S. 56 / Nr. 12 Prozessrecht (d)

BGE 60 II 56

12. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. Februar 1934 i. S.
Simon gegen Schweizerische Eidgenossenschaft.

Regeste:
Kein Vorfrageverfahren im Bundeszivilprozess: der Beklagte hat keinen Anspruch
darauf, dass eine Prozesseinrede zum Gegenstand eines besondern Verfahrens
gemacht werde.
Gerichtlicher Vergleich und rechtskräftiges Urteil: Die Gleichstellung dieser
beiden bezieht sich nur auf die Vollstreckbarkeit (Art. 78 Abs. 2
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess
BZP Art. 78
1    Ist der Beklagte zur Abgabe einer Willenserklärung verurteilt, so wird die Erklärung durch das Urteil ersetzt. Ist sie von einer Bedingung oder Gegenleistung abhängig, so tritt diese Wirkung mit der Feststellung gemäss Artikel 74 Absatz 2 ein.
2    Betrifft die Willenserklärung ein im Grundbuch einzutragendes Recht, so erteilt der Richter im Urteil die Ermächtigung zur Eintragung im Sinne der Artikel 18 und 19 der Verordnung vom 22. Februar 191037 betreffend das Grundbuch.
BZP).

Die Beklagte hat in erster Linie eine Uneinlässlichkeitseinrede erhoben mit
der Begründung, gemäss Art. 78 Absatz 2
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess
BZP Art. 78
1    Ist der Beklagte zur Abgabe einer Willenserklärung verurteilt, so wird die Erklärung durch das Urteil ersetzt. Ist sie von einer Bedingung oder Gegenleistung abhängig, so tritt diese Wirkung mit der Feststellung gemäss Artikel 74 Absatz 2 ein.
2    Betrifft die Willenserklärung ein im Grundbuch einzutragendes Recht, so erteilt der Richter im Urteil die Ermächtigung zur Eintragung im Sinne der Artikel 18 und 19 der Verordnung vom 22. Februar 191037 betreffend das Grundbuch.
BZP sei ein gerichtlicher Vergleich,
wie er hier vorliege, einem rechtskräftigen Urteil gleichzuachten. Er besitze
also wie ein solches formelle und materielle Rechtskraft und bewirke dadurch
in gleicher Weise wie ein Urteil des Bundesgerichtes, dass der Streit der
Parteien ein für allemal in verbindlicher Weise erledigt sei. Eine Anfechtung
des Vergleiches aus privatrechtlichen Gründen sei daher nicht zulässig.
In prozessualer Hinsicht ist hiezu zu bemerken, dass der Bundeszivilprozess
die Institution der Vorfrage nicht kennt (SCHURTER-FRITZSCHE, Das
Zivilprozessrecht des Bundes, S. 363). Die Beklagte hätte daher keinen
Anspruch darauf, dass eine von ihr erhobene Prozesseinrede zum

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Gegenstand eines besonderen Verfahrens gemacht werde, ohne dass sie sich
materiell auf die Streitsache einzulassen brauchte; sie verlangt dies denn
auch gar nicht, sondern hat ein materielles Eventualbegehren gestellt und sich
auch sowohl in den Prozesschriften, als in der Hauptverhandlung materiell zur
Sache ausgesprochen. Dagegen stünde jedenfalls dem Gerichte das Recht zu, eine
derartige Einrede, die für den ganzen Rechtsstreit präjudizielle Bedeutung
hätte, vorweg zu entscheiden, sofern sich auf diese Weise unnütze Weiterungen
und Kosten vermeiden lassen würden (SCHURTER-FRITZSCHE S. 364). Ob bei
Gutheissung der Einrede ein Nichteintretensentscheid zu fällen wäre, wie das
Bundesgericht dies unter derartigen Umständen schon getan hat (BGE 7 S. 196
ff.), oder ob die Klage materiell abgewiesen werden müsste, kann hier offen
gelassen werden, da die Einrede der Beklagten ohnehin nicht Stich hält.
Wohl bestimmt Art. 78 Absatz 2
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess
BZP Art. 78
1    Ist der Beklagte zur Abgabe einer Willenserklärung verurteilt, so wird die Erklärung durch das Urteil ersetzt. Ist sie von einer Bedingung oder Gegenleistung abhängig, so tritt diese Wirkung mit der Feststellung gemäss Artikel 74 Absatz 2 ein.
2    Betrifft die Willenserklärung ein im Grundbuch einzutragendes Recht, so erteilt der Richter im Urteil die Ermächtigung zur Eintragung im Sinne der Artikel 18 und 19 der Verordnung vom 22. Februar 191037 betreffend das Grundbuch.
BZP, dass ein gültiger Vergleich einem
rechtskräftigen Urteil gleichzuachten ist. Dieser vom Gesetz aufgestellte
Grundsatz der Gleichstellung von Urteil und Vergleich hat jedoch seine
Grenzen, die sich aus der gänzlich verschiedenen Rechtsnatur der beiden
Institute ergeben: Das Urteil ist ein autoritativer Akt der Staatsgewalt, mit
dem diese die Anwendung des objektiven Rechtes auf dem konkreten Fall
durchsetzt; es beruht auf einer allseitigen Prüfung der Sach- und Rechtslage
durch das Gericht gemäss den verfahrensrechtlichen Vorschriften. Diese Art des
Zustandekommens, die im Rahmen des Möglichen eine Sicherheit für die gerechte
Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen beider Parteien bietet,
rechtfertigt es, das rechtskräftige Urteil zur Erreichung einer möglichst
weitgehenden Rechtssicherheit endgültig und unanfechtbar sein zu lassen, mit
Ausnahme der seltenen Fälle einer Revision. Beim Vergleich dagegen liegt die
Sache wesentlich anders. In prozessualer Hinsicht hat dieser zwar mit dem
Urteil das Eine gemeinsam, dass er das Ende des Rechtsstreites

