S. 127 / Nr. 38 Strafgesetzbuch (d)

BGE 72 IV 127

38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. September 1946 i.S.
Scala und Bordi gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen.

Regeste:
Art. 148 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 148 - 1 Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter gewerbsmässig, so wird er mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.203
StGB, Betrug.
1. Anforderungen an die Täuschungshandlung (Erw. 1).
2. Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Vermögensdisposition (Erw. 2).
3. Schaden (Erw. 3).
Art. 148 al. 1 CP, escroquerie.
1. Conditions requises pour qu'il y ait tromperie (consid. 1).
2. Rapport de cause à effet entre la tromperie et l'acte de disposition de
nature pécuniaire (consid. 2).
3. Dommage (consid. 3).
Art. 148 cp. 1 CP, truffa.
1. Condizioni richieste affinchè vi sia inganno (consid. 1).
2. Relazione di causa ad effetto tra l'inganno e l'atto di disposizione di
natura pecuniaria (consid. 2).
3. Danno (consid. 3).

A. ­ Scala und Bordi nahmen im Jahre 1943 als Reisende der Fraumünster-Verlag
A.-G. manchmal einzeln, manchmal gemeinsam bei katholischen Familien der
Ostschweiz Bestellungen entgegen auf das von Gaston Castella, Professor an der
Universität Freiburg, verfasste Buch «So ist die Treue dieses Volkes». Das
Buch schildert die Geschichte der Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und
der Schweiz. Es enthält ein Bildnis des Papstes Pius XI. mit der gedruckten
Bitte des Verfassers um den apostolischen Segen für sich und seine Mitarbeiter
sowie der faksimilierten Unterschrift und dem Stempel des Papstes als Zeichen
dafür, dass dem Ersuchen entsprochen wurde. Dann folgt ein empfehlendes
Vorwort von Bundesrat Motta. Bevor Scala und Bordi in einer bestimmten
Ortschaft für das Buch Absatz suchten, boten sie es mit

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Vorliebe zuerst dem Ortsgeistlichen an und veranlassten ihn, sich mit
Namenszug und Stempel in eine Liste einzutragen, die sie dann als Werbemittel
gebrauchten und durch die Namen weiterer Interessenten vervollständigen
liessen. Sie stellten das Buch als ausgesprochen katholisches Buch dar, auf
dem ein besonderer päpstlicher Segen ruhe und das deshalb nur für Katholiken
bestimmt sei. Sie gaben ausserdem vielfach wahrheitswidrig an, ein Teil des
Erlöses komme der katholischen Universität Freiburg oder der Schweizergarde
oder dem Papste zugute, man vollbringe mit der Bestellung ein wohltätiges
Werk, beweise damit seine Treue zu der Kirche und ihren Einrichtungen. Viele
liessen sich durch diese Angaben täuschen und bestellten das Buch, in der
Meinung, damit dem erwähnten wohltätigen Zweck zu dienen. Teils bezahlten sie
es ganz, teils leisteten sie eine Anzahlung. In zwei Fällen, in denen Scala
die falschen Angaben machte, gelang ihm die Aufnahme einer Bestellung nicht.
B. ­ Am 4. Februar 1946 verurteilte das Kantonsgericht von St. Gallen Scala
wegen vollendeten und versuchten gewerbsmässigen Betruges zu sieben Monaten
Gefängnis und zu fünfzig Franken Busse und Bordi wegen wiederholten einfachen
Betruges zu zwei Monaten Haft. Beide Freiheitsstrafen erklärte es bedingt
vollziehbar.
C. ­ Mit Nichtigkeitsbeschwerden an den Kassationshof des Bundesgerichtes
verlangen die beiden Verurteilten Aufhebung dieses Urteils und Rückweisung der
Sache an das Kantonsgericht zur Freisprechung, eventuell zu neuer Beurteilung
einzelner Tatbestände. Sie bestreiten eine arglistige Irreführung durch
Vorspiegelung von Tatsachen, weil es den Käufern des Buches durch Lesen des
Bestellzettels, der nichts von einer Spende gesagt habe, und durch Anfrage bei
der Fraumünster-Verlag A.-G. leicht gewesen wäre, den wahren Sachverhalt zu
erfahren. Ferner machen sie geltend, die Käufer seien nicht geschädigt worden,
weil sie für den ausgelegten Preis als gleichwertige Gegenleistung das Buch
erhalten hätten.

