S. 330 / Nr. 52 Schutz der Sicherheit Eidgenossenschaft (d)

BGE 65 I 330

52. Auszug aus dem Urteil des Bundesstrafgerichtes vom 20. November 1939 i. S.
Schweiz. Bundesanwaltschaft gegen Bodmer und Mitangeklagte.


Seite: 330
Regeste:
Bundesbeschluss betr. den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft vom 21.
Juni 1935, sog. Spitzelgesetz.
1. Strafbar ist nicht nur die Ausführung, sondern schon die Annahme eines
Auftrages zu verbotenem Nachrichtendienst. Erw. 3.
2. Fabrikations- u Geschäftsgeheimnis nach Art. 4.
a) Der Begriff Geschäftsgeheimnis umfasst alle Tatsachen des wirtschaftlichen
Lebens, an deren Geheimhaltung ein schutzwürdiges Interesse besteht. Erw. 4 a.
b) Für die Strafbarkeit kommt nichts darauf an, ob die Nachricht wahr oder
falsch war. Erw. 4 b.
Arrêté fédéral tendant à garantir la sûreté de la Confédération, du 21 juin
1935.
1. Est punissable, non seulement celui qui pratique, mais encore celui qui
accepte la charge de pratiquer un service de renseignements interdit. Consid.
3.
2. Notion du secret de fabrication ou d'affaires prévu à l'art 4.
a) Le secret d'affaires s'étend à tous les faits de la vie économique qu'un
intérêt digne de protection commande de tenir secret. Consid. 4 a.
b) Il n'importe pas, du point de vue de la punissabilité, que la nouvelle soit
vrai ou fausse. Consid. 4 b.
Decreto federale per garantire la sicurezza della Confederazione (del 21
giugno 1935).
1. È punibile non soltanto l'esecuzione, ma anche la semplice accettazione
dell'incarico di fare un servizio d'informazioni vietato. Consid. 3.
2. Segreto di fabbricazione o di affari ai sensi dell'art. 4.
a) Il segreto di affari si estende a tutti i fatti della vita economica, alla
divulgazione dei quali si oppone un interesse interesse di protezione. Consid.
4a.
b) Dal lato della punibilità, è irrilevante se la notizia fosse vera o falsa.
Consid. 4b

Es ist Anklage erhoben gegen K. R. Bodmer, A. Felder, M. Dries, K. F. Rehm und
H. Kemmet wegen Widerhandlung gegen Art. 2, 4 u. 5 des Spitzelgesetzes.

Seite: 331
Bodmer und Felder waren bis 1938 Mitglieder des «Volksbundes»
Nationalsozialistische Schweizerische Arbeiterpartei, Ortsgruppe Zürich. Rehm
und Kemmet. beides deutsche Staatsangehörige, sind Funktionäre der
Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), Rehm in Lottstetten,
Kemmet in Waldshut. Bodmer und Felder standen mit diesen beiden seit Ende 1936
in Verbindung und lieferten ihnen Nachrichten über schweizerische politische
und wirtschaftliche Verhältnisse.
Aus den Erwägungen:
3. ­ Ungefähr im März oder April 1937 sagte Rehm dem Bodmer, wenn er irgend
etwas vernehme über Devisenschieber, Emigranten und deren politische
Tätigkeit, solle er es ihm mitteilen. Bodmer nahm den Auftrag an und machte in
der Folge Rehm verschiedene Mitteilungen.
In der Erteilung dieses Auftrages durch Rehm liegt, insofern ihm über die
politische Tätigkeit von Personen berichtet werden sollte, ein Anwerben für
unerlaubten Nachrichtendienst im Interesse des Auslandes zum Nachteil der
Schweiz oder von Angehörigen oder Einwohnern der Schweiz, im Sinne von Art. 2
des Spitzelgesetzes. Strafbar ist aber, abgesehen von den späteren
Ausführungshandlungen, auch die Annahme des Auftrages durch Bodmer.
Der Vorläufer des Spitzelgesetzes, Art. 5 der bereits angeführten
bundesrätlichen Verordnung betr. Strafbestimmungen für den Kriegszustand vom
6. August 1914, hatte gelautet: «Wer auf schweizerischem Gebiete
Nachrichtendienst zu Gunsten einer fremden Macht betreibt, wird mit Gefängnis
und mit Geldbusse bis zu Fr. 20000.­bestraft.» Schon diese Bestimmung wurde
vom Bundesstrafgericht wie auch vom Militärkassationsgericht dahin ausgelegt,
dass sie jede Tätigkeit treffe, welche darauf abziele, einem fremden Staate
verbotene Nachrichten zu verschaffen (vgl. THILO, La Répression de
l'Espionnage en Suisse, S. 12 und 18, Suite S. 14). Dagegen erhob sich Kritik,
weil blosse Vorbereitungshandlungen

