S. 49 / Nr. 12 Strafgesetzbuch (d)

BGE 70 IV 49

12 Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. Februar 1944 i.S.
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen Amsler.


Seite: 49
Regeste:
1. Art. 23 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 23 - 1 Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
1    Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
2    Sind an einer Tat mehrere Täter oder Teilnehmer beteiligt, so kann das Gericht die Strafe dessen mildern oder von der Bestrafung dessen absehen, der aus eigenem Antrieb dazu beiträgt, die Vollendung der Tat zu verhindern.
3    Das Gericht kann die Strafe auch mildern oder von der Bestrafung absehen, wenn der Rücktritt des Täters oder des Teilnehmers die Vollendung der Tat verhindert hätte, diese aber aus anderen Gründen ausbleibt.
4    Bemüht sich einer von mehreren Tätern oder Teilnehmern aus eigenem Antrieb ernsthaft, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht seine Strafe mildern oder von seiner Bestrafung absehen, wenn die Tat unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen wird.
StGB. Handeln «aus Unverstand» setzt voraus, dass die
Untauglichkeit des Mittels von jedem normal denkenden Menschen ohne weiteres
erkannt worden wäre.
2. Die Schuldigerklärung ist bloss Urteilsgrund und daher nicht der
Rechtskraft fähig, auch dann nicht, wenn sie in die Form eines Urteilsspruchs
gekleidet wird.
1. Art. 23 al. 2 CP. Agir «par défaut d'intelligence» suppose l'emploi d'un
moyen qui serait d'emblée apparu à tout homme de bon sens comme impropre à
atteindre le but visé.
2. La déclaration de culpabilité est un simple motif du jugement et ne
participe donc pas à l'autorité de la chose jugée, même lorsqu'elle figure,
dans le dispositif.
1. Art. 23 cp. 2 CP. Agire «per difetto d'intelligenza» presuppone che
l'inidoneità del mezzo sarebbe riconosciuta senz'altro da parte d'ogni persona
che pensa normalmente.
2. La dichiarazione di colpevolezza è un semplice motivo del giudizio e non ha
la forza della cosa giudicata, anche se figura nel dispositivo.

