S. 71 / Nr. 15 Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten (d)

BGE 70 I 71

15. Auszug aus dem Urteil vom 3. April 1944 i. S. Ulrich gegen Regierungsrat
des Kantons St. Gallen.

Regeste:
Gewerbefreiheit: Ein Kanton, der die Ausübung des Arztberufes einer
staatlichen Kontrolle und einem Befähigungsausweis unterwirft, verletzt Art.
31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV nicht, wenn er in einem andern Kanton ohne jede staatliche Kontrolle,
frei praktizierenden Ärzten und Zahnärzten die Auskündung ihres
Geschäftsbetriebes in der in seinem Gebiet erscheinenden Tagespresse
verbietet.
Liberté de l'industrie: Le canton qui soumet l'exercice des professions
médicales à un contrôle et à la possession d'un brevet de capacité ne viole
pas l'art. 31 CF lorsqu'il s'oppose à la publicité dans les journaux du canton
faite par des médecins ou des dentistes qui pratiquent librement leur art dans
un autre canton.

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Libertà d'industria: Il cantone, che assoggetta l'esercizio delle professioni
mediche ad un controllo statale ed al possesso d'un attestato di capacità, non
viola l'art. 31 CF vietando la pubblicità noi giornali del cantone fatta da
medici o dentisti che praticano liberamente in un altro cantone.

A. ­ Nach Art. 5 des st. gallischen Gesetzes vom 24. November 1893 über das
Sanitätswesen sind zur Ausübung des Zahnarztberufes nur diejenigen Personen
befugt, welche sich darüber ausweisen, dass sie den von der Bundesgesetzgebung
betreffend die Freizügigkeit des Medizinalpersonals aufgestellten
Erfordernissen genügen. Art. 41 der regierungsrätlichen Verordnung vom 31.
Dezember 1936 betreffend die medizinischen Berufsarten verbietet Personen, die
ausserhalb des Kantons St. Gallen als «Zahnärzte, Dentisten usw. praktizieren
ohne im Besitze eines eidgenössischen Diploms zu sein» jede Berufsreklame und
Berufsauskündigung.
B. ­ Der Beschwerdeführer übt seit Jahren in Hof bei Thal (Appenzell A. Rh.)
in der Nähe der st. gallischen Kantonsgrenze den Beruf eines Zahnarztes aus,
ohne im Besitze eines eidgenössischen Arzt- oder Zahnarzt-Diploms zu sein.
Eines Befähigungsausweises als Zahnarzt oder einer staatlichen Bewilligung
bedurfte er nicht, da im Kanton Appenzell A. Rh. die Ausübung des ärztlichen
Berufes (ausgenommen höhere operative Chirurgie und Geburtshilfe) allen
Kantonseinwohnern freisteht, welche die gesetzliche Niederlassung besitzen und
in bürgerlichen Ehren und Rechten stehen (Gesetzliche Bestimmungen vom 30.
April 1871 betreffend die Freigebung der ärztlichen Praxis im Kanton Appenzell
A. Rh., § 1; VO vom 30. Mai 1924 über das Gesundheitswesen, § 9). Er hatte in
den Jahren 1912 bis 1916 eine Zahntechniker-Lehre bei Zahnarzt A. Hergert in
Zürich bestanden. Er scheint im Besitze des Doktortitels der «Oriental
University» in Washington zu sein.
Nach Erlass der st. gallischen Verordnung vom 31. Dezember 1936 ersuchte der
Beschwerdeführer um die Bewilligung, seine Zahnpraxis entgegen Art. 41 der

