S. 270 / Nr. 50 Bundesrechtliche Abgaben (d)

BGE 69 I 270

50. Auszug aus dem Urteil vom 22. Dezember 1943 i. S. Rheintalische
Creditanstalt gegen Krisenabgabe-Rekurskommission des Kantons St. Gallen.

Regeste:
1. Wehropferamnestie: Die Wehropferamnestie verhindert, dass auf erledigte
Einschätzungen zurückgekommen wird und Nachforderungen auf früher ergangene
Steuereinschätzungen gestellt werden, gegenüber neuen Einschätzungen kann sie
nicht angerufen werden.
2. Krisenabgabe:
a) Berechnung des Reingewinns: Geschäftsmässig begründete Rückstellungen
dürfen nicht als Gewinn behandelt werden. Rückstellungen, die frei werden und
damit die geschäftsmässige Begründetheit verlieren, dürfen in den Beingewinn
einbezogen werden.
b) Übertretung der Abgabepflicht: Den Versuch einer Steuerhinterziehung begeht
der Steuerpflichtige, der für die Steuerberechnung massgebende Verhältnisse
verschweigt oder entstellt, die die Steuerbehörde noch nicht kennt.
Tendenziöse Auswertungen eines im wesentlichen feststehenden Tatbestandes, die
lediglich zur Verteidigung eines Prozessstandpunktes in der Rechtsfrage
vorgebracht werden, rechtfertigen Übertretungsbussen nicht.

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1. Amnistie accordée à l'occasion du sacrifice pour la défense nationale.
Cette amnistie empêche l'autorité fiscale de revenir sur des taxations déjà
faites et d'élever après coup de nouvelles prétentions au sujet de taxations
anciennes; elle ne peut être invoquée à l'égard de nouvelles taxations.
2. Contribution fédérale de crise:
a) Calcul du bénéfice net: Les réserves d'amortissement autorisées par l'usage
commercial ne doivent pas être traitées comme bénéfice. Les réserves
d'amortissement qui deviennent disponibles et cessent par conséquent de se
justifier du point de vue de l'usage commercial peuvent être ajoutées au
bénéfice net.
b) Contravention à l'obligation fiscale: Il y a tentative de sous traction
d'impôt lorsqu'un contribuable cèle ou déforme des faits qui sont essentiels
pour la taxation et ne sont pas encore connus de l'autorité fiscale.
L'interprétation tendancieuse d'un état de fait connu dans l'essentiel ne
justifie pas la condamnation à une amende lorsqu'elle ne sert qu'à défendre le
point de vue adopté par le contribuable touchant la question de droit posée
par le litige fiscal.
1. Amnistia concessa in occasione del sacrificio per la difesa nazionale.
Quest'amnistia impedisce alle autorità fiscali di rinvenire su tassazioni già
fatte e di sollevare ulteriori protese circa precedenti tassazioni; essa non
può essere invocata per quanto concerne nuove tassazioni.
2. Contribuzione federale di crisi:
a) Calcolo dell'utile netto: Le riserve di ammortamento giusta l'uso
commerciale non debbono essere trattate come utile. Le riserve di
ammortamento, che diventano disponibili e non sono quindi più giustificabili
dal punto di vista dell'uso commerciale, possono essere aggiunte all'utile
netto.
b) Contravvenzione all'obbligo fiscale: Esiste tentativo di sottrazione
d'imposta quando il contribuente nasconde o deforma. fatti che sono essenziali
per la tassazione e non sono ancora conosciuti dall'autorità fiscale. La
valutazione tendenziosa d'uno stato di fatto conosciuto nei punti essenziali
non giustifica la condanna ad una multa, quando serve soltanto a difendere la
tesi del ricorrente in merito alla questione giuridica sollevata dalla
contestazione fiscale.

A. ­ Die Rekurrentin hatte Ende 1936 einen erheblichen Posten hypothekarisch
sichergestellte Forderungen auf Gläubiger in Vorarlberg. Die Zinsen und die
vertragsmässigen Abzahlungen sollen damals noch ordentlich eingegangen sein;
doch schien die Einbringlichkeit der Kapitalausstände in Frage gestellt: die
österreichische Nationalbank hatte schon seit Ende 1931 für die vollständige
Rückzahlung von Hypothekardarlehen und Kontokerrentkrediten keine Devisen mehr
bewilligt und es war damit zu rechnen, dass auch die Übermittlung von Zinsen
und

