S. 39 / Nr. 7 Registersachen (d)

BGE 57 I 39

7. Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. Januar 1931 i. S. Betriebsgesellschaft
des Cinéma Kapitol in Bern A.-G gegen Regierungsrat Bern.

Regeste:
Eine Handelsgesellschaft, die vor Beendigung der Liquidation im
Handelsregister gelöscht wurde, ist auf Begehren eines Berechtigten wieder
einzutragen, sofern sich dieses Begehren nicht als Rechtsmissbrauch erweist.

A. - Die Betriebsgesellschaft des Cinéma Kapitol in Bern A.-G. (in der Folge
kurz mit Betriebsgesellschaft bezeichnet) hat mit verschiedenen
Filmverleihanstalten, u. a. auch mit der Firma Leofilm Zürich und der
Monopol-Film A.-G. Zürich, Filmmietverträge abgeschlossen. Hiebei wurden für
die Verträge mit der letztgenannten Gesellschaft - ob auch für andere ist aus
den Akten nicht ersichtlich - gedruckte Vertragsformulare verwendet, wie sie
vom Filmverleihverband in der Schweiz gemeinsam mit dem Schweiz.
Lichtspieltheater-Verband ausgearbeitet worden sind. Diese enthalten in Art.
22 der vorgedruckten Vertragsbedingungen die Bestimmung: «Bei Verkauf oder
Vermietung eines Etablissements haftet der Mieter auch

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für seinen Nachfolger für die Erfüllung des Vertrages. Der Vertrag muss dem
Käufer überbunden werden, und ist der Mieter verpflichtet, den Verleiher von
der Veräusserung des Theaters sofort zu verständigen.» Im Vertrag mit der
Monopol-Film A.-G. wurde eine Dauer bis 21. Oktober 1930 vereinbart.
Anfangs 1930 wurde der Kapitol-Cinéma von Luigi Pistone und Camillo Bogliani
übernommen, und es schlossen diese mit der Betriebsgesellschaft am 31. Januar
1930 eine Vereinbarung ab, wobei u. a. bestimmt wurde: «Les cessionnaires se
chargeront en date du 15 février - au prorata du temps - de tous les
différents contracts, des assurances, de la location de films, des conventions
avec les journeaux etc. etc. passés par le cédant en l'affaire du «Kapitol».
Il va de soi que le cédant paye lui-même et intégralement tous les engagements
et toutes les échéances résultant de l'exploitation de l'affaire du «Kapitol»
jusqu'au 15 février 1930.» Pistone und Bogliani richteten daraufhin das
genannte Theater zur Aufführung von Sprechfilmen ein, was sie veranlasste, den
bisherigen Vermietern von stummen Filmen bekannt zu geben: «Nous venons vous
communiquer qu'aujourd'hui même nous avons pris la décision d'installer de
film sonore au Capitole... Par suite de cette décision, nous sommes obligés de
suspendre tout à fait les contracts en cours avec vous». Daraufhin antwortete
die Firma Leofilm am 6. März 1930, dass von einer Suspendierung der von
Pistone und Bogliani übernommenen Verträge nicht die Rede sein könne.
Inzwischen hatte die Generalversammlung der Betriebsgesellschaft am 24.
Februar 1930 ihre Auflösung beschlossen, worauf die Gesellschaft im
Handelsregister gelöscht wurde. Die bezügliche Veröffentlichung erfolgte im
Schweiz. Handelsblatt vom 3. März 1930.
B. - In der Folge verlangten vier Ansprecher, worunter auch die Firma Leofilm
und die Monopol-Film A.-G., die Wiedereintragung der Betriebsgesellschaft, da
ihnen dieser gegenüber noch Forderungen aus den erwähnten

