S. 386 / Nr. 66 Prozessrecht (d)

BGE 56 II 386

66. Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Oktober 1930 i. S. «La Genevoise»
gegen Pfirter.


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Regeste:
Die Verletzung von Gerichtsstandsbestimmungen des Bundesrechtes kann nicht mit
der Berufung gerügt werden (auch nicht in Verbindung mit der Hauptsache),
sondern nur mit zivilrechtlicher Beschwerde. Hiezu gehört aber nicht die
Missachtung einer Gerichtsstandsvereinbarung (Prorogationsklausel).
OG Art. 87 Ziff. 3.

Die Beklagte schloss in den 1890er Jahren mit dem damals in Paris wohnenden
Erblasser dort einen Lebensversicherungsvertrag mit Prorogation auf das
«Tribunal de la Seine» ab. Wenig später siedelte der Erblasser nach Bern über,
wo er bis zu seinem kürzlich erfolgten Tode blieb. Als der Willensvollstrecker
beim Appellationshofe des Kantons Bern Klage auf Zahlung der
Lebensversicherungssumme in schweizerischer Währung anstrengte, erhob die
Beklagte die Unzuständigkeitseinrede. Der Appellationshof hat am 26. März 1930
in Anwendung von Art. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
ZGB diese Einrede abgewiesen und ausserdem die Klage
zugesprochen. Hiegegen hat die Beklagte sowohl die Berufung an das
Bundesgericht eingelegt als auch zivilrechtliche, eventuell staatsrechtliche
Beschwerde geführt mit dem Antrage, der Appellationshof sei als unzuständig zu
erklären.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Die zivilrechtliche - und noch viel mehr die staatsrechtliche - Beschwerde
gemäss Art. 87
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
OG wäre, als der Berufung subsidiäres Rechtsmittel, unzulässig,
wenn

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diese zulässig sein würde. Allein das ist nicht der Fall, da
Gerichtsstandsfragen nach der neueren Rechtsprechung selbst dann nicht mit der
Berufung vor das Bundesgericht gebracht werden können, wenn sie in Verbindung
mit der Hauptsache beurteilt worden sind und wegen letzterer ohnehin Berufung
eingelegt wird (BGE 50 II S. 411, 56 II S. 116. Vgl. auch BGE 56 II S. 3 u. 4
dafür, dass die Gerichtsstandsfrage nicht zu den Vorfragen gehört, welche die
Bundesbehörde, die in der Hauptsache kompetent ist, nach Art. 194 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
OG zu
erledigen hat).
Anstatt wie bisher die staatsrechtliche, ist nunmehr die zivilrechtliche
Beschwerde statthaft «wegen Verletzung von Gerichtsstandsbestimmungen des
eidgenössischen Rechtes» (Art. 87 Ziff. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
OG in der ihm durch Art. 49 des
Bundesgesetzes über die eidgenössische Verwaltungs- und
Disziplinarrechtspflege, vom 11. Juni 1928, gegebenen Fassung). Indessen
handelt es sich vorliegend nicht um eine Beschwerde wegen Verletzung einer
Gerichtsstandsvorschrift des Bundesrechtes, sondern wegen Missachtung einer
Gerichtsstandsvereinbarung (Prorogationsklausel). Hiefür ist jedoch die
zivilrechtliche Beschwerde ebensowenig gegeben wie früher nach dem durch Art.
87 Ziff. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
OG teilweise ersetzten Art. 189 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
OG, womit, «wie der
Zusammenhang mit dem vorangehenden Abs. 2 ohne weiteres zeigt, nur eine
eidgenössische Beschwerdeinstanz gegen die Missachtung von durch die
Bundesgesetzgebung gewährleisteten, gesetzlichen Gerichtsständen des
eidgenössischen Rechtes geschaffen werden sollte.» In diesem Sinne haben sich
übereinstimmend schon die staatsrechtliche Abteilung im Urteile vom 9. Mai
1930 in Sachen Adelmann gegen «Helvetia» und am 28. Februar 1930 die zweite
Zivilabteilung in dem jenem Urteile vorangegangenen Meinungsaustausch
ausgesprochen.
Zur Beurteilung des ebenfalls geltend gemachten Beschwerdegrundes der
Verletzung des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV ist nur die staatsrechtliche Abteilung zuständig.

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Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die zivilrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten. Die Sache wird an
die staatsrechtliche Abteilung gewiesen.