S. 116 / Nr. 19 Sachenrecht (d)

BGE 58 II 116

19. Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. April 1939 i. S. Zürcher gegen
Dünnenberger und Konsorten.


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Regeste:
Einsprache gegen den Bau bezw. die Vergrösserung einer Schweinemastanstalt in
nächster Nähe eines Wohnquartiers:
Zulässigkeit der Einsprache schon gegen das Projekt und zu Gunsten von
Terrain, das zum Bau von Wohnhäusern bestimmt aber noch nicht überbaut ist
(Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).
Keine Verletzung von Bundesrecht, wenn die kantonalen Instanzen die Frage, ob
durch technische Vorkehren die Einwirkung auf ein erträgliches Mass
herabgesetzt werden kann, auf Grund eigener Sachkenntnis beantworten und die
Einholung einer Expertise ablehnen. Art. 679
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 679 - 1 Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
1    Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
2    Entzieht eine Baute oder eine Einrichtung einem Nachbargrundstück bestimmte Eigenschaften, so bestehen die vorstehend genannten Ansprüche nur, wenn bei der Erstellung der Baute oder Einrichtung die damals geltenden Vorschriften nicht eingehalten wurden.584
und 684
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 684 - 1 Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
1    Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
2    Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.597
ZGB.

A. - Der Beklagte betreibt an der Peripherie von Weinfelden eine Molkerei, mit
der eine Schweinezüchterei und -mästerei verbunden ist. In den gegenwärtigen
Stallungen hält er um die 70, höchstens 80 Schweine. Er beabsichtigt, an die
bestehenden Gebäude neue Stallungen anzubauen, welche ihm erlauben würden,
insgesamt 150 bis 170 Schweine unterzubringen.
Die Kläger erwirkten dagegen ein provisorisches Bauverbot und beantragten mit
der vorliegenden Klage, dem Beklagten die geplante Vergrösserung seines
Betriebes zu untersagen, im wesentlichen mit der Begründung, bei einer solchen
Erweiterung der Schweinezucht müssten die in der Nähe gelegenen Haushaltungen
der Kläger noch mehr als bisher unter übermässigen Einwirkungen durch Dunst
und Lärm leiden; zudem würde ihr anstossendes Land, das als Bauland zu
betrachten sei, entwertet.
Der Beklagte bestritt, dass eine unzulässige Einwirkung auf die Liegenschaften
der Kläger bereits bestehe oder durch die Erweiterung der Anlage bewirkt
würde. Die Neubauten mit ihren modernen Einrichtungen würden die Verhältnisse
eher verbessern, da die gegenwärtigen Stallungen zu eng seien. Bestritten
werde auch, dass das

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Land der Kläger baureif sei; das ganze anstossende Gebiet habe rein
landwirtschaftlichen Charakter.
B. - Während das Bezirksgericht Weinfelden die Klage abwies, hat das
Obergericht des Kantons Thurgau sie im vollen Umfange geschützt.
C. - Gegen dieses Urteil erklärte der Beklagte rechtzeitig die Berufung an das
Bundesgericht mit dem Antrag, die Klage in Aufhebung des angefochtenen Urteils
abzuweisen, eventuell die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Abnahme
der vom Beklagten gestellten Beweisanträge darüber, ob der die Ausführung der
geplanten Baute die Einwirkungen auf die benachbarten Grundstücke sowohl durch
Lärm wie durch lästige Dünste gegenüber dem bisherigen Zustand verringert, auf
keinen Fall vermehrt würden.
Die Kläger beantragten, auf die Berufung mangels Angabe eines Streitwertes in
der Berufungserklärung nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen und den
angefochtenen Entscheid zu bestätigen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- (Eintretensfrage.)
1.- Die Art. 679
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 679 - 1 Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
1    Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
2    Entzieht eine Baute oder eine Einrichtung einem Nachbargrundstück bestimmte Eigenschaften, so bestehen die vorstehend genannten Ansprüche nur, wenn bei der Erstellung der Baute oder Einrichtung die damals geltenden Vorschriften nicht eingehalten wurden.584
und 684
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 684 - 1 Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
1    Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
2    Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.597
ZGB gewähren ein Einspracherecht auch schon gegen die
Errichtung einer Baute, wenn nachgewiesen wird, dass der bestimmungsgemässe
Betrieb der Baute notwendig Einwirkungen auf das Grundeigentum des klagenden
Nachbarn zur Folge haben wird, die sich dieser gemäss Art. 684
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 684 - 1 Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
1    Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
2    Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.597
ZGB nicht
gefallen zu lassen braucht (BGE 42 Il 436 und 451). In BGE 51 II 398 wurde
ferner ausgeführt, dass auch für das von der Immission betroffene Grundstück
bei der Untersuchung, ob die Einwirkung übermässig sein werde, die künftige
Entwicklung zu berücksichtigen sei und demnach auch eine Einsprache zu Gunsten
von Baugebiet geschützt werden müsse, das seiner Lage nach zum Bau von
Wohnhäusern bestimmt und bereits baureif sei, sofern die zu erwartenden
Einwirkungen den Bau von Wohnhäusern verhindern würde

