S. 66 / Nr. 11 Organisation der Bundesrechtspflege (d)

BGE 54 I 66

11. Urteil des Kassationshofes vom 2. März 1928 i.S. Bundesanwaltschaft gegen
Kanton Schwyz.


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Regeste:
Art. 156 Abs. 3 OG: Alle Streitigkeiten zwischen Bund und Kanton über die
Kostenverlegung sind im staatsrechtlichen Verfahren auszutragen.

A. - Das Bezirksamt Höfe hatte gemäss Art. 148 OG gegen die
Stiftsstatthalterei Pfäffikon eine Untersuchung wegen Eisenbahngefährdung
eingeleitet, der dann vom eidg. Justiz- und Polizeidepartement keine weitere
Folge gegeben worden ist. Die Untersuchungskosten wurden infolgedessen durch
Beschluss der Überweisungskommission des Bezirkes Höfe vom 26. September 1927
mit 125 Fr. den schweizerischen Bundesbahnen und mit 50 Fr. der
Stiftsstatthalterei Pfäffikon überbunden. Dagegen beschwerten sich die SBB wie
die Stiftsstatthalterei bei der Justizkommission des Kantons Schwyz, welche am
10. Dezember 1927 beschloss:
«1. Die Rekursbegehren werden gutgeheissen und der Beschluss der
Überweisungskommission inbezug auf den Kostenentscheid aufgehoben.
2. Die erlaufenen Untersuchungskosten im Betrage von 175 Fr. und der
Justizkommission (Taxe 10 Fr. und Ausfertigungsgebühren 14 Fr.) trägt die
Bundeskasse. Zur Begründung wurde ausgeführt: Es handle sich um eine
Strafsache eidg. Rechts, die nicht von vorneherein durch Bundesgesetz oder
Bundesratsbeschluss den kantonalen Gerichten zur Beurteilung überwiesen sei.
Die Voruntersuchung habe vom Bezirksamt vorgenommen werden müssen gemäss Art.
148 OG und der Verordnung vom 11. November 1925 betreffend das Verfahren bei

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Eisenbahngefährdungen. Daher komme auch für den Kostenspruch grundsätzlich
eidg. Recht zur Anwendung und nur subsidiär kantonales Recht. Da nun hier
gestützt auf den Entscheid des eidg. Justizdepartements eine Sistierung
stattgefunden habe, so seien gemäss Art. 156 OG die Kosten von der Bundeskasse
zu vergüten. Keines falls könnten sie Dritten - den SBB oder der
Stiftsstatthalterei - auferlegt werden, der Letztern, falls von Art. 121 BStrR
ausgegangen werden müsste, schon darum nicht, weil diese nicht mutwillig die
Kosten verursacht habe.
B. - Gegen diesen Kostenentscheid hat die Bundesanwaltschaft im Auftrage des
eidg. Justiz- und Polizeidepartements rechtzeitig und formrichtig
Kassationsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts ergriffen mit dem
Antrag auf Aufhebung und Rückweisung der Sache zu neuer Beurteilung an die
kantonalen Behörden. Über die Zulässigkeit der Kassationsbeschwerde wird
ausgeführt: Der Kostenentscheid der Justizkommission stütze sich auf Art. 156
Abs. 2 OG; die ihm und der vorausgegangenen Untersuchung zu Grunde liegende
Angelegenheit sei als Eisenbahngefährdung, mithin als Bundesstrafsache
behandelt worden; der Kostenentscheid sei kantonaler Endentscheid. Die
vorliegende Beschwerde gehöre auch nicht zu den «Anständen», die zwischen dem
Bundesrat und einem Kanton über die Berechnung der Kosten, d. h. die
Festsetzung des Kostenbetrages entstehen können (Art. 156 Abs. 3 OG). Während
bei derartigen Anständen die Kostenpflicht des Bundes dem Grundsatz nach nicht
streitig sei, handle es sich hier um die Bestreitung der Kostenpflicht selbst.
Die Kassationsbegründung wolle dartun, dass die Belastung des Bundes mit
Kosten an sich auf der Verletzung einer eidgenössischen Rechtsvorschrift
beruhe, nämlich auf der Verletzung von Art. 156 Abs. 1 und 2 OG. Die
Entscheidung im Wege des bundesgerichtlichen Kassationsverfahrens entspreche
der

