S. 86 / Nr. 21 Sachenrecht (d)

BGE 71 II 86

21. Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. Mai 1945 i. S. Kitzinger gegen
Scherer.


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Regeste:
Retentionsrecht, Konnexität: Mehrere gleichartige unerlaubte Handlungen
derselben Täter gegenüber demselben Geschädigten sind miteinander konnex. Art.
895
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 895 - 1 Bewegliche Sachen und Wertpapiere, die sich mit Willen des Schuldners im Besitze des Gläubigers befinden, kann dieser bis zur Befriedigung für seine Forderung zurückbehalten, wenn die Forderung fällig ist und ihrer Natur nach mit dem Gegenstande der Retention in Zusammenhang steht.
1    Bewegliche Sachen und Wertpapiere, die sich mit Willen des Schuldners im Besitze des Gläubigers befinden, kann dieser bis zur Befriedigung für seine Forderung zurückbehalten, wenn die Forderung fällig ist und ihrer Natur nach mit dem Gegenstande der Retention in Zusammenhang steht.
2    Unter Kaufleuten besteht dieser Zusammenhang, sobald der Besitz sowohl als die Forderung aus ihrem geschäftlichen Verkehr herrühren.
3    Der Gläubiger hat das Retentionsrecht, soweit nicht Dritten Rechte aus früherem Besitze zustehen, auch dann, wenn die Sache, die er in gutem Glauben empfangen hat, nicht dem Schuldner gehört.
ZGB.
Vorteilsanrechnung bei Schadenersatz: Der Richter kann statt der
Vorteilsanrechnung den Ausgleich in natura durch Verpflichtung des
Geschädigten zur Herausgabe des Vorteils herbeiführen. Art. 43
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 43 - 1 Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hiebei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen hat.
1    Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hiebei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen hat.
1bis    Im Falle der Verletzung oder Tötung eines Tieres, das im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten wird, kann er dem Affektionswert, den dieses für seinen Halter oder dessen Angehörige hatte, angemessen Rechnung tragen.27
2    Wird Schadenersatz in Gestalt einer Rente zugesprochen, so ist der Schuldner gleichzeitig zur Sicherheitsleistung anzuhalten.
OR.
Droit de rétention. Connexité de plusieurs actes illicites de même nature
commis par les mêmes auteurs contre le même lésé art. 895 CC. '
Imputation de l'avantage obtenu sur le dommage subi. Au lieu d'opérer une
compensation, le juge peut accorder l'indemnité complète et ordonner la
restitution de l'avantage en nature, art. 43 CO.
Diritto di ritenzione: connessione. V'è rapporto di connessione fra più atti
illeciti della stessa natura, commessi dai medesimi autori contro lo stesso
danneggiato. Art. 895 CC.
Compensatio lucri cum danno. In luogo di operare la compensazione del danno
col vantaggio, il giudice può accordare l'intero risarcimento al danneggiato,
obbligandolo a rimettere al responsabile il vantaggio in natura. Art. 4:) CO.

Ans dem Tatbestand:
Der Beklagte und Widerkläger Scherer kaufte von einem gewissen Disch sieben
Gemälde alter Meister, die zum Teil falsch waren, zum übersetzten Preis von
Fr. 30000.­. Disch war der Mittelsmann des Antiquars Kitzinger, dem die Bilder
gehörten, und des Kunsthändlers Hufschmid. Wenige Tage später erwarb Scherer
von Disch zwei weitere Gemälde zum Preis von Fr. 25000.­. Da Scherer in der
Folge die Einlösung des von ihm unterzeichneten Schuldscheins über Fr. 25000.­
verweigerte, belangte ihn Kitzinger als Zessionar des Disch auf Bezahlung des
Kaufpreises, eventuell auf Rückgabe der beiden Bilder. Scherer bestritt seine
Zahlungspflicht und erhob Widerklage auf Bezahlung einer Schadenersatzsumme
von Fr. 30000.­.
Das Obergericht Luzern erklärte die beiden Kaufgeschäfte wegen
Urteilsonfähigkeit des Scherer nichtig und wies daher die Klage ab. Die
Widerklage wurde begründet

