S. 466 / Nr. 84 Obligationenrecht (d)

BGE 54 II 466

84. Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. November 1928 i.S. Hefti gegen
Blumer.


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Regeste:
Automobilunfall: Abweisung der Schadenersatzklage wegen Selbstverschuldens des
Verletzten, der, obwohl er durch das Scheinwerferlicht auf das heranfahrende
Auto aufmerksam geworden war, die Strasse noch überqueren wollte, als ihn das
Auto fast eingeholt hatte. - Bedeutung der Vorschriften in Art. 42, Abs. 1 und
34 des Automobilkonkordates (Erw. 2 und 3).

A. - Der Kläger Hefti, Konsumverwalter in Diesbach, begab sich am 9. November
1926, abends, in die Wirtschaft von Metzger Streiff daselbst zwecks Vornahme
einer Abrechnung. Nach Erledigung des Geschäfts blieb er in der Wirtschaft und
spielte Karten bis zur Polizeistunde. Gegen 11½ Uhr nachts trat er den Heimweg
an, wobei er auf der linken Strassenseite marschierte. Es war sehr dunkel und
regnete stark. Als er beim Hause des Samuel Streiff anhielt, nahm er den
Lichtkegel der Scheinwerfer des ihn einholenden Autos des Beklagten wahr. Das
Auto selbst konnte er noch nicht sehen, weil die Strasse hinter seinem
Standorte eine Kurve bildete. Trotzdem versuchte er noch die Strasse nach
rechts zu überqueren, um sein in unmittelbarer Nähe auf der rechten
Strassenseite gelegenes Haus zu erreichen. Der Beklagte, der mit seinem gut
beleuchteten Auto auf der rechten Seite der Strasse fuhr, bog so weit nach
rechts aus, dass er den Strassenzaun streifte, konnte aber nicht verhindern,
dass der Kläger vom linken Kotflügel erfasst und zu Boden geworfen wurde. Es
gelang ihm indessen, so rasch anzuhalten, dass der Verunfallte nur mit dem
Oberkörper zwischen den beiden Vorderrädern unter den Wagen geriet. Der Kläger
erlitt erhebliche Verletzungen, die laut Expertise eine dauernde Invalidität
von 15% zur Folge hatten.
B. - Mit der vorliegenden Klage fordert Hefti vom Beklagten Blumer Fr. 12000
Schadenersatz, unter Vorbehalt des Nachklagerechts.

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Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage wegen Selbstverschuldens des
Klägers.
C. - Das Zivilgericht des Kantons Glarus schützte die Klage im reduzierten
Betrage von Fr. 2480.50, das Obergericht dagegen wies sie mit Urteil vom 13.
August 1928 gänzlich ab.
D. - Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Berufung an das Bundesgericht
erklärt mit dem Begehren um Gutheissung der Klage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Das Obergericht stellt auf Grund der Aussagen des im Auto mitfahrenden K.
Engler - des einzigen Augenzeugen des Unfalls - fest, dass der Beklagte
«tatsächlich sehr langsam fuhr». Es schliesst dies auch aus dem Umstande, dass
er andernfalls sein bloss mit einer Zweiradbremse versehenes Auto auf der
nassen Strasse nicht so rasch hätte anhalten können, dass der Kläger nur mit
dem Oberkörper unter den Wagen geriet, ohne dass irgendwelche Schleifspuren
feststellbar waren. Angesichts dieser für das Bundesgericht verbindlichen
Beweiswürdigung kann dem Beklagten nicht nur keine Verletzung des Art. 35,
Abs. 1 des Automobilkonkordates vom 7. April 1914/29. Dezember 1921 zur Last
gelegt werden, wonach für das Durchfahren von Dörfern eine
Höchstgeschwindigkeit von 18 km in der Stunde zulässig ist, sondern es folgt
daraus zugleich auch, dass der Beklagte, worauf es entscheidend ankommt, im
Sinne von Art. 33 ebenda die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges beherrscht und
der vor ihm liegenden Fahrstrecke die durch die Umstände gebotene
Aufmerksamkeit gewidmet hat. Laut den Zeugenaussagen Engler's hat er den
Kläger nach der Ausfahrt aus der Kurve bemerkt und erklärt: «da sei auch noch
einer spät auf der Strasse», und um an ihm vorbeizukommen, fuhr er so weit
nach rechts, dass er beim sofortigen Anhalten im Augenblicke des