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Abzahlungen aus devisenpolitischen Gründen eingeschränkt oder gesperrt werde.
Unter diesen Umständen verwendete die Rekurrentin einen im Oktober 1936 bei
einem Verkauf von Barrengold erzielten Gewinn zur Anlage einer inneren
Kontokorrentreserve in der Weise, dass sie unter der Bezeichnung « Engagements
Vorarlberg n einen fiktiven Schuldposten in gleicher Höhe unter den Kreditoren
einstellte. Im Jahre 1939 konnte die Bank ihre Ausstände in Vorarlberg mit
Hilfe der Schweizerischen Nationalbank liquidieren. Den Ausfall, der sich
dabei ergab, belastete sie dem Rückstellungskonto.
B. ­ Bei der Einschätzung für die IV. Periode der eidgenössischen Krisenabgabe
wurde der Saldo des Rückstellungskontos « Engagements Vorarlberg » als
freigewordene Rückstellung zum ausgewiesenen Reingewinn des Jahres 1939
hinzugerechnet. Die Rekurrentin hat die Berechtigung des Zuschlags bestritten,
ist aber abgewiesen worden, zuletzt durch Entscheid der
Krisenabgabe-Rekurskommission des Kantons St. Gallen vom 5. Juni 1943.
Sie erhebt die Verwaltungsgerichtsbeschwerde und macht geltend, nach Art. 49
KrisAB seien nur solche Abschreibungen und Rückstellungen zulässig, die der
Entwertung eines Aktivums in der Steuerperiode entsprechen. Im Jahre 1936 habe
kein Anlass bestanden, für die Verbindlichkeiten in Vorarlberg Rückstellungen
zu machen, da genügende Reserven vorhanden gewesen seien. Wenn damals eine
Untersuchung durchgeführt worden wäre, so hätte sich ergeben, dass der ganze
in Reserve gestellte Betrag steuerbarer Reingewinn war. Die Entwertung der
Vorarlberger Guthaben sei nicht erst 1936, sondern viel früher eingetreten.
Die Einschätzungsbehörden hätten aber die Sache nicht untersucht, sondern
einfach auf die damals abgegebene Steuererklärung abgestellt, aus der die
Rückstellung nicht ersichtlich war. Nachdem aber damals die Besteuerung
unterblieb, gehe es nicht an, den Rest der stillen Reserve nachträglich der
Krisenabgabe für die IV. Periode zu

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unterwerfen. Die Besteuerung der Reserve verstosse gegen Art. 49 KrisAB und
gegen feststehende Praxis. Übrigens enthielten die Jahresrechnungen 1938 und
1939, auf die es ankomme, keinen Gewinnposten im angerechneten Betrage. Auf
Rückstellungen, die in früheren Jahren gemacht wurden, beziehe sich Art. 49,
Ziff. 3 KrisAB nicht. Die Rekurrentin beruft sich auch noch auf die
Wehropferamnestie.
a. ­ Die Krisenabgabe-Rekurskommission des Kantons St. Gallen beantragt
Abweisung der Beschwerde unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen
Entscheides, die eidgenössische Steuerverwaltung Abweisung der Beschwerde und
Auferlegung einer Steuerbusse von Fr. 5000.- an die Rekurrentin wegen
wahrheitswidriger Angaben im Beschwerdeverfahren.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen und die Auferlegung einer
Steuerbusse abgelehnt
in Erwägung:
1. ­ .....
2. ­ Die Frage, ob die im Jahre 1939 freigewordene Rückstellung
steuerrechtlich als Bestandteil des Reingewinnes dieses Jahres anzusehen ist,
oder ob es sich um Reingewinn eines früheren Jahres handelt, betrifft nicht
die Wehropferamnestie, sondern die Auslegung des Krisenabgabebeschlusses. Die
Wehropferamnestie verhindert, dass auf erledigte Einschätzungen zurückgekommen
wird und Nachforderungen auf früher ergangene Steuerrechnungen gestellt
werden. Gegenüber neuen Einschätzungen kann sie nicht angerufen werden (BGE 68
I S. 50
).
Die Rekurrentin wird nicht für Jahre nachbesteuert, für die sie
Steuerleistungen erbracht hatte oder für die sie wenigstens bereits
eingeschätzt war, als sie die Wehropfererklärung einreichte, sondern sie wird
für eine Steuer eingeschätzt, bei der nach ausdrücklicher Vorschrift des
Gesetzes die Wehropfererklärung mitberücksichtigt werden soll (Art. 3, Abs. 3
WB).

