S. 54 / Nr. 14 Prozessrecht (d)

BGE 63 II 54

14. Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. März 1937 i. S. Billod gegen Arbenz.

Regeste:
Zivilrechtliche Beschwerde, Art. 87 Ziff. 3 OG; Zulässigkeit.

Hinterlegungsort bei Ungewissheit des Gläubigers, Art. 96
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 96 - Kann die Erfüllung der schuldigen Leistung aus einem andern in der Person des Gläubigers liegenden Grunde oder infolge einer unverschuldeten Ungewissheit über die Person des Gläubigers weder an diesen noch an einen Vertreter geschehen, so ist der Schuldner zur Hinterlegung oder zum Rücktritt berechtigt, wie beim Verzug des Gläubigers.
/168
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 168 - 1 Ist die Frage, wem eine Forderung zustehe, streitig, so kann der Schuldner die Zahlung verweigern und sich durch gerichtliche Hinterlegung befreien.
1    Ist die Frage, wem eine Forderung zustehe, streitig, so kann der Schuldner die Zahlung verweigern und sich durch gerichtliche Hinterlegung befreien.
2    Zahlt der Schuldner, obschon er von dem Streite Kenntnis hat, so tut er es auf seine Gefahr.
3    Ist der Streit vor Gericht anhängig und die Schuld fällig, so kann jede Partei den Schuldner zur Hinterlegung anhalten.
OR.
A. - Der Beschwerdeführer Billod bestellte laut Auftragsbestätigung vom 3. Mai
1936 und Rechnung vom 5. August 1936 beim Beschwerdegegner Arbenz, dem
damaligen Generalvertreter der Firma T. & W. Oertli A.-G., Zürich, Fabrik für
automatische Heizungsanlagen, einen automatischen Kohlenbrenner zum Preise von
Fr. 2500.-, zahlbar zu 50% bei Ankunft des Materials, 40% nach
Inbetriebsetzung und 10% Ende April 1937.

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Nach Ankunft des Brenners bezahlte Billod vertragegemäss am 7. August 1936 den
Betrag von Fr. 1250.- an Arbenz.
Ende August 1936 löste die T. & W. Oertli A.-G. das Vertretungsverhältnis mit
Arbenz wegen Differenzen auf. Unter Berufung auf den Forderungsübergang gemäss
Art. 401 Abs. 1 und 425 Abs. 2 OB verlangte sie von Billod, dass er die
weiteren Zahlungen aus dem Vertrag vom 3. Mai 1936 an sie leiste. Arbenz, der
die Zulässigkeit der Vertragsaufhebung bestritt, verlangte seinerseits von
Billod Bezahlung an ihn.
B. - Da der Beschwerdeführer sich nicht in den Streit zwischen der Firma und
ihrem ehemaligen Generalvertreter einmischen wollte, stellte er beim
Einzelrichter für nichtstreitige Rechtssachen am Bezirksgericht Zürich unter
Berufung auf Art. 168
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 168 - 1 Ist die Frage, wem eine Forderung zustehe, streitig, so kann der Schuldner die Zahlung verweigern und sich durch gerichtliche Hinterlegung befreien.
1    Ist die Frage, wem eine Forderung zustehe, streitig, so kann der Schuldner die Zahlung verweigern und sich durch gerichtliche Hinterlegung befreien.
2    Zahlt der Schuldner, obschon er von dem Streite Kenntnis hat, so tut er es auf seine Gefahr.
3    Ist der Streit vor Gericht anhängig und die Schuld fällig, so kann jede Partei den Schuldner zur Hinterlegung anhalten.
OR das Begehren, die nach Inbetriebsetzung der Heizung
verfallene Zahlung von Fr. 1000.- hinterlegen zu dürfen.
Der Einzelrichter entsprach diesem Begehren mit Entscheid vom 14. Oktober
1936, bezeichnete als Hinterlegungsstelle die Bezirksgerichtskasse Zürich und
setzte dem Beschwerdegegner Arbenz Frist an, um gegen die T. & W. Oertli A.-G.
Klage auf Herausgabe der Fr. 1000.- zu erheben, unter der Androhung, dass das
Depositum sonst an die Firma Oertli herausgegeben werde. Von welchen
Überlegungen sich der Richter leiten liess, Arbenz und nicht der T. & W.
Oertli A.-G. die Klägerrolle zuzuteilen, ist aus dem Entscheid nicht
ersichtlich.
C. - Auf die Beschwerde des Arbenz hin hob das Obergericht des Kantons Zürich
die Verfügung des Einzelrichters auf und verweigerte die Hinterlegung, weil
der zürcherische Richter hiefür nicht zuständig sei.
D. - Gegen den Entscheid des Obergerichtes vom 19. November 1936 hat Billod
zivilrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht eingereicht, mit der er die
Wiederherstellung des erstinstanzlichen Entscheides beantragt. Der
Beschwerdegegner beantragt, es sei auf die Beschwerde nicht einzutreten,
eventuell sei sie abzuweisen.