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Erwägung, dass das für staatsrechtliche Streitigkeiten vorgesehene Verfahren
unstatthaft sei, solange die Kassationsbeschwerde zur Verfügung stehe.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Die Justizkommission des Kantons Schwyz ist eine Abteilung (Ausschuss) des
schwyzerischen Obergerichts und ihr Entscheid konnte mit keinem ordentlichen
kantonalen Rechtsmittel mehr angefochten werden. Es handelt sich also um den
Endentscheid eines kantonalen Gerichts, der an sich mit Kassationsbeschwerde
angefochten werden könnte, sofern deren übrige Voraussetzungen hier vorhanden
wären. Das ist aber nicht der Fall:
Vorerst würde aus dem französischen und italienischen Text des Art. 160 OG
folgen, dass die Kassationsbeschwerde nur gegen Hauptentscheide über die Sache
selbst («jugements au fond», «sentenze di merito») ergriffen werden könne. Um
einen solchen handelt es sich bei einem blossen Kostenentscheide nicht. Dazu
kommt aber weiter, dass Art. 156 Abs. 3 OG inbezug auf die vom Bundesrat an
die kantonalen Gerichte gewiesenen Straffälle die «Anstände», zwischen Bund
und einem Kanton «über die Berechnung der vom Bund zu vergütenden Kosten» ins
staatsrechtliche Verfahren verweist. Die Bundesanwaltschaft ist nun allerdings
der Auffassung, es handle sich hier nicht um eine solche «Berechnungsfrage»,
sondern um den Grundsatz der Kostentragung und folgert hieraus und aus dem
Gedanken der Subsidiarität des staatsrechtlichen Rekurses, dass nicht dieser,
sondern die Kassationsbeschwerde hier anwendbar sei. Doch ist dem
entgegenzuhalten, dass der französische und italienische Text von Art. 156
Abs. 3 OG («différends au sujet des frais à rembourser par la confédération»,
le controversie... circa le spese da rimborsarsi dalla Confederazione»)
ausdrücklich nicht zwischen blossen Kostenberechnungs- und

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grundsätzlichen Kostenverlegungskonflikten unterscheidet, sondern ganz
allgemein die Kostenstreitigkeiten dem staatsrechtlichen Verfahren
unterstellt. Diese letztere Lösung entspricht auch der Natur der Sache. Die
Aufgabe des Kassationshofes besteht in der Wahrung der einheitlichen
Rechtsprechung auf dem Gebiete des Bundesstrafrechts, wo sich der Staat
(Strafverfolgungsbehörden) und der Angeklagte oder Angeschuldigte gegenüber
stehen. Die Überprüfung eines Kostenentscheides könnte in den Rahmen der
Tätigkeit des Kassationshofes fallen, wenn der Streit zwischen den
Strafprozessparteien im gedachten Sinn bestände. Hier aber handelt es sich um
einen staatsrechtlichen Konflikt zwischen dem Bund und einem Kanton, zu dessen
Beurteilung naturgemäss der Staatsgerichtshof und nicht der Kassationshof
berufen ist. Der deutsche Text des Art. 156 Abs. 3 OG ist deshalb, was
übrigens einem anerkannten Auslegungsgrundsatz entspricht, im Sinne seines
französischen und italienischen Textes dahin auszulegen, dass die Kompetenz
des Staatsgerichtshofes zur Beurteilung von Kostenberechnungskonflikten
zwischen dem Bund und einem Kanton auch diejenige zur Beurteilung von
Kostenverlegungskonflikten zwischen Bund und Kanton begreift. In einem
Meinungsaustausch vor endgültiger Ausfällung des Entscheides des
Kassationshofes hat sich denn auch die staatsrechtliche Abteilung dieser
Auffassung angeschlossen.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Auf die Kassationsbeschwerde wird, weil unzulässig, nicht eingetreten.