S. 149 / Nr. 25 Obligationenrecht (d)

BGE 74 II 149

26. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. November 1948 i. S.
Marsa Handels A.G. gegen Textil A.G.

Regeste:
Stellvertretung (Art. 32
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 32 - 1 Wenn jemand, der zur Vertretung eines andern ermächtigt ist, in dessen Namen einen Vertrag abschliesst, so wird der Vertretene und nicht der Vertreter berechtigt und verpflichtet.
1    Wenn jemand, der zur Vertretung eines andern ermächtigt ist, in dessen Namen einen Vertrag abschliesst, so wird der Vertretene und nicht der Vertreter berechtigt und verpflichtet.
2    Hat der Vertreter bei dem Vertragsabschlusse sich nicht als solcher zu erkennen gegeben, so wird der Vertretene nur dann unmittelbar berechtigt oder verpflichtet, wenn der andere aus den Umständen auf das Vertretungsverhältnis schliessen musste, oder wenn es ihm gleichgültig war, mit wem er den Vertrag schliesse.
3    Ist dies nicht der Fall, so bedarf es einer Abtretung der Forderung oder einer Schuldübernahme nach den hierfür geltenden Grundsätzen.
OR).
Voraussetzungen, unter denen der Kaufmann die Rechtshandlungen seines ohne
Ermächtigung handelnden Stellvertreters gegen sich gelten lassen muss.
Représentation (art. 32 CO).
Conditions auxquelles le commerçant doit se laisser opposer les actes de son
représentant lorsque celui-ci agit sans pouvoirs.
Rappresentanza (art. 32
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 32 - 1 Wenn jemand, der zur Vertretung eines andern ermächtigt ist, in dessen Namen einen Vertrag abschliesst, so wird der Vertretene und nicht der Vertreter berechtigt und verpflichtet.
1    Wenn jemand, der zur Vertretung eines andern ermächtigt ist, in dessen Namen einen Vertrag abschliesst, so wird der Vertretene und nicht der Vertreter berechtigt und verpflichtet.
2    Hat der Vertreter bei dem Vertragsabschlusse sich nicht als solcher zu erkennen gegeben, so wird der Vertretene nur dann unmittelbar berechtigt oder verpflichtet, wenn der andere aus den Umständen auf das Vertretungsverhältnis schliessen musste, oder wenn es ihm gleichgültig war, mit wem er den Vertrag schliesse.
3    Ist dies nicht der Fall, so bedarf es einer Abtretung der Forderung oder einer Schuldübernahme nach den hierfür geltenden Grundsätzen.
OR).
In quali condizioni il commerciante deve approvare gli atti del suo
rappresentante che ha agito senz' autorizzazione.

Aus dem Tatbestand:
M. Hasler war vom Oktober 1945 bis September 1946 als Bureauangestellter und
Verkäufer bei der Klägerin, der Textil A.G., tätig. Gestützt auf seine Offerte
an S. Bollag, den Vertreter und späteren Verwaltungsrat der Beklagten Marsa
Handels A.G., bestellte diese bei der Klägerin am 26. Juli 1946 125 Stück
Manchestersamt, wobei sie gleichzeitig um eine schriftliche Bestätigung
nachsuchte. Mit Schreiben vom gleichen Tage, das von Hasler unterzeichnet war,
bestätigte die Klägerin die erhaltene Bestellung, und im Oktober 1946 lieferte
sie die Ware, zum Teil direkt an die Beklagte, zum Teil an deren Abnehmer
unter Vermerkung auf den Lieferscheinen «im Auftrag der Marsa A.G. S. Bollag».
Die Faktur stellte sie auf den Namen der Beklagten aus; der Betrag belief
sich, nach Abzug von drei nicht gelieferten Stoffstücken, auf Fr. 50406.30.
Als die Klägerin von der Beklagten die Mitteilung der Grossistennummer
verlangte, teilte diese am 8. November 1946 mit, nicht sie, sondern die Iweg
A.G. ­ eine Gesellschaft, an der S. Bollag massgebend beteiligt war ­ habe