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erklärt, weil die vom Kläger gemeinsam mit Disch und Hufschmid begangene,
durch Täuschung herbeigeführte Verleitung des Beklagten zum Ankauf der 7
Gemälde eine unerlaubte Handlung darstelle. Für den Schaden des Beklagten, der
im bezahlten Kaufpreis von Fr. 30000.­ bestehe, hafte der Kläger solidarisch
mit den beiden andern Beteiligten. Demgemäss verpflichtete das Obergericht den
Kläger, dem Beklagten den Betrag von Fr. 30000.­ zu bezahlen gegen Rückgabe
der 9 Gemälde, die Gegenstand der beiden Geschäfte gebildet hatten.
Das Bundesgericht weist die Berufung des Klägers ab, die sich gegen die
Gutheissung der Widerklage und die Zubilligung eines Retentionsrechts des
Beklagten auch an den beiden Gemälden, welche Gegenstand des zweiten
Geschäftes bildeten, richtet.
Aus den Erwägungen:
2. ­ Das erstinstanzliche Urteil wird deshalb angefochten, weil es zwar das
klägerische Eventualbegehren auf Rückgabe der beiden Bilder, die Gegenstand
des zweiten Kaufabschlusses waren (ein Spitzweg und ein angeblicher Rubens),
im Hinblick auf die Abtretung der Rechte des Disch an den Berufungskläger dem
Grundsatz nach als begründet erklärte, dagegen die Rückgabepflicht bloss Zug
um Zug gegen Bezahlung eines Betrages von Fr. 30000.­ durch den
Berufungskläger an den Berufungsbeklagten als Schadenersatz wegen des ersten
Abschlusses vom 31. Mai 1941 aussprach.
Nach Art. 895
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 895 - 1 Bewegliche Sachen und Wertpapiere, die sich mit Willen des Schuldners im Besitze des Gläubigers befinden, kann dieser bis zur Befriedigung für seine Forderung zurückbehalten, wenn die Forderung fällig ist und ihrer Natur nach mit dem Gegenstande der Retention in Zusammenhang steht.
1    Bewegliche Sachen und Wertpapiere, die sich mit Willen des Schuldners im Besitze des Gläubigers befinden, kann dieser bis zur Befriedigung für seine Forderung zurückbehalten, wenn die Forderung fällig ist und ihrer Natur nach mit dem Gegenstande der Retention in Zusammenhang steht.
2    Unter Kaufleuten besteht dieser Zusammenhang, sobald der Besitz sowohl als die Forderung aus ihrem geschäftlichen Verkehr herrühren.
3    Der Gläubiger hat das Retentionsrecht, soweit nicht Dritten Rechte aus früherem Besitze zustehen, auch dann, wenn die Sache, die er in gutem Glauben empfangen hat, nicht dem Schuldner gehört.
ZGB kann der Gläubiger bis zur Befriedigung für seine Forderung
bewegliche Sachen und Wertpapiere, die sich mit Willen des Schuldners in
seinem Besitz befinden, zurückbehalten, sofern die Forderung fällig ist und
ihrer Natur nach mit dem Gegenstand der Retention in Zusammenhang steht. Unter
Kaufleuten besteht dieser Zusammenhang, sobald der Besitz sowohl als die
Forderung aus ihrem geschäftlichen Verkehr herrühren. Da es sich im
vorliegenden Falle nicht um

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Geschäfte unter Kaufleuten handelt, hängt die Frage des Bestehens eines
Retentionsrechtes an den Bildern und damit eine Verpflichtung zur Herausgabe
nur Zug um Zug davon ab, ob zwischen dem Kaufabschluss vom 31. Mai und
demjenigen vom 6. Juni 1941 ein Zusammenhang besteht.
Wie weiter unten auszuführen sein wird, qualifizieren sich die Fr. 30000.­ als
eine Schadensersatzforderung aus unerlaubter Handlung. Hinsichtlich der
Rechtsgeschäfte ist in Doktrin und Praxis anerkannt, dass das Gesetz den
Begriff des Zusammenhanges nicht auf jenen Fall beschränkt, wo Forderung und
Besitz des Gegenstandes aus demselben Rechtsgeschäft stammen; vielmehr kann
die Konnexität auch darin bestehen, dass Forderung und Gegenstand einem
Komplex von gleichen Rechtsgeschäften entspringen, m.a.W., es genügt ein
natürlicher innerer Zusammenhang (LEEMANN, Komm. Art. 895 N 47). Was mit Bezug
auf das Retentionsrecht bei Rechtsgeschäften gilt, hat umsomehr dort
Gültigkeit, wo die Forderung durch eine unerlaubte Handlung begründet wurde.
Wenn die nämlichen Personen im Komplott auf die nämliche Art und Weise
innerhalb eines Zeitraumes von einer Woche das gleiche Opfer schädigen, so
müssen diese Handlungen als konnex bezeichnet werden. Eine andere Auffassung
würde gegen Treu und Glauben verstossen. Es kann nicht angehen, dass im
rechtsgeschäftlichen Verkehr mit Bezug auf das Retentionsrecht des
Geldgläubigers ein milderer Massstab angelegt wird, als wenn die Geldforderung
aus einer unerlaubten Handlung herrührt. Daher macht der Berufungsbeklagte mit
Recht sein Retentionsrecht geltend und es ist daher das Urteil der Vorinstanz
in diesem Punkte zu bestätigen.
3. ­ (Ausführungen darüber, dass der Kläger an der unerlaubten Handlung des
Disch und des Hufschmid gegenüber dem Beklagten ebenfalls mitgewirkt hat.)
4. ­ Nach Art. 41
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
OR in Verbindung mit Art. 50
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
1    Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
2    Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt.
3    Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat.
OR ist daher der Kläger dem
Beklagtem zum Ersatz des aus

