S. 54 / Nr. 10 Verfahren (d)

BGE 68 IV 54

10. Entscheid der Anklagekammer vom 1. Juni 1942 i.S. Untersuchungsrichter
Solothurn-Lebern gegen Gerichtspräsident von Niedersimmental.

Regeste:
Für die Verfolgung und Beurteilung einer strafbaren Handlung sind die Behörden
des Ortes zuständig, wo die Handlung ausgeführt wurde. Nur wenn dieser Ort im
Ausland liegt, begründet der in der Schweiz liegende Ort, wo der Erfolg
eingetreten ist oder eintreten sollte, den Gerichtsstand (Art. 346 Abs. l
StGB).
La poursuite et le jugement d'une infraction ressortissent aux autorités du
lieu où l'auteur a agi. C'est uniquement au cas où ce lieu se trouve à
l'étranger que le lieu où, en Suisse, le résultat s'est produit ou devait se
produire détermine le for (art. 346 al 1 CP).
Per il procedimento ed il giudizio di un reato sono competenti le autorità del
luogo in cui l'autore ha agito. Solo se questo luogo si trova all'estero, il
luogo ove in Isvizzera si è verificato o doveva verificarsi l'evento determina
il foro (art. 346 cp. l CPS).


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A. - Hans Itten wird in einer beim Untersuchungsrichter von Solothurn-Lebern
eingereichten Strafklage von vier im Kanton Solothurn wohnenden Personen
beschuldigt, sie mit einem in Spiez geschriebenen und von dort aus an eine
Drittperson in den Kanton Freiburg gesandten Brief verleumdet und in ihrer
Ehre verletzt zu haben. Die Kläger erklären, der Brief sei ihnen an ihrem
Wohnsitz im Kanton Solothurn zur Kenntnis gelangt.
B. - Der Beschuldigte weigert sich, der Vorladung des Untersuchungsrichters
von Solothurn-Lebern Folge zu leisten, mit der Begründung, er anerkenne den
dortigen Gerichtsstand nicht.
Ein Meinungsaustausch zwischen dem Untersuchungsrichter von Solothurn-Lebern
und dem Gerichtspräsidenten von Niedersimmental hat zu keiner Einigung über
die Gerichtsstandsfrage geführt; jeder der beiden Richter hält sich für
zuständig. Gestützt auf Art. 351
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 351 - 1 Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
1    Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
2    Es kann kriminalpolizeiliche Informationen zur Verhütung von Straftaten übermitteln, wenn auf Grund konkreter Umstände mit der grossen Wahrscheinlichkeit eines Verbrechens oder Vergehens zu rechnen ist.
3    Es kann Informationen zur Suche nach Vermissten und zur Identifizierung von Unbekannten vermitteln.
4    Zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten kann das Bundesamt für Polizei von Privaten Informationen entgegennehmen und Private orientieren, wenn dies im Interesse der betroffenen Personen ist und deren Zustimmung vorliegt oder nach den Umständen vorausgesetzt werden kann.
StGB wurden deshalb die Akten der
Anklagekammer des Bundesgerichtes zum Entscheid überwiesen.
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1.- Das Strafgesetzbuch in der Fassung, in welcher es in der Volksabstimmung
angenommen wurde, bestimmt in Art. 346 Abs. 1 unter dem Randtitel
«Gerichtsstand des Ortes der Begehung»: «Für die Verfolgung und Beurteilung
einer strafbaren Handlung sind die Behörden des Ortes zuständig, wo die
strafbare Handlung verübt wurde. Liegt nur der Ort, wo der Erfolg eingetreten
ist oder eintreten sollte, in der Schweiz, so sind die Behörden dieses Ortes
zuständig.» Die Wendung «wo die strafbare Handlung verübt wurde» ist im
französischen Text mit den Worten «où l'infraction a été commise» und im
italienischen mit den Worten «in cui esso fu commesso» wiedergegeben.