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den Kaufpreis zu bezahlen. Die Klägerin erwiderte, die Faktur laute auf die
Beklagte und habe mit der Iweg A.G. nichts zu tun, und verlangte umgehende
Überweisung des Betrages. Nach zwei weiteren Zahlungsaufforderungen antwortete
die Beklagte, die Manchester-Lieferung sei im Einverständnis mit Hasler von S.
Bollag übernommen worden, der sie auch bezahlen werde. Die Klägerin bestritt
das, beharrte auf der Bezahlung durch die Beklagte und reichte diesbezüglich
Klage ein. Die Beklagte schloss auf deren Abweisung, mit der Begründung, S.
Bollag habe die Schuldpflicht mit befreiender Wirkung an ihrer Stelle im
Einverständnis mit der Klägerin übernommen. Das Handelsgericht Zürich verwarf
diesen Einwand und sprach die Klage mit Urteil vom 27. Mai 1948 zu.
Die Beklagte ergriff hiegegen die Berufung mit dem Antrag auf Aufhebung des
angefochtenen Urteils und Abweisung der Klage, allenfalls Rückweisung der
Streitsache an die Vorinstanz zur Vervollständigung des Tatbestandes. Die
Beklagte trägt auf Abweisung der Berufung an.
Aus den Erwägungen:
1. ­ Streitig ist, ob die aus dem Kaufvertrag vom 26. Juli 1946 fliessende
Verpflichtung auf Bezahlung des Kaufpreises durch Schuldübernahme auf S.
Bollag übergegangen ist. Diesbezüglich stellt die Vorinstanz fest, dass der
Vertreter der Klägerin, Hasler, die Beklagte aus dem Vertragsverhältnis
entlassen und durch S. Bollag ersetzen wollte, und dass er mit diesem dann
auch eine dahingehende Abrede getroffen hat. Weiter führt sie aus, Hasler sei
intern, seiner Arbeitgeberin gegenüber, zu einem solchen Vorgehen nicht
berechtigt gewesen, er habe Geschäfte von dieser Bedeutung zwar vorbereiten
dürfen, für ihren Abschluss aber jeweils die Genehmigung des Direktors der
Klägerin einholen müssen. Schliesslich verneint sie, dass diese Genehmigung zu
der behaupteten Schuldübernahme erteilt worden sei. Diese Feststellungen
tatbeständlicher Natur sind für das Bundesgericht bindend.

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2.­ Obschon die Klägerin dem Schuldnerwechsel nicht zugestimmt hat, ist damit
doch nichts entschieden in der sich vorab stellenden, von der Vorinstanz nicht
berührten Rechtsfrage, ob sie nicht trotzdem die Schuldübernahme gestützt
darauf gegen sich gelten lassen müsse, dass Hasler mit ihrer Duldung nach
aussen in einer Art und Weise aufgetreten wäre, die Dritte anzunehmen
berechtigte, er sei zum Abschluss eines Schuldübernahmevertrages
bevollmächtigt. Zu Unrecht glaubt die Klägerin, die Behauptung, vorliegend sei
ein derartiger Tatbestand verwirklicht, könne, weil neu, vom Bundesgericht
nicht überprüft werden. Denn es handelt sich hiebei lediglich um eine
rechtliche Schlussfolgerung aus tatbeständlichen Grundlagen, die bereits vor
der kantonalen Instanz dargetan worden sind.
Um diese Frage zu beantworten, ist davon auszugehen, dass die Erteilung einer
Vollmacht an keine Form gebunden ist. Sie kann durch konkludentes Verhalten
erfolgen und gegebenenfalls aus dem Stillschweigen des Geschäftsherrn zu
Rechtshandlungen, die sein Angestellter vornimmt, geschlossen werden. Das ist
insbesondere der Fall, wenn es der Geschäftsherr in einer auf Bevollmächtigung
deutenden Weise geschehen lässt, dass sein Angestellter einem Dritten
gegenüber als Bevollmächtigter auftritt (BGE 31 II 672). Zumal der
kaufmännische Verkehr setzt einfache und übersichtliche Verhältnisse voraus,
da nur so die erforderliche Rechtssicherheit gewährleistet wird. Wer einen
andern für sich auftreten lässt und hiebei nach aussen den Anschein erweckt,
er werde dessen Rechtshandlungen decken, kann deshalb dem redlichen Dritten,
der hierauf vertraut und mit dem Vertreter kontrahiert, nicht die fehlende
Bevollmächtigung entgegenhalten. Es ist infolgedessen für die Frage der
stillschweigenden Bevollmächtigung nicht so sehr entscheidend, ob der Kaufmann
die rechtsgeschäftliche Tätigkeit seines Vertreters im Einzelnen kennt und
billigt, als vielmehr, wie die mit seinem Vertreter kontrahierenden Dritten
sein Verhalten, das er