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3. ­ Nach Art. 49, Abs. 1 Ziff. 3 KrisAB (von 1938) fallen für die Berechnung
des Reingewinns in Betracht Rückstellungen, die nicht geschäftsmässig
begründet sind. Geschäftsmässig begründete Rückstellungen dürfen nicht als
Reingewinn behandelt werden. Anderseits ist es richtig und entspricht es der
gesetzlichen Vorschrift, Rückstellungen, die frei werden und damit die
geschäftsmässige Begründetheit verlieren, in den Reingewinn einzubeziehen.
Solange eine Rückstellung gebunden ist, bleibt offen, ob und inwieweit sie zum
Reingewinn gehört. Der Entscheid über die Steuerbarkeit wird verschoben, um
die Entwicklung der Verhältnisse abzuwarten. Der Steuerpflichtige, der offene
oder geheime Rückstellungen macht und für sie Steuerfreiheit in Anspruch
nimmt, kann sich der spätern Besteuerung des freigewordenen Teils der
Rückstellung beim Einkommen nicht mit der Behauptung entziehen, der
Rückstellung habe im Zeitpunkt ihrer Errichtung geschäftsmässige Begründetheit
gefehlt. Ob Verlustgefahren Rückstellungen erfordern, ist weitgehend
Ermessenssache, wie auch das Mass und die Form der zur Sicherung eines
Geschäftsbetriebes zu treffenden Massnahmen. Dem Ermessen des
Steuerpflichtigen aber, Steuerfreiheit für einen Teil des Bruttogewinns
dadurch in Anspruch zu nehmen, dass er offene oder stille Reserven errichtet,
steht das Ermessen der Steuerbehörden gegenüber, offene Reserven im Zeitpunkt
ihrer Errichtung auf ihre geschäftsmässige Begründetheit zu überprüfen und
stillen Reserven nachzugehen oder es vorläufig bei den Massnahmen bewenden zu
lassen, die der Steuerpflichtige nach seinem geschäftlichen Ermessen für
angezeigt befunden hat, die weitere Entwicklung abzuwarten und lediglich die
Reserven, die in der Folge nicht in Anspruch genommen werden, in dem Zeitpunkt
zu erfassen, in welchem sie frei geworden sind oder vom Steuerpflichtigen
liquidiert oder reaktiviert werden.
Art. 49, Abs. 3 und 4 KrisAB stehen dem nicht entgegen. Die Entscheidung
darüber, ob ein Verlust als eingetreten

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oder ein Gewinn als endgültig erzielt anzusehen ist, ist vielfach nicht an
einen bestimmten Zeitpunkt gebunden. Zweck der in Art. 49, Abs. 1 Ziff. 3
enthaltenen Vorschrift über die Besteuerung von Reservestellungen ist es
gerade, dem geschäftlichen Bedürfnisse nach einem gewissen Spielraum in dieser
Hinsicht Rechnung zu tragen. Die Entscheide, auf die sich die Rekurrentin zur
Begründung ihres Standpunktes beruft (BGE 62 I S. 149 und 157; 63 I 83),
beziehen sich nicht auf Rückstellungen, sondern auf Abschreibungen; diese
gelten begrifflich dem Ausgleich eingetretener Wertverminderungen.
Rückstellungen dagegen sind dazu bestimmt, unsicher gewordene Positionen zu
sichern und Verlustgefahren zu begegnen. Als geschäftsmässig begründet dürfen
Rückstellungen jedenfalls dann gelten, wenn sie unmittelbar drohende Verluste
ausgleichen sollen (vgl. dazu Art. 6 Abs. 1 KGStB).
4. ­ Die Beschwerdeführerin wird besteuert für eine Rückstellung, die zufolge
Liquidation der Posten, für die sie errichtet war, frei geworden ist. Die
dagegen erhobenen Einwendungen sind unbegründet. Es kommt nicht darauf an, ob
die Einschätzungsbehörde bei der Veranlagung der Rekurrentin für die III.
Periode der eidgenössischen Krisenabgabe (Grundlagejahre 1936 und 1937) die
Reservestellung gekannt und auf ihre Begründetheit untersucht hat, sondern
darauf, dass die Rekurrentin im Hinblick auf die Verlustgefahren, die das
Geschäft mit Vorarlberg in sich barg, die Reserve errichtete, um die ihr aus
diesem Geschäfte drohenden Ausfälle intern ausgleichen zu können. Sie hat
damit selbst den Schwebezustand geschaffen, der mit der Liquidation der
Vorarlberger Guthaben seinen Abschluss fand. Auf jeden Fall durfte der
Rückstellung die geschäftliche Begründetheit von dem Zeitpunkte an
abgesprochen werden, in welchem die als unsicher betrachteten Guthaben
eingebracht und die darauf erlittenen Verluste mit Hilfe der Rückstellung
ausgeglichen waren.
Übrigens war die Reserve den Einschätzungsbehörden schon bei der Veranlagung
der Beschwerdeführerin für

