73. Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. Dezember 1938 i. S. Gertsch gegen
Minoretti.
Regeste:
Pfandrecht. Verhältnis des Faustpfandgläubigers zum Schuldner des
Faustpfandtitels; ZGB Art. 891, 906:
- der Faustpfandgläubiger eines Eigentümerpfandtitels des Schuldners kann
nicht die Kündigung der Schuldbriefforderung gemäss Art. 906 Abs. 1 verlangen;
- von Gesetzes wegen ist der Faustpfandgläubiger nicht befugt, die ihm
verpfändete Grundpfandforderung gegenüber dem
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Grundpfandschuldner direkt zu kündigen und in eigenem Namen einzuziehen; er
kann hiezu aber durch den Faustpfandvertrag ermächtigt werden.
Mit Vertrag vom 30. Mai 1936 verkaufte Louis Gertsch sein Lebensmittelgeschäft
in Zürich an Frau Maria Minoretti-Lorenzini zum Preise von Fr. 6000.-, über
dessen Tilgung folgendes festgelegt wurde: der Verkäufer erhalte «als Zahlung»
einen auf der Liegenschaft Kanonengasse 15 lastenden Schuldbrief von Fr.
5000.- und Fr. 1000.- in Form von Wechseln; am Schuldbrief seien ab Oktober
1936 jeden Monat Fr. 100.- abzubezahlen; bei Verzug der Zahlungen sei der
Verkäufer berechtigt, den Schuldbrief auf drei Monate zur Zahlung des ganzen
Betrages zu kündigen, und unter bestimmten Bedingungen werde der ganze
Schuldbriefbetrag zur Zahlung fällig; nach Abzahlung des schuldigen Betrages
sei der Schuldbrief an die Käuferin zurückzugeben.
Schuldner des erwähnten, auf den Inhaber lautenden Schuldbriefes und
Eigentümer der Pfandliegenschaft ist der Ehemann der Käuferin, Giovanni
Minoretti. Er hatte den Titel seiner Frau zur Ermöglichung des Kaufgeschäftes
zur Verfügung gestellt. Der Schuldbrief enthält ein tägliches,
sechsmonatliches Kündigungsrecht des Gläubigers.
Am 30. September 1936 schrieb Gertsch der Käuferin Frau Minoretti, er kündige
den Inhaberschuldbrief wegen Zahlungsverzuges auf drei Monate. Im September
1937 leitete er für den dem Kaufpreisrest entsprechenden Betrag gegen
Minoretti gestützt auf den Schuldbrief die Grundpfandbetreibung ein, in
welcher er provisorische Rechtsöffnung erwirkte. Gegen diese richtet sich die
vorliegende Aberkennungsklage.
Sie ist von beiden kantonalen Instanzen, vom Obergericht mit Urteil vom 5.
Juli 1938, gutgeheissen worden. Das Obergericht nimmt als Ausgangspunkt die
Behauptung beider Parteien, der Schuldbrief habe einen Eigentümerpfandtitel
des Klägers dargestellt und sei von der Ehefrau
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des Klägers zur Sicherung ihrer Kaufpreisschuld dem Beklagten lediglich zu
Faustpfand übergeben worden. Hieraus folgert es, der Beklagte sei nicht
Gläubiger des Klägers geworden und demgemäss nicht zur Grundpfandbetreibung
legitimiert.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende, den Antrag auf Abweisung der
Aberkennungsklage wiederholende Berufung des Beklagten.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Mit der von beiden Parteien und ihnen folgend auch von der Vorinstanz zum
Ausgangspunkt gewählten Annahme eines Faustpfandrechtes des Beklagten an dem
auf den Kläger lautenden Inhaberschuldbrief zwecks Sicherung seiner
Kaufpreisforderung gegen die Ehefrau des Klägers ist das Rechtsverhältnis der
Parteien zutreffend beurteilt. Ob hiebei als Verpfänder des Titels die Ehefrau
des Klägers betrachtet wird, wie letzterer es in seiner Berufungsantwort tut
in der Meinung, dass seine Frau aus Schenkung oder einem andern Rechtsgrund
Gläubigerin des Titels geworden sei, oder ob mit der Vorinstanz angenommen
wird, der Kläger habe lediglich durch Vermittlung seiner Ehefrau den als
Eigentümerpfandtitel ihm selbst gehörenden Schuldbrief für die Schuld seiner
Frau zu Pfand gegeben, ist ohne Einfluss auf die aus diesem
Faustpfandverhältnis zu entscheidenden Fragen.
Im einen wie im andern Falle steht dem Faustpfandgläubiger kein aus dem
Pfandtitel fliessendes Gläubigerrecht gegen den Schuldner des Titels,
vorliegend somit keine Grundpfandforderung gegen den Aberkennungskläger zu.
Sein Recht beschränkt sich von Gesetzes wegen darauf, sich aus dem Erlös des
Pfandes bezahlt zu machen (ZGB Art. 891). Sowenig wie er vom Pfandschuldner
ohne Einwilligung des Verpfänders Zahlungen einziehen darf (ZGB Art. 906 Abs.
