S. 451 / Nr. 69 Bundesrechtliche Abgaben (d)

BGE 71 I 451

69. Urteil vom 14. Dezember 1945 i.S. F. Hoffmann-La Roche & Co. gegen eidg.
Steuerverwaltung.


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Regeste:
Warenumsatzsteuer: Die in der chemischen Industrie verwendeten Filter- und
Reagenzpapiere sind nicht Werkstoff im Sinne von Art. 18 WUStB.
Impôt sur le chiffre d'affaires: Les papiers à filtrer et les papiers réactifs
ne sont pas des matières premières au sens de l'art. 18 ACA.
Imposta sulla cifra d'affari: Le carte per filtri e le carte impregnate di
reattivi non sono materie prime ai sensi dell'art. 18 DICA.

A. - Die Beschwerdeführerin verwendet bei ihrer Fabrikation chemischer und
pharmazeutischer Produkte Filter- und Reagenzpapier. Sie betrachtet solche
Papiere als Werkstoff im Sinne von Art. 18 WUStB. Die eidg. Steuerverwaltung
hat diesen Standpunkt abgelehnt.
B. - Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird beantragt festzustellen, dass
Filter- und Reagenzpapier als Werkstoff im Sinne von Art. 18 WUStB gelte, und
die Bundeskasse zur Rückerstattung der unter Vorbehalt entrichteten
Warenumsatzsteuer für Filter- und Reagenzpapier anzuhalten.
In dem Urteil des Bundesgerichts vom 22. Dezember 1944 i.S. Ce-Ce-Graphitwerke
(BGE 70 I S. 283) sei festgestellt worden, dass bei den Stoffen, die für der
Energieerzeugung «ähnliche Zwecke» aufgebraucht werden, der Begriff des
Stoffes weit zu fassen sei und dass von einem Aufgebrauchtwerden eines Stoffes
nur dann gesprochen werden könne, wenn von seiner Substanz in seiner
bisherigen Form und chemischen Zusammensetzung nichts übrig bleibt, weil die
herzustellende Ware den Stoff entweder ganz oder zum Teil in sich aufnimmt
oder weil der Verlust beim Arbeitsgang sonst notwendig ist, um die
herzustellende Sache zu gewinnen. Diese Voraussetzungen seien bei Filter- und
Reagenzpapieren erfüllt. Die Papiere seien, wie die Energie im
Fabrikationsprozess, nötige Stoffe, damit das Erzeugnis hergestellt werden
kann. Es gehe nicht an, den Begriff des ähnlichen Zweckes nur auf

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Zwecke zu beziehen, die etwas mit Wärme zu tun haben; vielmehr komme es darauf
an, dass ihr Endzweck darin bestehe, das Mittel zu geben, ohne das die
Produktion nicht durchgeführt und das gewünschte Produkt nicht hergestellt
werden könnte. Demgemäss habe die Praxis, neben Kohle, Treibstoffe und
Schmiermittel als Werkstoff behandelt. Einem solchen Zwecke diene auch das
Filter- und das Reagenzpapier.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen
in Erwägung:
1.- Damit ein Stoff als Werkstoff gelten kann, müssen die in Art. 18, Satz 1
WUStB aufgezählten positiven Merkmale erfüllt sein (Entscheid vom 26. Mai 1944
i.S. Tellurium-Verlagsgesellschaft, Erw. 3, nicht publiziert). Satz 2 spricht
bestimmten Gegenständen die Werkstoffeigenschaft ab. Es sind Waren, denen
diese Qualität von vornherein fehlt. Daneben gibt es aber noch andere
Produkte, die bei der Herstellung von Waren verwendet werden und für sie
notwendig sind, die aber den in Satz 1 aufgestellten Erfordernissen nicht
genügen und darum nicht als Werkstoff angesprochen werden können.
Nach der massgebenden positiven Umschreibung im Gesetz kommt
Werkstoffeigenschaft zu den Rohstoffen und den Zwischenerzeugnissen, die in
das Produkt übergehen, sowie den im Herstellungsprozess entstandenen Abfällen
dieser Stoffe (vgl. BGE 71 I S. 186). Sie werden beim Übergang an den
Hersteller steuerfrei gelassen entsprechend dem Grundsatz der Einphasensteuer,
wonach der Grundstoff für die Warenerzeugung erst im Endprodukt erfasst werden
soll und während des Herstellungsprozesses in der Regel unbelastet bleibt. Den
Rohstoffen und Zwischenerzeugnissen werden gleichgehalten Stoffe, die im
Herstellungsprozess für die Energieerzeugung oder für ähnliche Zwecke
aufgebraucht werden. Es wird angenommen, dass die bei der Fabrikation
verwendete Energie in das Erzeugnis übergeht und aus diesem Grunde (im

