S. 51 / Nr. 13 Strafgesetzbuch (d)

BGE 70 IV 51

13. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. April 1944 i.S. Müller
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.

Regeste:
Art. 52 Ziff. 1 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 52 - Die zuständige Behörde sieht von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung ab, wenn Schuld und Tatfolgen geringfügig sind.
StGB.
1. Zur Auslegung des Ausdruckes «ehrlose Gesinnung».
2. Die Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit ist in einer besondern
Erwägung zu begründen, sofern sich die Begründung nicht aus den übrigen
Urteilserwägungen klar ergibt.
Art. 52 ch. 1 al 2 CP.
1. Sens de l'expression allemande «ehrlose Gesinnung».
2. La privation des droits civiques doit faire l'objet d'un considérant
spécial, pour autant que la justification de cette mesure ne résulte pas
clairement des autres motifs du jugement.
Art. 52, cifra 1, cp. 2 CP.
1. Portata dell'espressione «ehrlose Gesinnung» del testo tedesco.
2. La privazione dei diritti civici dev'essere motivata in uno speciale
considerando in quanto non appaia chiaramente giustificata dagli altri
considerandi della sentenza.

Der wegen zwei Sittlichkeitsvergehen vorbestrafte Beschwerdeführer machte sich
der Gehilfenschaft zu vollendetem Versuch der Abtreibung durch die Schwangere
und, im Zusammenhang damit, der Anstiftung zu falschem

Seite: 52
Zeugnis schuldig. Das Obergericht des Kantons Luzern verurteilte ihn deswegen
zu sechs Monaten Gefängnis und zur Einstellung in der bürgerlichen
Ehrenfähigkeit auf die Dauer von drei Jahren.
Aus den Erwägungen:
3.- Schliesslich rügt der Beschwerdeführer, dass ihn die Vorinstanz in der
bürgerlichen Ehrenfähigkeit eingestellt habe ohne zu untersuchen, ob er mit
seiner Tat eine ehrlose Gesinnung an den Tag gelegt habe.
Diese Rüge ist berechtigt, da die Vorinstanz die Ausfällung der Nebenstrafe
mit keinem Wort begründet hat Nach Art. 52 Ziff. 1 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 52 - Die zuständige Behörde sieht von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung ab, wenn Schuld und Tatfolgen geringfügig sind.
StGB kann die
Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit nur dann mit einer
Gefängnisstrafe verbunden werden, wenn die Tat eine ehrlose Gesinnung
bekundet. Der Kassationshof muss die Anwendung dieser Bestimmung überprüfen
können. Das ist, wie bei der Verweigerung des bedingten Strafvollzuges (BGE 68
IV 77
Erw. 4), nur möglich, wenn die Einstellung in der bürgerlichen
Ehrenfähigkeit begründet wird. Es muss in. einer besondern Erwägung gesagt
werden, worin die ehrlose Gesinnung erblickt wird. Davon kann nur dann
abgesehen werden, wenn sich die Begründung für die Nebenstrafe aus den übrigen
Urteilserwägungen klar ergibt. Das trifft aber im vorliegenden Falle nicht zu.
Denn es wäre gesetzwidrig, schon in der Begehung der nur mit Gefängnis
bestraften Delikte an sich ein Zeichen ehrloser Gesinnung zu erblicken, und
die «Hemmungslosigkeit in sittlichen Dingen», mit der das Strafmass und die
Verweigerung des bedingten Strafvollzuges begründet wurde, bezieht sich auf
den Charakter des Beschwerdeführers in geschlechtlicher Hinsicht und kann
nicht ohne weiteres mit «ehrloser Gesinnung» gleichgesetzt werden. Dieser
Ausdruck lässt vielleicht an sich eine so weite Deutung zu, ist aber offenbar
enger auszulegen. Das ergibt sich aus den romanischen Gesetzestexten, welche
die scharfen Ausdrücke «bassesse du caractère» und sogar «animo abietto»
verwenden,

Seite: 53
und sodann aus der Schwere der Nebenstrafe. Die Einstellung in der
bürgerlichen Ehrenfähigkeit hat nämlich nicht allein die in Art. 52 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 52 - Die zuständige Behörde sieht von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung ab, wenn Schuld und Tatfolgen geringfügig sind.

StGB angeführten Folgen, sondern auch weitere Wirkungen von erheblicher,
insbesondere wirtschaftlicher Tragweite, die das eidgenössische und kantonale
Verwaltungsrecht mit ihr verbindet; Überdies nimmt die Einstellung dem
Verurteilten gemäss Art. 45 Abs. 2 VB die Niederlassungsfreiheit und kann die
Ausweisung aus dem Wohnsitzkanton, wenn dieser nicht auch der Heimatkanton
ist, nach sich ziehen. Der Verlust der bürgerlichen Ehrenfähigkeit stellt
daher unter Umständen die ganze wirtschaftliche Existenz eines Verurteilten in
Frage, kann ihn also weit schwerer treffen als die Gefängnisstrafe. Mit Recht
wird denn auch gefordert, diese Nebenstrafe sei «nur mit Zurückhaltung und
nach strenger Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen» auszusprechen
(THORMANN/V. OVERBECK N. 8 zu Art. 52).