S. 169 / Nr. 28 Familienrecht (d)

BGE 60 II 169

28. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. Juni 1934 i. S.
Gächter gegen Gächter-Lutz.


Seite: 169
Regeste:
Durch den Abschluss einer Vereinbarung über die Nebenfolgen der Scheidung
werden die Parteien bis zum Urteil über deren Genehmigung oder Verwerfung
(Art. 158 Ziffer 5 ZGB) vertraglich gebunden. Die Vereinbarung kann daher
nicht einseitig widerrufen werden. Doch steht es jeder Partei frei, dem
Gerichte die Verwerfung zu beantragen.
Grundsätze der gerichtlichen Überprüfung.

Die Parteien schlossen in der Referentenaudienz vom 4. Oktober 1933 eine
Vereinbarung über die ökonomischen Folgen der dem Gerichte beantragten
Scheidung ihrer Ehe ab. Ziffer 1 dieser Vereinbarung bestimmt, dass der Kläger
der Beklagten von der Rechtskraft des Scheidungsurteils an bestimmte
monatliche Unterhaltsbeiträge zu bezahlen habe. Kurz darauf, noch vor dem
Urteil der ersten Instanz, erklärte der Kläger, er widerrufe die erwähnte
Ziffer 1 und lehne jede Unterhaltsleistung an die Beklagte ab. Das Gericht
hielt den Widerruf jedoch für unzulässig und genehmigte die Vereinbarung, da
sie auch den Verhältnissen entspreche. Die Appellation des Klägers an das
Obergericht und ebenso die Berufung an das Bundesgericht waren erfolglos.
Aus den Erwägungen:
Der Auffassung des Klägers, er habe vor dem Urteil des Bezirksgerichtes frei
von der Konvention zurücktreten können, sind die Vorinstanzen mit Recht nicht
gefolgt. Allerdings bedürfen Vereinbarungen der

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Parteien über die Nebenfolgen der Scheidung zu ihrer Gültigkeit der
Genehmigung durch das Scheidungsgericht (Art. 158 Ziffer 5 ZGB). Es folgt
daraus, dass der Abschluss der Scheidungskonvention für sich allein noch keine
verbindliche Ordnung schafft: wird sie vom Richter verworfen, so können aus
ihr schlechterdings keine Rechte hergeleitet werden; wird sie genehmigt, so
bildet nicht die vertragliche Einigung der Parteien als solche, sondern das
sie genehmigende Urteil den massgebenden Rechtstitel, weshalb auch nicht die
Konvention als solche, sondern nur das Genehmigungsurteil mit den nach der
zutreffenden Prozessordnung gegebenen Rechtsmitteln angefochten werden kann
(Urteil des Bundesgerichtes vom 15. März 1934 i. S. Bühler c. Leitgeb [BGE 60
II 80
ff.]), wie es auch der Abänderungsklage nach Art. 157 ZGB unterliegt.
Daraus darf jedoch nicht hergeleitet werden, die Parteien seien durch den
Abschluss der Konvention überhaupt noch nicht gebunden und es könne jede
Partei bis zum Urteil nach Belieben oder doch nach Massgabe der
prozessrechtlichen Bestimmungen über die Zulässigkeit von Klageänderungen von
der eingegangenen Verpflichtung zurücktreten. Indem das Gesetz
«Vereinbarungen» der Parteien über die Nebenfolgen der Scheidung zulässt und
lediglich die gerichtliche Genehmigung vorbehält, setzt es die Möglichkeit
einer vertraglichen Bindung voraus, nur eben unter dem erwähnten Vorbehalt.
Ist die Scheidungskonvention einmal zuhanden des Gerichtes abgeschlossen, so
ist ein einseitiger «Widerruf» ebensowenig statthaft wie bei einem andern
Vertrage. Bis zum richterlichen Spruch bleibt das Geschäft in der Schwebe,
ähnlich wie das durch eine unmündige oder entmündigte aber urteilsfähige
Person abgeschlossene Geschäft in der Schwebe bleibt, bis der gesetzliche
Vertreter (und gegebenenfalls die Vormundschaftsbehörde) die Zustimmung
erteilt oder abgelehnt hat, oder das von Ehegatten abgeschlossene, nach Art.
177 Abs. 2
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907
CC Art. 177 - Lorsqu'un époux ne satisfait pas à son devoir d'entretien, le juge peut prescrire aux débiteurs de cet époux d'opérer tout ou partie de leurs paiements entre les mains de son conjoint.
ZGB der Genehmigung

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durch die Vormundschaftsbehörde bedürftige Geschäft, bis die
Vormundschaftsbehörde dazu Stellung genommen hat. Für die Scheidungskonvention
gilt insofern etwas Abweichendes, als sie mit der richterlichen Genehmigung
nicht nur endgültigen Bestand als Privatrechtsgeschäft erlangt, sondern an der
Rechtskraft des Urteils teilnimmt; das schliesst aber selbstredend nicht aus,
dass bis dahin unter den Parteien eine vertragliche Bindung besteht.
Will eine Partei an der Scheidungskonvention nicht festhalten, so steht es ihr
dagegen frei, dem Richter die Verweigerung der Genehmigung zu beantragen und
ihm die Gründe darzulegen, die ihr diese Verweigerung zu rechtfertigen
scheinen. In der Tat ist die richterliche Genehmigung im Sinne von Art. 158
Ziffer 5 ZGB keine blosse Förmlichkeit, sondern der Richter hat die ihm
vorgelegten Vereinbarungen auf ihre Zulässigkeit und sachliche Angemessenheit
zu überprüfen und gegebenenfalls die Genehmigung zu versagen. Dabei werden für
die Ablehnung in erster Linie Tatsachen in Betracht fallen, die schon beim
Abschluss der Vereinbarung bestanden und bestimmend mitwirkten oder übersehen
wurden, wie z. B. Beeinflussung einer Partei, unbillige Belastung oder
Verzichtleistung zufolge Unkenntnis in geschäftlichen oder rechtlichen Dingen,
vor allem auch Verletzung der Interessen der Kinder. Jedoch können unter
Umständen auch erst seither eingetretene Tatsachen die Ablehnung
rechtfertigen, so namentlich Änderungen der Verhältnisse, die einer Abänderung
des Scheidungsurteils nach Art. 157 ZGB rufen würden, wenn sie erst nach
rechtskräftiger Beurteilung eingetreten wären. Steht nur das Interesse der
Parteien selbst in Frage, so soll indessen der Richter den Grundsatz der
Vertragsfreiheit und der Vertragstreue wahren und einer Vereinbarung nur aus
besonders wichtigen Gründen die Zustimmung versagen; dem Interesse der Kinder
ist dagegen immer Nachachtung zu verschaffen. Auch in Bezug auf die
Kinderzuteilung und die Gestaltung der Elternrechte ist die Vereinbarung

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aber nicht ohne Bedeutung; der Richter wird sie, auch wenn er sonst vielleicht
eine andere Lösung getroffen hätte, genehmigen, sofern sie für das Wohl der
Kinder ebensoviel Gewähr bietet.