S. 140 / Nr. 37 Obligationenrecht (d)

BGE 62 II 140

37. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. Mai 1936 i. S.
Aktiebolaget Obligationsinteressenter gegen Bank für Internationalen
Zahlungsausgleich.

Regeste:
Young-Anleihe.
Bestimmung des anwendbaren Rechtes: Massgebend ist das Recht des
Erfüllungsortes als dasjenige des mutmasslichen Parteiwillens (Erw. 1).
Rechtsnatur der Anleihe: Unmittelbares Schuldverhältnis zwischen dem
Anleihe-Schuldner und dem einzelnen Titelinhaber; die B. I. Z. ist nur
«Treuhänderin» im Sinne einer Zahl- und Mittelstelle, die grundsätzlich an die
Weisungen des Schuldners betr. die Weiterleitung der Zahlungen gebunden ist
(Erw. 3).

Die Klägerin ist Inhaberin von Obligationen im Nominalwert von 2 Millionen
schwedischen Kronen der schwedischen Ausgabe der sog. Young-Anleihe, welche
das Deutsche Reich in einer Anzahl von europäischen Staaten sowie den USA im
Jahre 1930 aufgenommen hat. Die Anleihensbedingungen enthalten u. a. eine
Goldklausel und bestimmen ferner, dass die verschiedenen Ausgaben der Anleihe
in jeder Hinsicht gleichen Rang haben sollen. Der Dienst der Anleihe, die als
unmittelbare Verpflichtung des Deutschen Reiches gegenüber den Inhabern der
Schuldverschreibungen

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bezeichnet wird, wurde von der B. I. Z. in Basel als «Treuhänder» übernommen
und mit Hilfe eines von ihr verwalteten, durch die Zahlungen des Deutschen
Reiches gespeisten Fonds ausgeführt.
Im September 1931 gab Schweden im Anschluss an das Vorgehen Grossbritanniens
die Goldwährung preis, was zur Folge hatte, dass die schwedische Krone unter
pari sank. Das Deutsche Reich verzinste jedoch in Nachachtung der in den
Schuldverschreibungen enthaltenen Goldklausel die Titel der schwedischen
Ausgabe bis zum 1. Dezember 1932 gleichwohl zum Goldwert.
Mit Schreiben vom 8. Mai 1933 teilte dann jedoch der Deutsche
Reichsfinanzminister der B. I. Z. mit, die deutsche Regierung werde inskünftig
die Zahlungen für den Dienst der englischen, amerikanischen sowie der
schwedischen Ausgabe der Young-Anleihe nur noch zum Nennbetrage der
Originalwährungen vornehmen im Hinblick darauf, dass verschiedene englische
Gerichte die Goldklausel bei Sterling-Anleihen als unverbindlich erklärt
hätten und dass die Regierung der U. S. A. hinsichtlich der
Dollarverbindlichkeiten mit Goldklausel denselben Standpunkt eingenommen habe.
Trotz dem Protest der B. I. Z. überwies das Deutsche Reich in der Folge der
Beklagten nicht den Goldwert der sämtlichen auf 1. Juni 1933 fälligen
Zinscoupons, sondern nur den erheblich geringeren Nennwert. Mittels dieser
Beträge löste die Beklagte die Zinsscheine sämtlicher Ausgaben der Anleihe
ebenfalls zum Nennbetrage ein, so dass nur die Inhaber der Obligationen, die
auf nicht entwertete Währungen lauteten, den Goldwert erhielten, während die
Inhaber von Titeln der englischen, amerikanischen und schwedischen Ausgabe
einen geringeren Wert bekamen.
Gegen diese Verteilungsweise liess die Klägerin am 21. November 1933 durch
ihren Anwalt bei der Beklagten protestieren; sie verlangte, dass ihre am 1.
Dezember 1933 fällig werdenden Coupons in dem Betrage honoriert werden, der
sich bei einer gleichmässigen Verteilung der

