S. 91 / Nr. 25 Strafgesetzbuch (d)

BGE 73 IV 91

25. Urteil des Kassationshofes vom 20. März 1947 i.S. Egli gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.


Seite: 90
Regeste:
Art. 69
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 69 - 1 Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
1    Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
2    Das Gericht kann anordnen, dass die eingezogenen Gegenstände unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden.
StGB. Leugnen des Beschuldigten kann Grund zur Nichtanrechnung der
Untersuchungshaft sein, aber nur soweit es diese tatsächlich herbeigeführt
oder verlängert hat.
Art. 69 CP. Les dénégations de l'accusé ne sont un motif de ne pas imputer la
détention préventive que lorsqu'elles l'ont effectivement provoquée ou
prolongée.
Art. 69 CP. Le denegazioni dell'accusato sono un motivo di non computare il
carcere preventivo soltanto se esse l'hanno effettivamente provocato o
prolungato.

A. ­ In einem Strafverfahren gegen Johann Egli, zu dem zahlreiche vom März
1945 bis im Juni 1946 eingehende Strafanzeigen Anlass gaben, wurde der
Beschuldigte am 7. Mai 1946 wegen Fluchtgefahr verhaftet. Als am 11. Juli 1946
die Untersuchung abgeschlossen wurde, blieb er in Sicherheitshaft. Am 15.
November 1946 verurteilte ihn das Schwurgericht des Kantons Zürich wegen
wiederholten Betruges und wegen Veruntreuung zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus.
Auf diese Strafe rechnete es ihm die seit 11. Juli 1946 ausgestandene
Sicherheitshaft von 127 Tagen an, während es die Anrechnung der
vorausgegangenen Untersuchungshaft mit der Begründung ablehnte, Egli habe die
Untersuchung durch unwahre Angaben erschwert.
B. ­ Egli führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil sei dahin
abzuändern, dass ihm die volle vom 7. Mai 1946 an ausgestandene Haft auf die
Freiheitsstrafe angerechnet werde. Er macht geltend, Erschwerung der
Untersuchung durch den Beschuldigten sei nur dann Grund zur Nichtanrechnung
der Haft, wenn der Beschuldigte durch sein Verhalten die Haft verlängert habe.
Das treffe im vorliegenden Falle nicht zu. Das Leugnen des Beschwerdeführers
habe die Untersuchung nicht verlängert. Dass sie trotz ihres grossen Umfanges
binnen 65 Tagen habe durchgeführt werden können, beweise, dass er ihr keinen
Widerstand entgegengestellt habe. Das Leugnen habe bloss zu einer mehrtägigen
Schwurgerichtsverhandlung

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geführt, in der die Wahrheit sehr rasch aufgedeckt worden sei. Geständnisse
hätten den Untersuchungsbeamten übrigens nicht berechtigt, die Untersuchung
abzukürzen und von der Erforschung der Wahrheit abzusehen. Das Leugnen des
uneinsichtigen Beschwerdeführers lasse zudem, wie auch das Gericht annehme,
auf eine gewisse Verminderung der Zurechnungsfähigkeit schliessen. Umso
stossender und unlogischer sei es, wegen dieser Haltung die Strafdauer
faktisch um 65 Tage zu verlängern. Selbst wenn die Untersuchung durch
Geständnisse um ein weniges abgekürzt worden wäre, hätte die Sache nicht
früher beurteilt werden können, wäre der Beschwerdeführer also gleich lange in
Haft gewesen. Endlich seien die Überlegungen, aus denen die trölerische
Einlegung eines Rechtsmittels nicht als ein die Untersuchungshaft
verlängerndes Verhalten im Sinne von Art. 69
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 69 - 1 Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
1    Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
2    Das Gericht kann anordnen, dass die eingezogenen Gegenstände unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden.
StGB betrachtet wird (BGE 70 IV
53
), analog anzuwenden auf den Fall, wo ein Untersuchungsgefangener leugnet.
Würde Art. 69
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 69 - 1 Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
1    Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
2    Das Gericht kann anordnen, dass die eingezogenen Gegenstände unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden.
StGB so ausgelegt, wie die Vorinstanz es tue, so wäre das Recht
des Beschuldigten zu leugnen, durch einen kantonal- und bundesrechtlich (§ 154
zürch. StPO, Art. 41
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 69 - 1 Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
1    Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
2    Das Gericht kann anordnen, dass die eingezogenen Gegenstände unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden.
BStP) verpönten Zwang zum Geständnis geschmälert. Art. 69
beschlage nur die Ausnahmefälle wirklich schwerwiegender Behinderung der
Untersuchung, wie die vollständige Verweigerung der Aussage, das Vernichten
von Beweismitteln, die beharrliche und systematische Irreführung der
Untersuchungsorgane, die Beeinflussung von Zeugen.
C. ­ Die Staatsanwaltschaft macht keine Gegenbemerkungen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ­ Im Gegensatz zum Vorentwurfe von 1908 (Art. 57) und zum Entwurfe von 1918
(Art. 66
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 66 - 1 Besteht die Gefahr, dass jemand ein Verbrechen oder Vergehen ausführen wird, mit dem er gedroht hat, oder legt jemand, der wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens verurteilt wird, die bestimmte Absicht an den Tag, die Tat zu wiederholen, so kann ihm das Gericht auf Antrag des Bedrohten das Versprechen abnehmen, die Tat nicht auszuführen, und ihn anhalten, angemessene Sicherheit dafür zu leisten.
1    Besteht die Gefahr, dass jemand ein Verbrechen oder Vergehen ausführen wird, mit dem er gedroht hat, oder legt jemand, der wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens verurteilt wird, die bestimmte Absicht an den Tag, die Tat zu wiederholen, so kann ihm das Gericht auf Antrag des Bedrohten das Versprechen abnehmen, die Tat nicht auszuführen, und ihn anhalten, angemessene Sicherheit dafür zu leisten.
2    Verweigert er das Versprechen oder leistet er böswillig die Sicherheit nicht innerhalb der bestimmten Frist, so kann ihn das Gericht durch Sicherheitshaft zum Versprechen oder zur Leistung von Sicherheit anhalten. Die Sicherheitshaft darf nicht länger als zwei Monate dauern. Sie wird wie eine kurze Freiheitsstrafe vollzogen (Art. 7971).
3    Begeht er das Verbrechen oder das Vergehen innerhalb von zwei Jahren, nachdem er die Sicherheit geleistet hat, so verfällt die Sicherheit dem Staate. Andernfalls wird sie zurückgegeben.
), welche die Anrechnung der Untersuchungshaft in das Ermessen des
Richters stellten, schreibt Art. 69
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 69 - 1 Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
1    Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
2    Das Gericht kann anordnen, dass die eingezogenen Gegenstände unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden.
StGB sie zwingend vor, aber nur «soweit
der Täter die Untersuchungshaft nicht durch sein Verhalten nach der Tat
herbeigeführt oder verlängert hat».

