S. 208 / Nr. 44 Prozessrecht (d)

BGE 55 II 208

44. Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. September 1929 i. S. Müller gegen
Staat Wallis.

Regeste:
Auch Streitigkeiten zwischen Kantonen und Privaten sind nur dann mittels der
Berufung weiterziehbar, wenn es Zivilrechtsstreitigkeiten sind.
Klagen aus dem Dienstverhältnis eines Leiters einer kantonalen
landwirtschaftlichen Schule gegen den Kanton sind keine
Zivilrechtsstreitigkeiten. - Wendet der kantonale Richter hierauf die
Bestimmungen des eidg. Obligationenrechtes an, so geschieht dies nur
subsidiär, als Bestandteil des kantonalen Rechtes.
OG Art. 48 Ziff. 4, 56; OR Art. 362.

A. - Arthur Müller, diplomierter Landwirt, zur Zeit wohnhaft in Brugg, wurde
am 15. Juli 1922 vom Staatsrat des Kantons Wallis zum Direktor der
landwirtschaftlichen

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Schule des Oberwallis in Visp gewählt und zwar vorerst bis zum 1. Juli 1925
und in der Folge bis zum 9. Juli 1929. Von dieser Stellung wurde Müller,
nachdem sich zwischen ihm und der ihm vorgesetzten Behörde aus verschiedenen
Gründen Differenzen ergeben hatten, mit Beschluss des Staatsrates des Kantons
Wallis vom 27. August 1926 enthoben.
B. - Daraufhin erhob Müller beim Instruktionsrichter des Bezirkes Sitten Klage
gegen den Staat Wallis auf Zahlung des rückständigen Lohnes, der Besoldung für
die restierende Anstellungszeit, sowie eines Betrages wegen Verletzung in
seinen persönlichen Verhältnissen (Kreditschädigung).
Der Staat Wallis erklärte sich bereit zur Zahlung des rückständigen Gehaltes
im Betrage von 477 Fr., verlangte aber im übrigen Abweisung der Klage, da die
Entlassung des Klägers wegen mehrfacher Pflichtverletzungen gerechtfertigt
gewesen sei. Zudem erhob er gegen den Kläger eine Widerklage, die heute nicht
mehr Gegenstand des Streites bildet.
C. - Mit Urteil vom 14./31. Mai 1929 hat das Kantonsgericht von Wallis die
Klage, mit Ausnahme des vom Beklagten anerkannten Betrages von 477 Fr. für
rückständigen Lohn, abgewiesen, da die sofortige Entlassung des Klägers
angesichts verschiedentlicher von ihm begangener Amtspflichtsverletzungen
nicht ungerechtfertigt gewesen sei.
D. - Hiegegen hat der Kläger am 7. Juni 1929 die Berufung an das Bundesgericht
erklärt, indem er seine Klage in vollem Umfange aufrecht erhält.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Gemäss Art. 66 OG kann das Bundesgericht als Berufungsinstanz nur
Zivilstreitigkeiten beurteilen, die «unter Anwendung eidgenössischer Gesetze
entschieden worden oder nach solchen Gesetzen zu entscheiden sind». Diese
Vorschrift gilt mangels einer ausdrücklichen gegenteiligen

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Regelung auch bei Berufungen gegen kantonale Urteile in
Zivilrechtsstreitigkeiten zwischen Kantonen und Privaten, unbekümmert darum,
dass, wenn eine solche Streitigkeit gemäss Art. 48 Ziff. 4 OG dem
Bundesgericht als einzige Instanz unterbreitet worden wäre, dieses auch
kantonales Recht, wenn dies zur Beurteilung des Falles notwendig gewesen wäre,
hätte zur Anwendung bringen müssen.
Diese in Art. 56 OG statuierten Voraussetzungen sind nun aber vorliegend nicht
erfüllt. Der Kläger befand sich dem Beklagten gegenüber nicht in einem den
Vorschriften des eidgenössischen Obligationenrechtes unterliegenden
privatrechtlichen Anstellungsverhältnis, vielmehr war er öffentlicher Beamter,
da seine Tätigkeit als Leiter der landwirtschaftlichen Schule des Kantons
Wallis in Visp sich als eine Verrichtung in Ausübung eines Staatszweckes
darstellt (vgl. BGE 50 I S. 75 f. und dort angeführte frühere Entscheide,
ferner den ungedruckten Entscheid des Bundesgerichts i. S. Gasser gegen den
Fiskus des Kantons Zürich vom 24. April 1929). Dem kann nicht entgegengehalten
werden, dass der Betrieb dieser Schule dem Beklagten unter Umständen einen
Gewinn abwerfen kann; denn diese Anstalt wurde - und darauf kommt es an - vom
Beklagten nicht errichtet, um dem Fiskus dadurch eine Einnahmequelle zu
verschaffen, sondern im Interesse der öffentlichen Fürsorge, um den
heranwachsenden Landwirten die für die Ausübung ihres zukünftigen Berufes
notwendige Ausbildung zu vermitteln und dadurch den allgemeinen Stand der
Landwirtschaft im Kanton zu heben und zu fördern. Die Frage, ob die Entlassung
des Klägers gerechtfertigt war und welche Gehaltsansprüche ihm dem Beklagten
gegenüber noch zustehen, beurteilt sich somit, wie überhaupt das gesamte
zwischen dem Kläger und dem Beklagten bestandene Dienstverhältnis,
ausschliesslich nach kantonalem öffentlichem Recht (Art. 362
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 362 - 1 Durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag darf von den folgenden Vorschriften nicht zuungunsten der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers abgewichen werden:233
1    Durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag darf von den folgenden Vorschriften nicht zuungunsten der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers abgewichen werden:233
2    Abreden sowie Bestimmungen von Normalarbeitsverträgen und Gesamtarbeitsverträgen, die von den vorstehend angeführten Vorschriften zuungunsten des Arbeitnehmers abweichen, sind nichtig.
OR). Richtig ist
allerdings, dass die Vorinstanz den vorliegenden Fall nach den im
eidgenössischen Obligationenrecht enthaltenen Vorschriften über den
Dienstvertrag

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entschieden hat; dies konnte jedoch nur im Sinne einer subsidiären Anwendung
dieser Bestimmungen als Bestandteil des kantonalen Rechtes geschehen (vgl.
auch den vorgenannten ungedruckten Entscheid des Bundesgerichtes). Fraglich
könnte nur erscheinen, ob nicht der vom Kläger erhobene Schadenersatzanspruch
wegen Kreditschädigung und Verletzung der persönlichen Verhältnisse sich als
zivilrechtlicher Anspruch qualifiziere. Das mag indessen hier dahingestellt
bleiben, da, auch wenn dies grundsätzlich bejaht werden müsste, die
Begründetheit dieses Anspruches doch auf alle Fälle ausschliesslich von der
nach kantonalem öffentlichen Recht zu beurteilenden und daher der Überprüfung
durch das Bundesgericht entzogenen Frage der Rechtmässigkeit der vom Beklagten
verfügten Entlassung des Klägers abhängig wäre.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Berufung wird nicht eingetreten.