S. 69 / Nr. 14 Rechtsgleichheit (Rechtsverweigerung) (d)

BGE 70 I 69

14. Auszug aus dem Urteil vom 15. Mai 1944 i. S. sonja Henggeler gegen Steiner
und Regierungsrat des Kantons Zug.

Regeste:
Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV; Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren.
Art. 4 CF. Étendue du droit d'être entendu dans la procédure administrative.
Art. 4 CF. Estensione del diritto d'essere udito nella procedura
amministrativa.

Aus dem Tatbestand:
Ernst Henggeler hat dem Josef Steiner ein landwirtschaftliches Heimwesen in
Unterägeri verpachtet. Am 18. September 1943 kündigte Henggeler die Pacht
vertragsgemäss auf den 31. März 1944. Steiner erhob hiegegen gestützt auf die
Pächterschutzbestimmungen des BRB vom 19. Januar 1940/7. November 1941/29.
Oktober 1943 Einsprache. Die Pächterschutzkommission des Kantons Zug wies die
Einsprache am 24. Januar 1944 ab. Ein von Steiner gegen diesen Entscheid
eingereichter Rekurs wurde vom Regierungsrat des Kantons Zug der
Pächterschutzkommission, nicht aber auch Henggeler zur Vernehmlassung
zugestellt und hierauf mit Entscheid vom 11. März 1944 in dem Sinne
gutgeheissen, dass die Kündigung vom 18. September 1943 unwirksam erklärt und
das Pachtverhältnis um ein Jahr, d. h. bis 31. März 1945, verlängert wurde.
Henggeler hat gegen diesen Entscheid staatsrechtliche Beschwerde erhoben wegen
Verweigerung des rechtlichen Gehörs.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde gutgeheissen.
Aus den Erwägungen:
1. ­ Der Anspruch auf rechtliches Gehör folgt aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV für das Verfahren
vor Verwaltungsbehörden

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nicht im gleichen Umfange wie für den Zivil- und Strafprozess. Er kann aus
dieser Verfassungsgarantie insbesondere da nicht allgemein hergeleitet werden,
wo in dem durch die Verfügung der Verwaltungsbehörde geordneten Verhältnis der
Bürger einseitig als Gewaltunterworfener dem Staate gegenübersteht. Die
Rechtsprechung hat dessen Anspruch denn auch hier nur ausnahmsweise anerkannt,
bei gewissen besonders schweren Eingriffen in die höchstpersönliche
Rechtssphäre (BGE 43 I S. 165, Zurücknahme einer Einbürgerung; 30 I S. 279 E.
2, 53 I S. 113, 65 I S. 268 Anstaltsversorgung). Andererseits ist er aus
gleichen Gründen wie für den Zivilprozess da anzunehmen, wo durch den
Entscheid der Verwaltungsbehörde eine Zivilrechtsstreitigkeit zwischen den
Parteien beurteilt werden soll, wie das ZGB das für gewisse Rechtsverhältnisse
zulässt (Streitigkeiten über die verwandtschaftliche Unterstützungspflicht
nach Art. 328
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 328 - 1 Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.
1    Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.
2    Die Unterhaltspflicht der Eltern und des Ehegatten, der eingetragenen Partnerin oder des eingetragenen Partners bleibt vorbehalten.462
, 329
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 329 - 1 Der Anspruch auf Unterstützung ist gegen die Pflichtigen in der Reihenfolge ihrer Erbberechtigung geltend zu machen und geht auf die Leistung, die zum Lebensunterhalt des Bedürftigen erforderlich und den Verhältnissen des Pflichtigen angemessen ist.
1    Der Anspruch auf Unterstützung ist gegen die Pflichtigen in der Reihenfolge ihrer Erbberechtigung geltend zu machen und geht auf die Leistung, die zum Lebensunterhalt des Bedürftigen erforderlich und den Verhältnissen des Pflichtigen angemessen ist.
1bis    Kein Anspruch auf Unterstützung kann geltend gemacht werden, wenn die Notlage auf einer Einschränkung der Erwerbstätigkeit zur Betreuung eigener Kinder beruht.464
2    Erscheint die Heranziehung eines Pflichtigen wegen besonderer Umstände als unbillig, so kann das Gericht die Unterstützungspflicht ermässigen oder aufheben.465
3    Die Bestimmungen über die Unterhaltsklage des Kindes und über den Übergang seines Unterhaltsanspruches auf das Gemeinwesen finden entsprechende Anwendung.466
ZGB, Notwegstreitigkeiten; nicht veröffentlichtes Urteil
vom 21. Juni 1940 i. S. Dünner E. 3). Gleich zu behandeln ist der Fall, in dem
die Verwaltungsbehörde auf Grund einer ihr zum Schutze öffentlicher Interessen
eingeräumten besonderen Befugnis in die Gestaltung eines
Privatrechtsverhältnisses zwischen den Parteien eingreift, in dem sich diese
auf dem Fusse der Gleichberechtigung gegenüberstehen. Das Bundesgericht hat
dies wiederholt ausgesprochen für die Entscheidung darüber, ob eine
zivilrechtlich gültige Kündigung im Sinne des BRB vom 15. Oktober 1941 über
Massnahmen gegen die Wohnungsnot als unzulässig erklärt werden soll (nicht
veröffentlichte Urteile vom 1. Juni 1942 i. S. Merker, vom 13. Mai 1943 i. S.
Gebr. Abegg, vom 14. Februar 1944 i. S. Hüsler). Die Rechtslage ist keine
andere, wenn das Verfahren die Anwendung der in den BRB vom 19. Januar 1940/7.
November 1941/ 23. Oktober 1943 vorgesehenen Massnahmen zum Schutze der
Pächter zum Gegenstand hat, mag nun die Verlängerung der Pacht nach Art. 33
ff. oder deren Auflösung nach Art. 39ter dieser Erlasse in Frage stehen (nicht
veröffentlichte Urteile vom 30. Mai

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1941 i. S. Rychen, vom 3. April 1944 i. S. Rogger-Weibel und i. S. Bertschi).
Zur Gewährung des rechtlichen Gehörs gehört aber auch, dass die durch einen
Entscheid bestimmte Rechtsstellung einer Partei nicht zu deren Nachteil auf
Begehren der anderen Partei abgeändert werden darf, ohne dass dem Betroffenen
Gelegenheit gegeben worden ist, sich zu den Gründen zu äussern, die gegen den
Entscheid geltend gemacht werden, wie das Bundesgericht das als Folge des
Anspruchs auf rechtliches Gehör bei Zivil- und Strafurteilen immer angenommen
hat (BGE 64 I S. 148 E. 2).
Vgl. Nr. 15. ­ Voir no 15.