Aus dem Tatbestand:
Am 5. November 1943 erkannte das Kriminalgericht des Kantons Aargau:
«1. Der Angeklagte Hansrudolf Amsler ist schuldig der Anstiftung zur
versuchten Abtreibung mit untauglichen Mitteln gemäss Art. 22 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 22 - 1 Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern.
1    Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern.
2    Verkennt der Täter aus grobem Unverstand, dass die Tat nach der Art des Gegenstandes oder des Mittels, an oder mit dem er sie ausführen will, überhaupt nicht zur Vollendung gelangen kann, so bleibt er straflos.
, 23 Abs.
1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 23 - 1 Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
1    Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
2    Sind an einer Tat mehrere Täter oder Teilnehmer beteiligt, so kann das Gericht die Strafe dessen mildern oder von der Bestrafung dessen absehen, der aus eigenem Antrieb dazu beiträgt, die Vollendung der Tat zu verhindern.
3    Das Gericht kann die Strafe auch mildern oder von der Bestrafung absehen, wenn der Rücktritt des Täters oder des Teilnehmers die Vollendung der Tat verhindert hätte, diese aber aus anderen Gründen ausbleibt.
4    Bemüht sich einer von mehreren Tätern oder Teilnehmern aus eigenem Antrieb ernsthaft, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht seine Strafe mildern oder von seiner Bestrafung absehen, wenn die Tat unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen wird.
und 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
, 24 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 24 - 1 Wer jemanden vorsätzlich zu dem von diesem verübten Verbrechen oder Vergehen bestimmt hat, wird nach der Strafandrohung, die auf den Täter Anwendung findet, bestraft.
1    Wer jemanden vorsätzlich zu dem von diesem verübten Verbrechen oder Vergehen bestimmt hat, wird nach der Strafandrohung, die auf den Täter Anwendung findet, bestraft.
2    Wer jemanden zu einem Verbrechen zu bestimmen versucht, wird wegen Versuchs dieses Verbrechens bestraft.
und 119 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 119 - 1 Der Abbruch einer Schwangerschaft ist straflos, wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann. Die Gefahr muss umso grösser sein, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist.
1    Der Abbruch einer Schwangerschaft ist straflos, wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann. Die Gefahr muss umso grösser sein, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist.
2    Der Abbruch einer Schwangerschaft ist ebenfalls straflos, wenn er innerhalb von zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode auf schriftliches Verlangen der schwangeren Frau, die geltend macht, sie befinde sich in einer Notlage, durch eine zur Berufsausübung zugelassene Ärztin oder einen zur Berufsausübung zugelassenen Arzt vorgenommen wird. Die Ärztin oder der Arzt hat persönlich mit der Frau vorher ein eingehendes Gespräch zu führen und sie zu beraten.
3    Ist die Frau nicht urteilsfähig, so ist die Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreterin oder ihres gesetzlichen Vertreters erforderlich.
4    Die Kantone bezeichnen die Praxen und Spitäler, welche die Voraussetzungen für eine fachgerechte Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen und für eine eingehende Beratung erfüllen.
5    Ein Schwangerschaftsabbruch wird zu statistischen Zwecken der zuständigen Gesundheitsbehörde gemeldet, wobei die Anonymität der betroffenen Frau gewährleistet wird und das Arztgeheimnis zu wahren ist.
StGB.
2. Es wird gemäss Art. 23 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 23 - 1 Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
1    Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
2    Sind an einer Tat mehrere Täter oder Teilnehmer beteiligt, so kann das Gericht die Strafe dessen mildern oder von der Bestrafung dessen absehen, der aus eigenem Antrieb dazu beiträgt, die Vollendung der Tat zu verhindern.
3    Das Gericht kann die Strafe auch mildern oder von der Bestrafung absehen, wenn der Rücktritt des Täters oder des Teilnehmers die Vollendung der Tat verhindert hätte, diese aber aus anderen Gründen ausbleibt.
4    Bemüht sich einer von mehreren Tätern oder Teilnehmern aus eigenem Antrieb ernsthaft, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht seine Strafe mildern oder von seiner Bestrafung absehen, wenn die Tat unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen wird.
StGB von einer Bestrafung des Angeklagten
Umgang genommen.»
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau die
Nichtigkeitsbeschwerde erklärt mit dem Antrag, Urteilsspruch 2 sei aufzuheben,
und die Sache sei zur Bestrafung des Beschwerdegegners an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Die Beschwerdeführerin macht geltend,

