S. 23 / Nr. 7 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 64 III 23

7. Entscheid vom 18. Februar 1938 i. S. Dettwyler.


Seite: 23
Regeste:
Der mit eigenem Motorlastwagen das Frachtführergewerbe auf eigene Rechnung
betreibende Schuldner ist Unternehmer, der Lastwagen daher nicht
Kompetenzstück (Art. 92 Ziff. 3
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 92 - 1 Unpfändbar sind:
1    Unpfändbar sind:
1  die dem Schuldner und seiner Familie zum persönlichen Gebrauch dienenden Gegenstände wie Kleider, Effekten, Hausgeräte, Möbel oder andere bewegliche Sachen, soweit sie unentbehrlich sind;
1a  Tiere, die im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden;
10  Ansprüche auf Vorsorge- und Freizügigkeitsleistungen gegen eine Einrichtung der beruflichen Vorsorge vor Eintritt der Fälligkeit;
11  Vermögenswerte eines ausländischen Staates oder einer ausländischen Zentralbank, die hoheitlichen Zwecken dienen.
2  die religiösen Erbauungsbücher und Kultusgegenstände;
3  die Werkzeuge, Gerätschaften, Instrumente und Bücher, soweit sie für den Schuldner und seine Familie zur Ausübung des Berufs notwendig sind;
4  nach der Wahl des Schuldners entweder zwei Milchkühe oder Rinder, oder vier Ziegen oder Schafe, sowie Kleintiere nebst dem zum Unterhalt und zur Streu auf vier Monate erforderlichen Futter und Stroh, soweit die Tiere für die Ernährung des Schuldners und seiner Familie oder zur Aufrechterhaltung seines Betriebes unentbehrlich sind;
5  die dem Schuldner und seiner Familie für die zwei auf die Pfändung folgenden Monate notwendigen Nahrungs- und Feuerungsmittel oder die zu ihrer Anschaffung erforderlichen Barmittel oder Forderungen;
6  die Bekleidungs-, Ausrüstungs- und Bewaffnungsgegenstände, das Dienstpferd und der Sold eines Angehörigen der Armee, das Taschengeld einer zivildienstleistenden Person sowie die Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände und die Entschädigung eines Schutzdienstpflichtigen;
7  das Stammrecht der nach den Artikeln 516-520 OR189 bestellten Leibrenten;
8  Fürsorgeleistungen und die Unterstützungen von Seiten der Hilfs-, Kranken- und Fürsorgekassen, Sterbefallvereine und ähnlicher Anstalten;
9  Renten, Kapitalabfindung und andere Leistungen, die dem Opfer oder seinen Angehörigen für Körperverletzung, Gesundheitsstörung oder Tötung eines Menschen ausgerichtet werden, soweit solche Leistungen Genugtuung, Ersatz für Heilungskosten oder für die Anschaffung von Hilfsmitteln darstellen;
9a  die Renten gemäss Artikel 20 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946193 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung oder gemäss Artikel 50 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1959194 über die Invalidenversicherung, die Leistungen gemäss Artikel 12 des Bundesgesetzes vom 19. März 1965195 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung sowie die Leistungen der Familienausgleichskassen;
2    Gegenstände, bei denen von vornherein anzunehmen ist, dass der Überschuss des Verwertungserlöses über die Kosten so gering wäre, dass sich eine Wegnahme nicht rechtfertigt, dürfen nicht gepfändet werden. Sie sind aber mit der Schätzungssumme in der Pfändungsurkunde vorzumerken.198
3    Gegenstände nach Absatz 1 Ziffern 1-3 von hohem Wert sind pfändbar; sie dürfen dem Schuldner jedoch nur weggenommen werden, sofern der Gläubiger vor der Wegnahme Ersatzgegenstände von gleichem Gebrauchswert oder den für ihre Anschaffung erforderlichen Betrag zur Verfügung stellt.199
4    Vorbehalten bleiben die besonderen Bestimmungen über die Unpfändbarkeit des Bundesgesetzes vom 2. April 1908200 über den Versicherungsvertrag (Art. 79 Abs. 2 und 80 VVG), des Urheberrechtsgesetzes vom 9. Oktober 1992201 (Art. 18 URG) und des Strafgesetzbuches202 (Art. 378 Abs. 2 StGB).203
SchKG).
Le débiteur qui exerce la profession de voiturier au moyen d'un camion
automobile exploite une entreprise; le camion n'est donc pas insaisissable en
vertu de l'art. 92, 3 o LP.
Il debitore che con un autocarro proprio esercita la professione di vetturale
per suo conto è un imprenditore; l'autocarro non è quindi impignorabile in
virtù dell'art. 92 cifra 3 LEF.