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gegenüber dessen Tätigkeit bekundet, auffassen müssen. Dürfen sie in guten
Treuen annehmen, dass ihm das rechtsgeschäftliche Handeln seines Vertreters
bei Beachtung der im Verkehr gebotenen Sorgfalt nicht entgangen sein konnte
und daher von ihm gedeckt werde, so muss er sich bei diesem, auf eine
stillschweigende Vollmachtserteilung hinweisenden Verhalten behaften und
seines Vertreters Rechtshandlungen gegen sich gelten lassen.
Vorliegend hat die Klägerin ihren Angestellten Hasler nach aussen völlig
selbständig einen Kaufvertrag wesentlichen Umfanges abschliessen lassen.
Nebstdem finden sich in den Akten Schreiben aus der Zeit jenes
Vertragsschlusses, durch die Hasler noch andere, ebenfalls weittragende
Offerten an die Beklagte gerichtet und namens der Klägerin unterschrieben hat.
Nichts konnte hiebei die Beklagte auf den Gedanken führen, Hasler müsse
jeweils die Genehmigung seines Direktors einholen. Allerdings hat sie in ihrem
Schreiben vom 26. Juli 1946, worin sie sich auf die mündliche Offerte des
Hasler bezog, von der Klägerin ausdrücklich eine Bestätigung verlangt. Das
allein erlaubt jedoch keineswegs den Schluss, sie hätte an der
Bevollmächtigung gezweifelt. Aber selbst wenn sie bei den
Vertragsverhandlungen diesbezüglich noch Zweifel gehabt hätte, so wären sie
durch das Bestätigungsschreiben der Klägerin zerstreut worden. Denn dieses
trug nicht die Unterschrift einer nach dem Handelsregistereintrag
zeichnungsberechtigten Person, sondern wiederum diejenige Haslers. Gerade
daraus durfte sie, im Zusammenhang mit den übrigen, von Hasler unterzeichneten
bedeutsamen Geschäftsbriefen, in guten Treuen folgern, er sei zum
selbständigen Abschluss des Vertrages ermächtigt. Ob er tatsächlich den Rahmen
seiner Bevollmächtigung überschritten habe, bleibt demgegenüber belanglos.
Seine selbständige und wiederholte Tätigkeit als bevollmächtigter Vertreter
war derart ausgeprägt, dass sie die Beklagte mit Fug anzunehmen berechtigte,
sie habe seinem Geschäftsherrn nicht verborgen bleiben können und werde

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von diesem gebilligt. Diesen Schein, den die Klägerin durch die ihrem
Vertreter eingeräumte Freiheit erweckt hat, muss sie gegen sich gelten lassen.
Übrigens deckt sie das Vorgehen von Hasler insoweit, als sie den von ihm
abgeschlossenen Vertrag ohne weiteres als ihren eigenen betrachtet; sie gibt
damit zu, dass die Beklagte zu Recht annahm, Hasler sei zum Vertragsschluss
bevollmächtigt gewesen.
Damit ist freilich noch nicht entschieden, ob die Beklagte auch den weiteren
Schluss ziehen durfte, Hasler sei überdies zum Abschluss eines
Schuldübernahmevertrages bevollmächtigt. Musste sie nämlich auf Grund der
gegebenen Verhältnisse mit der Möglichkeit rechnen, seine Vollmacht beschränke
sich darauf, einen Verkauf lediglich mit ihr zu tätigen, so konnte sie nach
Treu und Glauben jene weitergehende Ermächtigung nicht voraussetzen. Wohl aber
durfte sie das tun, wenn sie anzunehmen berechtigt war, seine Vollmacht
erstreckte sich ganz allgemein auf den Abschluss solcher Verkäufe. Denn wer
einen Käufer völlig nach eigenem Belieben auswählen darf, dem steht es im
allgemeinen auch zu, ihn auszuwechseln.
Der Beklagten war nun allerdings von der Tätigkeit des Hasler bei der Klägerin
offenbar weiter nichts bekannt, als die Offerten, die er ihr unterbreitete,
und seine Mitwirkung beim Vertragsschluss. Jedenfalls blieb sie den Beweis
schuldig, dass er auch anderweitig mit der Berechtigung der völlig freien
Käuferwahl Geschäfte getätigt, und dass sie hievon Kenntnis gehabt hätte.
Ebensowenig kann sie sich darauf berufen, bereits seit geraumer Zeit ihren
Geschäftsverkehr mit der Klägerin stets über Hasler gepflogen zu haben und
gestützt hierauf in ihrer Annahme von dessen selbständiger Vertretungsbefugnis
bestärkt worden zu sein. Wären einzig diese tatbeständlichen Unterlagen
gegeben, so könnte deshalb der Klägerin kaum zugestanden werden, sie habe nach
Treu und Glauben im Geschäftsverkehr nicht damit rechnen müssen, dass Hasler
lediglich bevollmächtigt sei, mit ihr, und nur mit ihr,