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D. ­ Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen beantragt, die Beschwerden
seien abzuweisen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ­ Betrug setzt unter anderem voraus, dass der Täter jemanden durch
Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irregeführt. Das
Bundesgericht hat dieses Erfordernis dahin ausgelegt, dass falsche Angaben,
die der Getäuschte ohne besondere Mühe überprüfen kann, nicht genügen (BGE 72
IV 13
). Damit wird verlangt, dass jeder die Augen offen behalte, wo es ihm
zugemutet werden kann. Wer allzu leichtgläubig auf eine Lüge hereinfällt, wo
er sich mit einem Mindestmass an Aufmerksamkeit durch Überprüfung der falschen
Angaben selbst hätte schützen können, soll nicht den Strafrichter anrufen.
Einen Freibrief, auf die Gutgläubigkeit und Unvorsichtigkeit des Gegners zu
spekulieren, gibt aber diese Rechtsprechung nicht. Das Bundesgericht hat eine
Ausnahme vom erwähnten Grundsatz bereits vorgesehen für Fälle, in denen der
Täter den Getäuschten arglistig davon abhält, die Überprüfung der Angaben
vorzunehmen (BGE 72 IV 13). Nicht anders kann es sein, wenn sie dem
Getäuschten zum vornherein nicht zugemutet werden kann. Wer einen andern durch
eine falsche Angabe irreführt in der nach den Umständen begründeten
Voraussicht, dass der Getäuschte sich nicht veranlasst sehen werde, die Angabe
zu überprüfen, handelt arglistig.
Ein solcher Fall liegt hier vor. Da das von den Beschwerdeführern vertriebene
Buch über die päpstliche Schweizergarde von einem Professor der Universität
Freiburg verfasst ist, das Bildnis des Papstes enthält, den päpstlichen Segen
für den Verfasser und seine Mitarbeiter kundgibt und im Vorwort von Bundesrat
Motta empfohlen wird, lag es für den Kaufsinteressenten nahe, der Angabe der
Beschwerdeführer, ein Teil des Erlöses sei für die erwähnte Universität, für
die Schweizergarde oder für den Papst bestimmt, Glauben zu schenken. In vielen
Fällen kam

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dazu, dass die Beschwerdeführer eine Liste, auf welche sich der Ortsgeistliche
als erster eintrug, als Werbemittel benutzten. Die ganze Werbung zählte auf
die religiösen Gefühle der Leute. Dass aber jemand, der von solchen Gefühlen
bewegt ist, sich zuerst erkundige, ob die Angaben der Beschwerdeführer richtig
seien, können diese zum vornherein nicht angenommen haben, umso weniger, als
sie die Bestellungen durch Vorsprache von Haus zu Haus aufnahmen, ohne den
Getäuschten Zeit zur Erkundigung zu lassen. Einer Person, die unter solchen
Umständen irregeführt wird, kann die Überprüfung der täuschenden Angaben nicht
zugemutet werden. Es bedurfte keiner besonderen Leichtgläubigkeit, um die
Versicherungen der Beschwerdeführer für wahr zu halten. Daran ändert der
Umstand nichts, dass der Bestellschein nichts von einer gemeinnützigen
Zuwendung sagte, obwohl er daneben z. B. den päpstlichen Segen und das Vorwort
von Bundesrat Motta erwähnte. Die Beschwerdeführer haben selber damit
gerechnet, dass in der Atmosphäre, in welcher die Bestellung aufgenommen
wurde, der Wortlaut des Bestellscheines den Käufer nicht stutzig machen werde.
Die Überprüfung ihrer falschen Angaben wäre zudem nicht einfach gewesen. Eine
Anfrage bei der Fraumünster-Verlag A.-G. fiel ausser Betracht, da die
Beschwerdeführer ihre Angaben ja gerade als Vertreter dieser Firma machten.
Die Kaufsinteressenten hätten sich an die Universität Freiburg oder an den
Heiligen Stuhl wenden müssen, was aber von ihnen vernünftigerweise nicht
erwartet werden konnte.
2. ­ Was den Kausalzusammenhang betrifft, erklärt das Kantonsgericht, es sei
auszugehen von der Behauptung der Anklage, die Täter hätten in den
herangezogenen Fällen das Geschäft nur durch die falsche Angabe, der Erlös
komme teilweise der Schweizergarde oder der Universität Freiburg zugute,
zustande gebracht; die Vermögensdisposition sei demnach von den Käufern
vorgenommen worden im Glauben, sie wirkten damit an einer allgemein

