S. 181 / Nr. 40 Obligationenrecht (d)

BGE 61 II 181

40. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 19. Juni 1935 i. S. Ruetz
gegen Ettlinger.

Regeste:
Bürgschaft eines schweizerischen Bürgen für ein zwischen ausländischen Firmen
im Ausland begründetes Kreditverhältnis: Bestimmung des auf Hauptschuld und
Bürgschaft anwendbaren Rechtes.

Aus dem Tatbestand:
Mit einem als «Werkvertrag» betitelten, in Karlsruhe abgeschlossenen Vertrag
vom 9. Mai 1930 übertrug die Firma Karl Ruetz & Cie in Konstanz der Firma
Nagel & Weber, Schlosserei und Eisenwarenfabrik in Karlsruhe, die alleinige
Fabrikation des «Original-Ruetz» Feuerbeschickungsapparates für Ziegeleiöfen.
Der in Biel wohnhafte Beklagte Josef Ruetz, Kommanditär der Firma Karl

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Ruetz & Cie, übernahm für einen gemäss dem Werkvertrag von Nagel & Weber
gewährten Warenkredit von 10000 Fr. die Bürgschaft. Nagel & Weber traten in
der Folge eine Forderung von rund 8000 Mk., die sie aus dem Werkvertrag zu
haben behaupteten, an den Kläger Ettlinger, Eisenhandlung in Karlsruhe, ab.
Der Kläger belangte die Firma Karl Ruetz & Cie, kam aber zu Verlust und
belangte den Bürgen. Sowohl der Appellationshof des Kantons Bern, wie das
Bundesgericht haben die Klage grundsätzlich geschützt.
Aus den Erwägungen:
In erster Linie erhebt sich die Frage, welches örtliche Recht auf die
verschiedenen Vertragsverhältnisse anwendbar ist, die den Rechtsbeziehungen
der Parteien zu Grunde liegen, nämlich auf den sogenannten Werkvertrag
zwischen Nagel & Weber und Ruetz & Cie, auf die Abtretung der Ansprüche aus
diesem Vertrag durch Nagel & Weber an den Kläger, und auf die Bürgschaft des
Beklagten. Von der Frage des anwendbaren Rechtes nämlich hängt die
Zulässigkeit der Berufung ab, da nach Art. 57 OG die Berufung nur wegen
Verletzung eidgenössischen Rechtes ergriffen werden kann.
Eine ausdrückliche Vereinbarung über das anzuwendende Recht findet sich in
keinem der genannten Verträge. Unter diesen Umständen ist nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtes auf das Recht desjenigen Landes
abzustellen, zu welchem die Vertragsverhältnisse den engsten räumlichen
Zusammenhang aufweisen; denn von diesem ist anzunehmen, dass die Parteien es
stillschweigend als das massgebende betrachtet haben oder doch
vernünftigerweise betrachtet hätten, wenn sie überhaupt an die Regelung dieser
Frage gedacht hätten (BGE 60 II S. 300 ff. und dort angeführte frühere
Entscheide).
Für den Werkvertrag zwischen Nagel & Weber und Ruetz & Cie ergibt sich
hieraus, wie die Vorinstanz zutreffend entschieden hat, unzweifelhaft die
Anwendbarkeit