Wollte man auf den Wortlaut dieser drei Texte abstellen, so wäre sowohl der
Richter des Ortes, wo die Tat ausgeführt, als auch derjenige des Ortes, wo der
Erfolg

Seite: 56
eingetreten ist, zuständig, denn Art. 7 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 7 - 1 Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, ohne dass die Voraussetzungen der Artikel 4, 5 oder 6 erfüllt sind, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
1    Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, ohne dass die Voraussetzungen der Artikel 4, 5 oder 6 erfüllt sind, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
a  die Tat auch am Begehungsort strafbar ist oder der Begehungsort keiner Strafgewalt unterliegt;
b  der Täter sich in der Schweiz befindet oder ihr wegen dieser Tat ausgeliefert wird; und
c  nach schweizerischem Recht die Tat die Auslieferung zulässt, der Täter jedoch nicht ausgeliefert wird.
2    Ist der Täter nicht Schweizer und wurde das Verbrechen oder Vergehen nicht gegen einen Schweizer begangen, so ist Absatz 1 nur anwendbar, wenn:
a  das Auslieferungsbegehren aus einem Grund abgewiesen wurde, der nicht die Art der Tat betrifft; oder
b  der Täter ein besonders schweres Verbrechen begangen hat, das von der internationalen Rechtsgemeinschaft geächtet wird.
3    Das Gericht bestimmt die Sanktionen so, dass sie insgesamt für den Täter nicht schwerer wiegen als die Sanktionen nach dem Recht des Begehungsortes.
4    Der Täter wird, unter Vorbehalt eines krassen Verstosses gegen die Grundsätze der Bundesverfassung und der EMRK12, in der Schweiz wegen der Tat nicht mehr verfolgt, wenn:
a  ein ausländisches Gericht ihn endgültig freigesprochen hat;
b  die Sanktion, zu der er im Ausland verurteilt wurde, vollzogen, erlassen oder verjährt ist.
5    Ist der Täter wegen der Tat im Ausland verurteilt worden und wurde die Strafe im Ausland nur teilweise vollzogen, so rechnet ihm das Gericht den vollzogenen Teil auf die auszusprechende Strafe an. Das Gericht entscheidet, ob eine im Ausland angeordnete, aber dort nur teilweise vollzogene Massnahme fortzusetzen oder auf die in der Schweiz ausgesprochene Strafe anzurechnen ist.
StGB bestimmt, dass ein
Verbrechen oder Vergehen da als verübt (commis, commesso) gelte, wo der Täter
es ausführt (où l'auteur a agi; nel luogo in cui l'agente lo compie), und da,
wo der Erfolg eingetreten ist.
2.- Gegen diese wörtliche Auslegung bestehen indessen folgende Bedenken:
Einmal lässt der zweite Satz des Abs. 1 des Art. 346 StGB darauf schliessen,
dass der Ort der Ausführungshandlung vor dem Ort des Eintrittes des Erfolges
für die Begründung des Gerichtsstandes den Vorrang haben sollte. Wäre nämlich
die Regel die, dass sowohl der Ort der Ausführungshandlung als auch der Ort
des Erfolges den Gerichtsstand zu begründen vermöchten, so wäre es überflüssig
gewesen zu sagen, falls die Tat im Ausland ausgeführt und nur der Erfolg in
der Schweiz eingetreten sei, begründe der Ort des Erfolges den Gerichtsstand.
Sodann zwingt auch der Zweck, den der Gesetzgeber mit den
Gerichtsstandsbestimmungen verfolgt, zum gleichen Schluss. Diese sollen der
reibungslosen Handhabung des Gesetzes, der raschen und zweckmässigen
Strafverfolgung dienen. Für die Lösung von Konflikten soll und will das Gesetz
selber Vorsorge treffen. So hat es überall da, wo sich eine Mehrzahl von
Gerichtsständen ergeben könnte, deren Rang so normiert, dass der vorgehende
alle übrigen ausschliesst (Art. 346 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 7 - 1 Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, ohne dass die Voraussetzungen der Artikel 4, 5 oder 6 erfüllt sind, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
1    Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, ohne dass die Voraussetzungen der Artikel 4, 5 oder 6 erfüllt sind, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
a  die Tat auch am Begehungsort strafbar ist oder der Begehungsort keiner Strafgewalt unterliegt;
b  der Täter sich in der Schweiz befindet oder ihr wegen dieser Tat ausgeliefert wird; und
c  nach schweizerischem Recht die Tat die Auslieferung zulässt, der Täter jedoch nicht ausgeliefert wird.