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von Deutschland eingegangenen Zahlungen auf sämtliche Anleihensausgaben nach
Massgabe des Goldwertes ergebe.
Da die Beklagte diesem Gesuch nicht entsprechen zu können erklärte, reichte
die Klägerin gegen sie Schadenersatzklage ein auf Bezahlung der Differenz
zwischen dem Nennwert des Zinsbetreffnisses und demjenigen Betrag, der bei dem
von der Klägerin verlangten Verteilungsmodus auf ihre Titel entfallen wäre,
was für die Zinsbetreffnisse pro 1. Dezember 1933 und 1. Dezember 1934 rund
16000 Schw. Fr. ausmacht.
Das Bundesgericht hat in Bestätigung des Entscheides des Zivilgerichtes und
des Appellationsgerichtes von Basel-Stadt die Klage abgewiesen.
Aus den Erwägungen:
1. ­ Da nach Art. 56 /57 OG die Berufung an das Bundesgericht nur wegen
Verletzung eidgenössischen Rechtes zulässig ist, so muss in erster Linie
untersucht werden, von welchem Rechte das streitige Rechtsverhältnis
beherrscht wird. Dabei ist davon auszugehen, dass es sich bei dem vorliegenden
Rechtsstreit um Fragen handelt, die auf die Erfüllung einer obligatorischen
Verpflichtung Bezug haben. Hiefür ist nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtes dasjenige Recht massgebend, welches die Parteien beim
Vertragsschluss in Aussicht genommen hatten. Sofern, wie es hier der Fall ist,
eine ausdrückliche Rechtskürung fehlt, so ist auf dasjenige Recht abzustellen,
dessen Anwendung die Parteien bei einer ausdrücklichen Regelung dieser Frage
vernünftigerweise vereinbart hätten. Als dieses Recht des mutmasslichen
Parteiwillens ist in der Regel, sofern keine genügenden Indizien für eine
andere Willensmeinung der Parteien vorliegen, das Recht des Erfüllungsortes zu
betrachten (BGE 58 II S. 435 und dort zitierte frühere Entscheide; 60 II S.
300; 61 II S. 182).
Vor den kantonalen Instanzen hatte die Beklagte die Auffassung vertreten, es
sprächen schlüssige Indizien dafür, dass die Parteien den Willen hatten, ihre
Beziehungen dem «angelsächsischen» Recht zu unterstellen.

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Als solche Indizien nannte sie die im französischen und schwedischen Titeltext
verwendete Bezeichnung der Beklagten als «Trustee», die lediglich im deutschen
Titeltext mit «Treuhänder» übersetzt sei, sowie den Umstand, dass englische
und amerikanische Finanzleute und Juristen auf die Ausarbeitung der
Anleihensbedingungen von massgebendem Einfluss gewesen seien. Diesen von
beiden kantonalen Instanzen abgelehnten Standpunkt hat die Beklagte in der
Berufungsverhandlung mit Recht preisgegeben. Wenn es auch zutreffen mag, dass
einzelne bei der Ausarbeitung der Anleihensbedingungen mitwirkende Personen
sich unter dem Einfluss gewisser, dem angelsächsischen Rechtskreis
angehörenden Vorstellungen befanden, so darf mit Rücksicht auf die
tiefgreifenden Unterschiede zwischen angelsächsischem und kontinentalem
Rechtsdenken daraus noch nicht ohne weiteres gefolgert werden, auch die den
verschiedensten Staaten angehörenden Anleihenszeichner hätten sich diesen
Vorstellungen stillschweigend unterzogen und sie damit zum Vertragsinhalt
gemacht. Hiezu hätte es vielmehr einer klaren und eindeutigen Willensäusserung
in den Anleihensbedingungen bedurft. Selbst wenn man sich aber der
Argumentation der Beklagten anschliessen wollte, so wäre immer noch
unentschieden, ob englisches oder amerikanisches Recht als massgebend zu
gelten hätte, da ein einheitliches «angelsächsisches Recht» nicht existiert
und die beiden in Frage kommenden Rechte trotz ihrer Wesensähnlichkeit im
Einzelnen weitgehende Verschiedenheiten aufweisen können.
Als Recht des somit massgebenden Erfüllungsortes, das nach der lex fori zu
ermitteln ist, wird von den Vorinstanzen in zutreffender Weise das
schweizerische Recht bezeichnet, da der wesentliche Inhalt der Verpflichtungen
der Beklagten in einer in Basel vorzunehmenden Geschäftsbesorgung besteht:
Dort geht die Verwaltung des durch die Zahlungen der Deutschen Regierung
gebildeten Fonds, sowie die Besorgung des Anleihedienstes durch die Beklagte
vor sich.
Auf die Berufung ist daher einzutreten...