Die Vorinstanz hat dem Schuldner das gepfändete Lastautomobil Marke Chevrolet,
Jahrgang 1934, von ihm im Mai 1935 angeschafft für Fr. 10450.- und
betreibungsamtlich geschätzt zu Fr. 2000.-, mit dem er Transporte auf eigene
Rechnung ausführt, als unpfändbar freigegeben, weil sich das Transportgeschäft
des Schuldners als Berufsausübung erweise. Die Betriebsauslagen (feste Kosten
+ Fahrkosten) beliefen sich bei einer Jahresleistung von 16000 km auf Fr.
3828.30 im Jahr oder Fr. 319.- im Monat; es könne somit nicht von einem
Überwiegen des kapitalistischen Elements gesprochen werden. Allein auch wenn
man für diese Frage nicht einzig auf die laufenden Betriebsmittel, sondern auf
den ganzen Kapitalaufwand (investiertes Kapital + laufende Ausgaben) abstellen
wolle, komme man auf einen Betrag von Fr. 4698.20 im Jahr oder Fr. 391.- im
Monat, was auch noch kein Vorwiegen des kapitalistischen Moments darstelle,
sonst müsste entgegen der bundesgerichtlichen Praxis auch jeder Taxiwagen als
pfändbar erklärt werden, bei dem die jährlichen Ausgaben bedeutend höher seien
als hier, da mit mindestens 30000 km im Jahr gerechnet werden müsse. Mit dem
vorliegenden Rekurs beantragt der Gläubiger Pfändbarerklärung des Wagens.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
In einem Entscheide vom 5. Februar 1937 i. S. Fischer c. Bern hat die
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer

Seite: 24
dem Betriebe eines Autotransportführers den Charakter der Berufsausübung im
Sinne des Art. 92 Ziff. 3
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 92 - 1 Unpfändbar sind:
1    Unpfändbar sind:
1  die dem Schuldner und seiner Familie zum persönlichen Gebrauch dienenden Gegenstände wie Kleider, Effekten, Hausgeräte, Möbel oder andere bewegliche Sachen, soweit sie unentbehrlich sind;
1a  Tiere, die im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden;
10  Ansprüche auf Vorsorge- und Freizügigkeitsleistungen gegen eine Einrichtung der beruflichen Vorsorge vor Eintritt der Fälligkeit;
11  Vermögenswerte eines ausländischen Staates oder einer ausländischen Zentralbank, die hoheitlichen Zwecken dienen.
2  die religiösen Erbauungsbücher und Kultusgegenstände;
3  die Werkzeuge, Gerätschaften, Instrumente und Bücher, soweit sie für den Schuldner und seine Familie zur Ausübung des Berufs notwendig sind;
4  nach der Wahl des Schuldners entweder zwei Milchkühe oder Rinder, oder vier Ziegen oder Schafe, sowie Kleintiere nebst dem zum Unterhalt und zur Streu auf vier Monate erforderlichen Futter und Stroh, soweit die Tiere für die Ernährung des Schuldners und seiner Familie oder zur Aufrechterhaltung seines Betriebes unentbehrlich sind;
5  die dem Schuldner und seiner Familie für die zwei auf die Pfändung folgenden Monate notwendigen Nahrungs- und Feuerungsmittel oder die zu ihrer Anschaffung erforderlichen Barmittel oder Forderungen;
6  die Bekleidungs-, Ausrüstungs- und Bewaffnungsgegenstände, das Dienstpferd und der Sold eines Angehörigen der Armee, das Taschengeld einer zivildienstleistenden Person sowie die Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände und die Entschädigung eines Schutzdienstpflichtigen;
7  das Stammrecht der nach den Artikeln 516-520 OR189 bestellten Leibrenten;
8  Fürsorgeleistungen und die Unterstützungen von Seiten der Hilfs-, Kranken- und Fürsorgekassen, Sterbefallvereine und ähnlicher Anstalten;
9  Renten, Kapitalabfindung und andere Leistungen, die dem Opfer oder seinen Angehörigen für Körperverletzung, Gesundheitsstörung oder Tötung eines Menschen ausgerichtet werden, soweit solche Leistungen Genugtuung, Ersatz für Heilungskosten oder für die Anschaffung von Hilfsmitteln darstellen;
9a  die Renten gemäss Artikel 20 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946193 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung oder gemäss Artikel 50 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1959194 über die Invalidenversicherung, die Leistungen gemäss Artikel 12 des Bundesgesetzes vom 19. März 1965195 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung sowie die Leistungen der Familienausgleichskassen;
2    Gegenstände, bei denen von vornherein anzunehmen ist, dass der Überschuss des Verwertungserlöses über die Kosten so gering wäre, dass sich eine Wegnahme nicht rechtfertigt, dürfen nicht gepfändet werden. Sie sind aber mit der Schätzungssumme in der Pfändungsurkunde vorzumerken.198
3    Gegenstände nach Absatz 1 Ziffern 1-3 von hohem Wert sind pfändbar; sie dürfen dem Schuldner jedoch nur weggenommen werden, sofern der Gläubiger vor der Wegnahme Ersatzgegenstände von gleichem Gebrauchswert oder den für ihre Anschaffung erforderlichen Betrag zur Verfügung stellt.199
4    Vorbehalten bleiben die besonderen Bestimmungen über die Unpfändbarkeit des Bundesgesetzes vom 2. April 1908200 über den Versicherungsvertrag (Art. 79 Abs. 2 und 80 VVG), des Urheberrechtsgesetzes vom 9. Oktober 1992201 (Art. 18 URG) und des Strafgesetzbuches202 (Art. 378 Abs. 2 StGB).203
SchKG abgesprochen mit Rücksicht auf die -
insbesondere infolge hoher öffentlicher Abgaben - laufend erforderlichen
grossen Geldmittel. In einem neuen Entscheide vom 15. Januar 1938 i. S. Wagner
c. Baselstadt ist das Bundesgericht vorwiegend in Ansehung des im
Anschaffungspreise von Fr. 9500.- investierten bedeutenden Kapitals zum
gleichen Resultate gelangt. Es drängt sich auf, diese beiden Kriterien zu
kombinieren.
Ein erhebliches Kapital ist in jedem betriebsfähigen Motorlastwagen
investiert. Ob der jeweilige Pfändungsschuldner den Wagen relativ neu, z. B.
für Fr. 10000.-, oder aus zweiter bezw. dritter Hand, eventuell gerade aus
einer Zwangsverwertung, zu einem Bruchteil des Neupreises erstanden habe, kann
für die Frage der Pfändbarkeit bei ihm keinen ausschlaggebenden Unterschied
ausmachen; es erscheint im letztgenannten Falle nicht gerechtfertigt, dass der
Occasionserwerber deshalb in den Genuss des Unpfändbarkeitsprivilegs komme,
weil der gleiche Wagen in der Hand seines Vorgängers noch mehr galt und daher
pfändbar war. Den Gläubigern des Camionneurs, insbesondere auch den
Lieferanten des Betriebsstoffs, ist in der Regel nicht erkennbar, wie teuer
jener den Wagen gekauft hat, sodass die Pfändbarkeit nicht vom zufällig
höheren oder niedrigeren Anschaffungspreis abhängen sollte.
Was sodann die Betriebskosten anbelangt, wurde bereits im zit. Falle Wagner
auf die von Kanton zu Kanton ungleich hohe Belastung mit öffentlichen Abgaben
hingewiesen, welche Verschiedenheit eine Grenzziehung erschwert. Die Höhe der
Betriebsauslagen (Betriebsstoff) hängt ferner wesentlich von der Art und
Intensität des Fuhrbetriebs ab. Es wäre unbillig, eine nicht intensive und
daher privatwirtschaftlich schlechte Ausnützung des Betriebsmittels mit der
Zubilligung der Unpfändbarkeit zu prämieren. Es könnte daher sowieso im
einzelnen