2), sowenig ist er auch zu irgend einem andern eigenmächtigen Vorgehen gegen
den Pfandschuldner befugt. Zu einer Kündigung der Forderung aus
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dem Pfandtitel gegenüber dem Schuldner ist er selbst dann nicht ermächtigt,
wenn die sorgfältige Verwaltung des Titels diese als geboten erscheinen lässt.
Art. 906 Abs. 1 gibt ihm nur das Recht, vom Verpfänder zu verlangen, dass
dieser die Kündigung vornehme, und ihn nötigenfalls durch den Richter hiezu zu
zwingen. Diese Kündigungsmöglichkeit entfällt, wenn kein vom Schuldner
verschiedener Verpfänder vorhanden, sondern ein Eigentümerpfandtitel des
Schuldners zu Pfand gegeben worden ist. In diesem Falle dem
Faustpfandgläubiger gleich einem Grundpfandgläubiger das Recht zur Kündigung
und Einziehung der im Pfandtitel verkörperten und umschriebenen Forderung
einzuräumen, ist nicht angängig; denn gerade dadurch, das. er sich den dem
Schuldner gehörenden Titel nicht an Zahlungsstatt, sondern nur zu Faustpfand
hat übertragen lassen, bekundet er, dass er nicht Grundpfandgläubiger werden
und seine Beziehungen zum Schuldner nicht durch den Inhalt des
Grundpfandtitels, sondern durch den ursprünglichen Schuldvertrag und den
Faustpfandvertrag geregelt wissen will.
Die gesetzliche Umschreibung der Stellung des Faustpfandgläubigers ist
indessen nicht zwingenden Rechtes. Mit Ausnahme der Verfallklausel, die Art.
894
SR 210 Codice civile svizzero del 10 dicembre 1907 CC Art. 894 - È nullo qualunque patto che autorizza il creditore ad appropriarsi il pegno in difetto di pagamento.
ZGB als unzulässig erklärt, kann der Faustpfandvertrag die Rechte des
Faustpfandgläubigers ausdehnen und insbesondere festlegen, auf welche Art der
Erlös des Pfandes zu gewinnen ist, aus dem er sich bezahlt machen darf. Wie er
nach ständiger Praxis berechtigt erklärt werden kann, den Pfandtitel ohne
Beschreitung des Zwangsvollstreckungsverfahrens selbst zu verwerten, kann ihm
auch die gemäss Art. 906 Abs. 2 sonst fehlende Befugnis eingeräumt werden, die
im Pfandtitel verkörperte Forderung bei ihrer Fälligkeit, wenn auch nicht aus
eigenem Recht, so doch in eigenem Namen geltend zu machen und die Fälligkeit
durch direkte Kündigung an den Schuldner herbeizuführen. Eine Abmachung dieses
Inhaltes bietet, weil sie zur Realisierung des vollen Pfandwertes führt, für
den Verpfänder
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weniger Gefahren als der Auftrag an den Pfandgläubiger zur freihändigen
Verwertung der Pfandsache; der Verfallklausel ist sie nicht gleichzustellen,
da sie die Verpflichtung des Pfandgläubigers in sich schliesst, den Überschuss
über die Befriedigung seiner Forderung hinaus dem Verpfänder auszuliefern.
Ein solcher Auftrag an den Faustpfandgläubiger zur direkten Geltendmachung der
verpfändeten Forderung liegt im vorliegenden Falle in der Vertragsbestimmung,
durch welche der Beklagte als berechtigt erklärt wird, bei Verzug der Käuferin
mit ihren Kaufpreisraten den Schuldbrief zur Zahlung des ganzen Betrages auf
drei Monate zu kündigen. Die Ermächtigung der Käuferin zur Festlegung dieser
Vertragsbestimmung folgt aus ihrer Verfügungsmacht über den zu Pfand gegebenen
Titel; der Kläger der den Titel nach eigener Erklärung gerade zum Zwecke
dieser Verpfändung zur Verfügung gestellt hat, bestreitet dies denn auch
nicht. Ob er vom Inhalt des Verpfändungsvertrages Kenntnis hatte und es
billigte, dass die im Schuldbrief auf sechs Monate bemessene Kündigungsfrist
auf drei Monate verkürzt werde, steht nicht fest. Sollte es nicht zutreffen,
so wäre deswegen die Vereinbarung nicht als ungültig zu betrachten, sondern
als eine auf die zulässige Frist gerichtete Abmachung umzudeuten. Das gleiche
gilt für die vom Beklagten auf Grund der Vereinbarung vollzogene, zu kurz
befristete Kündigung; die Frist von sechs Monaten, auf die sie wirkte, war im
Zeitpunkt der Einleitung der Betreibung verstrichen.
Das Kündigungsschreiben hat der Beklagte freilich an seine
Kaufvertragsgegnerin, die Ehefrau des Klägers, und nicht an diesen selbst
gerichtet. Durch sein Verhalten vor dem Rechtsöffnungsrichter, wo er nur die
Missachtung der Kündigungsfrist rügte, und durch seine Stellungnahme zu den
Zahlungsbegehren des Beklagten zeigte der Kläger aber, dass auch er die
Kündigung zur Kenntnis genommen und sie als eine gegen ihn als
Grundpfandschuldner persönlich gerichtete betrachtet hat.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichtes des Kantons
Zürich vom 5. Juli 1938 aufgehoben und die Aberkennungsklage abgewiesen.