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Filmmietverträgen zustünden. Die Justizdirektion des Kantons Bern stellte
daraufhin umfangreiche Erhebungen an; u. a. holte sie einen Bericht der
Bernischen Treuhand A.-G. ein, die zum Schlusse gelangte, dass das einbezahlte
Aktienkapital der Betriebsgesellschaft im Betrage von 20000 Fr. als gänzlich
verloren zu gelten habe. Am Tage der Auflösung habe (inklusive diesen Verlust
des Aktienkapitals) ein Passivsaldo von 71714 Fr. 20 Cts. bestanden. Vor der
Auflösung der Gesellschaft seien sämtliche Aktiven, bestehend aus Mobiliar und
Betriebseinrichtungen, veräussert worden. Der Verkaufserlös sei durch
Verrechnung zur Bezahlung von Schulden verwendet worden, so dass am
Auflösungstage keine Aktiven mehr vorhanden gewesen seien. Gläubiger der
Schulden von 51714 Fr. 20 Cts. sei J. Hermann sen., der Leiter und
Hauptaktionär der Betriebsgesellschaft gewesen zu sein scheint. Dieser habe
Schulden der Gesellschaft im Betrage von 82049 Fr. 65 Cts. bezahlt, während
ihm andererseits 30335 Fr. 45 Cts. belastet worden seien.
Gestützt auf diese Erhebungen forderte die Justizdirektion des Kantons Bern
die Ansprecher auf, sich darüber zu äussern, ob sie angesichts dieses
Berichtes auf ihren Wiedereintragungsbegehren beharren. Dabei bemerkte sie,
die Wiedereintragung hätte offenbar den sofortigen Konkurs der Gesellschaft,
die ohne Vermögen sei, zur Folge. Für die Kosten der Wiedereintragung müssten
die Gesuchsteller haftbar gemacht werden, wenn diese von der
Betriebsgesellschaft nicht erhältlich seien.
Die Firma Leofilm und die Monopol-Film A.-G. beharrten auf ihren Begehren.
C. - Mit Verfügung vom 28. Oktober 1930 erkannte der Regierungsrat des Kantons
Bern als Aufsichtsbehörde in Handelsregistersachen, dass die
Betriebsgesellschaft zur Wiedereintragung verpflichtet sei. Falls die
Eintragung nicht innert zehn Tagen nach der Eröffnung des Entscheides erfolge,
so werde diese von Amtes wegen, nebst einer Ordnungsbusse, verfügt. Die Kosten
des

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Verfahrens im Betrage von 30 Fr. seien von der Betriebsgesellschaft zu tragen.
Bei Unerhältlichkeit haften die Gesuchsteller, die Firma Leofilm und die
Monopol-Film A.-G., je zur Hälfte.
D. - Hiegegen hat die Betriebsgesellschaft am 19. November 1930 die
verwaltungsgerichtliche Beschwerde an das Bundesgericht erhoben mit dem Antrag
auf Aufhebung des Entscheides und Ablehnung der Wiedereintragung, weil keine
Forderungen mehr gegen die gelöschte Gesellschaft bestünden. Die in Frage
stehenden Filmmietverträge seien von Pistone und Bogliani privativ übernommen
worden, und die Gläubiger hätten dieser Übernahme zugestimmt, so dass hieraus
keine Forderungen mehr gegen die Betriebsgesellschaft abgeleitet werden
könnten. Zudem wäre übrigens angesichts des Liquidationsverlustes von einer
Wiedereintragung kein Nutzen für die Ansprecher zu erwarten.
Sowohl der Regierungsrat des Kantons Bern als das Eidgenössische Justiz- und
Polizeidepartement tragen auf Abweisung der Beschwerde an.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. - Nach der ständigen Praxis des Eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartementes (vgl. Sammlung Stampa Nr. 43-47, 50-51), der sich auch
das Bundesgericht, seitdem ihm die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf diesem
Gebiete übertragen worden ist, angeschlossen hat (vgl. die Urteile vom 11.
September 1929 i. S. Hero Biscuits A.-G.; vom 11. Februar 1930 i. S. Jäger;
vom 3. Juni 1930 i. S. Kirchheimer und Konsorten) darf eine
Handelsgesellschaft vor Beendigung der Liquidation im Handelsregister nicht
gelöscht werden. Die Liquidation ist aber nicht abgeschlossen, solange noch
Ansprüche oder Verpflichtungen auf den Namen der Gesellschaft bestehen. Zeigt
es sich, dass eine Löschung zu Unrecht erfolgt ist, so können die Berechtigten
die Wiedereintragung verlangen. Dabei genügt es, dass ein Gläubiger eine
Forderung glaubhaft