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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Nach Art. 87 Ziff. 3 OG können letztinstanzliche, der Berufung nicht
unterliegende kantonale Entscheide in Zivilsachen mit der zivilrechtlichen
Beschwerde angefochten werden wegen Verletzung von Gerichtsstandsbestimmungen
eidgenössischen Rechtes.
Der vorliegende Streit dreht sich nun in der Tat um die Frage, ob die
Vorinstanz eine Gerichtsstandsbestimmung eidgenössischen Rechtes verletzt
habe; denn der Beschwerdeführer behauptet, kraft Bundesrechtes befugt gewesen
zu sein, die sowohl von Arbenz wie der T. & W. Oertli A.-G. beanspruchten Fr.
1000.-, entgegen dem Entscheid der Vorinstanz, in Zürich zu hinterlegen. Auf
die Beschwerde ist daher einzutreten, sofern es sich um einen Entscheid in
einer nicht berufungsfähigen Zivilsache handelt. Auch diese weitere
Voraussetzung ist entgegen der Ansicht des Beschwerdegegners erfüllt: Das dem
Streit um die Gerichtsstandsfrage zu Grunde liegende Rechtsverhältnis ist die
Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Bezahlung des ihm gelieferten
Kohlenbrenners, also unzweifelhaft ein zivilrechtliches Verhältnis. Auf dieses
Grundverhältnis aber kommt es für die Entscheidung über die Zulässigkeit der
zivilrechtlichen Beschwerde an (BGE 54 II S. 131); denn die Frage nach dem
Gerichtsstand an sich ist ja eine solche des öffentlichen Rechtes, nämlich des
Prozessrechtes, dessen Regelung den Kantonen überlassen ist, soweit nicht der
Bundesgesetzgeber zur Sicherung des materiellen Zivilrechtes einschränkende
Bestimmungen aufstellt, deren Beobachtung durch das Rechtsmittel der
zivilrechtlichen Beschwerde gewährleistet werden soll.
Die zivilrechtliche Berufung sodann kommt hier schon deshalb nicht in
Betracht, weil das Grundverhältnis als solches gar nicht streitig ist, sondern
nur die Frage der Hinterlegung, und weil überdies der Berufungsstreitwert
fehlen würde.
2.- In der Sache selbst ist davon auszugehen, dass die

