S. 246 / Nr. 49 Sachenrecht (d)

BGE 54 II 246

49. Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. Juli 1928 i.S. Flütsch gegen Jecklin.

Regeste:
Verantwortlichkeit aus Besitz, Art. 938 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 938 - 1 Wer eine Sache in gutem Glauben besitzt, wird dadurch, dass er sie seinem vermuteten Rechte gemäss gebraucht und nutzt, dem Berechtigten nicht ersatzpflichtig.
1    Wer eine Sache in gutem Glauben besitzt, wird dadurch, dass er sie seinem vermuteten Rechte gemäss gebraucht und nutzt, dem Berechtigten nicht ersatzpflichtig.
2    Was hiebei untergeht oder Schaden leidet, braucht er nicht zu ersetzen.
. ZGB: Voraussetzungen des guten
oder bösen Glaubens des Besitzers, namentlich bei Grundstücken, insbesondere
der mala fides superveniens.

A. - (Gekürzt.) Am 21. Januar 1924 legten die Parteien dem Grundbuchverwalter
von Schiers einen schriftlichen Kaufvertragsentwurf über die Liegenschaft des
Klägers, den sie unterzeichnet hatten, zur öffentlichen Beurkundung vor mit
dem Antrag auf Eintragung in

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das Grundbuch. Wie der Kläger behauptet, machte er damals den Vorbehalt, dass
er durch seine Unterschrift nur gebunden sein wolle für den Fall, dass der
Grundpfandgläubiger Ryffel seine nach dem Vertragsentwurf von den Käufern
nicht übernommene Forderung von 4000 Fr. erlasse, oder dass die Käufer sie
doch noch übernehmen. Der Grundbuchverwalter verschob die öffentliche
Beurkundung zunächst, nahm dann aber am 7. Februar die öffentliche Beurkundung
und die Eintragung in das Grundbuch doch vor. Die Käufer zogen am 1. März 1924
auf die Liegenschaft auf und liessen an Stelle der bisherigen Metzgerei eine
Schlosserwerkstätte einrichten, sowie einen Schopf bauen, dessen Wert auf 2500
Fr. veranschlagt wird. Am 3. März 1924 stellte der Kläger unter Hinweis auf
die Ungültigkeit des Kaufvertrages beim Kreisamt das Gesuch, den Käufern sei
durch Amtsbefehl jegliche bauliche Veränderung zu untersagen; doch wurde er
durch Entscheid vom 5. März abgewiesen. Am 26. März 1924 verlangte der Kläger
beim Vermittleramt die Anberaumung eines Sühneversuches mit den Käufern, der
am 4. April abgehalten wurde. Hier und mit gerichtlicher Klage vom 25. April
1924 trug der Kläger auf Ungültigerklärung, eventuell Nichtigerklärung des
Kaufvertrages und Löschung des Grundbucheintrages an, hauptsächlich mit der
Begründung, dass der Grundbuchverwalter die öffentliche Beurkundung wegen des
gemachten Vorbehaltes nicht habe vornehmen dürfen. Während das Bezirksgericht
Unterlandquart am 8. November 1924 die Klage abwies, sprach auf Appellation
des Klägers hin das Kantonsgericht von Graubünden am 3. April 1925 sie zu. Auf
die Berufung der Beklagten an das Bundesgericht trat dieses am 9. September
1925 wegen ausschliesslicher Anwendbarkeit des kantonalen Beurkundungsrechtes
nicht ein. Am 14. Oktober 1925 räumten die Käufer die Liegenschaft.
B. - Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger