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des deutschen Rechtes, da er in Deutschland abgeschlossen wurde zwischen zwei
in Deutschland ansässigen Kontrahenten und - worauf es nach der Praxis des
Bundesgerichtes im allgemeinen entscheidend ankommt - beidseitig in
Deutschland erfüllbar ist (BGE 58 II S. 435 und dort erwähnte frühere
Entscheide). Ob die Teilhaber der Firma Ruetz & Cie persönlich ihren Wohnsitz
in der Schweiz haben, wie der Beklagte geltend macht, ist dabei unerheblich,
da es auf den Sitz der als Vertragspartei auftretenden Kommanditgesellschaft
ankommen muss.
Aus denselben Gründen untersteht auch die Abtretung der Forderung von Nagel &
Weber an den Kläger dem deutschen Recht.
Für das Bürgschaftsverhältnis ist nun aber nicht etwa ohne weiteres das Recht
der Hauptschuld massgebend. Diese, untersteht vielmehr, als ein selbständiger
Vertrag zwischen Gläubiger und Bürgen, seinem eigenen Rechte, das sich
wiederum nach den eingangs erwähnten Grundsätzen bestimmt. Als Recht des
mutmasslichen Parteiwillens gilt dabei das Statut des Verpflichteten, also im
Verhältnis des Gläubigers zum Bürgen das Statut des Bürgen, da dessen
Verpflichtungen das eigentliche Wesen der Bürgschaft ausmachen und deshalb
zweifellos der engste örtliche Zusammenhang mit dem Recht des Wohnsitzes des
Bürgen besteht (Kommentar BECKER, Vorbemerkung 4 zu Art. 492
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 492 - 1 Durch den Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger des Hauptschuldners, für die Erfüllung der Schuld einzustehen.
1    Durch den Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger des Hauptschuldners, für die Erfüllung der Schuld einzustehen.
2    Jede Bürgschaft setzt eine zu Recht bestehende Hauptschuld voraus. Für den Fall, dass die Hauptschuld wirksam werde, kann die Bürgschaft auch für eine künftige oder bedingte Schuld eingegangen werden.
3    Wer für die Schuld aus einem wegen Irrtums oder Vertragsunfähigkeit für den Hauptschuldner unverbindlichen Vertrag einzustehen erklärt, haftet unter den Voraussetzungen und nach den Grundsätzen des Bürgschaftsrechts, wenn er bei der Eingehung seiner Verpflichtung den Mangel gekannt hat. Dies gilt in gleicher Weise, wenn jemand sich verpflichtet, für die Erfüllung einer für den Hauptschuldner verjährten Schuld einzustehen.
4    Soweit sich aus dem Gesetz nicht etwas anderes ergibt, kann der Bürge auf die ihm in diesem Titel eingeräumten Rechte nicht zum voraus verzichten.
/512
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 512 - 1 Eine auf unbestimmte Zeit eingegangene Amtsbürgschaft kann unter Wahrung einer Kündigungsfrist von einem Jahr auf das Ende einer Amtsdauer gekündigt werden.
1    Eine auf unbestimmte Zeit eingegangene Amtsbürgschaft kann unter Wahrung einer Kündigungsfrist von einem Jahr auf das Ende einer Amtsdauer gekündigt werden.
2    Besteht keine bestimmte Amtsdauer, so kann der Amtsbürge die Bürgschaft je auf das Ende des vierten Jahres nach dem Amtsantritt unter Wahrung einer Kündigungsfrist von einem Jahr kündigen.
3    Bei einer auf unbestimmte Zeit eingegangenen Dienstbürgschaft steht dem Bürgen das gleiche Kündigungsrecht zu wie dem Amtsbürgen bei unbestimmter Amtsdauer.
4    Gegenteilige Vereinbarungen bleiben vorbehalten.
OR). Danach
beurteilt sich die vom Beklagten eingegangene Bürgschaft nach schweizerischem
Recht, da keine Anhaltspunkte für einen abweichenden Parteiwillen bestehen,
sondern gegenteils die Bestimmung des Haftungsbetrages in Schweizerwährung
einen weiteren Hinweis auf die beabsichtigte Anwendbarkeit des schweizerischen
Rechtes bildet. Dieses ist daher massgebend für die Frage der Entstehung, des
Inhaltes, der Tragweite der Bürgschaft. Somit ist nach dem im schweizerischen
Recht geltenden Grundsatz der Akzessorietät der Bürgschaft auch unter allen
Umständen das Bestehen einer Hauptschuld notwendig. Ob dagegen eine