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Befugnis des Beschwerdeführers zur Hinterlegung nicht bestritten ist und auch
nicht wohl bestritten werden könnte. Sowohl Arbenz, wie die T. & W. Oertli
A.-G. behaupten, Gläubiger der Forderung gegen den Beschwerdeführer zu sein,
so dass dieser nach Art. 168 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 168 - 1 Ist die Frage, wem eine Forderung zustehe, streitig, so kann der Schuldner die Zahlung verweigern und sich durch gerichtliche Hinterlegung befreien.
1    Ist die Frage, wem eine Forderung zustehe, streitig, so kann der Schuldner die Zahlung verweigern und sich durch gerichtliche Hinterlegung befreien.
2    Zahlt der Schuldner, obschon er von dem Streite Kenntnis hat, so tut er es auf seine Gefahr.
3    Ist der Streit vor Gericht anhängig und die Schuld fällig, so kann jede Partei den Schuldner zur Hinterlegung anhalten.
OR, der einen Sonderfall der allgemeinen
Bestimmung des Art. 96
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 96 - Kann die Erfüllung der schuldigen Leistung aus einem andern in der Person des Gläubigers liegenden Grunde oder infolge einer unverschuldeten Ungewissheit über die Person des Gläubigers weder an diesen noch an einen Vertreter geschehen, so ist der Schuldner zur Hinterlegung oder zum Rücktritt berechtigt, wie beim Verzug des Gläubigers.
OR bedeutet, zur Hinterlegung befugt ist, weil unsicher
ist, an wen er mit befreiender Wirkung bezahlen kann. Streitig ist lediglich,
an welchem Orte die Hinterlegung zu geschehen habe. Nach Art. 92
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 92 - 1 Wenn der Gläubiger sich im Verzuge befindet, so ist der Schuldner berechtigt, die geschuldete Sache auf Gefahr und Kosten des Gläubigers zu hinterlegen und sich dadurch von seiner Verbindlichkeit zu befreien.
1    Wenn der Gläubiger sich im Verzuge befindet, so ist der Schuldner berechtigt, die geschuldete Sache auf Gefahr und Kosten des Gläubigers zu hinterlegen und sich dadurch von seiner Verbindlichkeit zu befreien.
2    Den Ort der Hinterlegung hat der Richter zu bestimmen, jedoch können Waren auch ohne richterliche Bestimmung in einem Lagerhause hinterlegt werden.42
OR, auf den
Art. 96
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 96 - Kann die Erfüllung der schuldigen Leistung aus einem andern in der Person des Gläubigers liegenden Grunde oder infolge einer unverschuldeten Ungewissheit über die Person des Gläubigers weder an diesen noch an einen Vertreter geschehen, so ist der Schuldner zur Hinterlegung oder zum Rücktritt berechtigt, wie beim Verzug des Gläubigers.
OR verweist, hat die Hinterlegung am Erfüllungsort zu erfolgen, der
sich seinerseits nach den Grundsätzen von Art. 74
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 74 - 1 Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
1    Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
2    Wo nichts anderes bestimmt ist, gelten folgende Grundsätze:
1  Geldschulden sind an dem Orte zu zahlen, wo der Gläubiger zur Zeit der Erfüllung seinen Wohnsitz hat;
2  wird eine bestimmte Sache geschuldet, so ist diese da zu übergeben, wo sie sich zur Zeit des Vertragsabschlusses befand;
3  andere Verbindlichkeiten sind an dem Orte zu erfüllen, wo der Schuldner zur Zeit ihrer Entstehung seinen Wohnsitz hatte.
3    Wenn der Gläubiger seinen Wohnsitz, an dem er die Erfüllung fordern kann, nach der Entstehung der Schuld ändert und dem Schuldner daraus eine erhebliche Belästigung erwächst, so ist dieser berechtigt, an dem ursprünglichen Wohnsitze zu erfüllen.
OR bestimmt. Danach sind
mangels einer andern vertraglichen Regelung Geldschulden am Wohnsitz des
