S. 85 / Nr. 19 Bundesrechtliche Abgaben (d)

BGE 70 I 85

19. Auszug aus dem Urteil vom 11. März 1944 i. S. Ruhr & Saar-Kohle A.-G.
gegen eidg. Steuerverwaltung.

Regeste:
Kriegsgewinnsteuer: Die eidg. Steuerverwaltung ist im verwaltungsgerichtlichen
Beschwerdeverfahren nicht auf die Verteidigung ihres Einspracheentscheides
beschränkt. Sie darf und soll ihre frühere Stellungnahme richtig stellen, wenn
sie bei neuer Prüfung findet, dass eine Sache anders hätte entschieden werden
sollen, als es geschehen ist.
Impôt sur les bénéfices de guerre: Dans la procédure du recours de droit
administratif, l'Administration fédérale des contributions n'est pas tenue de
se borner à défendre sa décision sur réclamation. Elle peut et doit modifier
son point de vue lorsqu'après nouvel examen du cas, il lui apparaît qu'une
question doit être tranchée autrement que dans la décision sur réclamation.
Imposta sui profitti di guerra: Nella procedura di ricorso di diritto
amministrativo l'Amministrazione federale delle contribuzioni non è tenuta a
difendere la decisione pronunciata in sede di reclamo. Essa può e deve
modificare il suo punto di vista se esaminato nuovamente il caso, trova che
una questione avrebbe dovuto essere decisa altrimenti che in sede di reclamo.

In der Vernehmlassung auf eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde betreffend eine
Einschätzung zur Kriegsgewinnsteuer hat die eidg. Steuerverwaltung beantragt,
die Beschwerde abzuweisen und die von der Beschwerdeführerin geschuldete
Kriegsgewinnsteuer zu erhöhen. Zur Begründung wird ausgeführt, bei neuer
Prüfung der Streitfrage komme die Steuerverwaltung zum Schluss, dass sich

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ihre Stellungnahme im Einspracheentscheid nicht halten lasse.
Die Beschwerdeführerin wendet sich dagegen, dass die Steuerverwaltung bei
Beantwortung der Beschwerde von ihrer Stellungnahme im Einspracheentscheid
abgegangen ist. Die Verwaltung habe sich an ihren eigenen Entscheid, den sie
nach genauer Überlegung habe treffen können, zu halten. So sei es schon bei
der früheren Kriegsgewinnsteuer gehalten worden (VSA I S. 374). Art. 28, Abs.
3 KGStB stehe dem nicht entgegen. Er sehe nur eine Berichtigung der
Einschätzung durch das Verwaltungsgericht vor, wenn bisher nicht bekannte
Umstände zum Vorschein kommen; hier sei dies jedoch nicht der Fall. Bei ihrer
Entscheidung habe die Steuerverwaltung den vollen Tatbestand gekannt.
Das Bundesgericht hat die Einwendung zurückgewiesen
in Erwägung:
(Erw. 1.) ­ Es kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die Behörden,
deren Entscheide mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden, im
allgemeinen befugt sind, in ihrer Vernehmlassung zur Beschwerde Anträge zu
stellen, die über den angefochtenen Entscheid hinausgehen, im Falle ihrer
Gutheissung den Beschwerdeführer schwerer belasten würden, als es bei blosser
Bestätigung des Entscheides der Fall wäre. Nach Art. 16, Abs. 1 VDG ist das
Bundesgericht in Kriegssteuersachen nicht an die Rechtsbegehren der Parteien
gebunden. Es könnte also einen Entscheid der eidgenössischen Steuerverwaltung
zu ungunsten des Beschwerdeführers abändern, auch wenn sich die Verwaltung in
der Vernehmlassung auf die Verteidigung des angefochtenen Entscheides
beschränkt hätte. In Kriegssteuersachen erschöpft sich das Verfahren vor
Verwaltungsgericht nicht in dem Charakter eines Mittels zum Schutze der Bürger
gegen Eingriffe der Verwaltung, die durch die Rechtsordnung nicht gedeckt
sind; sie dient gleichzeitig auch der allseitig richtigen Durchführung des
Gesetzes. das

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Verwaltungsgericht hat Veranlagungen, die sich als fehlerhaft erweisen, auch
ohne Antrag zu berichtigen. Es hat den gesetzlichen Zustand von amteswegen
herbeizuführen (vgl. dazu: GEERING, Der Umfang des Rechtsstreites im
Steuerprozess, VSA IX S. 1 ff., bes. S. 4 oben und S. 7 unten).
Im Rahmen dieser Ordnung kann offenbar nicht davon die Rede sein, dass die
eidgenössische Steuerverwaltung auf die Verteidigung ihres Entscheides
beschränkt ist, wenn sie bei neuer Prüfung findet, dass ihr Entscheid in
rechtlicher oder tatsächlicher Beziehung Feller aufweist. Die Steuerverwaltung
ist verpflichtet, für die richtige Gesetzesdurchführung zu sorgen und alles zu
tun, was dazu beitragen kann, dass sie erreicht werde; sie hat daher vor
Verwaltungsgericht diejenigen Anträge zu stellen, die nach ihrer Überzeugung
die rechtlich und tatsächlich zutreffende Beurteilung der Beschwerden
herbeizuführen geeignet sind. Dass sie dabei von einer früheren Stellungnahme
abweichen muss, darf sie daran nicht hindern.
Der Entscheid der eidgenössischen Kriegssteuer-Rekurskommission, auf den sich
die Beschwerdeführerin beruft (VSA I S. 374) schliesst aus, dass eine
rechtskräftig erledigte Einschätzung nachträglich aufgegriffen und durch eine
neue, den Steuerpflichtigen stärker belastende ersetzt wird. Über die Stellung
der Verwaltung im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren über eine noch
nicht rechtskräftige Veranlagung wird darin nichts ausgesagt.
Art. 28, Abs. 2 KGStB verpflichtet das Bundesgericht, die Einschätzungen von
sich aus zu berichtigen, wenn sich im Beschwerdeverfahren ergibt, dass die
angefochtene Veranlagung nicht den vollen Kriegsgewinn erfasst. In dem Antrage
der eidgenössischen Steuerverwaltung auf Erhöhung der Einschätzung liegt die
Behauptung, dass dies hier der Fall sei. Es ist ein Antrag auf Berichtigung
einer ungenügenden Einschätzung. Aus verfahrensrechtlichen Gründen ist dagegen
nichts einzuwenden.