S. 353 / Nr. 56 Prozessrecht (d)

BGE 60 II 353

56. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 27. September 1934 i. S.
X. gegen Y.

Regeste:
Wiederherstellung gegen die Folgen einer Fristversäumung. Art. 43 OG.
Ein im Drange der Geschäfte erst nach Ablauf der Frist entdecktes Versehen bei
der Adressierung einer Rechtsmittelerklärung, demzufolge das Rechtsmittel
nicht binnen nützlicher Frist bei der richtigen Stelle eingereicht wurde, ist
kein Wiederherstellungsgrund.

Der Anwalt des Klägers reichte eine Berufung an das Bundesgericht am letzten
Tage der Berufungsfrist anstatt beim kantonalen Gericht, dessen Urteil er
weiterziehen wollte (Art. 67 Abs. 1 OG), direkt beim Bundesgericht ein. Tags
darauf wurde er des Fehlers gewahr und reichte sofort eine neue Berufung beim
kantonalen Gericht ein. Für den Fall, dass nicht die eine oder andere
Berufungserklärung als form- und fristgerecht eingereicht betrachtet werden
könne, ersucht er um Wiederherstellung der Berufungsfrist. Er bringt vor, die
unrichtige Adressierung sei einem Versehen seines Angestellten zuzuschreiben
und ihm bei der Unterzeichnung des Aktenstückes im Drange der Geschäfte
entgangen.
Aus den Erwägungen:
3.- Wiederherstellung ist nach Art. 43 OG «nur dann» zu gewähren, wenn der
Gesuchsteller oder sein Vertreter durch unverschuldete Hindernisse abgehalten
wurden, «innerhalb der Frist zu handeln». Diese Voraussetzung trifft hier,
wenn sie wörtlich ausgelegt wird, offensichtlich nicht zu; denn der Vertreter
des Gesuchstellers war keineswegs abgehalten, innert der Frist das

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zu tun, was zur formrichtigen Einreichung einer Berufung notwendig war. Er hat
ja auch die nötigen Vorkehren tatsächlich getroffen, nur hat er es nicht in
der richtigen Form getan. Dabei liegt der Formmangel in keiner durch objektive
Hindernisse bedingten Unterlassung - es stand einer richtigen Adressierung
nichts entgegen -, sondern er ist auf ein blosses Versehen zurückzuführen.
Das Wiederherstellungsgesuch könnte also nur dann zugesprochen werden, wenn in
ausdehnender Auslegung des Art. 43 OG nicht nur der Nachweis der objektiven
Unmöglichkeit der Handlung (wie sie sich z.B. aus einer schweren Erkrankung
des Anwaltes ergeben kann, BGE 1925 II 450), sondern auch die Entschuldigung
eines dabei begangenen Fehlers die Restitution zu rechtfertigen vermöchte.
Allein, indem das Gesetz sagt, dass die Wiederherstellung «nur dann» gewährt
werden dürfe, wenn der Gesuchsteller das Vorliegen des gesetzlich
umschriebenen Tatbestandes nachweist, schliesst es eine ausdehnende Auslegung,
die über den eigentlichen Sinn dieser Tatbestandsumschreibung hinausginge,
aus. Und als Abhaltung durch ein unverschuldetes Hindernis kann nach dem
üblichen Sprachgebrauch nur eine objektive Unmöglichkeit, die Frist
formgerecht einzuhalten, verstanden werden.
Wenn man im vorliegenden Falle Restitution zum Zwecke der Korrektur des
begangenen Fehlers gewährte, so müsste man es folgerichtig in gleicher Weise
zulassen, dass auch andere Fehler korrigiert werden könnten, z.B. die
Nichtunterzeichnung der Berufungserklärung, die versehentliche Weglassung
eines Antrages, eine Verspätung wegen irrtümlicher Notierung eines unrichtigen
Zustellungsdatums und dergleichen. Auch in solchen und ähnlichen Fällen mag
sich der Fehler mitunter aus dem Drange der Geschäfte erklären lassen. Die
Rechtsprechung hat sich aber stets auf den Boden gestellt, dass solche Fehler
nicht nachträglich korrigiert werden können Die Beschränkung des Rechtes auf
Wiedereinsetzung rechtfertigt sich denn auch speziell mit Bezug auf
Rechtsmittelfristen

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aus der Erwägung heraus, dass die eingetretene Rechtskraft eines Urteils nur
unter ganz besonderen Voraussetzungen einer nachträglichen Aufhebung
ausgesetzt sein soll. Dabei ist, wie das Bundesgericht bereits ausgesprochen
hat (BGE 1931 II 424), zur Wahrung eines ordnungsgemässen Verfahrens eine
gewisse Strenge nicht zu umgehen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Das Gesuch um Wiederherstellung der Berufungsfrist wird abgewiesen.