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unter Anrufung der Art. 938 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 938 - 1 Wer eine Sache in gutem Glauben besitzt, wird dadurch, dass er sie seinem vermuteten Rechte gemäss gebraucht und nutzt, dem Berechtigten nicht ersatzpflichtig.
1    Wer eine Sache in gutem Glauben besitzt, wird dadurch, dass er sie seinem vermuteten Rechte gemäss gebraucht und nutzt, dem Berechtigten nicht ersatzpflichtig.
2    Was hiebei untergeht oder Schaden leidet, braucht er nicht zu ersetzen.
. ZGB von zweien der drei Käufer Bezahlung von
12600 Fr. nebst 5% Zins seit 15. Oktober 1925 mit Solidarhaft.
C. - Durch Urteil vom 26. Januar 1928 hat das Kantonsgericht von Graubünden
die Klage abgewiesen.
D. - Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Berufung an das Bundesgericht
eingelegt mit dem Antrag auf Gutheissung der Klage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Zutreffend ist die Vorinstanz in Anwendung der Art. 938 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 938 - 1 Wer eine Sache in gutem Glauben besitzt, wird dadurch, dass er sie seinem vermuteten Rechte gemäss gebraucht und nutzt, dem Berechtigten nicht ersatzpflichtig.
1    Wer eine Sache in gutem Glauben besitzt, wird dadurch, dass er sie seinem vermuteten Rechte gemäss gebraucht und nutzt, dem Berechtigten nicht ersatzpflichtig.
2    Was hiebei untergeht oder Schaden leidet, braucht er nicht zu ersetzen.
. ZGB davon
ausgegangen, dass von entscheidender Bedeutung sei, ob die Beklagten als
gutgläubige oder bösgläubige Besitzer angesehen werden. Als gutgläubige
Besitzer sind sie anzusehen, wenn ihr Irrtum über die Gültigkeit ihres
Eigentumserwerbstitels entschuldbar erscheint. Und zwar ist gemäss Art. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 3 - 1 Wo das Gesetz eine Rechtswirkung an den guten Glauben einer Person geknüpft hat, ist dessen Dasein zu vermuten.
1    Wo das Gesetz eine Rechtswirkung an den guten Glauben einer Person geknüpft hat, ist dessen Dasein zu vermuten.
2    Wer bei der Aufmerksamkeit, wie sie nach den Umständen von ihm verlangt werden darf, nicht gutgläubig sein konnte, ist nicht berechtigt, sich auf den guten Glauben zu berufen.
ZGB
das Dasein ihres guten Glaubens zu vermuten; freilich wären sie nicht
berechtigt, sich auf den guten Glauben zu berufen, wenn sie bei der
Aufmerksamkeit, wie sie nach den Umständen von ihnen verlangt werden durfte,
nicht gutgläubig sein konnten. Zudem besteht nach Art. 937
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 937 - 1 Hinsichtlich der in das Grundbuch aufgenommenen Grundstücke besteht eine Vermutung des Rechtes und eine Klage aus dem Besitze nur für denjenigen, der eingetragen ist.
1    Hinsichtlich der in das Grundbuch aufgenommenen Grundstücke besteht eine Vermutung des Rechtes und eine Klage aus dem Besitze nur für denjenigen, der eingetragen ist.
2    Wer jedoch über das Grundstück die tatsächliche Gewalt hat, kann wegen eigenmächtiger Entziehung oder Störung des Besitzes Klage erheben.
ZGB eine Vermutung
des Rechtes aus dem Besitz eines Grundstückes für denjenigen, der im Grundbuch
eingetragen ist. Nun ist freilich richtig, dass der Kläger die Verbindlichkeit
des Kaufvertrages so ziemlich von Anfang an nicht hat gelten lassen. Allein
die Kenntnisgabe dieses Standpunktes an die Beklagten hätte deren guten
Glauben nur zu erschottern vermocht, wenn er sich von vorneherein ohne
weiteres als begründet erwies. Hievon kann jedoch um so weniger die Rede sein,
als die erste Instanz die vom Kläger erhobene Ungültigkeitsklage abwies, und
als auch die zweite Instanz, welche jene Klage zwar guthiess, den Beklagten
den guten Glauben zubilligte, was darauf schliessen lassen dürfte, dass sie
dem damals geltend gemachten Standpunkte des Klägers nur zögernd und
vielleicht nicht

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einhellig beistimmte. Dass der Kläger seinem Standpunkt alsbald durch ein
Amtsbefehlsgesuch Geltung zu verschaffen suchte, ist bedeutungslos, zumal da
dieses Gesuch verworfen wurde. Aber auch aus der nachfolgenden Erhebung
gerichtlicher Klage mit vorangehendem Sühneverfahren kann der Kläger für die
hier streitige Frage nichts herleiten. Wie das Bundesgericht bereits
ausgesprochen hat (Urteil vom 1. Juli 1921 i.S. Räpple gegen Probst), vermag
der Umstand, dass der Erwerbstitel des Besitzers durch Klage angefochten wird,
ihn nicht ohne weiteres in bösen Glauben zu versetzen oder sonstwie seine
Verantwortlichkeit zu erhöhen, da von der Aufnahme einer solches vorsehenden
Vorschrift in das ZGB gerade in der Meinung abgesehen worden ist, dass der bis
anhin gutgläubige Besitzer im Falle der Anhebung einer Klage auch weiterhin
als gutgläubiger Besitzer zu gelten habe, es wäre denn, dass er sich der Klage
nicht in gutem Glauben widersetzen konnte (vgl. Erläuterungen zum VorE 25.
Titel II C III), was nach dem Ausgeführten vorliegend nicht zutrifft. Übrigens
waren die Um- und Anbauarbeiten zur Zeit der Klageerhebung, wenn nicht schon
vollendet, so doch weit fortgeschritten. Somit erweist sich die Klage als
unbegründet, soweit sie - zum grössten Teil - aus den vorgenommenen baulichen
Veränderungen hergeleitet wird. Zweifelhafter erscheint freilich, ob der gute
Glaube der Beklagten das anfangs April 1925 gefällte Urteil des
Kantonsgerichtes überdauerte, durch welches der Kaufvertrag als ungültig
erklärt und die Löschung der Eintragung der Beklagten als Eigentümer
angeordnet wurde, und sogar die zwei Monate später erfolgte Zustellung der
Urteilsgründe, aus welchen ersehen werden konnte, dass das Rechtsmittel der
Berufung an das Bundesgericht nicht zu Gebote stand. Allein von dieser Zeit an
bis zu dem alsbald nach Zurückweisung der Berufung an das Bundesgericht
erfolgten Abzug beschränkte sich der dem Kläger zugefügte Nachteil darauf,
dass er

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die Liegenschaft nicht gebrauchen konnte. Was aber die Beklagten unter diesem
Gesichtspunkte, ja sogar aus der Nutzung der Liegenschaft während der ganzen
Zeit ihres Besitzes schuldig werden mochten, erreichte nach der von der
Vorinstanz angestellten Bewertung den Betrag nicht, in welchem die Beklagten
(mangels Widerklage mindestens) verrechnungsweise Ersatz beanspruchen und mit
Fug beanspruchen können für eine gutgläubig gemachte Verwendung, nämlich den
Bau des Schopfes. Dass es sich dabei um eine mindestens nützliche Verwendung
handle, lässt sich angesichts der Feststellungen der Vorinstanzen über die
Art, wie er gebraucht wird, schlechterdings nicht verneinen...
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden
vom 26. Januar 1928 bestätigt.