S. 33 / Nr. 5 Strafgesetzbuch (d)

BGE 68 IV 33

5. Urteil vom 25. März 1942 i.S. Ruch gegen Staatsanwaltschaft des Kantons
Thurgau.


Seite: 32
Regeste:
Art. 2 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
und Art. 41 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB;
das mildere Recht ist nicht durch abstrakte Vergleichung der in Betracht
fallenden Strafandrohungen zu bestimmen, sondern durch Beurteilung der Tat
sowohl nach dem alten als nach dem neuen Recht und Vergleichung der Resultate
Überprüfbarkeit des Entscheides über die Ablehnung des bedingten
Strafvollzuges nur auf Ermessensüberschreitung.
Art. 2 al. 2 et 41 ch. 1 CP:
Le droit le plus favorable au prévenu doit être déterminé non par la
comparaison abstraite des pénalités en présence mais par la comparaison des
résultats auxquels conduit l'application de l'ancien et du nouveau droit.
En cas de refus du sursis, la cour de cassation peut seulement examiner si la
juridiction inférieure a excédé son pouvoir d'appréciation.
Art. 2 cp. 2 e art. 41 cifra 1 CPS.
Il diritto più favorevole all'imputato non dev'essere determinato mediante il
confronto astratto delle penalità che entrano in linea di conto, ma comparando
i risultati cui conduce l'applicazione del vecchio e del nuovo diritto.
In caso di rifiuto della sospensione condizionale della pena, la corte di
cassazione può esaminare soltanto se la giurisdizione inferiore ha ecceduto i
limiti della sua facoltà di apprezzamento.

Das Obergericht des Kantons Thurgau verurteilte den Beschwerdeführer am 15.
Januar 1942 wegen eines im Jahre 1941 begangenen Fahrraddiebstahls zu 5 Wochen
Gefängnis. Es wendete kantonales Recht an, da das neue Recht nicht milder sei.
Die formellen Voraussetzungen für die Gewährung des bedingten Strafvollzuges
(Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB bezw. § 1 lit. c des thurg. Gesetzes betr. den
bedingten Straferlass) erklärte es nach beiden Rechten als gegeben, lehnte ihn
aber wegen Unwürdigkeit des Beschwerdeführers ab.

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Mit der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Ruch, die Sache sei
unter Aufhebung des Urteils zurückzuweisen und die Vorinstanz zu verhalten,
der Entscheidung neues Recht zugrunde zu legen, die Strafe zu ermässigen, dem
Beschwerdeführer den bedingten Strafvollzug zu bewilligen und die Kosten neu
zu verlegen. Es wird die Verletzung der Art. 2 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
und 41
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB geltend
gemacht.
Die thurgauische Staatsanwaltschaft hat auf Abweisung der Beschwerde
geschlossen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Gemäss Art. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
StGB findet auf die vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes
verübte Tat das bisherige Recht Anwendung, es sei denn, dass das neue für den
Täter das mildere Recht darstelle. Das behauptet der Beschwerdeführer, indem
er nach dem alten Recht einen Strafrahmen errechnet, dessen Maximum erheblich
über demjenigen des Art. 137 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 137 - 1. Wer sich eine fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird, wenn nicht die besonderen Voraussetzungen der Artikel 138-140 zutreffen, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer sich eine fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird, wenn nicht die besonderen Voraussetzungen der Artikel 138-140 zutreffen, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Hat der Täter die Sache gefunden oder ist sie ihm ohne seinen Willen zugekommen,
StGB liegt. Abgesehen davon, dass nach
der für den Kassationshof verbindlichen Auslegung des alten Rechtes dessen
Strafrahmen weniger weit ist als der neue, ist solche abstrakte Vergleichung
der in Betracht fallenden Strafandrohungen für die Bestimmung des milderen
Rechts abzulehnen. Sie widerspricht dem richtig verstandenen Sinn der
Vorschrift des Art. 2 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
StGB, die nur darnach zu fragen erlaubt, nach
welchem der beiden Rechte der Täter für die gerade zu beurteilende Tat besser
wegkommt, wobei nicht bloss die auszusprechende Strafe, sondern auch die
Wohltat des bedingten Strafvollzuges in Berücksichtigung zu ziehen ist. Die
Antwort hierauf kann nur die Beurteilung der Tat sowohl nach dem alten als
auch nach dem neuen Recht und die Vergleichung der Resultate ergeben (vgl.
dazu Kirchhofer, Fragen des neuen Militärstrafrechtes in ZStR 1929 S. 1 ff.).
Diese Methode ist auch einfach und allenthalben durchführbar, während bei
abstrakter Vergleichung sich nicht selten Unvergleichbares gegenüber