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charitativen Aktion mit, nähmen für einen bestimmten, einen wohlgefälligen,
guten Zweck ein Opfer auf sich. Das kann nach dem ganzen Zusammenhang nur
heissen, dass das Kantonsgericht die Darstellung der Staatsanwaltschaft für
richtig hält. Damit ist der ursächliche Zusammenhang der Geschäftsabschlüsse
mit der Täuschung verbindlich festgestellt.
3. ­ Das Kantonsgericht geht davon aus, dass das verkaufte Buch objektiv den
verlangten Preis wert war. Das schliesst entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführer eine Schädigung der getäuschten Käufer nicht aus. Wie der
Kassationshof schon wiederholt erkannt hat, ist der Irrende durch Abschluss
und Erfüllung eines zweiseitigen Vertrages nicht bloss dann geschädigt, wenn
das Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung nach objektiver
Schätzung gestört ist, sondern schon dann, wenn er für seine eigene Leistung
nicht den Gegenwert erhält, den er nach dem Vertrag erhalten sollte, so
beispielsweise, wenn der Händler dem getäuschten Käufer schlechteren Wein
liefert als versprochen, mag auch der gelieferte trotzdem den Preis wert sein.
Dieser Rechtsprechung liegt der Gedanke zugrunde, dass der Getäuschte immer
schon dann geschädigt ist, wenn Leistung und Gegenleistung in einem für ihn
ungünstigeren Wertverhältnis stehen, als sie nach der vorgespiegelten Sachlage
stehen müssten. In diesem Sinne sind die Käufer auch im vorliegenden Falle
geschädigt. Zwar wurde ihnen nicht ein anderes Buch geliefert als versprochen.
Es wurde aber zu einem höheren Preise abgegeben, als die Käufer annahmen und
nach dem Vertrag annehmen durften. Denn indem ihnen zugesichert wurde, ein
Teil ihrer Leistung werde zu einem bestimmten wohltätigen Zwecke verwendet,
erhielten sie Anspruch darauf, dass nur ein Teil ihrer Zahlung als Entgelt für
das Buch diene, die Mehrleistung dagegen als Spende an Dritte gehe. Um den
Betrag der Spende sind sie bei dieser Betrachtungsweise geprellt worden. Das
ist nicht subjektiver, d. h. nach dem Empfinden des Betroffenen

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eingeschätzter, sondern objektiver Schaden, der sich freilich nicht aus einer
von den gegebenen Zusicherungen absehenden und in diesem Sinne objektiven
Vergleichung von Leistung und Gegenleistung ergibt, sondern nur durch
Berücksichtigung der vorgespiegelten Sachlage ermittelt werden kann.
Die Käufer sind noch unter einem andern Gesichtspunkte, und zwar wiederum
objektiv, nicht nach ihrem subjektiven Empfinden geschädigt worden. Die
Beschwerdeführer haben ihnen ein Buch aufgeschwatzt, das den Preis zwar wert
war, das aber die Käufer nicht zum gleichen Preise wieder losschlagen können.
Wollen sie es weiterverkaufen, so lösen sie daraus, da es aus zweiter Hand
kommt, weniger als sie ausgelegt haben. Dieser individuelle Umstand ist bei
der Ermittlung des Schadens zu berücksichtigen. Dem kann nicht
entgegengehalten werden, die Käufer hätten das Buch nicht zum Weiterverkauf,
sondern zum persönlichen Gebrauche erworben, so wenig beispielsweise dem
geprellten Schenker vorgehalten werden kann, er habe ja gewusst, dass er
schenke (BGE 70 IV 196). Der Getäuschte hat Anspruch darauf, so gestellt zu
werden, wie wenn der andere die Tat nicht begangen hätte. Die Käufer dürfen
sich also des Buches, das ihnen durch Täuschung angehängt worden ist, wieder
entledigen, was sie, wie gesagt, nur mit Verlust tun können. Dass der Verlag,
nachdem der Betrug geltend gemacht worden war, es auf Verlangen zurückgenommen
und den Preis ersetzt hat, ist belanglos. Das war Wiedergutmachung des
eingetretenen Schadens.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden abgewiesen.