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das Kriminalgericht habe zu Unrecht angenommen, Amsler habe im Sinne des Art.
23 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 23 - 1 Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
1    Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
2    Sind an einer Tat mehrere Täter oder Teilnehmer beteiligt, so kann das Gericht die Strafe dessen mildern oder von der Bestrafung dessen absehen, der aus eigenem Antrieb dazu beiträgt, die Vollendung der Tat zu verhindern.
3    Das Gericht kann die Strafe auch mildern oder von der Bestrafung absehen, wenn der Rücktritt des Täters oder des Teilnehmers die Vollendung der Tat verhindert hätte, diese aber aus anderen Gründen ausbleibt.
4    Bemüht sich einer von mehreren Tätern oder Teilnehmern aus eigenem Antrieb ernsthaft, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht seine Strafe mildern oder von seiner Bestrafung absehen, wenn die Tat unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen wird.
StGB aus Unverstand gehandelt.
Aus den Erwägungen:
1.- Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die sich mit den
Behauptungen der Anklage decken, taugen Senfbäder und Spülungen mit
Seifenwasser nicht zur Abtreibung der Leibesfrucht. Aus der Untauglichkeit des
Mittels allein darf jedoch nicht geschlossen werden, dass der Täter «aus
Unverstand» (Art. 23 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 23 - 1 Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
1    Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
2    Sind an einer Tat mehrere Täter oder Teilnehmer beteiligt, so kann das Gericht die Strafe dessen mildern oder von der Bestrafung dessen absehen, der aus eigenem Antrieb dazu beiträgt, die Vollendung der Tat zu verhindern.
3    Das Gericht kann die Strafe auch mildern oder von der Bestrafung absehen, wenn der Rücktritt des Täters oder des Teilnehmers die Vollendung der Tat verhindert hätte, diese aber aus anderen Gründen ausbleibt.
4    Bemüht sich einer von mehreren Tätern oder Teilnehmern aus eigenem Antrieb ernsthaft, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht seine Strafe mildern oder von seiner Bestrafung absehen, wenn die Tat unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen wird.
StGB) gehandelt habe. Andernfalls dürfte der
Richter in allen Fällen untauglichen Versuchs von einer Bestrafung Umgang
nehmen und wäre eine besondere Bestimmung für das Handeln aus Unverstand
überflüssig. Solches Handeln setzt eine qualifizierte Untauglichkeit des
Mittels voraus, eine Untauglichkeit, welche von jedem normal denkenden
Menschen ohne weiteres erkannt werden kann und vom Täter nur aus besonderer
Dummheit verkannt worden ist, diesen mehr dumm als gefährlich erscheinen
lässt, z. B. wenn er jemanden durch Gebete glaubte töten zu können (vgl.
Protokoll der II. Expertenkommission 1 160 ff., 2 84). Senfbäder und Spülungen
mit Seifenwasser, deren Untauglichkeit zur Abtreibung der Leibesfrucht die
Vorinstanz gestützt auf ein ärztliches Gutachten festgestellt hat, sind nicht
solche Mittel. Sie stehen in weiten Kreisen des Volkes im Rufe der
Tauglichkeit, und es gibt sogar Mediziner, welche sie für geeignet halten. Die
Vorinstanz hat daher zu Unrecht Art. 23 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 23 - 1 Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
1    Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
2    Sind an einer Tat mehrere Täter oder Teilnehmer beteiligt, so kann das Gericht die Strafe dessen mildern oder von der Bestrafung dessen absehen, der aus eigenem Antrieb dazu beiträgt, die Vollendung der Tat zu verhindern.
3    Das Gericht kann die Strafe auch mildern oder von der Bestrafung absehen, wenn der Rücktritt des Täters oder des Teilnehmers die Vollendung der Tat verhindert hätte, diese aber aus anderen Gründen ausbleibt.
4    Bemüht sich einer von mehreren Tätern oder Teilnehmern aus eigenem Antrieb ernsthaft, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht seine Strafe mildern oder von seiner Bestrafung absehen, wenn die Tat unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen wird.
StGB angewendet.
2.- Die Beschwerdeführerin beantragt nur die Aufhebung des Spruches 2 des
angefochtenen Urteils, in der Meinung, Spruch 1 bleibe bestehen und habe ohne
weitere Prüfung der Schuldfrage die Bestrafung des Beschwerdegegners zur
Folge. Die Schuldigerklärung ist indessen bloss Urteilsgrund und daher nicht
der Rechtskraft fähig, auch dann nicht, wenn sie in die Form eines
Urteilsspruch

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gekleidet wird. Entsprechend hat das Bundesgericht erklärt, in Zivilsachen
könne nur der Entscheid über die eingeklagten Ansprüche Gegenstand der
Berufung bilden, nicht auch eine Bemerkung, die ihrem Inhalte nach Erwägung
ist, wie z.B. im Ehescheidungsprozess die Feststellung über das Verschulden
der Ehegatten (BGE 40 II 574). Die von der Beschwerdeführerin beantragte
Rückweisung der Sache zur Bestrafung des Beschwerdegegners erfordert daher die
Überprüfung der Frage, ob der Beschwerdegegner eine strafbare Handlung
begangen hat. Dass die Beschwerdeführerin die Schuldfrage richtig entschieden
sieht, steht gemäss Art. 275 Abs. 2 BStrP dieser Prüfung nicht im Wege,
ebensowenig der Umstand, dass sich Amsler im kantonalen Verfahren der Anklage
«unterzogen» hat, denn hiedurch konnte er bloss die in der Anklage behaupteten
Tatsachen, nicht auch deren Strafbarkeit anerkennen.