2    Ist der Täter nicht Schweizer und wurde das Verbrechen oder Vergehen nicht gegen einen Schweizer begangen, so ist Absatz 1 nur anwendbar, wenn:
a  das Auslieferungsbegehren aus einem Grund abgewiesen wurde, der nicht die Art der Tat betrifft; oder
b  der Täter ein besonders schweres Verbrechen begangen hat, das von der internationalen Rechtsgemeinschaft geächtet wird.
3    Das Gericht bestimmt die Sanktionen so, dass sie insgesamt für den Täter nicht schwerer wiegen als die Sanktionen nach dem Recht des Begehungsortes.
4    Der Täter wird, unter Vorbehalt eines krassen Verstosses gegen die Grundsätze der Bundesverfassung und der EMRK12, in der Schweiz wegen der Tat nicht mehr verfolgt, wenn:
a  ein ausländisches Gericht ihn endgültig freigesprochen hat;
b  die Sanktion, zu der er im Ausland verurteilt wurde, vollzogen, erlassen oder verjährt ist.
5    Ist der Täter wegen der Tat im Ausland verurteilt worden und wurde die Strafe im Ausland nur teilweise vollzogen, so rechnet ihm das Gericht den vollzogenen Teil auf die auszusprechende Strafe an. Das Gericht entscheidet, ob eine im Ausland angeordnete, aber dort nur teilweise vollzogene Massnahme fortzusetzen oder auf die in der Schweiz ausgesprochene Strafe anzurechnen ist.
, 347
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 7 - 1 Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, ohne dass die Voraussetzungen der Artikel 4, 5 oder 6 erfüllt sind, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
1    Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, ohne dass die Voraussetzungen der Artikel 4, 5 oder 6 erfüllt sind, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
a  die Tat auch am Begehungsort strafbar ist oder der Begehungsort keiner Strafgewalt unterliegt;
b  der Täter sich in der Schweiz befindet oder ihr wegen dieser Tat ausgeliefert wird; und
c  nach schweizerischem Recht die Tat die Auslieferung zulässt, der Täter jedoch nicht ausgeliefert wird.
2    Ist der Täter nicht Schweizer und wurde das Verbrechen oder Vergehen nicht gegen einen Schweizer begangen, so ist Absatz 1 nur anwendbar, wenn:
a  das Auslieferungsbegehren aus einem Grund abgewiesen wurde, der nicht die Art der Tat betrifft; oder
b  der Täter ein besonders schweres Verbrechen begangen hat, das von der internationalen Rechtsgemeinschaft geächtet wird.
3    Das Gericht bestimmt die Sanktionen so, dass sie insgesamt für den Täter nicht schwerer wiegen als die Sanktionen nach dem Recht des Begehungsortes.
4    Der Täter wird, unter Vorbehalt eines krassen Verstosses gegen die Grundsätze der Bundesverfassung und der EMRK12, in der Schweiz wegen der Tat nicht mehr verfolgt, wenn:
a  ein ausländisches Gericht ihn endgültig freigesprochen hat;
b  die Sanktion, zu der er im Ausland verurteilt wurde, vollzogen, erlassen oder verjährt ist.
5    Ist der Täter wegen der Tat im Ausland verurteilt worden und wurde die Strafe im Ausland nur teilweise vollzogen, so rechnet ihm das Gericht den vollzogenen Teil auf die auszusprechende Strafe an. Das Gericht entscheidet, ob eine im Ausland angeordnete, aber dort nur teilweise vollzogene Massnahme fortzusetzen oder auf die in der Schweiz ausgesprochene Strafe anzurechnen ist.
-350
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
StGB). Hätte die Meinung
bestanden, dass nach Art. 346 Abs. 1 auch die beiden Gerichtsstände des
Ausführungsortes und des Erfolgsortes miteinander konkurrierten, so wäre der
in Abs. 2 bloss für Sonderfälle aufgestellte Grundsatz, dass der Ort vorgehe,
wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde, zum allgemeinen Grundsatz erhoben
worden. Dass dies nicht geschehen ist, kann nur so erklärt werden, dass die
Meinung bestand, Ausführungsort und Erfolgsort seien keine miteinander
konkurrierende Gerichtsstände, sondern der eine (der Ausführungsort) gehe,
wenn in der Schweiz gelegen, vor. Dass das Zeitwort «verüben» (commettre,
commettere) in

Seite: 57
Art. 346 nicht den gleichen Sinn wie in Art. 7 haben sollte, geht namentlich
auch aus Art. 346 Abs. 2 der französischen und italienischen Fassung hervor.