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steht. Der weitere Strafrahmen ist also nicht unbedingt entscheidend für die
Wahl des anzuwendenden Rechtes, denn die grössere Freiheit in der
Strafzumessung, die damit dem Richter eingeräumt ist, soll lediglich
ermöglichen, den besondern Umständen des Einzelfalls vermehrte Rücksicht zu
tragen, und braucht sich nur in extremen Fällen praktisch auszuwirken; jener
bedeutet darum noch nicht, dass der Richter die konkrete Tat milder bezw.
strenger beurteile, als dem engern Rahmen des andern Rechts entspricht.
Ebensowenig ist massgebend, dass das neue Recht den bedingten Strafvollzug
unter leichtere oder strengere Voraussetzungen stellt als das andere, wenn die
Voraussetzungen nach beiden entweder erfüllt oder nicht erfüllt sind.
Die Vorinstanz hat die Vergleichung der beiden Rechte in dieser Weise
angestellt und ist zum Schluss gelangt, dass das Vergehen des Angeklagten,
nach bisherigem oder neuem Recht beurteilt, zur gleichen Strafe führen müsste
und der bedingte Strafvollzug zu verweigern sei. Die Beurteilung nach dem
ersteren entzieht sich der Überprüfung des Kassationshofes und diejenige nach
dem letztern ist mit Recht nicht gerügt, abgesehen von der Frage des bedingten
Strafvollzuges, deren richtige Entscheidung nach Auffassung des
Beschwerdeführers zur Anwendung des neuen Rechts hätte führen müssen, welche
Auffassung jedoch nicht geteilt werden kann.
Wohl gewährt das kantonale Recht den bedingten Strafvollzug nur, wenn bei
Beurteilung seit dem Vollzug einer früheren wegen eines vorsätzlichen
Vergehens ausgefällten Freiheitsstrafe mehr als 10 Jahre zurückliegen. Da der
Beschwerdeführer diese Voraussetzung aber erfüllt, wirkt sich das alte Recht
für ihn auch in dieser Beziehung nicht strenger aus als das neue, dessen Frist
zwischen Verbüssung der Strafe für ein früheres und Verübung des neuen
Deliktes nach Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 nur 5 Jahre beträgt. Es ist lediglich zu
prüfen, ob die Vorinstanz dem Beschwerdeführer den bedingten Strafvollzug auch
nach

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dem neuen Recht im Hinblick auf die Prognose hätte verweigern dürfen, die sich
aus Vorleben und Charakter ergibt. Dabei ist der Kassationshof nicht frei;
denn es handelt sich um eine Ermessensfrage, die von ihm nur daraufhin
überprüft werden kann, ob der Richter das ihm zustehende Ermessen
überschritten habe. Das träfe etwa dann zu, wenn er den Strafaufschub für die
Verbrechenskategorie des Fahrraddiebstahls aus generalpräventiven Gründen
schlechtweg ausgeschlossen hätte (BGE 61 I 446, 63 I 265). Dem ist nicht so.
Der Beschwerdeführer behauptet selbst nur, die Verweigerung sei «nicht ohne
jeglichen Anklang an generalpräventive Überlegungen» geschehen. Damit gibt er
zu, dass die Generalprävention nicht das Motiv der Verweigerung darstellt. Die
Entscheidung ist tatsächlich mit der Unwürdigkeit des Täters begründet, und
diese ist daraus abgeleitet, dass er bei der Tatbegehung ohne jedes Bedenken
gehandelt habe, wegen Diebstahls vorbestraft sei und von der Wiederholung des
Deliktes abgeschreckt werden müsse. Fiel darnach der bedingte Strafvollzug
auch nach dem neuen Recht weg, so blieb es dabei, dass der Angeklagte nach dem
bisherigen Gesetz zu beurteilen war.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.