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Hauptschuld besteht und welchen Inhalt sie hat, beurteilt sich nach deren
Statut (BECKER, Vorbemerkung 5 zu Art. 492
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 492 - 1 Durch den Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger des Hauptschuldners, für die Erfüllung der Schuld einzustehen.
1    Durch den Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger des Hauptschuldners, für die Erfüllung der Schuld einzustehen.
2    Jede Bürgschaft setzt eine zu Recht bestehende Hauptschuld voraus. Für den Fall, dass die Hauptschuld wirksam werde, kann die Bürgschaft auch für eine künftige oder bedingte Schuld eingegangen werden.
3    Wer für die Schuld aus einem wegen Irrtums oder Vertragsunfähigkeit für den Hauptschuldner unverbindlichen Vertrag einzustehen erklärt, haftet unter den Voraussetzungen und nach den Grundsätzen des Bürgschaftsrechts, wenn er bei der Eingehung seiner Verpflichtung den Mangel gekannt hat. Dies gilt in gleicher Weise, wenn jemand sich verpflichtet, für die Erfüllung einer für den Hauptschuldner verjährten Schuld einzustehen.
4    Soweit sich aus dem Gesetz nicht etwas anderes ergibt, kann der Bürge auf die ihm in diesem Titel eingeräumten Rechte nicht zum voraus verzichten.
/512
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 512 - 1 Eine auf unbestimmte Zeit eingegangene Amtsbürgschaft kann unter Wahrung einer Kündigungsfrist von einem Jahr auf das Ende einer Amtsdauer gekündigt werden.
1    Eine auf unbestimmte Zeit eingegangene Amtsbürgschaft kann unter Wahrung einer Kündigungsfrist von einem Jahr auf das Ende einer Amtsdauer gekündigt werden.
2    Besteht keine bestimmte Amtsdauer, so kann der Amtsbürge die Bürgschaft je auf das Ende des vierten Jahres nach dem Amtsantritt unter Wahrung einer Kündigungsfrist von einem Jahr kündigen.
3    Bei einer auf unbestimmte Zeit eingegangenen Dienstbürgschaft steht dem Bürgen das gleiche Kündigungsrecht zu wie dem Amtsbürgen bei unbestimmter Amtsdauer.
4    Gegenteilige Vereinbarungen bleiben vorbehalten.
OR), hier also gemäss den oben
gemachten Ausführungen nach dem deutschen Recht. Ferner kann der Bürge zwar,
da Art. 506
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 506 - Der Bürge kann vom Hauptschuldner Sicherstellung und, wenn die Hauptschuld fällig ist, Befreiung von der Bürgschaft verlangen:
1  wenn der Hauptschuldner den mit dem Bürgen getroffenen Abreden zuwiderhandelt, namentlich die auf einen bestimmten Zeitpunkt versprochene Entlastung des Bürgen nicht bewirkt;
2  wenn der Hauptschuldner in Verzug kommt oder durch Verlegung seines Wohnsitzes in einen andern Staat seine rechtliche Verfolgung erheblich erschwert;
3  wenn durch Verschlimmerung der Vermögensverhältnisse des Hauptschuldners, durch Entwertung von Sicherheiten oder durch Verschulden des Hauptschuldners die Gefahr für den Bürgen erheblich grösser geworden ist, als sie bei der Eingehung der Bürgschaft war.
OR dies so bestimmt, dem Gläubiger die dem Hauptschuldner
zustehenden Einreden entgegenhalten; ob dagegen dem Hauptschuldner solche
Einreden zu Gebote stehen und wie sie beschaffen sind, ist eine Frage des
Hauptschuldverhältnisses und daher wiederum nach deutschem Recht zu
entscheiden. Auf die Berufung des Beklagten gegen seine Verurteilung zur
Erfüllung seiner Bürgschaftsverpflichtung ist somit einzutreten, jedoch mit
der Einschränkung, dass eine Überprüfung jener Fragen unterbleibt, die sich
auf das Hauptschuldverhältnis beziehen und deshalb dem deutschen Recht
unterstehen.