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Verordnung auch weiterhin in st. gallischen Zeitungen auszukünden und den
Titel «Zahnarzt» zu führen. Das Begehren wurde abgewiesen und eine
staatsrechtliche Beschwerde war erfolglos. Das Bundesgericht hat festgestellt,
dass dem Beschwerdeführer die Berufsauskündigung als «Zahnarzt», «Dentist
U.S.» ohne Verletzung verfassungsmässiger Individualrechte untersagt werden
durfte. Ob das in Art. 41 der st. gallischen Verordnung von 1936
ausgesprochene Insertionsverbot in seinem ganzen Umfange zulässig sei, wurde
offen gelassen.
C. ­ Am 30. April 1942 lehnte der Verlag des Ostschweizerischen Tagblattes und
des Rorschacher Tagblatts einen Insertionsauftrag des Beschwerdeführers ab mit
der Begründung, dass er laut Verfügung der st. gallischen Sanitätskommission
keine Inserate von ausserkantonalen Zahntechnikern aufnehmen dürfe. Hierauf
stellte Ulrich am 30. April 1942 an den Regierungsrat des Kantons St. Gallen
das Gesuch, es sei ihm die Berufsauskündigung in den st. gallischen Zeitungen
unter der Bezeichnung «Zahntechniker» zu gestatten, und er beschwerte sich,
als der st. gallische Kantonsarzt das Begehren abschlug, beim Regierungsrat
des Kantons St. Gallen.
Der Regierungsrat hat die Beschwerde am 3. Dezember 1943 abgewiesen. Das
Bundesgericht hat eine gegen den Entscheid des Regierungsrates gerichtete
staatsrechtliche Beschwerde als unbegründet erklärt, hinsichtlich des darin
erhobenen Vorwurfs einer Verletzung von Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV aus folgenden
Erwägungen:
2. ­ Vom Standpunkt der Gewerbefreiheit aus zulässig sind Anordnungen
sanitätspolizeilicher Natur, die durch Gründe des öffentlichen Wohles
gerechtfertigt sind. Die Beschränkung der Ausübung der Zahnheilkunde auf
Inhaber des eidgenössischen Diploms (und in einem gewissen Umfange auf
konzessionierte Zahntechniker) ist eine solche Regelung. Sie fällt unter die
den Kantonen in Art. 33
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 33 Petitionsrecht - 1 Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
1    Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
2    Die Behörden haben von Petitionen Kenntnis zu nehmen.
BV

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ausdrücklich frei gegebenen Massnahmen. Ihr Zweck ist der Schutz der
Bevölkerung vor Gefährdungen der Gesundheit, die aus der Behandlung von
Krankheiten und Gebrechen durch Personen entstehen können, die nicht über die
erforderlichen Sachkenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Darum wird die
Befähigung zur Ausübung der Heilkunde unter staatliche Kontrolle gestellt und
zu den medizinischen Berufen nur zugelassen, wer sich über die Erfüllung
gewisser Anforderungen ausweist, die als Mindestanforderungen an Kenntnisse
und Fähigkeiten zu gelten haben.
Der Zweck einer derartigen Ordnung würde aber illusorisch, wenn der Kanton,
der die Ausübung der Heilkunde in seinem Gebiet einer staatlichen Kontrolle
unterwirft, es dulden müsste, dass Personen, die den Arzt- oder Zahnarztberuf
ohne jede staatliche Kontrolle über ihre Befähigung ausüben, ihren
Geschäftsbetrieb in der in seinem Gebiet erscheinenden Tagespresse auskünden
und damit die Bevölkerung, zu deren Schutz die sanitätspolizeiliche Ordnung
der medizinischen Berufsarten eingesetzt ist, durch allgemeine öffentliche
Reklame veranlassen, sich einer Behandlung in einer freien, unkontrollierten
Praxis zu unterwerfen. Es muss daher dem Kanton St. Gallen freistehen, die
öffentliche Auskündung der Geschäftsbetriebe im Kanton Appenzell A. Rh. frei
praktizierender Ärzte und Zahnärzte zu verbieten, wenn der Zweck seiner
eigenen Ordnung der Ausübung des Arztberufes nicht vereitelt werden soll.
Das Bundesgericht hat Verbote öffentlicher Auskündung einer
bewilligungspflichtigen gewerblichen Tätigkeit (es handelte sich um einen
Ausverkauf) nur als unzulässig erklärt unter der Voraussetzung, dass die
erforderliche Bewilligung in dem Kantone des Betriebes selbst erteilt war. Es
hat aber seine Stellungnahme ausdrücklich vorbehalten für den Fall, dass eine
gewerbliche Tätigkeit in den beteiligten Kantonen verschieden behandelt würde,
vor allem. wenn sie in einem Kanton, wie hier, überhaupt

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keiner polizeilichen Beschränkung unterliegen sollte (BGE 52 I S. 312, Erw.
4). Aus der Tatsache, dass der Beschwerdeführer seinen Beruf im Kanton
Appenzell A. Rh. ausüben kann, folgt daher nicht, dass er dafür im Kanton St.
Gallen öffentlich werben dürfte.
Auch daraus kann nichts abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer früher,
vor Erlass der neuen Medizinalverordnung, für sein Geschäft in st. gallischen
Blättern zu inserieren pflegte. Als Massnahme der Gesundheitspolizei durfte
das Verbot jederzeit erlassen werden. Wie bereits im Urteil des Bundesgerichts
vom 17. September 1937 ausgeführt wurde, konnte dem Rekurrrenten deshalb kein
gewohnheitsrechtlicher Anspruch auf öffentliche Bekanntgabe seines Gewerbes
erwachsen, weil seine Berufstätigkeit immer den einschlägigen
sanitätspolizeilichen Vorschriften unterworfen war und sich diesen auch dann
anpassen muss, wenn sie wie hier im öffentlichen Interesse verschärft werden.