S. 75 / Nr. 14 Bundesstrafrecht (d)

BGE 56 I 75

14. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. Februar 1930 i. S.
Affentranger gegen Staatsanwaltschaft Solothurn.


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Regeste:
Begriff des fortgesetzten Deliktes.

A. - Der in Willisau wohnende Kassationskläger lieferte einem gewissen Lüthi
in Olten am 4. November 1928 eine Sendung «Kirsch». Als dann die am 1. Februar
1929 bei Lüthi vorgenommene Probeerhebung ergab, dass der «Kirsch» die das
charakteristische Bouquet bildenden Destillationsprodukte nicht in genügendem
Mass enthalte und infolgedessen gemäss Art. 297 LMPV bloss als
Kirschwasserverschnitt hätte verkauft werden dürfen, wurde der
Kassationskläger auf die am 26. Februar 1929 erfolgte Strafüberweisung hin am
28. März 1929 vom Amtsgericht Olten-Gösgen gestützt auf die Art. 10 und 297
LMPV und die Art. 41 und 48 LMPG wegen fahrlässigen Inverkehrbringens von
Kirschwasserverschnitt als Kirsch zu 40 Fr. Busse und den Kosten verurteilt.
Dieses Urteil ist in Rechtskraft erwachsen.
Am gleichen 4. November 1928 hatte der Kassationskläger dem ebenfalls in Olten
wohnenden Leuenberger eine gleiche Sendung «Kirsch» geschickt, dessen am 7.
Mai 1929 vorgenommene Untersuchung trotz im einzelnen abweichenden Befunds
auch blossen Kirschwasserverschnitt ergab. Das am 28. Mai 1929 deswegen

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eingeleitete Strafverfahren wurde aber vom Amtsgericht Olten-Gösgen mit
Rücksicht darauf, dass wegen dieses Deliktes eine Strafverurteilung bereits
stattgefunden habe, am - 25. Juli 1929 eingestellt. Immerhin wurden dem
Kassationskläger die Kosten auferlegt, weil er es unterlassen habe, sofort
nach Ausfällung des Strafurteils vom 28. März 1929 die anderswohin gelieferte
Ware gleicher Art zurückzuziehen. Auch dieser Entscheid ist in Rechtskraft
erwachsen.
Kurz nach dem 4. November 1928, nämlich am 9. des gleichen Monats, hatte der
Kassationskläger einem in Solothurn wohnhaften E. Rhein eine Sendung «Kirsch»
gemacht, von welcher am gleichen Tag wie bei der ersterwähnten Lieferung,
nämlich am 1. Februar 1929, eine Probe erhoben wurde. Da auch diese bei im
einzelnen abweichendem Befund blossen Kirschwasserverschnitt ergab, ist der
Kassationskläger am 16. April 1929. den Strafbehörden überwiesen und am 5.
August 1929 vom Amtsgericht Solothurn- Lebern wegen fahrlässiger Übertretung
von Art. 297 LMPV zu 40 Fr. und den Kosten verurteilt worden. Das Obergericht
des Kantons Solothurn bestätigte auf Appellation hin das Schulderkenntnis,
setzte die Busse auf 60 Fr. herauf und legte dem Kassationskläger die Kosten
beider Instanzen, diejenigen der technischen Untersuchung inbegriffen, auf.
B. - Gegen dieses Urteil hat der Kassationskläger rechtzeitig und formrichtig
die Kassationsbeschwerde ans Bundesgericht ergriffen, u. a. mit der
Begründung:
Die verschiedenen im Kanton Solothurn eingeklagt gewesenen Handlungen bildeten
zusammen ein (fortgesetztes) Vergehen im Sinne von Art. 34 BStrR und der
bundesgerichtlichen Praxis dazu. Auf diesen Standpunkt habe sich das
Amtsgericht Olten-Gösgen in seinem Einstellungsbeschluss vom 25. Juli 1929 und
die bernische Direktion des Innern bezüglich einer nach Belp gemachten
Lieferung der gleichen Ware gestellt. Die verschiedenen hier in Frage
stehenden Lieferungen stammten aus dem

