S. 16 / Nr. 2 Gleichheit vor dem Gesetz (Rechtsverweigerung) (d)

BGE 66 I 16

2. Urteil vom 23. Februar 1940 i. S. Spinner gegen Buchmann und Zürich,
Anklagekammer des Obergerichts.

Regeste:
Armenrecht: Die Zürcher Gerichtspraxis, wonach für eine Privatstrafklage nach
Art. 46 zürch. StrPO kein Armenrecht bewilligt wird, verstösst nicht gegen
Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV.
Assistance judiciaire gratuite: N'est pas contraire à l'art. 4 CF la
jurisprudence zurichoise qui exclut l'assistance judiciaire gratuite pour
l'exercice de l'action pénale privée selon le § 46 de la loi zurichoise sur la
procédure pénale.
Assistenza giudiziaria gratuita: Non è in urto con l'art. 4 CF la
giurisprudenza zurigana che esclude l'assistenza giudiziaria gratuita per
l'esercizio dell'azione penale privata secondo il § 46 della procedura penale
zurigana.

A. ­ Nach § 46 zürch. StrPO kann der Geschädigte die Privatstrafklage
betreiben, wenn eine Strafuntersuchung durch Nichtanhandnahme oder Einstellung
beendigt worden ist. «Er hat für die Untersuchungskosten und nachher für die
Prozesskosten und für eine dem Angeklagten im Falle der Einstellung des
Verfahrens oder der Freisprechung zuzusprechende Entschädigung Sicherheit zu
leisten.»
B. - Der Rekurrent hat gegen eine Reihe von Personen Privatstrafklage im Sinne
von § 46 zürch. StrPO wegen verschiedener Delikte erhoben, nachdem die auf
seine Anzeige hin durchgeführte Strafuntersuchung gemäss

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Antrag der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich eingestellt worden war. Die
Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Zürich hat ihm am 9. März 1939 eine
Barkaution von vorläufig Fr. 500.­ auferlegt und ein daraufhin eingereichtes
Gesuch um Bewilligung des Armenrechts am 8. Juni 1939 unter Berufung auf die
bestehende Praxis (ZR 37 Nr. 155) abgelehnt. In der Folge wurde die Frist
wiederholt erstreckt, letztmals durch Beschluss vom 13. Dezember 1939. Danach
hat der Rekurrent die Barkaution innert 8 Tagen zu leisten, ansonst die
Privatstrafklage nicht an die Hand genommen würde. Nach Angabe des Rekurrenten
hat die Anklagekammer sodann die Privatstrafklage am 26. Januar 1940 von der
Hand gewiesen.
C. - Mit Eingabe vom 27. Januar 1940 erhebt der Rekurrent die staatsrechtliche
Beschwerde und beantragt Aufhebung der Beschlüsse vom 13. Dezember 1939 und
26. Januar 1940. Er führt aus, durch die angefochtenen Beschlüsse werde das
aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV fliessende verfassungsmässige Recht des Beschwerdeführers auf
Rechtsschutz verletzt. Der Rekurrent habe die ihm auferlegte Kaution wegen
Armut nicht erbringen können. Die Anklagekammer habe es abgelehnt, die
Aussichten der Privatstrafklage zu erörtern, und sich auf den Standpunkt
gestellt, dass die Bewilligung unentgeltlicher Prozessführung in dem Verfahren
nach § 46 StrPO grundsätzlich unzulässig sei. Das Bundesgericht hat die
Beschwerde abgewiesen,
in Erwägung:
1. ­ Es kann dahingestellt bleiben, ob die staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verweigerung des Armenrechts nicht gegen den Beschluss der Anklagekammer vom
8. Juni 1939 hätte gerichtet werden müssen, mit welchem über das
Armenrechtsgesuch des Rekurrenten entschieden wurde. Auf jeden Fall ist sie
unbegründet.
2. ­ Der Grundsatz der Gleichheit des Bürgers vor dem Gesetz enthält keine
Verpflichtung des Staates, unter allen Umständen, für jedes Verfahren, das
eine bedürftige

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Partei vor Gerichten oder Behörden anstrengt, Unentgeltlichkeit zu bewilligen.
Ein Anspruch auf Einräumung des Armenrechts besteht nur insoweit, als die arme
Partei im Falle der Verweigerung in ihrem verfassungsmässigen Rechte auf
staatlichen Rechtsschutz verkürzt würde (vgl. BGE 63 I 209). Unter diesem
Gesichtspunkt ist es von jeher als zulässig erklärt, worden, das Armenrecht
für Prozesse auszuschliessen, die sich schon bei vorläufiger Vorprüfung als
aussichtslos erweisen, wo staatlicher Schutz also zwecklos wäre. In gleicher
Weise braucht unentgeltliche Prozessführung nicht bewilligt zu werden für
Verfahren, die nach Gesetz mit Kosten und Vorschüssen verbunden sind, wenn der
Staat seinen Schutz in einem anderen Verfahren unter genügenden Garantien
kostenfrei gewährt. Soweit alternativ oder kumulativ verschiedene Verfahren
zur Verfügung stehen, darf die arme Partei auf das für sie kostenfreie
Verfahren verwiesen und auch darauf beschränkt werden. Ihrem Anspruch auf
staatlichen Schutz ist genügt, wenn ihre Rechte und Interessen in einem der
zur Verfügung stehenden Verfahren auf ihre Berechtigung geprüft werden.
3. ­ Da nach der zürch. StrPO Vergehen allgemein auf Anzeige hin von Amtes
wegen verfolgt werden in einem Verfahren, das für den Geschädigten
grundsätzlich kostenfrei ist und das alle Garantien sachlicher Erledigung der
Strafanzeige darbietet, kann eine Verweigerung staatlichen Schutzes darin
nicht liegen, dass die Zürcher Praxis dem Geschädigten Unentgeltlichkeit für
die Privatstrafklage nach § 46 StrPO nicht bewilligt. Dem Anspruch auf
staatlichen Schutz ist mit der Prüfung der Strafanzeige des Geschädigten im
Offizialverfahren genügt. Wenn § 46 in Fällen, wo eine Anzeige nicht an die
Hand genommen oder eine Strafuntersuchung eingestellt worden ist, dem
Geschädigten die Möglichkeit einer Privatstrafklage einräumt, so geschieht es
unter der Voraussetzung, dass dem Staate, der die Sache bereits untersucht
hat, und dem Prozessgegner, der schon in die amtliche Untersuchung einbezogen

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war, keinerlei Schaden erwachse, und dass der Privatstrafkläger für
Prozesskosten und Entschädigung im voraus volle Sicherheit leiste. Mit dieser
Ordnung wäre die Bewilligung der Kostenfreiheit für die arme Partei nicht zu
vereinbaren. Der Grundsatz der Rechtsgleichheit verlangt, dass jedermann, der
dieses ausserordentliche Verfahren durchführen will, also auch der Bedürftige,
den Voraussetzungen genüge, unter denen der Staat und die Gegenpartei auf
Grund von § 46 nach Durchführung des Offizialverfahrens noch in Anspruch
genommen werden dürfen.
Der Entscheid Kunz (BGE 62 I S. 1 ff.), auf den sich der Rekurrent berufen
möchte, bezieht sich auf einen Fall, wo dem Geschädigten überhaupt nur die
Privatstrafklage zur Verfügung stand.
Vgl. auch Nr. 8. ­ Voir aussi no 8.