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macht; ein strikter Beweis ist nicht erforderlich, sondern bleibt dem
Zivilprozess vorbehalten. Auf diese Rechtsprechung, die die Vorinstanz zur
Grundlage ihrer Verfügung gemacht hat, zurückzukommen, besteht kein Anlass.
2. - Mit Recht hat die Vorinstanz aber auch als glaubhaft erachtet, dass den
Ansprechern noch Forderungen der gelöschten Gesellschaft gegenüber zustehen.
Es steht fest, dass die Betriebsgesellschaft mit diesen Firmen
Filmmietverträge abgeschlossen und dass sie die gemieteten Filme nicht alle
aufgeführt und bezahlt hat. Damit ist als glaubhaft dargetan, dass diesen
Firmen noch Forderungen aus diesen Verträgen zustehen. Fraglich könnte
höchstens erscheinen, ob diese Verträge von Pistone und Bogliani, unter
Entlastung der bisherigen Schuldnerin, übernommen worden seien. Zutreffend
erachten sowohl der Regierungsrat des Kantons Bern, wie auch das
Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement den Beweis hiefür nicht ohne
weiteres als erbracht. Es braucht hier nicht näher darauf eingetreten zu
werden, ob in dem von der Betriebsgesellschaft mit Pistone und Bogliani
abgeschlossenen Vertrag vom 31. Januar 1930 eine Schuldübernahme zu erblicken
und ob aus der zwischen der Betriebsgesellschaft und den heutigen Ansprechern
gewechselten Korrespondenz zu schliessen sei, dass den letztern von dieser
Schuldübernahme Kenntnis gegeben wurde und dass diese ihrerseits hiezu ihre
Zustimmung gegeben haben. Denn auf alle Fälle ist nicht dargetan, dass die
Ansprecher unter Verzicht auf die in Art. 22 der Vertragsbedingungen
aufgeführte Vertragsklausel die Betriebsgesellschaft aus ihrer Schuldpflicht
entlassen haben. Zudem behaupten Pistone und Bogliani, was ebenfalls nicht
hinlänglich abgeklärt erscheint, dass die hier in Frage stehenden
Verpflichtungen vom Vertrage vom 31. Januar 1930 ohnehin nicht berührt worden
seien.
3. - Erscheinen somit die Gesuche um Wiedereintragung der Betriebsgesellschaft
an sich als begründet, so bleibt noch zu untersuchen, ob sie nicht deshalb
abzuweisen

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seien, weil sie sich als Rechtsmissbrauch im Sinne von Art. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
ZGB, der auch
auf derartige Verhältnisse Anwendung findet, darstellen. Die
Betriebsgesellschaft weist nämlich darauf hin, dass die Ansprecher angesichts
des Liquidationsverlustes von einer Wiedereintragung ohnehin keinen Vorteil zu
erwarten hätten. Das ist nicht stichhaltig. Nachdem eine rechtsbeständige
Schuldübernahme durch Pistone und Bogliani von diesen bestritten wird und
nicht einwandfrei feststeht (und die Akten auch zudem keine Anhaltspunkte über
die Zahlungsfähigkeit dieser angeblichen Schuldübernehmer enthalten), muss den
Ansprechern die Möglichkeit eingeräumt werden, sich an die
Betriebsgesellschaft als Schuldnerin halten zu können. Irgendwelche Aktiven
scheint diese allerdings nicht mehr zu besitzen. Allein es ist ja nicht
ausgeschlossen, dass die Liquidation der vorhandenen Vermögensobjekte
Anfechtungsansprüche begründet hat, deren allfällige Geltendmachung man den
Ansprechern nicht dadurch zum vorneherein verunmöglichen darf, dass man ihnen
eine Feststellung ihrer Forderungsansprüche gegen die Betriebsgesellschaft
verwehrt.
Demnach erkennt das Bundesgericht: Die Beschwerde wird abgewiesen.