S. 358 / Nr. 53 Staatsrecht (d)

BGE 61 I 358

53. Urteil vom 8. November 1935 i. S. Weintraud & Co. gegen Sparkassa Willisau
A.-G.


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Regeste:
Die Haager Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht vom 17. Juli 1905 lässt
es nicht zu, dass der schweizerische Richter das Eintreten auf die Klage eines
deutschen Klägers von der Vorlage einer amtlichen Bescheinigung abhängig
macht, wornach die zuständige deutsche Devisenstelle die Zahlung allenfalls
erwachsender Prozess- und Parteikosten über den Clearing gestatten werde.

A. - Nach § 311 der luzernischen Zivilprozessordnung vom 28. Januar 1913 ist
der Kläger verpflichtet, «dem Beklagten auf dessen Verlangen für die Kosten
des Prozesses Sicherheit zu leisten: a. wenn er weder in der Schweiz, noch in
einem andern der Haager Vertragsstaaten Wohnsitz hat; b. wenn er nachweisbar
oder notorisch zahlungsunfähig ist».
Die Haager «Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht» vom 17. Juli 1905, die
ausser der Schweiz und andern Staaten auch Deutschland unterzeichnet hat,
enthält unter dem Titel «Sicherheitsleistung für die Prozesskosten» folgende
Vorschriften:
Art. 17. «Treten Angehörige eines der Vertragsstaaten in einem andern dieser
Staaten als Kläger oder Intervenienten vor Gericht auf, so darf, sofern sie in
irgend einem der Vertragsstaaten ihren Wohnsitz haben, ihnen wegen ihrer
Eigenschaft als Ausländer oder deswegen, weil sie keinen Wohnsitz oder
Aufenthalt im Inlande haben, eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung, unter
welcher Benennung es auch sei, nicht auferlegt werden. Die gleiche Regel
findet Anwendung auf die Vorauszahlung, die von den Klägern oder
Intervenienten zur Deckung der Gerichtskosten einzufordern wäre...»
Art. 18. «Entscheidungen, wodurch der Kläger oder Intervenient, der nach Art.
17 ... von der Sicherheitsleistung, Hinterlegung oder Vorauszahlung befreit
worden war, in die Prozesskosten verurteilt wird, sind, wenn das

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Begehren auf diplomatischem Wege gestellt wird, in jedem der andern
Vertragsstaaten durch die zuständige Behörde kostenfrei vollstreckbar zu
erklären...»
B. - Die Firma Weintraud & Co. G.m.b.H., Metallwarenfabrik in Offenbach
(Deutschland), hat die Sparkasse Willisau A.-G. vor Amtsgericht Willisau auf
Zahlung von 5028 Fr. 70 Cts. nebst Zins belangt. Das Amtsgericht verhielt die
Klägerin auf Ersuchen der Beklagten zur Leistung eines Kostenvorschusses von
600 Fr. Im Beschwerdeverfahren hob das luzernische Obergericht am 15. Juli
1935 diesen Beschluss wegen Missachtung der Haager Zivilprozessübereinkunft
auf, erklärte aber, von der Klägerin könne ein Ausweis darüber verlangt
werden, dass ihr die zuständige deutsche Devisenstelle die Zahlung allenfalls
erwachsender Prozess- und Parteikosten über den Clearing gestatten werde; die
Vorinstanz habe eine angemessene Frist zur Beibringung dieser Genehmigung
anzusetzen und in der Aufforderung die Folgen der Nichtleistung zu bezeichnen.
C. - Mit dem vorliegenden staatsrechtlichen Rekurs beantragt die Klägerin die
Aufhebung des obergerichtlichen Entscheides wegen Verletzung von Art. 17 der
Haager Zivilprozessübereinkunft.
D. - Obergericht und Rekursbeklagte haben die Abweisung der Beschwerde
beantragt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ...
2. Die Rekurrentin ist eine deutsche Gesellschaft mit Sitz in Deutschland. Es
darf ihr daher als Klägerin in der Schweiz nach Art. 17 der
Zivilprozesskonvention wegen des Mangels des inländischen Wohnsitzes keine
Prozesskostenkaution aufgelegt werden. Das Obergericht anerkennt, dass eine
sonstige Kautionsbestimmung auf die Rekurrentin nicht zutrifft, speziell nicht
ZPO § 311b, da die derzeitigen Schwierigkeiten in der Leistung von Zahlungen
aus Deutschland nach dem Ausland nicht

