S. 183 / Nr. 42 Eisenbahnhaftpflicht (d)

BGE 67 II 183

42. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 26. Juni 1941 i.S.
Arth-Rigi-Bahn A.-G. gegen Rickenbach.

Regeste:
Eisenbahnhaftpflicht:
1. Bei Schaden aus einem Unfall zwischen Eisenbahn und Motorfahrzeug tritt
Konkurrenz der EHG- und der MFG-Haftpflicht ein. Der körpergeschädigte
Motorfahrzeughalter muss (bei beiderseitiger Schuldlosigkeit) für den auf sein
Fahrzeug entfallenden Anteil an Kausalität selbst aufkommen.
2. Bemessung der Verursachungsanteile entsprechend der Grösse der den beiden
Verkehrsmitteln inhärenten gegenseitigen Betriebsgefahren.
3. Modifizierung dieser Verteilung der reinen Kausalhaftung durch
mitursächliches Verschulden (Art. 1 und 5 EHG, Art. 37, 38, 39 MFG).

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Responsabilité des entreprises de chemin de fer:
1. En cas d'accident et de dommages provoqués par un chemin de fer et un
véhicule à moteur, il y a concours entre les règles qu'établit la LRC, d'une
part, et la LA, de l'autre, touchant la responsabilité. Lorsqu'il n'y a eu
aucune faute de part et d'autre et que le détenteur du véhicule automobile a
subi des lésions corporelles, il supporte lui-même le dommage dans la mesure
où c'est son véhicule qui est cause de l'accident.
2. Appréciation de la mesure dans laquelle chacun des deux moyens de
locomotion a causé l'accident; appréciation fondée sur la comparaison des
risques inhérents à l'emploi du véhicule automobile et à l'exploitation du
chemin de fer.
3. Modification de cette répartition de la responsabilité purement causale en
cas de fautes concurrentes. (Art. 1 et 5 LRC; art. 37, 38 et 39 LA).
Responsabilità delle imprese di strade ferrate:
1. Nel caso d'infortunio e di danni causati da una ferrovia e da un veicolo a
motore esiste concorso tra le regole della LRC e le regole della LCAV relative
alla responsibilità. Se ambedue le parti non sono in colpa e il detentore
dell'autoveicolo ha subito lesioni corporali, egli stesso sopporta il danno
nella misura in cui il suo veicolo è causa dell'infortunio.
2. Valutazione della misura in cui ciascuno dei due mezzi di locomozione ha
causato l'infortunio, valutazione basata sul confronto tra i pericoli
d'esercizio inerenti a ciascuno di essi.
3. Modifica di questa ripartizione della responsabilità puramente causale nel
caso di colpa concorrente. (Art. 1 e 5 LRC: art. 37, 38, 39 LCAV).

A. ­ Am 13. Juni 1938 gegen Abend fuhr F. Rickenbach in Arth mit seinem
Motorrad auf einem öffentlichen Strässchen über den ihm bekannten, nicht
signalisierten, unübersichtlichen Niveauübergang der Arth-Rigi-Bahn bei deren
Haltestelle «Kirchfeld» und wurde dabei vom Tramzuge Arth-Goldau erfasst und
schwer verletzt; die Folgen waren eine Spitalpflege von 72 Tagen, eine totale
Arbeitsunfähigkeit von 6 Monaten und eine bleibende Invalidität von 20 %. Er
belangte die Bahn gestützt auf Art. 1 ff EHG auf rund Fr. 20000.­
Schadenersatz und Fr. 2000.­ Genugtuung. Die Beklagte lehnte jede Haftpflicht
wegen ausschliesslichen Selbstverschuldens des Klägers ab.
B. ­ Das Bezirksgericht Schwyz bezifferte den Gesamtschaden auf Fr. 12753.50
und sprach, entsprechend dem ungefähr gleich hohen kausalen Verschulden des
Klägers und der Bahn, dem ersteren 50 % dieses Betrages zu.