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Damit wird grundsätzlich jedes in die Zeit nach der Tat fallende Verhalten des
Täters, das zur Untersuchungshaft Anlass gibt oder sie verlängert, als Grund
zur Nichtanrechnung der Haft anerkannt. Eine Ausnahme bildet die Einlegung
eines Rechtsmittels, mag sie auch trölerisch erfolgen (BGE 70 IV 53). Diese
Rechtsprechung beruht auf der Überlegung, dass der Verurteilte ein vom Gesetz
anerkanntes Recht habe, vom Rechtsmittel Gebrauch zu machen, und dass er davon
nicht durch die Drohung abgeschreckt werden solle, dass ihm im Falle des
Misserfolges die zwischen dem Urteil der unteren und dem der oberen Instanz
ausgestandene Haft nicht angerechnet werde. Für den vorliegenden Fall kann
daraus nichts abgeleitet werden. Keine gesetzliche Norm anerkennt ein Recht
des Schuldigen, sich durch Leugnen der verdienten Strafe zu entziehen. Das ist
namentlich auch nicht der Sinn des § 154 zürch. StPO. Diese Vorschrift
schliesst die Anwendung von Versprechen, Vorspiegelungen, Drohungen und Zwang
zur Erwirkung von Geständnissen aus, weil so zustande gekommene Geständnisse
der Erforschung der Wahrheit nicht immer dienen würden und der Beschuldigte
vor Zwangsmassnahmen (Folterung und dgl.) und den Folgen eines falschen
Geständnisses geschützt werden soll. Erschwert der Schuldige durch Leugnen die
Strafverfolgung und verlängert er dadurch die Untersuchungshaft, so hat er mit
dem angestrebten Vorteil der Irreführung des Richters auch den Nachteil der
teilweisen Nichtanrechnung der Haft in Kauf zu nehmen, wie jeder andere,
dessen Verhalten nach der Tat die Untersuchungshaft herbeiführt oder
verlängert. Der Kassationshof hat denn auch schon wiederholt die
Nichtanrechnung von Untersuchungshaft, die auf Auskunftsverweigerung oder
Leugnen des Verurteilten zurückzuführen war, als zulässig erklärt (vgl. BGE 70
IV 183
).
2. ­ Allein das Leugnen schliesst die Anrechnung der Untersuchungshaft nur
insoweit aus, als es diese tatsächlich herbeigeführt oder verlängert hat. Im
vorliegenden

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Falle kann es sie höchstens verlängert haben, da der Beschwerdeführer nicht
wegen Leugnens, sondern wegen Fluchtgefahr verhaftet und denn auch aus dem
gleichen Grunde nach Abschluss der Untersuchung weiterhin in Haft behalten
wurde. Verlängert hat es die Untersuchungshaft aber nur, soweit es den
Abschluss der Untersuchung verzögerte. Das trifft nur für einen Teil des
Zeitraumes vom 7. Mai bis 11. Juli 1946 zu. Auf einen Teil davon hätte die
Untersuchung sich auch dann erstreckt, wenn der Beschwerdeführer sofort nach
der Verhaftung gestanden hätte, denn der Untersuchungsbeamte hätte zur
Überprüfung der Geständnisse gleichwohl weitere Beweise erheben, das
gesammelte Material überprüfen und den Schlussbericht abfassen müssen. Vor der
Verhaftung des Beschwerdeführers war die Untersuchung nur unwesentlich
gefördert worden. Einzelne Strafanzeigen gingen überhaupt erst ein, als der
Beschwerdeführer schon verhaftet war. Die Nichtanrechnung der ganzen in die
Untersuchung fallenden Haftzeit verstösst daher gegen Art. 69
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 69 - 1 Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
1    Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
2    Das Gericht kann anordnen, dass die eingezogenen Gegenstände unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden.
StGB. Die
Vorinstanz hat diesen Punkt neu zu beurteilen. Dabei wird sie naturgemäss
nicht genau feststellen können, um wieviele Tage das Leugnen des
Beschwerdeführers den Abschluss der Untersuchung verzögert hat. Sie wird das
bloss abzuschätzen haben, wobei ihr ein weitgehendes Ermessen zusteht, dem nur
das Verbot der Willkür eine Schranke setzt.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Schwurgerichts
in dem Sinne aufgehoben, dass die Vorinstanz über die Anrechnung der vom 7.
Mai bis 11. Juli 1946 ausgestandenen Untersuchungshaft neu zu urteilen hat.