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etwa einen Grund dafür bilden können, die Rekurrentin als zahlungsunfähig zu
betrachten (so auch BGE 58 I S. 311). Wenn das Obergericht die Beibringung
einer Genehmigung der zuständigen Devisenstelle im gedachten Sinn schon bei
Prozessbeginn für notwendig hält, so beruht das auf der Erwägung, dass
angesichts der in Deutschland bestehenden Devisenbeschränkungen die
Vollstreckung des allfälligen Kostenentscheides gegen die Rekurrentin nicht
sichergestellt sei. In der Tat ist die Vollstreckungspflicht nach Art. 18 der
Konvention das Korrelat der Befreiung von der Prozesskaution nach Art. 17. Man
konnte im Verhältnis der Vertragsstaaten auf die Kostensicherung bei
ausländischem Wohnsitz des Klägers nur verzichten, weil gleichzeitig der
Kostenentscheid als im Konventionsgebiet vollstreckbar erklärt wurde. Und das
Obergericht scheint nun anzunehmen, dass, wenn nach der internen Gesetzgebung
eines Staates Zweifel darüber bestehen, ob er seiner staatsvertraglichen
Vollstreckungspflicht nachkommen werde, der Kläger bei Prozessbeginn sich
darüber ausweisen müsse, dass der allfällige Kostenentscheid vollzogen werden
wird, widrigenfalls der Anspruch aus Art. 17 auf Befreiung von Kostensicherung
dahinfalle.
Das beruht indessen auf einer irrtümlichen Vorstellung über das Verhältnis von
Art. 17 und 18 und über die Stellung des Richters bei der Anwendung von
Staatsverträgen. Für die vertragsschliessenden Teile bei der Aufstellung der
Konvention bedingten die beiden Bestimmungen sich gegenseitig, aber für die
Anwendung der Konvention stehen die Pflichten aus Art. 17 und 18 selbständig
nebeneinander. Der Staat des Prozesses darf dem Kläger nicht eine
Prozesskaution auflegen wegen seines auswärtigen Wohnsitzes, und der
Wohnsitzstaat des Klägers hat den Kostenentscheid zu vollziehen. Mängel in der
Erfüllung des Vertrages im einen oder andern Punkt seitens eines Staates mögen
Repressalien in andern rechtfertigen, die aber nicht Sache des

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Richters, sondern der politischen Behörden sind (BGE 49 I S. 195 ff.; 58 I S.
311 f.; Urteil des Bundesgerichtes in Sachen Centralbank der deutschen
Sparkassen in Wien, vom 2. Dezember 1932, nicht publiziert, Erw. 3). Der
Richter darf speziell nicht den Art. 17 unangewendet lassen, weil er Zweifel
hat, ob der andere Staat in der Folge seiner Pflicht aus Art. 18 nachkommen
werde. Dann darf er aber auch nicht, um diese Zweifel zu beheben, vom Kläger
die Beibringung einer behördlichen Erklärung verlangen, wie das hier geschehen
ist, und von deren Beibringung die nach Art. 17 gegebene Befreiung von der
Kautionspflicht abhängig machen. (Es ist zudem sehr zweifelhaft, ob die
deutsche Amtsstelle eine Zusicherung inbezug auf einen noch unsichern Fall
überhaupt geben könnte und würde.)
Es liegen übrigens keine Anhaltspunkte dafür vor, dass man über die
Vertragstreue des deutschen Reiches inbezug auf den Art. 18 der Konvention
Bedenken haben müsste. Weder das Obergericht, noch die Rekursbeklagte erwähnen
Fälle, in denen für nach dieser Bestimmung vollstreckbare Kostenentscheide in
Deutschland die Bewilligung zur Zahlung nicht erteilt worden wäre. Freilich
muss nach § 39 des deutschen Gesetzes über die Devisenbewirtschaftung vom 4.
Februar 1935, wenn auf Vollstreckung eines solchen Kostenentscheides geklagt
wird, das Verfahren ausgesetzt werden, bis die Entscheidung der Devisen- oder
Überwachungsstelle ergangen ist. Aber die Nichtgenehmigung des Verfahrens und
damit der allfälligen Zahlung ins Ausland würde gegen die staatsvertragliche
Vollstreckungspflicht verstossen. Deshalb ist ohne weiteres anzunehmen, dass
unter derartigen Umständen die Genehmigung erfolgen wird. Sollten Fälle
bekannt werden, wo es nicht geschehen ist, so wird es, wie gesagt, Aufgabe der
politischen Bundesbehörden sein, allfällige Gegenmassnahmen zu treffen,
während der Richter die Konvention, die intern die Wirkung eines Gesetzes hat,
anwenden muss, solange sie nicht durch

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Anordnung der zuständigen Behörde ganz oder teilweise ausser Kraft gesetzt
ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichtes des
Kantons Luzern vom 15. Juli 1935 im Sinne der Erwägungen aufgehoben.