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bestimmte Geschäfte abzuschliessen. Entscheidend fällt indessen wiederum das
von Hasler unterzeichnete Bestätigungsschreiben der Klägerin ins Gewicht.
Solchen Bestätigungsschreiben kommt im kaufmännischen Verkehr erfahrungsgemäss
eine erhebliche Bedeutung zu. Sie dienen freilich in Fällen wie dem
vorliegenden in erster Linie einer reinen Beweissicherung hinsichtlich der
einzelnen Vertragsabreden; sie bezwecken aber nicht weniger, dem
Vertragspartner, namentlich wenn die Verhandlungen durch Vertreter geführt
worden sind, die Gewissheit zu verschaffen, dass das Geschäft als rechtsgültig
abgeschlossen betrachtet werde. Dementsprechend pflegen sie denn auch
regelmässig von Personen unterschrieben zu sein, die frei über Abschluss und
Abänderung der in Frage stehenden Verträge befinden können. Ist dem aber so,
und hat die Beklagte, wie ausgeführt, in guten Treuen annehmen dürfen, Hasler
habe das Bestätigungsschreiben mit Duldung der Klägerin unterzeichnet, dann
stand ihr auch die weitere, sich aus der Natur dieses Schreibens ergebende
Folgerung offen, er sei ganz allgemein zu derartigen Geschäftsabschlüssen
bevollmächtigt, mithin in der Auswahl der Käufer und damit auch in deren
Auswechslung frei gewesen. Die Klägerin muss deshalb die Schuldübernahme gegen
sich gelten lassen.
Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass die Schuldübernahme im
Gegensatz zur Bestellung nicht bestätigt worden ist. Zwar hätte das Fehlen der
Bestätigung für die Frage bedeutsam sein können, ob die Schuldübernahme ernst
gemeint sei. Die Vorinstanz hat dies letztere jedoch für das Bundesgericht
verbindlich bejaht. Im übrigen aber ist das Ausbleiben einer Bestätigung für
die allein noch zu beantwortende Frage, ob die Beklagte Hasler gestützt auf
sein Auftreten als bevollmächtigt habe betrachten dürfen, belanglos.
Schliesslich steht der Schuldübernahme auch nicht die Tatsache entgegen, dass
die Ware auf den Namen der ursprünglichen Käuferin geliefert und die Faktur
auf die

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Beklagte ausgestellt wurde. Nachdem die Vorinstanz die vorbehaltlose und von
Hasler genehmigte Schuldübernahme durch S. Bollag feststellt, könnten diese
Umstände höchstens insoweit von Bedeutung sein, als sie auf eine spätere
Rückgängigmachung der Schuldübernahme durch konkludentes Verhalten schliessen
liessen. Hierfür fehlen indessen jegliche anderweitigen Anhaltspunkte.
Allerdings hat die Beklagte keine Berichtigung der Faktur verlangt; aber
daraus allein lässt sich noch nicht ihr Verzicht auf die Schuldbefreiung
herleiten, zumal durchaus möglich ist, dass sie die Faktur bloss versehentlich
unwidersprochen hingenommen hat.