S. 129 / Nr. 34 Strafgesetzbuch (d)

BGE 74 IV 129

34. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. September 1948 i. S.
Mathieu und Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis gegen Willa und Pfammatter.


Seite: 129
Regeste:
Art. 27
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 27 - Besondere persönliche Verhältnisse, Eigenschaften und Umstände, welche die Strafbarkeit erhöhen, vermindern oder ausschliessen, werden bei dem Täter oder Teilnehmer berücksichtigt, bei dem sie vorliegen.
StGB. Voraussetzungen der Anwendbarkeit dieser Bestimmung.
Art. 27 CP. Conditions d'application.
Art. 27 CP. Presupposti dell'applicazione di questa norma.

A. ­ Jules Willa und Walter Pfammatter stellten im August 1944 mit Hilfe einer
mit der Schreibmaschine beschriebenen Matrize rund zweihundert Exemplare einer
47 Seiten starken Broschüre her, die ein im Auftrage des Walliser Staatsrates
abgegebenes Gutachten zweier Sachverständiger aus dem Jahre 1942 über die
Gemeinderechnungen von Leuk wiedergibt, auf Seite 6 in einem von Willa und
Pfammatter beigefügten Satze die Behauptung aufstellt, gemäss Bericht der
Treuhand Revision in Luzern für die Jahre 1924 bis 1938 seien in den
Gemeinderechnungen Differenzen von Fr. 88,346.64 vorhanden, und auf den Seiten
46 und 47 einige ebenfalls von Willa und Pfammatter verfasste kritische
Bemerkungen zur Finanzverwaltung der Gemeinde Leuk enthält. Willa, Pfammatter
und andere Personen verteilten die Broschüre vor Ende 1944 in Leuk und
Umgebung als Mittel in einem Wahlkampf, wobei sie den Empfängern erklärten,
wenn sie als Gegenleistung Fr. 2.­ für die Parteikasse geben wollten, sei es
recht.
B. ­ Am 8. März 1945 verlangte Othmar Mathieu, Gemeindepräsident von Leuk, die
Bestrafung Willas und Pfammatters wegen Ehrverletzung. Nach seinem Ableben
hielten seine Erben die Klage aufrecht.

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Mit Urteil vom 2. Juni 1948 stellte das Kantonsgericht des Wallis fest, dass
die Strafverfolgung verjährt sei, und sprach es daher die Angeklagten von
Schuld und Strafe frei.
C. ­ Die Kläger und die Staatsanwaltschaft führen Nichtigkeitsbeschwerde. Sie
beantragen, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zur materiellen
Beurteilung an die Vorinstanz. zurückzuweisen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ­ .........
2. ­ Durch das Mittel der Druckerpresse begangen (Art. 27 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 27 - Besondere persönliche Verhältnisse, Eigenschaften und Umstände, welche die Strafbarkeit erhöhen, vermindern oder ausschliessen, werden bei dem Täter oder Teilnehmer berücksichtigt, bei dem sie vorliegen.
StGB) ist
eine strafbare Handlung nicht nur dann, wenn die Schrift, welche die strafbare
Äusserung enthält, mit den maschinellen Einrichtungen einer Buchdruckerei
hergestellt, «gedruckt» worden ist. Nicht um dieser Herstellungsart willen
sind besondere Bestimmungen über die Verantwortlichkeit der Presse erlassen
worden, sondern weil das Presserzeugnis mit geringem Aufwand in einer
unbeschränkten Zahl von Exemplaren hergestellt werden kann und sich daher
besonders eignet, die Öffentlichkeit über Tatsachen von allgemeinem Interesse
zu unterrichten, dem öffentlichen Austausch der Meinungen in Fragen der
Politik, Literatur, Kunst und dergleichen zu dienen. Die Sonderstellung, die
das Gesetz dem Presserzeugnis einräumt, ist deshalb nicht nur der gedruckten,
sondern auch jeder anderen Schrift zuzubilligen, die auf einem die leichte
Herstellung in einer unbeschränkten Zahl von Exemplaren erlaubenden
mechanischen Wege vervielfältigt worden ist. Es ist nicht zu sehen, was es
rechtfertigen könnte, Schriften je nach der zu ihrer Vervielfältigung
angewendeten Technik bei im übrigen gleichen Merkmalen, gleicher
Zweckbestimmung und gleicher Wirkungsmöglichkeit strafrechtlich so wesentlich
verschieden zu behandeln, wie es bei Anwendung von Art. 27
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 27 - Besondere persönliche Verhältnisse, Eigenschaften und Umstände, welche die Strafbarkeit erhöhen, vermindern oder ausschliessen, werden bei dem Täter oder Teilnehmer berücksichtigt, bei dem sie vorliegen.
StGB im einen und
Nichtanwendung im andern Falle zuträfe. Auch Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV wird nach der