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3. ­ a) In der Sache selbst ist der Vorinstanz darin beizupflichten, dass das
durch die Anleihensbestimmungen geschaffene Rechtsverhältnis der Beklagten zum
Deutschen Reich einerseits und den Obligationären anderseits nicht schlechthin
den Regeln über den Auftrag, Art. 394 ff
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 394 - 1 Durch die Annahme eines Auftrages verpflichtet sich der Beauftragte, die ihm übertragenen Geschäfte oder Dienste vertragsgemäss zu besorgen.
1    Durch die Annahme eines Auftrages verpflichtet sich der Beauftragte, die ihm übertragenen Geschäfte oder Dienste vertragsgemäss zu besorgen.
2    Verträge über Arbeitsleistung, die keiner besondern Vertragsart dieses Gesetzes unterstellt sind, stehen unter den Vorschriften über den Auftrag.
3    Eine Vergütung ist zu leisten, wenn sie verabredet oder üblich ist.
. OR, unterstellt werden darf, mag die
Stellung der Beklagten als Treuhänderin im deutschen Text auch mit
«Beauftragter der Inhaber der Schuldverschreibungen» umschrieben worden sein.
Für ein Auftragsverhältnis fehlt es nämlich an der jederzeitigen
Widerrufbarkeit, die für ein solches begriffswesentlich ist
(OSER-SCHÖNENBERGER, Anm. 2 zu Art. 404
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 404 - 1 Der Auftrag kann von jedem Teile jederzeit widerrufen oder gekündigt werden.
1    Der Auftrag kann von jedem Teile jederzeit widerrufen oder gekündigt werden.
2    Erfolgt dies jedoch zur Unzeit, so ist der zurücktretende Teil zum Ersatze des dem anderen verursachten Schadens verpflichtet.
OR). Ferner nimmt die Beklagte eine
wesentlich freiere Stellung ein, als sie ein Beauftragter hat, indem Weisungen
sowohl des Reiches, wie der Obligationäre für sie nicht unter allen Umständen
verbindlich sind. Vielmehr ist das Rechtsverhältnis als ein auftragsähnlicher,
dreiseitiger Vertrag sui generis aufzufassen, für dessen Inhalt
ausschliesslich die Bestimmungen des Anleihensvertrages massgebend sind.
b) Die Entscheidung des Rechtsstreites hängt nun davon ab, ob die Beklagte zu
der von der Klägerin verlangten gleichmässigen Verteilung der vom, Deutschen
Reich eingegangenen Zahlungen auf alle Anleihensgläubiger verpflichtet gewesen
wäre.
Die von der Klägerin vertretene Ansicht wäre dann richtig, wenn zwischen dem
Deutschen Reich und den Obligationären keine unmittelbare rechtliche Beziehung
bestände, sondern nur zwischen dem Reich und der Beklagten einerseits und
dieser und den Obligationären anderseits, in der Weise, dass das Reich der
Beklagten als Treuhänderin das ganze Anleihen als einheitliche Verpflichtung
schuldete, während die Obligationäre gegen die Beklagte Anspruch auf die
einzelnen Titelbeträge hätten. In diesem Falle könnte nämlich die sogenannte
pari-passu-Klausel, auf die sich die Klägerin beruft, nur eine Verpflichtung
der Beklagten darstellen, da mangels einer direkten Rechtsbeziehung zwischen
dem Reich und den Obligationären

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eine ungleiche Behandlung der letzteren durch jenes gar nicht denkbar wäre.
Allein so verhält es sich hier nicht. Nach dem klaren Wortlaut der
Anleihensbestimmungen stellt «die Entrichtung des Kapitals, der Zinsen und der
Tilgungsbeträge eine unmittelbare Verpflichtung des Deutschen Reichs gegenüber
den Inhabern der Schuldverschreibungen» dar. Hieraus ergibt sich, dass die
Ansprüche der einzelnen Obligationäre zwar auf einem einheitlichen Schuldgrund
beruhen, nämlich auf dem gemeinsamen Anleihensvertrag, im übrigen aber
voneinander unabhängige direkte Forderungen gegenüber dem Reich darstellen,
die durch die Zahlung des letzteren an die Beklagte mit unmittelbarer Wirkung
gegenüber den Inhabern der Schuldverschreibungen erfüllt werden. Angesichts
dieser klaren Regelung verschlägt es nichts, wenn in Art. VII der allgemeinen
Schuldverschreibung davon die Rede ist, dass das Deutsche Reich die auf die
einzelnen nationalen Ausgaben der Anleihe entfallenden Beträge der Bank
schulde. Mit dieser Formulierung sollte nach der gesamten Ausgestaltung der
Anleibe offensichtlich nur zum Ausdruck gebracht werden, dass das Deutsche
Reich sich verpflichte, die Kapital- und Zinsbeträge der Beklagten in ihrer
Eigenschaft als Vertreterin der Obligationäre einzuzahlen. Eine Bestimmung,
nach welcher die Zahlungsbank mit ihren verhältnismässig geringen Geldmitteln
alleinige Schuldnerin für den ausserordentlich hoben Anleihensbetrag von rund
1½ Milliarden Schw. Fr. geworden wäre, hätte die Zeichnung der Anleihe
sicherlich in Frage gestellt.
c) Ist aber das Deutsche Reich allein Schuldner aus dem Darlehensvertrag, so
stellt die pari-passu-Klausel, ebenso wie die Goldklausel, eine vertragliche
Verpflichtung des Reiches dar, die für die Beklagte nur insofern von Bedeutung
ist, als sie selber aus eigenem Antrieb keine dieser Bestimmung
zuwiderlaufenden Anordnungen treffen durfte. Wenn aber das Deutsche Reich, wie
es hier der Fall war, mit der Einzahlung der Zinsbetreffnisse die
ausdrückliche