Der französische Text lautet: «Si l'acte a été commis ou si le résultat s'est
produit en différents lieux, l'autorité compétente est celle du lieu où la
première instruction a été ouverte». Entsprechend sagt der italienische Text:
«Se il reato è stato commesso in più luoghi o se l'evento si è verificato in
più luoghi ...» Hätte der Gesetzgeber mit den Orten, an welchen «l'acte a été
commis» («il reato è stato commesso») nicht die Ausführungsorte, sondern wie
in Art. 7 sowohl diese als die Erfolgsorte zusammen, mit anderen Worten die
Orte der «Verübung», bezeichnen wollen, so hätte es keinen Sinn gehabt, im
zweiten Teil des Satzes die Erfolgsorte noch besonders zu erwähnen. Der
deutsche Text, welcher von den Orten spricht, an denen die strafbare Handlung
«ausgeführt» worden ist, zeigt, dass der Gesetzgeber in der Tat trotz
Verwendung des Wortes «commis» bezw. «commesso» im französischen und
italienischen Text nicht an den Ort der Verübung im Sinne des Art. 7
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 7 - 1 Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, ohne dass die Voraussetzungen der Artikel 4, 5 oder 6 erfüllt sind, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
1    Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, ohne dass die Voraussetzungen der Artikel 4, 5 oder 6 erfüllt sind, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
a  die Tat auch am Begehungsort strafbar ist oder der Begehungsort keiner Strafgewalt unterliegt;
b  der Täter sich in der Schweiz befindet oder ihr wegen dieser Tat ausgeliefert wird; und
c  nach schweizerischem Recht die Tat die Auslieferung zulässt, der Täter jedoch nicht ausgeliefert wird.
2    Ist der Täter nicht Schweizer und wurde das Verbrechen oder Vergehen nicht gegen einen Schweizer begangen, so ist Absatz 1 nur anwendbar, wenn:
a  das Auslieferungsbegehren aus einem Grund abgewiesen wurde, der nicht die Art der Tat betrifft; oder
b  der Täter ein besonders schweres Verbrechen begangen hat, das von der internationalen Rechtsgemeinschaft geächtet wird.
3    Das Gericht bestimmt die Sanktionen so, dass sie insgesamt für den Täter nicht schwerer wiegen als die Sanktionen nach dem Recht des Begehungsortes.
4    Der Täter wird, unter Vorbehalt eines krassen Verstosses gegen die Grundsätze der Bundesverfassung und der EMRK12, in der Schweiz wegen der Tat nicht mehr verfolgt, wenn:
a  ein ausländisches Gericht ihn endgültig freigesprochen hat;
b  die Sanktion, zu der er im Ausland verurteilt wurde, vollzogen, erlassen oder verjährt ist.
5    Ist der Täter wegen der Tat im Ausland verurteilt worden und wurde die Strafe im Ausland nur teilweise vollzogen, so rechnet ihm das Gericht den vollzogenen Teil auf die auszusprechende Strafe an. Das Gericht entscheidet, ob eine im Ausland angeordnete, aber dort nur teilweise vollzogene Massnahme fortzusetzen oder auf die in der Schweiz ausgesprochene Strafe anzurechnen ist.
dachte.
3.- Die Entstehungsgeschichte bestätigt, dass diese Auslegung des Art. 346
StGB richtig ist.
Der Vorentwurf vom Juni 1903 zu einem Bundesgesetz betreffend Einführung des
schweizerischen Strafgesetzbuches sah in Art. 17 vor:
«Für die Verfolgung und Beurteilung eines Verbrechens oder einer Übertretung
sind die Behörden desjenigen Kantons zuständig, auf dessen Gebiet das
Verbrechen oder die Übertretung begangen wurde. Ergeben sich aus der
Bestimmung des Art. 9 des Strafgesetzbuches mehrere Begehungsorte, so sind die
Behörden desjenigen Kantons zuständig, in welchem die Untersuchung zuerst
angehoben oder der Verdächtige zuerst zur Haft gebracht wurde.»
