S. 162 / Nr. 34 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 54 III 162

34. Entscheid vom 7. Juni 1928 i.S. Konkursamt St. Gallen.


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Regeste:
Die Vorschrift des Art. 63 der Konkursverordnung über die Behandlung von im
Prozesse liegenden Forderungen bei der Kollokation ist nicht anwendbar, sofern
vor der Konkurseröffnung nichts weiteres als der Sühneversuch stattgefunden
hat.
L'art. 63 de l'ord. sur l'administration des offices de faillites, qui a trait
à la collocation des créances litigieuses, n'est pas applicable lorsque
l'ouverture de la faillite n'a été précédée que de la tentative de
conciliation.
Il disposto dell'art. 63 del Regolamento sull'amministrazione dei fallimenti
(RAF), che concerne la collocazione di crediti litigiosi, non è applicabile,
ove, prima della dichiarazione del fallimento, altro non sta avvenuto che un
tentativo di conciliazione.

A. - C. Flüggen in Innsbruck, dessen Forderung an Gebrüder Weiss in Romanshorn
auf Verlangen von Rechsteiner & Cie in St. Gallen von der Arrestbehörde des
Bezirkes Arbon bezw. dem Betreibungsamte Romanshorn gegen Sicherheitsleistung
arrestiert worden war, machte, als die Arrestforderungsklage rechtskräftig
abgewiesen wurde, Schadenersatz wegen ungerechtfertigtem Arrest im Betrage von
2600 Fr. geltend, indem er am 23. Januar 1928 beim Friedensrichteramte
Romanshorn das Gesuch um Durchführung des Sühneverfahrens stellte, das dann am
6. Februar stattfand, und die von diesem Tage datierte Weisung am 29. Februar
beim Präsidium des Bezirksgerichtes Arbon zwecks Anberaumung der gerichtlichen
Verhandlung einreichte. Inzwischen war am 10. Februar der Konkurs über die
Firma Rechsteiner & Cie eröffnet worden. In der Konkurseingabe ersuchte C.
Flüggen um Kollokation der «bereits eingeklagten» Arrestschadenersatzforderung
unter den pfandversicherten Forderungen. Als dann aber das Konkursamt diese
Forderung «mangels Nachweises des aus der Arrestlegung entstandenen Schadens»
im Kollokationsplan

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abwies mit dem Beifügen: «Das Verfahren gemäss Art. 63 KV kommt nicht in
Frage, da der Prozess erst nach der Konkurseröffnung eingeleitet wurde und
nachdem Ihnen die Konkurseröffnung bereits bekannt gegeben war,» führte
Flüggen Beschwerde mit dem Antrage, die Kollokationsverfügung sei aufzuheben
und das Konkursamt St. Gallen sei anzuweisen, gemäss Art, 63 der
Konkursverordnung seine Forderung, welche im Zeitpunkt der Konkurseröffnung
bereits Gegenstand eines Prozesses bildete, im Kollokationsplan zunächst ohne
Verfügung der Konkursverwaltung lediglich pro memoria vorzumerken und im
übrigen nach Art. 63 Abs. 2-4 und Art. 48 der Konkursverordnung vorzugehen.
Das beschwerdebeklagte Konkursamt wendete ein, die angeführten Vorschriften
beziehen sich nur auf beim Prozessgericht anhängig gemachte, nicht erst im
Sühneverfahren befindliche Rechtsstreitigkeiten.
B. - Durch Entscheid vom 22. Mai 1928 hat die Aufsichtsbehörde für
Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons St. Gallen die Beschwerde
zugesprochen.
C. - Diesen Entscheid hat das Konkursamt St. Gallen an das Bundesgericht
weitergezogen.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Die Vorschrift des Art. 63 der Konkursverordnung, dass streitige Forderungen
(an den Gemeinschuldner), welche im Zeitpunkte der Konkurseröffnung bereits
«Gegenstand eines Prozesses» bilden, im Kollokationsplan zunächst ohne
Verfügung der Konkursverwaltung lediglich pro memoria vorzumerken sind - in
der Meinung, dass die Verfügung davon abhängig zu machen ist, ob in der Folge
der Prozess entweder von der Konkursmasse oder von einzelnen Konkursgläubigern
nach Art. 260
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 260 - 1 Jeder Gläubiger ist berechtigt, die Abtretung derjenigen Rechtsansprüche der Masse zu verlangen, auf deren Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet.
1    Jeder Gläubiger ist berechtigt, die Abtretung derjenigen Rechtsansprüche der Masse zu verlangen, auf deren Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet.
2    Das Ergebnis dient nach Abzug der Kosten zur Deckung der Forderungen derjenigen Gläubiger, an welche die Abtretung stattgefunden hat, nach dem unter ihnen bestehenden Range. Der Überschuss ist an die Masse abzuliefern.
3    Verzichtet die Gesamtheit der Gläubiger auf die Geltendmachung und verlangt auch kein Gläubiger die Abtretung, so können solche Ansprüche nach Artikel 256 verwertet werden.458
SchKG fortgeführt wird oder nicht, eventuell von dessen Ausgang
-, ist gemäss dem damit verfolgten Zweck auszulegen. Dieser Zweck besteht nun
aber

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unverkennbar darin, dass um des Gewinnes an Zeit und Geld willen den
Konkursgläubigern - und zwar sowohl dem Forderungsprätendenten als dritten
bestreitenden Gläubigern - erspart werden soll, im Anschluss an die Auflegung
des Kollokationsplanes einen bereits teilweise instruierten Prozess von neuem
anzufangen. Indessen leuchtet ohne weiteres ein, dass es diesem Zwecke nicht
zu dienen vermöchte, wenn die angeführte Vorschrift auch angewendet würde auf
ein Verfahren, das sich auf die Durchführung des Sühneversuches beschränkt
hat. Im Gegenteil: Nicht nur braucht der gerichtlichen
Kollokationsplananfechtungsklage nach vielen kantonalen Prozessrechten kein
Sühneversuch voranzugehen, sodass mit der bereits erfolgten Durchführung des
Sühneverfahrens nichts gewonnen ist, sondern anstatt dem für die
Kollokationsplananfechtungsklagen vorgeschriebenen beschleunigten Verfahren
würde, von seltenen Ausnahmen abgesehen, das ordentliche Verfahren
platzgreifen, und zwar eben für die ganze Instruktion des Prozesses, ohne
irgendwelchen Ausgleich dadurch, dass die Instruktion zum Teil schon
stattgefunden hätte und insoweit nicht mehr durchgeführt werden müsste. Danach
lässt sich für streitige Forderungen, über welche vor der Konkurseröffnung
erst das Sühneverfahren durchgeführt worden ist, nicht sagen, dass sie im
Zeitpunkte der Konkurseröffnung bereits Gegenstand eines Prozesses im Sinne
des Art. 63 der Konkursverordnung bilden, gleichgültig ob nach dem kantonalen
Prozessrecht schon die Sühneverhandlung oder sogar schon die Anrufung des
Sühnebeamten als Klagerhebung angesehen werde. Somit hat sich der
Beschwerdeführer mit Unrecht auf die angeführte Vorschrift berufen.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- und Konkurskammer:
Der Rekurs wird begründet erklärt, der angefochtene Entscheid aufgehoben und
die Beschwerde des C. Flüggen abgewiesen.