Seite: 332
in der Verordnung nicht ausdrücklich genannt seien und die erwähnte
Gerichtspraxis daher gegen den Grundsatz nulla poena sine lege verstosse
(PFENNINGER, Das Vergehen des unerlaubten Nachrichtendienstes, in der
Zeitschrift für Schweiz. Recht, Bd. 59 S. 159 ff). Um solchen Einwänden zu
begegnen und um die Spitzeltätigkeit in allen Erscheinungsformen mit
Sicherheit zu treffen, wurde die allgemeine Vorschrift der Verordnung von 1914
im Bundesbeschluss von 1935 nicht nur durch gesonderte Bestimmungen über den
politischen, den militärischen und den wirtschaftlichen Nachrichtendienst
ersetzt, sondern man umschrieb auch jeden einzelnen dieser Talbestände in
möglichst eingehender Weise (vgl. die Verhandlungen in der Bundesversammlung,
Sten. Bull. Nationalrat 1935 S. 213, 222, Ständerat 1935 S. 229). So sprechen
Art. 2 und 3 vom Betreiben und vom Einrichten eines Nachrichtendienstes, vom
Anwerben und vom Vorschubleisten für einen solchen. Damit ist klar zum
Ausdruck gebracht, dass entsprechend der Gerichtspraxis zur Verordnung von
1914 alle Handlungen unter Strafe gestellt sein sollen, die auf verbotenen
Nachrichtendienst gerichtet sind, und dass als strafbare Tat auch der Versuch
und die Vorbereitung, die Anstiftung, die Teilnahme und die Begünstigung zu
gelten haben. Demgemäss hat das Bundesstrafgericht in BGE 61 I 414 Erw. 2 als
Straftatbestand jedes Verhalten bezeichnet, das sich irgendwie in die Kette
derjenigen Handlungen einreiht, welche den Betrieb eines unerlaubten
Nachrichtendienstes ausmachen.
Ein derartiges Verhalten liegt auch darin, dass jemand einen Auftrag für
Nachrichtendienst annimmt, sich dafür anwerben lässt. Ausgenommen sind, wie
schon die Praxis zur Verordnung von 1914 erkannt hat, einzig Fälle, in denen
der Auftragsempfänger die Annahme nur vortäuscht, z.B. um die dafür angebotene
Belohnung einzuheimsen, wobei der Nachweis dafür, dass seine Bereitschaft
nicht ernst gemeint war, dem Angeschuldigten

Seite: 333
obliegt. Diesen Nachweis hat Bodmer verständlicherweise nicht zu erbringen
versucht, ergibt sich doch die Ernsthaftigkeit seiner Annahme zwingend aus den
nachfolgenden Ausführungshandlungen.
4. ­ In Ausführung des vorerwähnten allgemeinen Auftrages machte Bodmer dem
Rehm ungefähr im April 1937 folgende schriftliche Meldung: «X., Jude, gebürtig
von Gailingen, verkehrt mit einer geschiedenen Frau Y. aus Stuttgart. Dieselbe
kommt vierzehntäglich über die Grenze. Verschiebt jedenfalls Devisen.» Rehm
leitete die Meldung an Kemmet weiter. Sie betraf den in Zürich eingebürgerten
und dort wohnhaften Kaufmann X., Frau Y. war seine damalige Verlobte, mit der
er sich seither verheiratet hat. X. ist heute als Zeuge einvernommen worden
und bestreitet, dass er oder seine Frau je Devisenschiebungen vorgenommen
haben.
a) Nach Art. 4 des Spitzelgesetzes wird bestraft, wer ein Fabrikations- oder
Geschäftsgeheimnis auskundschaftet, um es einer fremden Regierung, Behörde
oder Partei oder ähnlichen Organisation oder ihren Agenten zugänglich zu
machen, ferner wer ein Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnis einer solchen
fremden Stelle zugänglich macht.
Der Ausdruck Geschäftsgeheimnis ist dabei nicht im engern Sinne, bloss als
Betriebsgeheimnis einer wirtschaftlichen Unternehmung, zu verstehen, vielmehr
umfasst er alle Tatsachen des wirtschaftlichen Lebens, an deren Geheimhaltung
ein schutzwürdiges Interesse besteht. Es können deshalb auch Verhältnisse und
Vorgänge der privaten Vermögens- und Einkommenswirtschaft darunter fallen (BGE
60 I 49). Das entspricht dem allgemeinen Zweck der Bestimmung, die
wirtschaftliche Sicherheit der Schweiz gegenüber dem Auslande zu schützen, was
umso notwendiger ist und umsoweniger eine Beschränkung auf eigentliche
Betriebsgeheimnisse zulässt, als heute alle Gebiete des Wirtschaftslebens
durch Kampfmassnahmen des Auslandes bedroht sind. Der Randtitel der Bestimmung
lautet denn auch allgemein «Wirtschaftlicher Nachrichtendienst

