S. 71 / Nr. 11 Prozessrecht (d)

BGE 59 II 71

11. Urteil dar I. Zivilabteilung vom 25. Januar 1933 i. S. Pillichody gegen
Wälchli.

Regeste:
Streitwertberechnung wenn Haupt- und Widerklage sich ausschliessen und wenn
der kantonale Strafrichter im Adhäsionsverfahren die Widerklageforderung von
weniger als 4000 Fr. abschliessend beurteilt, die nicht ziffernmässig
bestimmte Hauptklageforderung aber nur grundsätzlich zugesprochen,
hinsichtlich der Bemessung der Höhe aber auf den Zivilweg verwiesen wird. Wenn
der Kläger es unterlassen hat, in der Klage anzugeben, ob der Streitwert
mindestens 4000 Fr. erreiche, darf das dem Beklagten und Berufungskläger nicht
zum Schaden gereichen.
OG Art. 58, 60 Abs. 3, 63 Ziff. l.

A. - Durch Erkenntnis vom 23. September 1932 hat die Strafkammer des
Obergerichtes des Kantons Bern in der Strafsache wegen Widerhandlung gegen die
Verkehrsvorschriften gegen Henri Pillichody und Ernst Wälchli im
Appellationsverfahren gegen das erstinstanzliche Urteil des
Gerichtspräsidenten von Aarwangen unter Bestätigung desselben beide
Angeschuldigten schuldig erklärt und zu Geldbussen verurteilt; Pillichody ist
ausserdem adhäsionsweise grundsätzlich verpflichtet worden, dem Privatkläger
Wälchli die Hälfte des ausgewiesenen Totalschadens zu ersetzen, doch ist
Wälchli zur Festsetzung der Höhe dieser Hälfte an den Zivilrichter verwiesen
worden; schliesslich ist Wälchli gegenüber dem gleichfalls als Privatkläger
auftretenden Pillichody verurteilt worden, die Hälfte der ausgewiesenen
Reparaturkosten des Automobils zu ersetzen, und diese Hälfte ist auf .36 Pr.
55 Cts. bemessen worden.

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B. - Gegen dieses Urteil hat Pillichody, soweit es den Zivilpunkt betrifft,
rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form die Berufung an das Bundesgericht
erklärt und den Antrag gestellt, Wälchli sei mit seinen Zivilansprüchen in
vollem Umfange anzuweisen und der Berufungskläger sei mit seinem Begehren um
Zuspruch von 73 Fr. 10 Cts. in vollem Umfang zu schützen.
C. - Der Privatkläger Wälchli hat sich der Hauptberufung angeschlossen und den
Antrag gestellt, Pillichody sei mit seinen Zivilansprüchen gänzlich, eventuell
mit mehr als der Hälfte abzuweisen, und er sei zur Tragung des sämtlichen,
eventuell zu mehr als der Hälfte des Schadens des Anschlussberufungsklägers,
der sich auf mindestens 8000 Fr. beziffere, zu verurteilen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Nach dem Grundsatz, welchen das Bundesgericht am heutigen Tag im Falle
Käch und Beer gegen Dietrich unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtes
vom 7. Februar 1928 i. S. Erni und Zeerleder gegen Bär und Konsorten (BGE 64
II S. 48
ff.) ausgesprochen hat, liegt auch dann kein Haupturteil im Sinne des
Art. 58 OG vor, wenn im Straferkenntnis die adhäsionsweise geltend gemachte
Zivilforderung nicht nur grundsätzlich zugesprochen, sondern auch schon
prozentual bestimmt worden ist, sofern die Festsetzung der Höhe der
Entschädigung einem besondern Verfahren vorbehalten worden ist. Es steht den
Parteien dann zu, sofern die übrigen Berufungsvoraussetzungen gegeben sind,
das Endurteil des Zivilrichters gemäss OG Art. 58 Abs. 2 auch unter den
Gesichtspunkten mit der Berufung vor Bundesgericht anzufechten, die schon
durch den Strafrichter beurteilt worden sind.
Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall die Unzulässigkeit der
Hauptberufung, soweit der Hauptberufungskläger damit die Verteilung des
Schadens des Wälchli hat anfechten wollen. Dagegen ist die Hauptberufung unter
dem Gesichtspunkt des Haupturteils zulässig, soweit sie