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Weisung verband, auf einzelnen Ausgaben der Anleihe den Zins nur nach Massgabe
des Nennwertes auszurichten, so war die Beklagte als blosse Mittelstelle
zwischen Gläubiger und Schuldner an diese die Weiterleitung der Zahlungen
betreffenden Weisungen nur dann nicht gebunden, wenn sie eine durch nichts zu
rechtfertigende Verletzung der vertraglichen Bestimmungen bedeuteten. Diese
Voraussetzung war hier jedoch nicht erfüllt; denn aus der Begründung, welche
das Deutsche Reich für sein Vorgehen gab, das allerdings unbestreitbar eine
Verletzung sowohl der Gold- wie der pari-passu-Klausel darstellte, ist
ersichtlich, dass diese Massnahme den Charakter einer unter dem Gesichtspunkt
des Völkerrechtes angeordneten Repressalie gegenüber jenen Staaten haben
sollte, die ihrerseits von der Goldwährung abgegangen und unter Missachtung
von mit Goldklauseln versehenen Verpflichtungen die Interessen von Angehörigen
des Deutschen Reiches geschädigt hatten. Ob dem Deutschen Reich ein solches
Repressalienrecht zustand oder ob die Nichteinhaltung der Vertragsbestimmungen
auch völkerrechtlich betrachtet unerlaubt war, hatte die Beklagte nicht zu
entscheiden. Dass ihr eine so weitgehende, die Funktionen einer Zahlstelle und
einer Vertreterin der Obligationäre an Bedeutung weit übersteigende Befugnis
habe eingeräumt werden wollen, darf mangels einer klaren und
unmissverständlichen Bestimmung dieses Inhaltes im Anleihensvertrag nicht
vermutet werden. Der Beklagten musste vielmehr genügen, dass der Standpunkt
des Reiches nicht offensichtlich unhaltbar war. Als ihre Proteste und
Vorstellungen, die sie als Vertreterin der Obligationärinteressen
pflichtgemäss erhob, von der deutschen Regierung nicht beachtet wurden, blieb
ihr nichts anderes übrig, als eine Verteilung der Zinsen gemäss den Weisungen
des Schuldners vorzunehmen. Da sie überdies noch die Ansprüche der
benachteiligten Obligationäre gegenüber dem Deutschen Reich ausdrücklich
vorbehielt, so kann von einer Verletzung ihrer aus dem Anleihensvertrag
fliessenden Pflichten gegenüber

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den Obligationären nicht die Rede sein, so dass sich die Schadenersatzklage
als unbegründet erweist.
d) Hätte die Beklagte entgegen der Weisung der deutschen Regierung von sich
aus eine gleichmässige Verteilung der Zinszahlungen in dem von der Klägerin
angestrebten Sinne vorgenommen, so hätte darin eine Verletzung der Ansprüche
derjenigen Obligationäre gelegen, deren Titel auf Währungen lauteten die beim
Goldstandard verblieben waren und welche nach dem Willen des Schuldners zum
Goldwert bezahlt werden sollten. Überdies hätte ein solches Vorgehen eine
Verletzung der in Art. VI lit. a der allgemeinen Schuldverschreibung
enthaltenen Bestimmung involviert, dass die Obligationäre auf jeden Fall den
Nennwert zu beanspruchen hätten. Dass diese Bestimmung in erster Linie für den
Fall eines Sinkens des Goldpreises gedacht war, schliesst nicht aus, dass sie
auch zu beachten ist, wenn in einem anderen Zusammenhang die Möglichkeit
auftaucht, dass die Zahlungen den Nennbetrag nicht mehr erreichen. ...