf diese Abrede. Im vorliegenden Fall ist diese Vermutung jedoch entkräftet,
weil die Parteien darüber einig sind, dass die Barzahlungsverpflichtung an die
Bedingung des Weiterbestehens der Wirtschaftskonzession geknüpft bleiben
sollte. Die Nichtverurkundung dieser Bedingung macht aber den Kaufvertrag
nicht ungültig. Denn eine Abrede,

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die eine verurkundungsbedürftige Verpflichtung lediglich mindert ­ und das
trifft auf die in Frage stehende Bedingung zu ­, ist überhaupt nicht
formpflichtig. Das folgt aus analoger Anwendung von Art. 115
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 115 - Eine Forderung kann durch Übereinkunft ganz oder zum Teil auch dann formlos aufgehoben werden, wenn zur Eingehung der Verbindlichkeit eine Form erforderlich oder von den Vertragschliessenden gewählt war.
OR, wonach auch
eine formbedürftige Verbindlichkeit formlos aufgehoben oder reduziert werden
kann. Ist eine nachträgliche Einschränkung oder Herabsetzung einer
formbedürftigen Verpflichtung formlos möglich, so muss es auch zulässig sein,
eine in ihrem möglichen Maximalumfang verurkundete Verpflichtung zum voraus
formlos zu beschränken. Dies gilt auf alle Fälle dort, wo die Beschränkung nur
die Qualität der Verpflichtung (die Bedingtheit derselben) betrifft, die
Verpflichtung aber mit dem für den Schuldner im schlimmsten Falle möglichen
Maximalumfang richtig angegeben wird.
b) Durch Unterzeichnung der Kaufsurkunde quittierte der Kläger gleichzeitig
den Empfang der Kaufpreisrestanz von Fr. 5000.­, obschon diese Zahlung damals
tatsächlich nicht erfolgte. Der Kläger betrachtet auch dies als unrichtige
Kaufsverurkundung, welche die Nichtigkeit des Geschäftes nach sich ziehe.
Auch diese Auffassung ist unhaltbar. Die Quittung hatte mit dem Kaufvertrag
und seinem verurkundungsbedürftigen Inhalt überhaupt nichts zu tun, weshalb
die Richtigkeit oder Unrichtigkeit oder die Bedingtheit der zufällig auf den
Kaufvertrag gesetzten oder mit dessen Unterzeichnung erklärten Quittung die
Formgültigkeit des Kaufvertrages nicht berührt.
c) Unrichtige Kaufsbeurkundung soll schliesslich auch deshalb noch vorliegen,
weil der Kaufvertrag die im Verandavertrag für den Weiterverkaufsfall
vorgesehene Gewinnbeteiligungsabrede zu Gunsten des Klägers nicht enthält.
Diese Gewinnzusicherung war aber, wie die Vorinstanz feststellt, für den
Kläger keine conditio sine qua non des Vertragsschlusses. Er hätte in
Anbetracht der konkreten Sachlage zweifellos die Liegenschaft dem Beklagten
auch ohne dieses Gewinnbeteiligungsversprechen

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verkauft. Zudem war völlig ungewiss, ob und wann und mit welchem Ergebnis sich
diese Zusicherung je verwirklichen werde, so dass sie zum vorneherein als
wirtschaftlich fragwürdig und im Hinblick auf den übrigen Vertragsinhalt als
nebensächliches Element erscheinen musste. Es handelte sich somit um eine
weder objektiv noch subjektiv wesentliche Vertragsbestimmung, die ihrem
Inhalte nach zu den Verpflichtungen nebensächlicher Art gehörte und nach dem
Zweck der Vertragsform nicht formbedürftig war; denn es ist nicht die
lückenlose Beurkundung des gesamten Vertragsinhaltes erforderlich, sondern zu
beurkunden sind nach herrschender Lehre und Rechtsprechung nur die objektiv
und subjektiv wesentlichen Vertragsabreden (BGE 68 II 233 und dort zitierte
Literatur).
Abgesehen hievon könnte die Ungültigkeitseinrede des Klägers wegen
Rechtsmissbrauchs nicht gehört werden, weil der Kläger in der schriftlichen
Abmachung vom 24. Juli 1943 auf die Gewinnbeteiligungsklausel verzichtete und
sich dafür eine Entschädigungssumme von Fr. 5000.­, «zahlbar in bar sobald die
Konzession für den Gasthof « Du Lac » geordnet ist », versprechen liess. Bei
dieser Sachlage nachträglich die Ungültigkeit des Kaufes wegen
Nichtverurkundung der nachher aufgehobenen Gewinnbeteiligungsklausel geltend
zu machen, verstösst gegen Treu und Glauben.
Die Rüge des Formmangels ist somit in allen Teilen unbegründet.