S. 136 / Nr. 37 Strafgesetzbuch (d)

BGE 70 IV 136

37. Urteil des Kassationshofes vom 29. September 1944 i.S. Gygi dit Guy gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.

Regeste:
Art. 161
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 161
StGB verbietet den Kantonen nicht, im Rahmen der ihnen durch Art. 335
Ziff. 1 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 335 - 1 Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
1    Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
2    Die Kantone sind befugt, die Widerhandlungen gegen das kantonale Verwaltungs- und Prozessrecht mit Sanktionen zu bedrohen.
StGB vorbehaltenen Befugnis ergänzende Tatbestände handels-
oder gewerbepolizeilicher Natur aufzustellen.
§ 1 des luzernischen Gesetzes vom 30. Januar 1912 betreffend die
Handelspolizei ist durch Art. 161
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 161
StGB nicht aufgehoben worden
L'art. 161 CP n'interdit pas aux cantons d'établir, dans les limites du
pouvoir que leur réserve l'art. 335 oh. 1 al. 1 CP, des incriminations
complémentaires dans le domaine de la police du commerce et des arts et
métiers.
Le § 1er de la loi lucernoise du 30 janvier 1912 sur la police du commerce n'a
pas été abrogé par l'art. 161 CP.
L'art. 161 CP non vieta ai cantoni di prevedere, entro i limiti della facoltà
che loro riserva l'art. 335, cifra 1, cp. 1 CP, altri reati in materia di
polizia del commercio e dell'artigianato.
Il § 1 della legge lucernese 30 gennaio 1912 concernente la polizia del
commercio non è stato abrogato dall'art. 161 CP.

A. - Henri Gygi dit Guy wurde vom Obergericht des Kantons Luzern am 29. Juli
1944 wegen vorsätzlicher Widerhandlung gegen § 1 des luzernischen Gesetzes vom
30. Januar 1912 betreffend die Handelspolizei zu einer bedingt vollziehbaren
Haftstrafe von sieben Tagen und

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zu siebenhundert Franken Busse verurteilt, weil er in Inseraten, welche am 28.
August 1943 und 19. Februar 1944 im «Illustrierten Familienfreund» und am 4.
September 1943 und 4. März 1944 in der Zeitschrift «L'Abeille» erschienen
waren, durch Wendungen wie «30 % billiger direkt ab La Chaux-de-Fonds», «30 %
d'économie en achetant directement à La Chaux-de-Fonds» die falsche Behauptung
aufgestellt hatte, die Uhr «Musette Resist» könne bei der Firma Guy-Robert S;
Cie um 30 % billiger bezogen werden als beim Detailhändler. Die erwähnte
Gesetzesbestimmung verbietet unter anderem, in Inseraten «bei Anlass des
Angebotes von Waren wider besseres Wissen über geschäftliche Verhältnisse,
insbesondere über den Anlass zum Verkaufe der Waren, über deren
Beschaffenheit, Herstellungsart oder Preis, Bezugsquellen oder Art des
Bezuges, Grösse des Vorrates, Besitz von Auszeichnungen, unrichtige Angaben zu
machen, welche geeignet sind, den Schein eines günstigen Angebotes zu
erwirken, oder die überhaupt auf eine Irreführung des Käufers hinauslaufen».
Das Verfahren war durch Strafanzeige des Zentralverbandes Schweizerischer
Uhrmacher veranlasst worden, der ausdrücklich darauf verzichtet hat, wegen
unlauteren Wettbewerbes im Sinne des Art. 161
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 161
StGB Strafantrag zu stellen.
B. - Mit rechtzeitiger Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Gygi, das Urteil sei
aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie ihn
freispreche, eventuell bloss mit hundert Franken büsse. Er macht geltend, § 1
des luzernischen Handelspolizeigesetzes sei durch die bundesrechtliche
Regelung des unlauteren Wettbewerbes (Art. 161
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 161
StGB) ausser Kraft gesetzt
worden. Jedenfalls stehe die ausgesprochene Strafe in einem stossenden
Missverhältnis zu den begangenen Handlungen.
C. - Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern verweist auf die Begründung des
angefochtenen Urteils, ohne einen Antrag zu stellen.