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die III. Periode der Krisenabgabe (6. Dezember 1938) bekannt gewesen auf Grund
von Erklärungen, die die Beschwerdeführerin im Oktober und im November 1937
bei Erhebungen für die kantonale Steuereinschätzung abgegeben hatte. Der
Versuch, aus verfahrensrechtlichen Gründen nachträglich Einwendungen gegen das
Vorgehen der Einschätzungsbehörden bei der Veranlagung für die III. Periode
der Krisenabgabe herzuleiten, ist völlig haltlos. Angesichts des Risikos, das
das Vorarlberger Geschäft im Jahre 1936 in sich barg, lag es im Ermessen der
Einschätzungsbehörde, eine erhebliche Spezialreserve für diesen Posten als
geschäftsmässig begründet anzusehen, selbst wenn die Beschwerdeführerin über
bedeutende sonstige offene oder stille Reserven verfügte. Dann aber war auch
kein Anlass, die Steuererklärung der Beschwerdeführerin für die III. Periode
der Krisenabgabe in dieser Hinsicht zu beanstanden. Ein Protokollvermerk (Art.
110, Abs. 2 KrisAB) ist nur vorgeschrieben, wenn die Einschätzungsbehörde von
den Angaben in der Steuererklärung abweicht. Dass die Beschwerdeführerin von
jeher Einbussen, die sie auf Guthaben im Vorarlberg erlitt, unmittelbar bei
ihrem Eintritt abzuschreiben pflegte, spricht nicht gegen die geschäftliche
Begründetheit einer Rückstellung für drohende Verluste auf dem 1936 noch recht
erheblichen Restbestande.
Auch der aus Art. 49, Abs. 4 KrisAB hergeleitete Einwand, es hätten keine
Buchungen stattgefunden, ist offensichtlich unbegründet. Ob und inwieweit sich
die angerufene Bestimmung überhaupt auf gegenstandslos gewordene
Rückstellungen, vor allem auf stille Reserven, bezieht, mag dahingestellt
bleiben. Hier sind Buchungen vorgenommen worden. Die Reserve wird als fiktive
Schuld in einem besondern Konto (sog. innere Konto-Korrent-Reserve im Sinne
der Buchhaltungstechnik, vgl. BERLINER: Buchhaltungs- und Bilanzlehre, II.
Teil, VII. Aufl., S. 188) in den Büchern der Beschwerdeführerin mitgeführt und
die Ausfälle, zu deren Deckung sie beigezogen werden

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sollte, sind auf das Konto übertragen worden. Die Buchungen, auf die es
ankommt, fallen im wesentlichen, bis auf einen sachlich unerheblichen
Restbetrag, in den für die IV. Periode der Krisenabgabe massgebenden Zeitraum.
Die Beschwerde gegen die Einschätzung ist daher unbegründet.
5. ­ Die eidgenössische Steuerverwaltung hat beantragt, der Beschwerdeführerin
eine Busse von Fr. 5000.- aufzuerlegen, weil sie zum Zwecke zu niedriger
Besteuerung unwahre Angaben über die Verbuchung der Vorarlberger Verluste
gemacht und damit versucht habe, eine gesetzlich geschuldete Abgabe zu
hinterziehen.
Diesem Antrag ist nicht stattzugeben. Im verwaltungsgerichtlichen
Beschwerdeverfahren, wie übrigens auch schon im Rekurse an die kantonale
Rekurskommission, handelte es sich lediglich um die Rechtsfrage, ob und
inwieweit die 1939 freigewordene Rückstellung als Reingewinn dieses Jahres
anzusehen sei. Der Tatbestand war, soweit erheblich, den Steuerbehörden
bekannt aus früheren Angaben der Beschwerdeführerin und aus den behördlichen
Feststellungen über den weiteren Verlauf der Angelegenheit. Die neuen Angaben
der Beschwerdeführerin dienten im wesentlichen der Ausdeutung, Bewertung eines
bereits gegebenen Tatbestandes. Die Beschwerdeführerin brachte sie vor zur
Begründung und Rechtfertigung ihrer Stellungnahme im Steuerprozess. Wenn aber
der für die Beurteilung der Steuerpflicht und für die Bemessung der Steuer
massgebende Tatbestand im wesentlichen feststeht, vermögen dem Sachverhalt
nicht entsprechende oder tendenziöse Auswertungen, die ein Steuerpflichtiger
zur Verteidigung seines Prozesstandpunktes in der Rechtsfrage vorbringt, die
Auferlegung von Übertretungsbussen gemäss Art. 155 KrisAB nicht zu
rechtfertigen. Eine Hinterziehung begeht, wer der Steuerbehörde wesentliche
Tatsachen vorenthält. Der Versuch einer Hinterziehung kann daher nur darin
liegen, dass ein Steuerpflichtiger Verhältnisse verschweigt oder entstellt,

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die die Steuerbehörde noch nicht kennt. Hierum handelte es sich aber,
jedenfalls bei der Streitfrage, die vor Rekurskommission und
Verwaltungsgericht verhandelt wurde, nicht.