Der in dieser Bestimmung erwähnte Art. 9
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 9 - 1 Dieses Gesetz ist nicht anwendbar auf Personen, soweit deren Taten nach dem Militärstrafrecht zu beurteilen sind.
1    Dieses Gesetz ist nicht anwendbar auf Personen, soweit deren Taten nach dem Militärstrafrecht zu beurteilen sind.
2    Für Personen, welche zum Zeitpunkt der Tat das 18. Altersjahr noch nicht vollendet haben, bleiben die Vorschriften des Jugendstrafgesetzes vom 20. Juni 200313 (JStG) vorbehalten. Sind gleichzeitig eine vor und eine nach der Vollendung des 18. Altersjahres begangene Tat zu beurteilen, so ist Artikel 3 Absatz 2 JStG anwendbar.14
des Vorentwurfes 1903 zum StGB hatte
den gleichen Sinn wie der heutige Art. 7
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 7 - 1 Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, ohne dass die Voraussetzungen der Artikel 4, 5 oder 6 erfüllt sind, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
1    Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, ohne dass die Voraussetzungen der Artikel 4, 5 oder 6 erfüllt sind, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
a  die Tat auch am Begehungsort strafbar ist oder der Begehungsort keiner Strafgewalt unterliegt;
b  der Täter sich in der Schweiz befindet oder ihr wegen dieser Tat ausgeliefert wird; und
c  nach schweizerischem Recht die Tat die Auslieferung zulässt, der Täter jedoch nicht ausgeliefert wird.
2    Ist der Täter nicht Schweizer und wurde das Verbrechen oder Vergehen nicht gegen einen Schweizer begangen, so ist Absatz 1 nur anwendbar, wenn:
a  das Auslieferungsbegehren aus einem Grund abgewiesen wurde, der nicht die Art der Tat betrifft; oder
b  der Täter ein besonders schweres Verbrechen begangen hat, das von der internationalen Rechtsgemeinschaft geächtet wird.
3    Das Gericht bestimmt die Sanktionen so, dass sie insgesamt für den Täter nicht schwerer wiegen als die Sanktionen nach dem Recht des Begehungsortes.
4    Der Täter wird, unter Vorbehalt eines krassen Verstosses gegen die Grundsätze der Bundesverfassung und der EMRK12, in der Schweiz wegen der Tat nicht mehr verfolgt, wenn:
a  ein ausländisches Gericht ihn endgültig freigesprochen hat;
b  die Sanktion, zu der er im Ausland verurteilt wurde, vollzogen, erlassen oder verjährt ist.
5    Ist der Täter wegen der Tat im Ausland verurteilt worden und wurde die Strafe im Ausland nur teilweise vollzogen, so rechnet ihm das Gericht den vollzogenen Teil auf die auszusprechende Strafe an. Das Gericht entscheidet, ob eine im Ausland angeordnete, aber dort nur teilweise vollzogene Massnahme fortzusetzen oder auf die in der Schweiz ausgesprochene Strafe anzurechnen ist.
StGB. In den Beratungen der zweiten
Expertenkommission des Jahres 1912 wurde ein Antrag, in Art. 9 den Ort des
Erfolges nicht zu berücksichtigen,

Seite: 58
abgelehnt. Am Grundsatz, dass beim Zusammentreffen verschiedener
Gerichtsstände der zuerst einschreitende Richter den Vorrang habe, wurde
festgehalten. Aus den Beratungen der zweiten Expertenkommission des Jahres
1915 ging dann folgender Art. 367 Abs. 1 (Art. 372 Abs. 1 des Vorentwurfes
1916) hervor:
«Für die Verfolgung und die Beurteilung einer strafbaren Handlung sind die
Behörden des Ortes zuständig, wo die strafbare Handlung ausgeführt wurde.
Liegt nur der Ort, wo der Erfolg eingetreten ist oder eintreten sollte, in der
Schweiz, so sind die Behörden dieses Ortes zuständig.»
In der Beratung wurde ohne Widerspruch darauf hingewiesen, dass diese
Bestimmung den Grundsatz des Art. 9 aufgegeben habe und nicht zulasse, dass am
Orte des eingetretenen Erfolges geklagt werde, es sei denn, dass der Ort der
Ausführung der Handlung nicht in der Schweiz liege.