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Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Nach Art. 161
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 161
StGB ist auf Antrag strafbar, wer jemandem die Kundschaft
durch unehrliche Mittel, namentlich durch arglistige Kniffe, schwindelhafte
Angaben, böswillige Verdächtigungen, abspenstig macht oder fernhält. Als diese
Bestimmung in den eidgenössischen Räten angenommen wurde, war das Bundesgesetz
über den unlauteren Wettbewerb in Vorbereitung. Bereits dessen erster Entwurf
(BBl 1934 II 553 ff. Art. 16
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 16 - 1 Überschreitet der Abwehrende die Grenzen der Notwehr nach Artikel 15, so mildert das Gericht die Strafe.
1    Überschreitet der Abwehrende die Grenzen der Notwehr nach Artikel 15, so mildert das Gericht die Strafe.
2    Überschreitet der Abwehrende die Grenzen der Notwehr in entschuldbarer Aufregung oder Bestürzung über den Angriff, so handelt er nicht schuldhaft.
) regelte den Straftatbestand des unlauteren
Wettbewerbes eingehender als Art. 161
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 161
StGB. Diese Bestimmung wurde nur deshalb
nicht gestrichen, weil man voraussah, dass das Strafgesetzbuch vor dem
Wettbewerbsgesetz in Kraft treten werde, und man auf einen vorläufigen
bundesrechtlichen Schutz nicht verzichten wollte. Es war jedoch schon damals
vorgesehen, dass Art. 161
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 161
StGB durch das Bundesgesetz über den unlauteren
Wettbewerb wieder aufgehoben werde (vgl. AStenBull Sonderausgabe NatR 360 f.,
694 f., StR 173, 323). Das wird denn auch der fall sein, falls dieses Gesetz
in der bevorstehenden Volksabstimmung angenommen wird (Art. 21
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 21 - Wer bei Begehung der Tat nicht weiss und nicht wissen kann, dass er sich rechtswidrig verhält, handelt nicht schuldhaft. War der Irrtum vermeidbar, so mildert das Gericht die Strafe.
). Dessen Art.
13
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 13 - 1 Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat.
1    Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat.
2    Hätte der Täter den Irrtum bei pflichtgemässer Vorsicht vermeiden können, so ist er wegen Fahrlässigkeit strafbar, wenn die fahrlässige Begehung der Tat mit Strafe bedroht ist.
regelt den unlauteren Wettbewerb eingehender als Art. 161
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 161
StGB, erklärt
z.B. in lit. b strafbar, wer vorsätzlich «über sich, die eigenen Waren, Werke,
Leistungen oder geschäftlichen Verhältnisse unrichtige oder irreführende
Angaben macht, um das eigene Angebot im Wettbewerb zu begünstigen». Es kann
nicht der Wille des Bundesgesetzgebers gewesen sein, die provisorische
Regelung des Art. 161
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 161
StGB als abschliessend zu betrachten und den Kantonen
nicht zu gestatten, im Rahmen der ihnen durch Art. 335 Ziff. 1 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 335 - 1 Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
1    Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
2    Die Kantone sind befugt, die Widerhandlungen gegen das kantonale Verwaltungs- und Prozessrecht mit Sanktionen zu bedrohen.
StGB
vorbehaltenen Befugnis ergänzende Tatbestände handels- oder
gewerbepolizeilicher Natur aufzustellen. Sogar noch das Bundesgesetz über den
unlauteren Wettbewerb behält in Art. 22 die gewerbe- und handelspolizeilichen
Vorschriften der Kantone ausdrücklich vor, insbesondere diejenigen gegen
unlauteres Geschäftsgebaren.

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2.- Eine Vorschrift, die neben Art. 161
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 161
StGB Platz hat, ist § 1 des
luzernischen Handelspolizeigesetzes. Im Gegensatz zu Art. 161
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 161
StGB bezweckt
sie nicht den Schutz der Mitbewerber, sondern den der Kunden. Sie regelt nicht
einen Tatbestand des unlauteren Wettbewerbes, sondern einen solchen des
unlauteren Geschäftsgebarens. Wohl kann solches indirekt auch den Mitbewerber
schädigen, da es ihm unter Umständen Kundschaft entzieht. § 1 des luzernischen
Handelspolizeigesetzes ist jedoch nicht unter diesem Gesichtspunkt erlassen
worden, sondern zum Schutze der Kunden vor Irreführung durch die
Geschäftsleute, ein Gesichtspunkt, den Art. 161
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 161
StGB nicht berücksichtigt. So
verhält es sich selbst dann, wenn - was heute nicht entschieden zu werden
braucht - Art. 161 nicht den Nachweis erfordert, dass einem bestimmten
Mitbewerber die Kundschaft abspenstig gemacht oder ferngehalten worden ist,
sondern auch dann gilt, wenn ganz allgemein anzunehmen ist, die Handlung habe
irgend einem Mitbewerber Kunden entzogen.
3.- Die Strafe ist in Anwendung kantonalen Rechts ausgefällt worden. Soweit
der Beschwerdeführer das Strafmass anficht, ist daher auf die Beschwerde nicht
einzutreten (Art. 269 Abs. 1 BStrP).
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden
kann.