Gläubigers zur Zeit der Erfüllung zu erfüllen (Art. 74 Ziff. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 74 - 1 Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
1    Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
2    Wo nichts anderes bestimmt ist, gelten folgende Grundsätze:
1  Geldschulden sind an dem Orte zu zahlen, wo der Gläubiger zur Zeit der Erfüllung seinen Wohnsitz hat;
2  wird eine bestimmte Sache geschuldet, so ist diese da zu übergeben, wo sie sich zur Zeit des Vertragsabschlusses befand;
3  andere Verbindlichkeiten sind an dem Orte zu erfüllen, wo der Schuldner zur Zeit ihrer Entstehung seinen Wohnsitz hatte.
3    Wenn der Gläubiger seinen Wohnsitz, an dem er die Erfüllung fordern kann, nach der Entstehung der Schuld ändert und dem Schuldner daraus eine erhebliche Belästigung erwächst, so ist dieser berechtigt, an dem ursprünglichen Wohnsitze zu erfüllen.
OR). Diese
Bestimmung bietet für den vorliegenden Fall aber deshalb keine Lösung, weil ja
gerade Ungewissheit darüber besteht, wer Gläubiger der Forderung ist. Zu
Unrecht glaubt der Beschwerdeführer, sich für diesen Fall auf
OSER-SCHÖNENBERGER, Anm. 18 zu Art. 74
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 74 - 1 Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
1    Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
2    Wo nichts anderes bestimmt ist, gelten folgende Grundsätze:
1  Geldschulden sind an dem Orte zu zahlen, wo der Gläubiger zur Zeit der Erfüllung seinen Wohnsitz hat;
2  wird eine bestimmte Sache geschuldet, so ist diese da zu übergeben, wo sie sich zur Zeit des Vertragsabschlusses befand;
3  andere Verbindlichkeiten sind an dem Orte zu erfüllen, wo der Schuldner zur Zeit ihrer Entstehung seinen Wohnsitz hatte.
3    Wenn der Gläubiger seinen Wohnsitz, an dem er die Erfüllung fordern kann, nach der Entstehung der Schuld ändert und dem Schuldner daraus eine erhebliche Belästigung erwächst, so ist dieser berechtigt, an dem ursprünglichen Wohnsitze zu erfüllen.
OR berufen zu können, wonach bei der
Beteiligung mehrerer Gläubiger an einer Obligation auch mehrere Erfüllungsorte
- und damit auch mehrere Hinterlegungsorte - in Frage kommen. Von einer
Beteiligung mehrerer Gläubiger an einer Obligation kann hier nämlich nicht
gesprochen werden; denn nur einer der Ansprecher ist in Wirklichkeit
Gläubiger, nicht beide, und es besteht lediglich Ungewissheit darüber, welcher
es ist. Dem Schuldner das Wahlrecht zu überlassen, wo er deponieren wolle,
geht ebenfalls nicht an. Hierin läge, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt,
ein Widerspruch in sich selbst. Damit nähme der Schuldner ja zu Gunsten des
einen Ansprechers Stellung, während er doch die Hinterlegung gerade damit
begründet, dass er sich nicht in den Streit der Ansprecher einmischen wolle.
Unter diesen Umständen ist die von der Vorinstanz getroffene Lösung am
nächstliegenden, nämlich dass auf

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denjenigen Erfüllungsort abzustellen ist, an welchem die Erfüllung hätte
erfolgen müssen, wenn sich nicht ein Streit um die Zuständigkeit der Forderung
erhoben hätte. Dieser Erfüllungsort ist hier nun zweifellos nicht Zürich,
sondern Lausanne. Dort hat der Beschwerdegegner, der auf Grund des
Lieferungsvertrages über den Kohlenbrenner Gläubiger für die vom
Beschwerdeführer zu bezahlende Geldschuld war, seinen Wohnsitz, so dass der
Beschwerdeführer ohne das Dazwischentreten der T. & W. Oertli A.-G. dorthin
hätte zahlen müssen, wie er dies auch hinsichtlich der 1. Rate von Fr. 1250.-
getan hat.
Hat somit die Vorinstanz durch die Verweigerung der Hinterlegung in Zürich
nicht gegen eine bundesrechtliche Gerichtsstandsbestimmung verstossen, so ist
die Beschwerde abzuweisen.,
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.