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gleichen Fass. Der Beweis dafür sei vor den kantonalen Instanzen angeboten,
aber willkürlich nicht abgenommen worden. Mit der durch das Amtsgericht
Olten-Gösgen wegen der einen dieses Vergehen ausmachenden Teilhandlung
ausgesprochenen Strafe sei deshalb der Strafanspruch überhaupt konsumiert, und
die mehrfache Bestrafung verletze den Grundsatz «ne bis in idem».
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. . . . .
2.- Es bleibt deshalb noch zu entscheiden, ob die Einrede der Verletzung des
Grundsatzes «ne bis in idem» begründet sei. Da mit dieser Einrede die
Verletzung materiellen eidgenössischen Strafrechts und nicht etwa diejenige
einer Gerichtsstandsnorm (Art. 50 und 51 LMPG) geltend gemacht wird, so ist
sie richtigerweise mit Kassationsbeschwerde und nicht mit der
staatsrechtlichen Beschwerde gemäss Art. 52 LMPG erhoben worden (BGE 51 I 45).
Das Obergericht des Kantons Solothurn nimmt an, es handle sich bei den von den
Amtsgerichten Olten- Gösgen und Solothurn- Lebern beurteilten Handlungen um
zwei selbständige Delikte. Der Kassationskläger dagegen erblickt in ihnen nur
Glieder eines und desselben fortgesetzten Delikts, sodass der durch dieses
begründete Strafanspruch mit der Aburteilung der einen Handlung durch das
Amtsgericht Olten- Gösgen konsumiert sei, die nachträgliche Verurteilung noch
wegen einer andern dieser Handlungen also die zweimalige Bestrafung des
Kassationsklägers für das gleiche Delikt bedeute.
Der Begriff des fortgesetzen Verbrechens ist dem Bundesstrafrecht bekannt (die
Verjährung beginnt bei ihm gemäss Art. 34 BStrR von der letzten
verbrecherischen Handlung an zu laufen). Da es aber den Begriff nicht
definiert, so ist er durch Auslegung zu finden.
Das fortgesetzte Delikt setzt vorerst eine Mehrheit bisher nicht bestrafter
Handlungen voraus, von denen

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jede einzeln für sich schon den betreffenden Deliktstatbestand erfüllt, die
aber infolge ihrer Gleichartigkeit und der Kontinuierlichkeit ihrer Vornahme
nur als die Verwirklichung des einen und selben deliktischen
Willensentschlusses erscheinen (vgl. BGE 40 I 308 i. S. Farina gegen
Rezzonico; BGE vom 12. Juli 1923 i. S. Ottone; LISZT, Lehrbuch 25. Aufl. S.
339). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt:
Der Kassationskläger hat eine Reihe von Handlungen ausgeführt, von denen jede
einzeln den Tatbestand der fahrlässigen Übertretung von Art. 297 LMPV erfüllt.
Diese Handlungen sind unter sich gleichartig, insofern es sich immer um den
Verkauf von Kirschwasserverschnitt als Kirsch handelt; und auch die
verhältnismässig kurze Zeit, innerhalb welcher diese Verkäufe getätigt wurden,
lässt jede einzelne dieser Handlungen als die Fortsetzung der vorgehenden,
ihre Gesamtheit als die Verwirklichung eines deliktischen Willensentschlusses
erscheinen. Der Kassationskläger hat eben (mindestens) ein Fass
Kirschwasserverschnitt als Kirsch detailliert (wobei es nichts ausmacht, ob es
sich wirklich nur um ein Fass oder um mehrere Fässer handelte, und
infolgedessen auch kein Anlass zur Rückweisung der Sache zur Aktenergänzung
hierüber gemäss Art. 173 OG besteht).
Ob das fortgesetzte Delikt weiterhin auch noch zur Voraussetzung habe, dass
die einzelnen Handlungen gegen das gleiche Rechtsgut gerichtet seien (BGE 40 I
308
), kann hier wie im Falle Ottone dahingestellt bleiben, denn hier wie dort
ist diese Voraussetzung erfüllt. Durch Art. 297 LMPV in Verbindung mit Art. 41
LMPG werden nämlich nicht die Interessen der einzelnen Käufer, sondern die der
Öffentlichkeit (an der Belieferung mit richtig bezeichneter Ware) geschützt.
Jede einzelne der eingeklagten Handlungen bedeutet also, obschon es sich um
Lieferungen an verschiedene Personen handelt, einen Eingriff in die
strafrechtlich geschützten Interessen der gleichen Öffentlichkeit. Der Annahme
der Deliktseinheit

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steht also auch in dieser Beziehung nichts entgegen. Die Verurteilung des
Kassationsklägers durch das Amtsgericht Solothurn- Lebern und des
solothurnischen Obergerichts bedeutet also dessen nochmalige Bestrafung für
ein Delikt, für welches er bereits vom Amtsgericht Olten- Gösgen bestraft
worden ist. Das angefochtene Urteil muss deshalb in dem Sinne aufgehoben
werden, dass der Kassationskläger wegen bereits erfolgter Bestrafung für das
gleiche Delikt freizusprechen sei. Über die im kantonalen Verfahren ergangenen
Kosten (diejenigen der technischen Untersuchung inbegriffen) wird die
zuständige kantonale Instanz von neuem zu entscheiden haben.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Kassationsbeschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Solothurn vom 25. Oktober 1929 aufgehoben.