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In teilweiser Gutheissung der Berufung des Klägers nahm das Kantonsgericht des
Kantons Schwyz ein Selbstverschulden des Klägers von bloss 40 % an und
verurteilte demgemäss die Bahn zur Zahlung von 60 % jenes Betrages.
C. ­ Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung der Beklagten
mit den Anträgen auf gänzliche Abweisung der Klage, ev. Herabsetzung der
Ersatzpflicht auf höchstens 1/5 des Schadens...
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Die Vorinstanz ist gemäss der geltenden Rechtsprechung zum EHG davon
ausgegangen, dass das Selbstverschulden des Verunfallten die Haftbarkeit der
Bahn gänzlich ausschliesse, wenn es die einzige Ursache des Unfalls war (Art.
1), dagegen nur teilweise und verhältnismässig, wenn ein Verschulden der Bahn
oder die von ihr zu vertretende besondere Betriebsgefahr damit konkurrieren
(BGE 55 II 339); sie hat entsprechend dieser Fragestellung ein erhebliches,
jedoch nicht die einzige Unfallursache bildendes Verschulden des Klägers,
anderseits eine mitursächliche besondere Betriebsgefahr sowie ein leichtes
Verschulden der Bahn in mehrfacher Hinsicht angenommen.
Diese nach der bisherigen Praxis alle massgebenden rechtlichen Faktoren
berücksichtigende Würdigung lässt indessen ein wesentliches Element ausser
Betracht, nämlich den Umstand, dass es sich um einen Unfall zwischen der
Eisenbahn und einem Motorfahrzeug handelt, welches für den durch seinen
Betrieb verursachten Schaden ebenfalls einer Kausalhaftpflicht, derjenigen
nach Motorfahrzeuggesetz untersteht. Insofern befindet sich der mit seinem
Motorfahrzeug verunfallte Halter gegenüber der nach EHG haftbaren Bahn in
einer andern rechtlichen Situation als ein gewöhnlicher Reisender oder
Fussgänger. Von der Seite des Motorfahrzeugrechtes aus betrachtet liegt ein
dem Art. 39 MFG entsprechender Fall vor, indem

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der Fahrzeughalter selbst durch ein anderes (kausalhaftpflichtiges) Fahrzeug
geschädigt ist. Ist der Schaden ein körperlicher, so richtet sich, nach dieser
Bestimmung, die Ersatzpflicht nach dem MFG, während für Sachschaden das OR
gilt. Bezieht man im Falle des Körperschadens die Verweisung des Art. 39 MFG
auf «dieses Gesetz» auf Art. 38 Abs. 2 MFG, so ergibt sich bei Verschulden des
verunfallten Halters eine Reduktion seines Ersatzanspruches entsprechend
seinem Verschulden, wie sie auch aus Art. 5 EHG folgt, während bei
beiderseitiger Schuldlosigkeit eine Haftung zu gleichen Teilen, also eine
Selbsttragung der Hälfte des Schadens eintritt. Wird die Verweisung des Art.
39 auf Art. 37 MFG bezogen, der die Kausalhaftung statuiert, so folgt daraus,
wie das Bundesgericht ausgesprochen hat (bei beiderseitiger Schuldlosigkeit),
keineswegs, dass der geschädigte Halter vom andern Ersatz des ganzen Schadens
beanspruchen könnte. In entsprechender Anwendung des im Gebiete der
Verschuldenshaftung geltenden Grundsatzes, dass man für selbst verschuldeten
Schaden selbst aufzukommen hat, auf das Gebiet der Kausalhaftung muss hier ein
analoges Prinzip der Selbsttragung des vom Halter selbst verursachten Schadens
angenommen, also der geschädigte Halter für den Anteil an Kausalität, der auf
sein Motorfahrzeug entfällt, grundsätzlich als nicht ersatzberechtigt erklärt
werden. Der geschädigte Halter hat als solcher eine Mitverursachung zu
vertreten, die ihn, falls beim Unfall (statt er selber) ein Dritter verletzt
worden wäre, diesem gegenüber zu Schadenersatz verpflichtet hätte. Die durch
sein eigenes Fahrzeug vermittelte Verursachung, für die der Halter
grundsätzlich haftet, darf auch im Verhältnis zum Halter des andern
Fahrzeuges, das zusammen mit seinem eigenen zu seiner Körperschädigung Anlass
gegeben hat, nicht unberücksichtigt bleiben (BGE 64 II 438 f). Denn indem der
körpergeschädigte Motorfahrzeughalter, kraft seiner Kausalhaftung nach MFG,
für den auf sein Fahrzeug entfallenden Verursachungsanteil sich selber haftet,
wird