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der unerlaubten Handlung entstandenen Schadens verpflichtet. Schadenersatz
zielt ab auf die Ausgleichung des Interesses am Nichteintritt der schädigenden
Tatsache. Auf das Vermögen bezogen ist also in Vergleichung zu setzen dessen
Zustand infolge des Eintrittes des den Ersatz begründenden Ereignisses mit der
Vermögenslage, die bestehen würde, wenn dieses Ereignis nicht eingetreten wäre
(OSER /SCHÖNENBERGER, Komm. Art. 43 N 14).
Der Berufungskläger bestreitet, dass der dem Berufungsbeklagten durch den
Vertragsschluss vom 31. Mai 1941 erwachsene Schaden Fr. 30000.­ beträgt. Er
behauptet, der Beklagte besitze gegenüber seinem damaligen
Vertragskontrahenten eine durch Retentionsrecht an den sieben Bildern
gesicherte Forderung auf Rückerstattung der geleisteten Zahlung, die er auf
dem Wege des Pfandverwertungsverfahrens geltend zu machen habe. Demgemäss
liege der Schaden lediglich in der Differenz zwischen den Fr. 30000.­ und dem
effektiven Wert der Bilder resp. dem Exekutionserlös.
Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Tatsächlich ist das
Vermögen des Berufungsbeklagten durch den Abschluss des Kaufvertrages vom 31.
Mai 1941 um Fr. 30000.­ kleiner geworden, denn wie unbestritten ist, bezahlte
er bei Kaufabschluss Fr. 250.­ und am 2. Juni 1941 den Restkaufpreis von Fr.
29750.­. Richtig ist nun allerdings, dass der Beklagte zufolge des nichtigen
Kaufvertrages, d. h. des schädigenden Ereignisses, nicht nur einen Schaden
erlitten hat, sondern es ist ihm dadurch auch ein Vorteil erwachsen, indem er
in den Besitz der sieben Bilder gelangte. Es ist ein längst anerkannter
Grundsatz im schweizerischen Schadensersatzrecht, dass ­ gleichgültig ob es
sich um vertraglichen oder ausservertraglichen Schadenersatz handelt ­ eine
Vorteilsanrechnung stattzufinden hat, da sonst eine Bereicherung des
Geschädigten stattfinden würde (OFTINGER, Haftpflichtrecht S. 134 ff. und die
dort zitierte Judikatur und Literatur). Voraussetzung für die
Vorteilsanrechnung ist

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einzig, dass zwischen dem schädigenden und vorteilhaften Ereignis Identität
besteht. Dies ist im vorliegenden Fall gegeben.
Der Berufungskläger glaubt nun, dass eine Vorteilsanrechnung nur in Form einer
zahlenmässigen Anrechnung des Wertes des Vorteils stattfinden könne, verneint
dagegen die Vorteilsausgleichung durch die Herausgabe des Vorteils in natura
an den Pflichtigen. Dass der Geschädigte zur Herausgabe des Vorteils in natura
bei Vorliegen einer unerlaubten Handlung nicht verpflichtet werden kann,
sondern sich den Wert des Vorteils nur anrechnen lassen muss, ist
selbstverständlich. Allein es frägt sich, ob dieses Recht des Geschädigten
zugleich eine Pflicht bedeutet, d. h. ob der Geschädigte nicht in allen Fällen
der compensatio lueri durch Angebot der Herausgabe des lucrum entgehen kann.
Diese Frage kann offen gelassen werden. Denn jedenfalls besitzt der Richter,
der gemäss Art. 43
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 43 - 1 Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hiebei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen hat.
1    Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hiebei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen hat.
1bis    Im Falle der Verletzung oder Tötung eines Tieres, das im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten wird, kann er dem Affektionswert, den dieses für seinen Halter oder dessen Angehörige hatte, angemessen Rechnung tragen.27
2    Wird Schadenersatz in Gestalt einer Rente zugesprochen, so ist der Schuldner gleichzeitig zur Sicherheitsleistung anzuhalten.
OR sowohl die Art als auch die Grösse des eingetretenen
Schadenersatzes zu bestimmen hat, die Befugnis, anstatt der Vorteilsanrechnung
den Ausgleich in natura durch Herausgabe des Vorteils zu verfügen (OFTINGER,
Haftpflichtrecht, S. 140, von TUHR, Allg. Teil des OR, S. 101, VON TOBEL, Die
Vorteilsanrechnung im schweizerischen Schadenersatzrecht, S. 47, BGE 41 II 89
am Schluss/. Ein derartiges Vorgehen ist in concreto gerechtfertigt. Das
Urteil der Vorinstanz ist daher auch hinsichtlich der Widerklage zu
bestätigen.