S. 157 / Nr. 28 Glaubens- und Gewissensfreiheit (d)

BGE 66 I 157

28. Urteil vom 20. September 1940 i. S. Clémençon gegen Aargau, Regierungsrat.


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Regeste:
Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Kantone sind nicht verpflichtet, Kinder
von Adventisten vom allgemeinen obligatorischen Schulbesuch an Samstagen zu
befreien.
Liberté de conscience et de croyance. Les cantons ne sont pas tenus de libérer
les enfants d'adventistes de l'obligation de fréquenter l'école le samedi.
Libertà di credenza e di coscienza. I cantoni non sono tenuti a liberare i
figli di avventisti dall'obbligo di frequentare la scuola nel giorno di
sabato.

A. ­ Der Rekurrent, der Adventist ist und als solcher den Sabbat als den von
Gott eingesetzten Ruhetag feiert, hat um Befreiung seines Töchterchens Edith
vom Schulbesuch am Samstag nachgesucht. Die Erziehungsdirektion und der
Regierungsrat des Kantons Aargau haben ihn abgewiesen.
B. ­ Gegen den Entscheid des Regierungsrates hat der Rekurrent die
staatsrechtliche Beschwerde erhoben und ersucht um ein gerechtes Urteil. Er
beruft sich auf Rechtsgleichheit, Glaubens- und Gewissensfreiheit und Kultus-
und Religionsfreiheit.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen
in Erwägung:
1. ­ Das Bundesgericht hat im staatsrechtlichen Verfahren nur zu überprüfen,
ob der angefochtene Entscheid der kantonalen Behörde eine
Verfassungsverletzung bedeutet, und nur einzuschreiten, wenn dies der Fall
ist, nicht schon, wenn die Lösung, die der Rekurrent vorschlägt, an sich
möglich, mit der Verfassung ebenfalls vereinbar wäre. Darauf, dass den
Adventisten im Militärdienst am Samstag freigegeben wird, kann es daher nicht

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ankommen. Es kommt darin nur zum Ausdruck, dass diese Rücksichtnahme auf die
religiöse Überzeugung als mit der Erfüllung der Militärdienstpflicht vereinbar
angesehen wird. Es folgt daraus nicht, dass die Befreiung vom Militärdienst an
Samstagen aus verfassungsrechtlichen Gründen angeordnet worden ist und hätte
angeordnet werden müssen.
2. ­ Der Entscheid des Regierungsrates beruht auf Art. 49
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 49 Vorrang und Einhaltung des Bundesrechts - 1 Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
1    Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
2    Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.
, Abs. 4 BV und der
darauf begründeten feststehenden Praxis der Bundesbehörden (SALIS: Bundesrecht
V Nr. 2476; BURCKHARDT: Bundesrecht II Nr. 505 III). Danach entbinden
Glaubensansichten nicht von der Erfüllung bürgerlicher Pflichten. Eine
bürgerliche Pflicht ist der obligatorische Schulbesuch im Rahmen der
staatlichen Gesetzgebung, und damit auch der Schulbesuch am Samstag. Der
Regierungsrat durfte daher, sofern das Schulgesetz keine Ausnahme vom
Schulbesuch an Samstagen vorsieht ­ dass dies der Fall sei, ist nicht
behauptet worden ­ das Gesuch des Rekurrenten um Bewilligung einer solchen
Ausnahme ablehnen.
Sein Entscheid verstösst auch nicht gegen die Kultusfreiheit. Die Ausübung
gottesdienstlicher Handlungen ist nur gewährleistet innerhalb der Schranken
der öffentlichen Ordnung (Art. 50
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 50 - 1 Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet.
1    Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet.
2    Der Bund beachtet bei seinem Handeln die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden.
3    Er nimmt dabei Rücksicht auf die besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete.
, Abs. 1 BV). Die staatliche
Schulgesetzgebung ist also hier ebenfalls mit vorbehalten.
Aus dem Grundsatze der Rechtsgleichheit schliesslich kann nicht abgeleitet
werden, dass dem Rekurrenten und seiner Tochter ein anderer Ruhetag eingeräumt
werde als derjenige, der für alle andern Bürger gilt. Der Rekurrent strebt mit
seinem Antrag auf Befreiung seiner Tochter vom Schulbesuch an Samstagen die
Berücksichtigung seiner persönlichen Überzeugung an, um eine Ausnahme von der
sonst geltenden, allgemeinen Ordnung zu erwirken. Auf Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV kann er sich
hiefür nicht berufen.