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sich dagegen richtet, dass die Vorinstanz dem Hauptberufungskläger nur 36 Fr.
55 Cts. statt 73 Fr. 10 Cts. zugesprochen habe, denn in Bezug auf diese
Forderung des Pillichody liegt ein Haupturteil vor, und es ist nur noch zu
untersuchen, ob die mit Haupt- und Widerklage geltendgemachten Ansprüche
einander ausschliessen, denn nur dann könnte auf die Hauptberufung mit Bezug
auf die Forderung von 73 Fr. 10 Cts. eingetreten werden (OG Art. 60 Abs. 3).
Diese Frage ist zu bejahen; Hauptklage- und Widerklageanspruch schliessen sich
aus, denn es wäre ein logischer Widerspruch, wenn trotz voller Gutheissung der
einen auch die andere gänzlich oder auch nur teilweise geschützt würde (vgl.
WEISS, Berufung S. 65 ff.).
Wenn nicht wegen fehlenden Streitwertes auch hinsichtlich der Klage Wälchli's
das Eintreten auf die Hauptberufung abgelehnt werden müsste - was unten in
Erwägung 2 zu erörtern ist - könnte das Bundesgericht das Eintreten auf Haupt-
und Anschlussberufung mit Bezug auf die streitige Forderung Pillichody's nicht
ablehnen, nur weil die Vorinstanz diese untergeordnete Forderung im Gegensatz
zu derjenigen Wälchli's mit 36 Fr. 55 Cts. auch noch ziffermässig bestimmt
hat. Das Bundesgericht hat jedoch schon in seinem Urteil i. S. Eheleute Tobler
gegen Müller vom 17. November 1931 (BGE 57 II S. 554) darauf hingewiesen,
welche Unzukömmlichkeiten entstehen, wenn der letztinstanzliche kantonale
Strafrichter die adhäsionsweise angemeldeten Forderungen mit Bezug auf die
Verweisung auf den Zivilweg verschieden behandelt. Zu jenen Erwägungen kommen
im vorliegenden Falle noch prozessuale, so dass es in der Tat neuerdings als
wünschenswert bezeichnet werden muss, dass der kantonale Strafrichter darauf
Rücksicht nimmt, ob noch die Berufung an das Bundesgericht offen steht, und
dass er, wenn dies zutrifft, dem Bundesgericht ein einheitliches Urteil
ermöglicht.
2.- Im vorliegenden Fall kann jedoch trotzdem auf die Haupt- und damit auch
auf die Anschlussberufung

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überhaupt nicht eingetreten werden. Der von Wälchli adhäsionsweise angemeldete
Schadenersatzanspruch ist, wie es im Kanton Bern üblich und zulässig ist,
nicht ziffermässig bestimmt worden. Unter diesen Umständen hätte Wälchli
gemäss Art. 63 Ziff. 1 OG die Pflicht gehabt, in der Klage, d. h. hier in der
Hauptverhandlung vor dem Gerichtspräsidenten von Aarwangen, wenigstens
anzugeben, ob der geforderte Höchstbetrag mindestens 4000 Fr. erreicht. Daran
hat er sich nicht gehalten (vgl. insbesondere das Protokoll der Fortsetzung
der Hauptverhandlung S. 94). Mit Recht hat sich Pillichody in seiner
Berufungserklärung jedoch darauf berufen, es sei nicht sein Fehler, dass
Wälchli den Streitwert entgegen Art. 63 Ziff. 2 OG nicht angegeben habe. Das
Bundesgericht hat schon am 28. Oktober 1920 i. S: Maillard gegen Lièvre (BGE
46 II S. 347) entschieden, dass die Missachtung der genannten Bestimmung dem
Berufungskläger nicht entgegengehalten werden könne, wenn er Beklagter sei.
Allein die Zulässigkeit der Berufung hängt dann einfach davon ab, ob der
Mangel durch das angefochtene Urteil selbst behoben wird wie das Bundesgericht
in dem zitierten Urteil i. S. Maillard gegen Lièvre und später, am 14. April
1921 i. S. Risspi gegen Schär erkannt hat. Der Streitwert wird demnach im
Falle der Verurteilung einfach durch die richterliche Festsetzung des
Schadenersatzes bestimmt. Daran fehlt es aber gerade im vorliegenden Fall, hat
doch die Vorinstanz den Anspruch Wälchli's, was die Höhe anbetrifft, auf den
Zivilweg verwiesen. Unter diesen Umständen ist das Bundesgericht nicht in der
Lage, einen Streitwert von über 4000 Fr. anzunehmen und auf die Berufung
hinsichtlich der Forderung Pillichody's von 73 Fr. 10 Cts. einzutreten. Damit
fällt aber auch die Anschlussberufung dahin.
3.- Sollte Wälchli den Pillichody entsprechend dem angefochtenen Urteil noch
auf dem Zivilweg belangen, so wird die Möglichkeit einer Berufung gegen das
Endurteil des Zivilrichters für Pillichody dann davon abhängen, ob

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der Zivilrichter die Forderung Wälchli's in einem 4000 Fr. erreichenden Betrag
geschützt hat. Ob dann auch Wälchli die Möglichkeit der Berufung haben wird,
obschon er entgegen OG Art. 63 Ziff. 1 in der Hauptverhandlung vor dem
Gerichtspräsidenten eine Angabe über den Streitwert unterlassen hatte, kann
hier dahingestellt bleiben. Ebenso mag die weitere Streitfrage hier unerörtert
bleiben, ob die Forderung Pillichody's von 73 Fr. 10 Cts. dann neuerdings zum
Gegenstand der Berufung oder Anschlussberufung gemacht werden könnte.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Hauptberufung wird nicht eingetreten, womit die Anschlussberufung
dahinfällt.