Seite: 334
im Interesse des Auslandes» Sodann ist im französischen und italienischen
Gesetzestext «Geschäftsgeheimnis» mit «secret d'affaires» bezw. «segreto di
affari» wiedergegeben, was ebenfalls auf wirtschaftliche Angelegenheiten
schlechtweg und nicht auf blosse Betriebsverhältnisse hinweist.
Als Vorgang des wirtscliaftlichen Lebens geniesst daher grundsätzlich auch der
Verkehr mit Devisen den Schutz von Art. 4, gleichgültig ob dieser Verkehr vom
ausländischen Staate verboten ist und demnach von dort aus gesehen eine
sogenannte Devisenschiebung darstellt oder nicht. Das Interesse der
Beteiligten an der Geheimhaltung einer Devisenschiebung ist angesichts der
Strafen, die sie im Ausland zu erwarten hätten, unverkennbar. Im allgemeinen
kann aber diesem Interesse auch die Schutzwürdigkeit nicht abgesprochen
werden. Die devisenrechtlichen Forderungsbeschränkungen ausländischer Staaten
stehen, wie das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung festgestellt hat
(vgl. BGE 64 II 98 und dort angeführte Urteile), zur schweizerischen
öffentlichen Ordnung in scharfem Widerspruch. Das gilt infolgedessen, insoweit
schweizerische Gläubigerrechte betroffen werden, ohne weiteres auch von den
Devisenausfuhrverboten. Abgesehen hievon bedeuten solche Verbote in jedem
Falle Zwangsmassnahmen des ausländischen Staates, durch welche die
internationalen Wirtschaftsbeziehungen beeinträchtigt und auch die Interessen
der schweizerischen Volkswirtschaft geschädigt werden. Unter diesen Umständen
besteht für die Schweiz kein Anlass, die Denunziation auf dem Gebiete
sogenannter Devisenschiebungen von den Strafsanktionen des Spitzelgesetzes
auszunehmen.
b) Nach der heutigen Aussage des X. hat in Wirklichkeit weder er selber noch
seine Ehefrau sich mit Devisenschiebungen befasst. Das schliesst aber die
Anwendung von Art. 4 nicht aus. Die Praxis zur Verordnung von 1914 ist stets
davon ausgegangen, dass es für die Strafbarkeit nicht darauf ankomme, ob die
Nachricht wahr

Seite: 335
oder falsch sei und welchen objektiven Wert sie überhaupt habe. Nicht anders
verhält es sich nach dem Spitzelgesetz. Die wirksame Verfolgung des
Spitzelunwesens erfordert, dass zwischen wahren und falschen Nachrichten
hinsichtlich der Strafbarkeit kein Unterschied gemacht werde. Der Spitzel soll
sich zu seiner Entlastung nicht darauf berufen können, dass die Meldung
erfunden oder sonstwie unrichtig gewesen sei. Im Gegenteil, seine Tat verdient
unter Umständen umso eher Ahndung, wenn die Nachricht falsch war. Das ist
gerade der Fall auf Gebieten wie dem vorliegenden, wo die der fremden Amts-
oder Parteistelle angezeigte Handlung im betreffenden ausländischen Staat
unter Strafe gestellt ist; denn durch falsche Denunziationen werden
Unschuldige der Gefahr von Untersuchungs- und Strafmassnahmen ausgesetzt.
Massgebend für die Frage des verbotenen Nachrichtendienstes ist also allein
der Inhalt der Nachricht, ohne Rücksicht auf ihre objektive Richtigkeit.
Daraus folgt, dass als Geheimnis im Sinne von Art. 4 jede Tatsache anzusehen
ist, die zur berechtigten Geheimnissphäre einer Person gehört oder dazu
gehören würde, wenn sie vorhanden wäre. Das trifft, wie bereits dargelegt
wurde, bei der Meldung über angebliche Devisenschiebungen des X. bezw. seiner
Ehefrau zu.
c) Bodmer ist zu verurteilen, weil er dem NSDAP-Funktionär Rehm die Meldung
über X. erstattet, Rehm weil er sie an den Kreisstellenleiter und
Gestapobeamten Kemmet weitergeleitet hat.