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der andere Halter von seiner Kausalhaftpflicht entsprechend entlastet.
2. ­ Nach der ratio legis muss dieser Grundsatz auch gelten, wenn das andere
am Unfall beteiligte Fahrzeug nicht ein Motorfahrzeug, sondern eine Eisenbahn
ist, die Motorfahrzeughaftpflicht des verunfallten Halters also mit der
Eisenbahnhaftpflicht der Bahn konkurriert. Dabei ist prinzipiell im Verhältnis
Motorfahrzeug-Eisenbahn die verschiedene Grösse der den beiden Verkehrsmitteln
inhärenten Betriebsgefahren zu berücksichtigen (a.a.O, 440), in dem Sinne,
dass die von jedem zu vertretende Verursachung proportional dieser
Gefährlichkeit bemessen wird. Dabei ist nicht die allgemeine Betriebsgefahr
jedes derselben in Betracht zu ziehen, sondern die gegenseitige, also
diejenige des Motorrades für die Trambahn und umgekehrt. Während für die
übrigen Strassenbenützer, die Fussgänger, den Fahrgast etc. das Motorrad wohl
das gefährlichere Verkehrsmittel ist als die Überlandtrambahn mit eigenem
Tracé, hat zweifellos das Motorrad die Trambahn mehr zu fürchten als diese
jenes, sowohl hinsichtlich der Ursachen als der Folgen einer Kollision (Wucht
der bewegten Masse, Ausweichmöglichkeit, Bremsweg); wird doch in der Regel bei
einer Kollision das Motorrad der leidende Teil sein. Mit Rücksicht auf diese
verschiedene Betriebsgefahr rechtfertigt es sich, grundsätzlich (und abgesehen
von der Verschuldensfrage) dem Motorrad ca. 1/3 und der Trambahn 2/3 der zu
vertretenden Verursachung anzurechnen.
3. ­ Diese grundlegende Verteilung der reinen Kausalhaftung wird nun
modifiziert, wenn Verschulden mitspielte. Dies ergibt sich bezüglich eines
Verschuldens des Motorfahrzeughalters aus Art. 1 und 5 EHG, bezüglich eines
solchen der Bahn aus Art. 38 Abs. 2 Satz 1 bezw., wenn man den Hinweis des
Art. 39 auf Art. 37 bezieht, aus dessen Abs. 2 und 3, indem die Kausalhaft des
Halters gegenüber sich selbst durch das Mitverschulden eines Dritten ­ als
welcher die Bahn in dieser Beziehung

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dasteht ­ gemindert und damit die Haftpflicht der letztern entsprechend erhöht
wird.
Vorliegend kann hinsichtlich der Bewertung des beiderseitigen Verschuldens der
Vorinstanz im ganzen zugestimmt werden. Der grössere Fehler liegt auf Seite
des Klägers, der sich dem Bahnübergang, dessen Vorhandensein und schlechte
Sichtverhältnisse ihm als Ortsansässigem bekannt waren, ohne die gebotene
Aufmerksamkeit genähert hat. Dass der Übergang nicht signalisiert war, kann
der Bahn, nachdem das eidgenössische Post- und Eisenbahndepartement sie
ausdrücklich und unter stillschweigender Zustimmung der Lokalbehörde von der
Signalisierung dispensiert hatte, nicht als Verschulden angerechnet werden,
fällt jedoch als mildernder Umstand im Sinne der Verminderung desjenigen des
Klägers in Betracht, der durch ein Signal wahrscheinlich an den ihm bekannten
Niveauübergang noch erinnert worden wäre. Die reduzierte Sehkraft des
Tramführers hat keine nachweisbare kausale Rolle gespielt, indem auch von
einem vollsichtigen Tramführer nicht verlangt werden könnte, dass er gerade im
Moment des Passierens der einzigen Haglücke, die einen Blick auf das
Strässchen erlaubt, seine Augen dort habe, abgesehen davon, dass der Führer
des überall vortrittsberechtigten Zuges die Strassen ausserhalb der
Niveaukreuzungen nicht zu überwachen hat. Dagegen wäre ein Glockensignal in
grösserer Nähe des Übergangs am Platze gewesen, gerade weil ein optisches
Kreuzungssignal fehlte.
Rechnet man das angenommene Verhältnis der beidseitigen Kausalhaft von 1/3
(Motorrad) zu 2/3 (Bahn) und dieses ­ klägerischerseits erhebliche, bahnseits
leichte ­ Verschulden ineinander, so erscheint eine Entschädigung von 50 % des
Gesamtschadens ­ übrigens in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlichen Urteil
­ der Sach- und Rechtslage angemessen.

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Demnach erkennt das Bundegsgericht:
Die Hauptberufung der Beklagten wird teilweise gutgeheissen und das
angefochtene Urteil in Disp. 1 dahin abgeändert, dass die Beklagte den Kläger
unter allen Titeln und ohne Vorbehalt eines Nachklagerechts mit Fr. 6304.75
nebst Zins zu 5 % seit 3. Juni 1938 zu entschädigen hat. Im übrigen wird die
Hauptberufung abgewiesen.