Der Entwurf des Bundesrates vom Jahre 1918 enthält in Art. 365 die gleiche
Gerichtsstandsbestimmung. Die Botschaft führt dazu aus:
«Für das Inlandsvergehen gilt der Gerichtsstand der begangenen Handlung (Art.
365). Als Inlandsvergehen wird auch das Vergehen angesehen, bei dem der Täter
vom Auslande aus tätig war und nur der Erfolg im Inland eingetreten ist (vgl.
Art. 8). Im übrigen ist also für den Gerichtsstand nur der Ort massgebend, wo
der Täter gehandelt hat, was wiederum die Möglichkeit einer Reihe von
Konflikten beseitigt, und wo solche dennoch drohen, werden sie durch die
Anerkennung der Zuständigkeit der zuerst handelnden Behörde gelöst.»
In den Beratungen des Nationalrates bemerkte der deutsche Berichterstatter zu
Art. 365 (AStenBull NatR 1930 69):
«Hauptgerichtsstand ist der Ort der Begehung. Dieser Grundsatz gilt aber nur
für die im Inland begangenen Verbrechen. Massgebend ist der Ort, an dem die
Handlung «ausgeführt» wurde. Dieser Ort kann verschieden sein von dem Orte, an
dem der Erfolg eingetreten ist. Der letztere ist für die rein schweizerischen
Verhältnisse nicht massgebend. Er ist jedoch dann von Bedeutung, wenn der Ort
der Begehung im Ausland und nur der Ort des Erfolgseintritts in der Schweiz
liegt.»
Gleiche Erläuterungen gab der französische Berichterstatter (AStenBull NatR
1930 73). Der Rat war mit der vorgeschlagenen Fassung ohne Diskussion
einverstanden.

Seite: 59
In der Kommission des Ständerates wurde der Ausdruck «eine Handlung ausführen»
beanstandet (Protokolle VIII. Session S. 50) und von der Redaktionskommission
durch die Wendung «... wo die strafbare Handlung begangen wurde» ersetzt
(Protokolle der Redaktionskommission III. Session S. 8). In den Beratungen des
Ständerates führte Bundesrat Baumann aus, die Kommission habe sich damit an
den im Randtitel verwendeten Ausdruck «Begehung» anlehnen wollen. Nach
nochmaliger Prüfung sei er persönlich aber zur Ansicht gekommen, dass der
frühere Ausdruck «ausgeführt» richtiger sei, und zwar im Hinblick auf Art. 8
(früher 9), wonach Ausführen und Begehen nicht synonym seien (AStenBull StR
1931 683). Der Ständerat stimmte dann ohne Diskussion der vom Nationalrat
angenommenen Fassung des bundesrätlichen Entwurfes zu.
Das Ergebnis der parlamentarischen Beratung des Art. 365 des Entwurfes deckt
sich somit nicht mit dem Wortlaut des entsprechenden Art. 346, wie er der
Volksabstimmung unterbreitet wurde. Vielmehr muss die Bestimmung den vom Volke
angenommenen Wortlaut erst in einer letzten Überarbeitung durch die
Redaktionskommission erhalten haben.
Der Bundesrat hat am 20. November 1941 die Fehlredaktion berichtigt, indem er
im deutschen Text das Wort «verübt» durch «ausgeführt», im französischen Text
die Wendungen «l'infraction a été commise» und «l'acte a été commis» durch die
Wendung «l'auteur a agi» und im italienischen Text das Wort «commesso» durch
«compiuto» und die Wendung «se il reato è stato commesso» durch «se l'agente
ha compiuto il reato» ersetzte (Eidg. Gesetzessammlung 57 1328, Recueil des
lois fédérales 57 1364, Raccolta delle leggi federali 57 1408). Da er damit
lediglich den Wortlaut wieder herstellte, wie er dem durch logische und
historische Auslegung gewonnenen Sinn entspricht, stellt sich die Frage nicht,
ob er hiezu zuständig gewesen sei.
4.- Ist somit nur der Richter des Ortes zuständig, an

Seite: 60
welchem der Beschuldigte gehandelt hat, so kommt die Behandlung der
vorliegenden Strafsache dem Gerichtspräsidenten von Niedersimmental zu.
Demnach erkennt die Anklagekammer:
Für die Behandlung der Strafklage gegen Hans Itten wird der Gerichtspräsident
von Niedersimmental zuständig erklärt.