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Zusammenstosses mit dem unversehens in die Fahrbahn des Autos tretenden Kläger
den Strassenzaun streifte.
Ob der Beklagte Hornsignale gegeben habe oder nicht, kann dahingestellt
bleiben. Abgesehen davon, dass gemäss Art. 31, Abs. 3 des Konkordates in
Städten und Dörfern, sowie zur Nachtzeit ein unnötiger Gebrauch der
Signalapparate zu vermeiden ist, stellt das Scheinwerferlicht eines Autos nach
Einbruch der Dunkelheit für den Strassenbenützer das wirksamste
Warnungszeichen dar, indem es ihm besser als akustische Signale die
Orientierung über die Entfernung des Fahrzeuges ermöglicht. Wie der Kläger
selber zugibt, hat er den Lichtkegel des heranfahrenden, gut beleuchteten
Autos wahrgenommen, als dieses selbst wegen der Kurve noch nicht sichtbar war,
so dass in der Unterlassung von Hornsignalen jedenfalls kein für den Unfall
kausales Verschulden des Beklagten liegt.
2.- Die Vorschrift des Art. 42, Abs. 1 des Konkordates, wonach die Führer von
Motorfahrzeugen immer «links vorfahren» müssen, bezieht sich, entgegen der
Auffassung des Zivilgerichts, nur auf das Vorbeifahren an andern Fahrzeugen,
und nicht auf das Überholen von Fussgängern; ihre Anwendung auch auf das
Vorbeifahren an letztern würde zu der unsinnigen Konsequenz führen, dass ein
Motorfahrzeuglenker jeden auf der linken Strassenseite marschierenden
Fussgänger erst durch Signale aufmerksam machen und dann zuwarten müsste, bis
dieser die Strasse so weit nach rechts überquert hätte, dass ein
Linksvorfahren möglich wäre. Mangels einer gegenteiligen kantonalen Bestimmung
steht dem Fussgänger nach dem Konkordat die Benützung sowohl der linken, wie
der rechten Strassenseite frei.
3.- Endlich kann es dem vorschriftsgemäss rechts fahrenden Beklagten auch
nicht zum Vorwurf gereichen, dass er wegen des vor ihm auf der linken
Strassenseite gehenden Klägers nicht angehalten hat. Nach Art. 34 des
Konkordates hat der Führer eines Motorfahrzeuges den

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Lauf zu verlangsamen oder nötigenfalls sofort anzuhalten, wenn das Fahrzeug
Anlass zu einem Verkehrshemmnis oder Unfall bieten könnte. Die blosse Tatsache
jedoch, dass sich ein Unfall ereignet hat, genügt nicht, um dem Fahrzeuglenker
eine Pflichtverletzung in dieser Beziehung zur Last zu legen. Ohne Zweifel
wäre hier das Unglück vermieden worden, wenn der Beklagte früher angehalten
hätte. Allein hiezu wäre er nur verpflichtet gewesen, wenn er sich hätte sagen
müssen, dass er einzig durch das Anhalten einen sonst wahrscheinlichen
Zusammenstoss verhüten könne. Mit einer Kollisionsgefahr musste aber der
Beklagte unter den vorliegenden Umständen vernünftigerweise nicht rechnen,
umsoweniger, als der Kläger durch das ihn einholende Auto keineswegs etwa
überrascht und dadurch in eine die normale Überlegungsfähigkeit
beeinträchtigende Aufregung versetzt worden war. Die Forderung des Anhaltens
in einem solchen Falle würde eine unerträgliche Erschwerung des Verkehrs
bedeuten. Gemäss den von der Vorinstanz als glaubwürdig erachteten Aussagen
des Zeugen Engler hat vielmehr der Kläger allein den Unfall dadurch
verschuldet, dass er, statt auf der linken Strassenseite zu bleiben, die
Strasse noch nach rechts überqueren wollte, als ihn das Auto fast eingeholt
hatte. Er kannte die örtlichen Verhältnisse genau und musste daher wissen,
dass das in der kurzen und nicht gerade scharfen Kurve befindliche Auto,
selbst wenn es sehr langsam fuhr, ihn einhole, bevor er die andere
Strassenseite erreiche. Wenn er dennoch, unter Ausserachtlassung der
elementarsten Vorsicht, die Strasse überquerte, so muss er auch die Folgen
dieses grobfahrlässigen Verhaltens an sich tragen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Glarus vom 13. August 1928 bestätigt.