S. 168 / Nr. 34 Obligationenrecht (d)

BGE 65 II 168

34. Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Oktober 1939 i. S. Parcofil,
Textilmaschinen A.-G. gegen Frey.

Regeste:
Agenturvertrag, anwendbares Recht.
1. Auf den Agenturvertrag mit Alleinvertretung ist in der Regel das Recht des
Landes anwendbar, in welchem die Vertretertätigkeit ausgeübt wird. Erw. 1.
2. Schweizerisches Recht als Ersatzrecht für nicht bekanntes ausländisches
Recht. Erw. 2.
Contrat d'agence, droit applicable.
1. S'agissant d'un contrat d'agence avec droit de représentation générale,
c'est, en principe, le droit du pays où l'agent exerce son activité qui
s'applique.
2. Droit suisse appliqué en tant que droit supplétoire à la place du droit
étranger inconnu.
Contratto di agenzia, diritto applicabile.
1. Al contratto di agenzia con rappresentanza generale è applicabile, di
regola, il diritto dello stato in cui si svolge l'attività del rappresentante
(consid. 1).
2. Diritto svizzero quale diritto suppletivo di diritto estero non conosciuto
(consid. 2).


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A. - Die Parcofil, Textilmaschinen A.-G. in Bern, suchte im Jahre 1934 einen
Vertreter für Brasilien. Sie wandte sich zu diesem Zweck u. a. auch an F.
Frey, der in Sao Paulo ein technisches Büro betrieb und sich daneben mit der
Vertretung europäischer Maschinenfabriken in Süd-Amerika, vorab in Brasilien,
befasste. Frey erhielt die Alleinvertretung für die Maschinen der Beklagten
und Widerklägerin, indessen bloss «solidarisch» mit der Sociedad industrial e
commercial Schmuziger Limitada in Sao Paulo (Brasilien) und Hans Schmuziger in
Zürich.
B. - Durch eine beim Handelsgericht des Kantons Bern eingereichte Klage vom
27. April 1938 hat Frey gegenüber der Parcofil Provisionsansprüche aus diesem
Vertragsverhältnis geltend gemacht im Betrage von Fr. 167196.50, später
reduziert auf Fr. 153324.90. Die Parcofil hat Widerklage erhoben auf Grund von
Ansprüchen aus dem Vertragsverhältnis.
Das Handelsgericht des Kantons Bern hat die Vorklage mit Urteil vom 1. Juni
1939 für einen Betrag von Fr. 107484.55 nebst Zins zu 5% seit 28. April 1938
geschützt, die Widerklage dagegen abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte und Widerklägerin die Hauptberufung und
der Kläger und Widerbeklagte die Anschlussberufung erklärt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Vorinstanz hat den Streitfall ausschliesslich unter Anwendung
schweizerischen Rechts entschieden.
Sie ist zunächst mit Recht davon ausgegangen, dass für die Rechtsanwendung der
mutmassliche Parteiwille entscheidend ist. Als Recht dieses mutmasslichen
Parteiwillens ist aber das Recht desjenigen Staates anzusehen, mit dem das
streitige Rechtsverhältnis den engsten räumlichen Zusammenhang aufweist, da
dieses in der Regel sachlich das nächstliegende ist (vgl. BGE 63 II 43 f., 307
und 385, sowie die dortigen Verweisungen).

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Bei der Bestimmung dieses engsten räumlichen Zusammenhangs spielt die Natur
des in Frage stehenden obligatorischen Rechtsverhältnisses eine entscheidende
Rolle. Handelt es sich um die Rechte und Pflichten des Alleinvertreters aus
einem Agenturvertrag, der seiner Natur nach dem blossen Auftragsverhältnis
näher steht als dem Dienstvertrag, so drängt sich jedenfalls in der Regel die
Auffassung auf, dass diese natürlicherweise dem Recht des Ortes unterstellt
sein sollen, an dem der Alleinvertreter wirkt (vgl. in diesem Sinne etwa BGE
60 II 323, B1. Z. R. 24 Nr. 79 und 26 Nr. 54, NIEMEYERS Zeitschrift für
internationales Recht 21 S. 71 SCHNITZER, Handbuch des internationalen
Privatrechts, S. 304 /305, sowie OSER-SCHÖNENBERGER, Komm. zum OR, 2. Aufl.,
Allgemeine Einleitung Nr. 128). So muss jedenfalls dann erkannt werden, wenn
mit der Alleinvertretung jemand betraut wird, der schon vorher im Lande der
Vertretung wohnte und geschäftlich tätig war. Das trifft hier allerdings bei
dem einen der drei «solidarischen» Alleinvertreter, nämlich bei Hans
Schmuziger, nicht zu, vielmehr wohnt dieser noch heute in Zürich. Allein es
liegt auf der Hand, dass die Haupttätigkeit durch diejenigen Vertreter
ausgeübt wird, die im Lande der Vertretertätigkeit wohnen, und sie können
daher auch allein für die Frage der Rechtsanwendung in Betracht fallen. Auf
die Nationalität der Vertreter kann nichts ankommen; übrigens ist der Kläger
und Widerbeklagte ja nicht Schweizer, sondern Reichsdeutscher. Es liegen somit
keine besondern Verhältnisse vor, die geeignet wären, ein Abweichen von der
fest verankerten Regel zu begründen. Dass die Parteien sich im Prozess
übereinstimmend auf schweizerisches Recht berufen haben, ist nach der nunmehr
feststehenden neuesten bundesgerichtlichen Praxis nicht von ausschlaggebender
Bedeutung.
Die Rechte und Pflichten des Generalagenten bestimmen sich mithin im
vorliegenden Falle nach brasilianischem Recht

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2.- Folgerichtig müsste die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen werden,
damit diese das richtige Recht anwende. Allein es ist ohne weiteres
anzunehmen, dass die Vorinstanz anstatt des ihr sicher nicht bekannten, von
den Parteien ja nicht einmal angerufenen brasilianischen Rechts
schweizerisches Recht als Ersatzrecht anwenden würde. Sie würde also ohne
weiteres wiederum zum nämlichen Ergebnis gelangen, zu dem sie schon in ihrem
Urteil vom 1. Juni 1939 gelangt ist. Von einer Rückweisung kann daher Umgang
genommen werden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Hauptberufung wird nicht eingetreten, womit die Anschlussberufung
dahinfällt (Art. 70 Abs. 2 OG).