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und damit die Brachlegung jenes Baugebietes zur Folge hätte.
Im vorliegenden Falle stellt nun die Vorinstanz fest, dass die bei Ausführung
des Projektes gegenüber dem heutigen Zustand zu erwartende Vermehrung der
Einwirkung auf die Nachbarschaft durch Lärm und Dünste durch technische
Massnahmen lediglich herabgesetzt, nicht aber verhindert werden könne und dass
der Einfluss der vergrösserten Anlage nicht nur lästig, sondern auch
gesundheitsschädlich sein werde. Diese Feststellungen sind tatsächlicher Natur
und daher gemäss Art. 81
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 684 - 1 Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
1    Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
2    Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.597
OG für das Bundesgericht verbindlich. Daran vermag
nichts zu ändern, dass sie nicht auf einer Expertise beruhen. Ob die
Vorinstanz den auf Einholung eines Gutachtens abzielenden Antrag des Beklagten
ablehnen und auf ihre eigene Sachkenntnis abstellen durfte, ist eine Frage des
kantonalen Prozessrechtes, dessen Handhabung das Bundesgericht nicht
überprüfen kann. Das Bundesrecht schreibt die Zuziehung von Experten für
solche Fälle nicht vor; in der Unterlassung derselben kann daher auch keine
Verletzung von Bundesrecht liegen.
Tatsächlicher Natur und daher wiederum für das Bundesgericht verbindlich sind
weiter die Ausführungen der Vorinstanz darüber, dass die an die Liegenschaft
des Beklagten anstossenden Grundstücke der Kläger bereits baureifes, für den
Bau von Wohnhäusern bestimmtes Baugelände in einem Wohnquartier sind und heute
schon einen höhern Wert haben, als er sich aus der bloss landwirtschaftlichen
Bebauung ergäbe, und dass diese Bauplätze bei Erstellung der geplanten Anlage
ihren Wert als Bauland einbüssen würden.
Auf Grund dieser Feststellungen muss jedoch die von der vergrösserten Anlage
zu erwartende Einwirkung in der Tat als übermässig bezeichnet werden, und es
kann sich nur noch fragen, ob die Kläger sie nicht trotzdem dulden müssen,
weil sie «durch Lage oder Beschaffenheit der Grundstücke oder nach
Ortsgebrauch» gerechtfertigt sei.

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Das ist indessen zu verneinen: Eine Schweinezüchterei und -mästerei dieses
Ausmasses ist wie die Molkerei, mit der sie zusammenhängt, ein Gewerbebetrieb
besonderer Art, der auch in landwirtschaftlichen Gegenden vereinzelt dasteht
und daher für die Bestimmung der Lage und Beschaffenheit der Grundstücke und
des Ortsgebrauches nicht in Betracht fällt. Wenn daher die von einem solchen
Betrieb ausgehenden Einwirkungen, weil sie stärker sind als die von einem
gewöhnlichen Bauerngut verursachten, selbst in Bauerndörfern nicht geduldet
werden müssen (vgl. BGE 56 II 360 Erw. 2), so noch viel weniger im
vorliegenden Fall, wo der Betrieb in der unmittelbaren Nachbarschaft eines
Wohnquartiers nicht landwirtschaftlichen, sondern eher städtischen Charakters
liegt.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Thurgau vom 21. Januar 1932 bestätigt.