Seite: 25
Falle nicht auf die tatsächlich ausgewiesenen, sondern müsste auf die bei
einer rationellen Führung des Betriebs sich ergebenden Unkosten abgestellt
werden.
Gegenüber dem bei jedem Lastwagenbetrieb in den beiden Faktoren des
Investitionswerts und der Betriebsunkosten liegenden kapitalistischen Element
tritt das persönliche stark in den Hintergrund. Von der Ausübung eines in
eigentlicher Berufsausbildung erworbenen oder auf besonderen Fähigkeiten
beruhenden Könnens kann beim Lastwagenführer nicht gesprochen werden. Dieses
Verhältnis zwischen dem sachlichen und dem persönlichen Element der
gewerblichen Tätigkeit ist schon beim Personentaxiführer zugunsten des zweiten
verschoben, indem einerseits Wagenwert und Betriebskosten niedriger sind,
anderseits die Bedienung eine intensivere, geregeltere persönliche Leistung
erfordert. Noch mehr ist dies beim berufsmässigen Fahrlehrer der Fall, wo das
Element des systematischen, übrigens an behördliche Bewilligung (Art. 14 Abs.
3 MFG) geknüpften Lehrens das Betriebsmittel an Bedeutung überwiegt. Die
herrschende Praxis bezüglich Unpfändbarkeit des einzigen Autos des
Taxichauffeurs (BGE 61 III 47) und des Fahrschulautos (60 III 110) wird daher
durch die vorliegende grundsätzliche Entscheidung nicht berührt. Dass die
effektive Höhe der Kapitalinvestition bezw. der Betriebsunkosten nur eine
relative Grösse und entscheidend allein das Verhältnis ihrer Bedeutung
gegenüber der persönlichen Leistung des damit Arbeitenden ist, zeigt sich am
Beispiel des Zahnarztes, dessen Betrieb trotz dem in der Einrichtung
investierten bedeutenden Kapital zweifellos Berufsausübung und nicht
Unternehmen ist.
Demgemäss ist in allen Fällen der Schuldner, der mit eigenem Motorlastwagen
das Frachtführergewerbe auf eigene Rechnung betreibt, als Unternehmer zu
betrachten und daher dem Lastwagen die Kompetenzqualität zu versagen. Die
Behandlung der nicht unter den Begriff des Lastwagens fallenden, aber zum
Warentransport

Seite: 26
benutzten Motorwagen (z. B. sog. Lieferwagen) hat von Fall zu Fall nach den
oben angeführten Gesichtspunkten zu erfolgen.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und der
Lastwagen «Chevrolet» pfändbar erklärt.