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System einer Einphasensteuer) im Endprodukt miterfasst werden kann. Die
Verwendung dieser Stoffe im Herstellungsprozess erscheint als
Durchgangsstadium im Hinblick auf ein dem endgültigen Verbrauche später
zuzuführendes Erzeugnis, zum Unterschied von Stoffen, die mit der Verwendung
im Herstellungsprozess aus dem Verkehr ausscheiden. «Ähnliche Zwecke» sind
Vorgänge im Herstellungsprozess, die ähnlich der Verwendung von Energie ein
Aufgehen des Stoffes im Endprodukt bewirken. Dabei ist die Gleichstellung
nicht eng zu halten; so werden Schmiermittel den Stoffen für Energieerzeugung
gleichgestellt, weil sich ihr Verbrauch in der Produktion ähnlich auswirkt,
indem er den Verbrauch von Energie herabsetzt.
Die Werkstoffeigenschaft bestimmt sich demnach nicht nach der Notwendigkeit
eines Stoffes oder Gegenstandes für die Produktion (auch Werkzeuge und
Maschinen sind dazu unerlässlich), sondern danach, ob der Stoff oder
Gegenstand im Ergebnis in einer, wenn auch entfernten Weise noch irgendwie als
Bestandteil des Endproduktes (oder als Abfall) angesehen werden kann. In dem
von der Beschwerdeführerin angerufenen Falle (BGE 70 I S. 283) wurde
Graphitelektroden Werkstoffeigenschaft im wesentlichen deshalb zuerkannt, weil
sie zu Zwecken der Energieerzeugung eingesetzt werden (Umwandlung von
elektrischer in Wärmeenergie), weil sie sich auf das Enderzeugnis auswirken
(Desoxydation) und weil der Stoff mit dazu bestimmt ist, vom Endprodukte
aufgenommen zu werden (Aufkohlung) (vgl. Erw. 4 des Urteils, S. 290 ff.). Wo
solche Zwecke und Auswirkungen fehlen, kommt den in der Fabrikation
verwendeten Stoffen und Gegenständen Werkstoffeigenschaft nicht zu; die Waren
finden vielmehr im Herstellungsprozess selbst die bestimmungsgemäss endgültige
Verwendung. Dieser sollen sie, nach der Ordnung des Warenumsatzbeschlusses,
nicht zugeführt werden, ohne dass zuvor (beim Bezuge der Ware beim Lieferanten
oder beim Eigenverbrauch, Art. 13, lit. a

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WUStB) die Abgabe entrichtet worden ist oder entrichtet wird.
2.- Filter- und Reagenzpapiere sind Hilfsmittel für die chemische Produktion.
Sie dienen der Reinigung und der Kontrolle der Erzeugnisse im Laufe des
Herstellungsprozesses. Sie gehen aber in keiner Weise in das Produkt über,
sondern werden als technische Hilfsmittel für die Warenproduktion im Betriebe
des Herstellers bestimmungsgemäss aufgebraucht. Sie können daher bei der
Warenumsatzsteuer nicht als Werkstoff steuerfrei gelassen werden. Dass sie für
die Herstellung der Produkte notwendig sind und schon bei einmaliger
Verwendung aufgebraucht werden, kann nicht dazu führen, ihnen
Werkstoffeigenschaft beizumessen, da bei ihnen die wesentliche Voraussetzung
für eine solche Charakterisierung, der Übergang in das Produkt, nicht in Frage
kommen kann, auch nicht in dem weiten Sinne, der in Gesetz und Praxis als
massgebend erklärt worden ist.