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Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht nur auf gedruckte, sondern auch auf
hektographierte und auf andere «in einer mehr oder minder grossen Zahl von
Abzügen» angefertigte Schriften angewendet (Staatsrechtliche Abteilung 29.
November 1940 i. S. Notz c. Lang). Dass die Broschüre, mit der sich die
Beschwerdegegner der Ehrverletzung schuldig gemacht haben sollen, nicht
gedruckt, sondern mit Hilfe einer mit der Schreibmaschine bearbeiteten Matrize
vervielfältigt worden ist, steht somit der Anwendung des Art. 27
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 27 - Besondere persönliche Verhältnisse, Eigenschaften und Umstände, welche die Strafbarkeit erhöhen, vermindern oder ausschliessen, werden bei dem Täter oder Teilnehmer berücksichtigt, bei dem sie vorliegen.
StGB nicht im
Wege. Dieses Mittel eignet sich, mit verhältnismässig geringem Aufwand eine
unbeschränkte Zahl von Exemplaren herzustellen, wie das mit der Druckerpresse
im engeren Sinne geschieht.
Weitere Voraussetzungen der Anwendung von Art. 27
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 27 - Besondere persönliche Verhältnisse, Eigenschaften und Umstände, welche die Strafbarkeit erhöhen, vermindern oder ausschliessen, werden bei dem Täter oder Teilnehmer berücksichtigt, bei dem sie vorliegen.
StGB sind, dass die Schrift
tatsächlich in einer grösseren Zahl von Exemplaren hergestellt und in der
Öffentlichkeit verbreitet worden ist. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der
Bestimmung, die wiederholt von «Veröffentlichung» spricht (Art. 27 Ziff. 2, 3,
6). Dass die Verbreitung überall stattgefunden habe, ist nicht nötig;
veröffentlicht wird die Schrift schon dann, wenn sie auch bloss in einem
begrenzten Kreise, z. B. unter den Wählern einer Gemeinde, verbreitet wird,
vorausgesetzt, dass sie nicht nur an bestimmte Personen, sondern (innerhalb
des Kreises) an irgendwen, der sich für sie interessiert, abgegeben wird. Im
vorliegenden Falle sind diese Voraussetzungen erfüllt. Die Beschwerdegegner
haben die Broschüre in der beträchtlichen Zahl von rund zweihundert Exemplaren
vervielfältigt und sie unter den Wählern von Leuk und Umgebung verteilt.
Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft kann für die Anwendung von Art.
27 nichts darauf ankommen, ob die Vervielfältigung der Schrift in einem
organisierten Betriebe oder ausserhalb eines solchen besorgt wird. Das Gesetz
will nicht privilegieren, wer zur Meinungsäusserung in der Öffentlichkeit die
Hilfe eines organisierten Betriebes

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in Anspruch nimmt, sondern jeden, der sich eines technischen Mittels bedient,
das leicht die Vervielfältigung in einer unbeschränkten Zahl von Exemplaren
erlaubt.
Ob Art. 27
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 27 - Besondere persönliche Verhältnisse, Eigenschaften und Umstände, welche die Strafbarkeit erhöhen, vermindern oder ausschliessen, werden bei dem Täter oder Teilnehmer berücksichtigt, bei dem sie vorliegen.
StGB ­ wie Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV (BGE 36 I 41, 42 I 81) ­ dann nicht zutrifft,
wenn die Schrift nicht ideellen, sondern vorwiegend materiellen Interessen
dient, kann dahingestellt bleiben, denn die Broschüre der Beschwerdegegner hat
ausschliesslich zu Fragen der Gemeindeverwaltung Stellung genommen und ist in
Hinblick auf politische Wahlen abgefasst und verbreitet worden. Art. 27 will
namentlich gerade in solchen Dingen die öffentliche Meinungsäusserung
privilegieren.