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bedeutet. Der fundamentale Unterschied aber ist der, dass dieser Effekt nicht
die Folge eines autorativen Aktes der Staatsgewalt ist, sondern auf einem
privatrechtlichen Vertrag der Parteien beruht, durch den diese ihre
Beziehungen einer neuen Regelung unterwerfen. Diese bietet aber für die
materielle Richtigkeit keine grösseren Garantien, als dies bei jedem andern
Vertrag des Privatrechtes der Fall ist. Denn die blosse Beurkundung des
Vergleiches durch das Gericht ersetzt dessen materielle Überprüfung nicht; mit
dem materiellen Inhalt des Vergleiches befasst sich der Richter in der Regel
wenigstens nicht. Nur wegen der prozessualen Form, in die der Vergleich
gekleidet ist, ihn mit derselben Endgültigkeit und Unanfechtbarkeit
auszustatten wie ein Urteil, kann aber unmöglich der Wille des Gesetzes sein.
Es muss daher angenommen werden, dass Art. 78 Absatz 2
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess
BZP Art. 78
1    Ist der Beklagte zur Abgabe einer Willenserklärung verurteilt, so wird die Erklärung durch das Urteil ersetzt. Ist sie von einer Bedingung oder Gegenleistung abhängig, so tritt diese Wirkung mit der Feststellung gemäss Artikel 74 Absatz 2 ein.
2    Betrifft die Willenserklärung ein im Grundbuch einzutragendes Recht, so erteilt der Richter im Urteil die Ermächtigung zur Eintragung im Sinne der Artikel 18 und 19 der Verordnung vom 22. Februar 191037 betreffend das Grundbuch.
BZP trotz seines
allgemeinen Wortlautes in Wirklichkeit nur die Gleichstellung hinsichtlich der
Vollstreckbarkeit im Auge hat, wie dies verschiedene kantonale
Zivilprozessordnungen deutlicher aussprechen, während die vertragliche Natur
der durch den Vergleich herbeigeführten Prozesserledigung dadurch nicht
berührt wird. Als Vertrag zur Regelung der privatrechtlichen Beziehungen der
Parteien kann aber auch der Vergleich aus Gründen des Zivilrechtes nichtig
oder anfechtbar sein, und es muss alsdann auch auf die Feststellung seiner
Unverbindlichkeit geklagt werden können (vgl. zu dieser Frage: ROSENBERG,
Lehrbuch des deutschen Zivilprozessrechtes 3. Auflage 1931, S. 445 ff. insbes.
S. 450, LEHMANN, Der Prozessvergleich S. 138 f., BGE 56 I S. 224). Gewisse,
durch die eigenartige Natur des Vergleiches bestimmte Einschränkungen bestehen
dabei allerdings, auf die später einzutreten sein wird.
An dieser vertraglichen Natur des Vergleiches mit allen ihren Konsequenzen
wird nichts geändert durch die Tatsache, dass die Verhandlungen, die zum
Vergleich führten, nicht ausschliesslich zwischen den Parteien

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geführt wurden, sondern dass die gerichtliche Instruktionskommission dabei
mitwirkte und verschiedene Vergleichsvorschläge ausarbeitete, deren letzter
dann von den Parteien angenommen wurde. Einmal ist dieser Vorschlag nicht vom
Gericht selbst, das zur Beurteilung des Streites berufen gewesen wäre, sondern
von den mit der Prozessinstruktion betrauten Gerichtsmitgliedern ausgegangen.
Sodann stellt sich auch ein solcher richterlicher Vorschlag nicht als eine
endgültige Ansichtsäusserung über die Ansprüche dar, die rechtlich von einer
Partei an die andere gestellt werden könnten, sondern soll, wenn schon die
vorläufige Abschätzung des wahrscheinlichen Prozessausganges dabei mit eine
Rolle spielt, doch in erster Linie dazu dienen, den Rechtsfrieden zwischen den
Parteien ohne eine urteilsmässige Erledigung herzustellen. Wie für die
Parteien, so steht daher auch für den beim Vergleichsabschluss mitwirkenden
Richter nicht so sehr, wie beim Urteil, der Rechtsschutzgedanke im
Vordergrund, als vielmehr eben dieses Streben nach der Herstellung des
Rechtsfriedens.