lv f.)! O

valigationem-echt. N° 44.

44. Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Juni 1927 i. S. Buss A..-G. gegen
Solothurn Münster-Bahn.

A k t i e n r e c h t. Anfechtung eines Beschlusses der
Generalyersamnflung über Verteilung des Reingew'mnes wegen
Statutenwidrigkeit. Begriff des zur Verfügung der Aktionäre stehenden
Reingewinnes (OR 629 11. 630). Nicht in den Statuten vorgesehene
Reserve-anlegen (OR 681 II), Kriterien für deren Zulässigkeit, speziell
gegenüber Prioritätsaktionären.

A. Am 30. April 1899 wurde zum Zweck des Baues und Betriebes einer
Eisenbahn von Solothurn nach Münster durch den Weissenstein in Solothurn
eine Aktiengesellschaft gegründet. Die Bauarbeiten, die durch Vertrag
vom 22. Mai 1903 der Firma Buss A.-G. in Basel zum Pauschalpreis von
5,120,000 Fr. übergeben worden waren, wurden im November 1903 in Angriff
genommen. Die Bahn, die für den Dampfbetrieb eingerichtet wurde, konnte
am 3. August 1908 eröffnet werden.

Die Solothurn-Münster Bahn nahm auf Grund eines am 22. Mai 1903
mit der Buss A. G. und der Basler Handelsbank abgeschlossenen
Finanzierungsvertrages am 24. Januar 1904 Zwei Obligationenanleihen von je
1,250,000 Fr. auf, wovon das erste zu 43/2 % verzinslich und durch eine
im I. Range auf der Bahn lastende Hypothek sichergestellt, das zweite
zu 4 % verzinslich und durch eine Hypothek H. Ranges pfandrechtlich
ver-sichert war; letzteres Anleihen wurde bis auf einen Betrag von 50,000
Fr. von der Solothurner Kantonalbank gezeichnet, unter Garantieübernahme
durch die Einwohnergemeinde Solothurn, welcher die übrigen an der Bahn
interessierten solothurnischen und bernischen Gemeinden bis zur Hälfte
der Schuld Rückgarantic leisteten.

Bei der Abrechnung über die Bauarbeiten kam es zwischen der Solothurn
Münster Bahn und der Buss A.-G. zu Differenzen, zu deren Beilegung das
im Bauvertrag vorgesehene Schiedsgericht in Tätigkeit trat. Dieses

Obligationenrccht. N° 44. 251

kam zum Schlusse, dass die Bauherrin der Unternehmerin noch 400,000 Fr.,
zuzüglich 85,909 Fr. 55 Cts. für ausserordentliche Regieund Extraarbeiten
schulde. Die Parteien schlossen auf dieser Grundlage einen Vergleich
ab. Laut demselben war der Betrag von 400,000 Fr. am 16. April 1914
fällig ; der Zinsfuss für die weitere Forderungssumme von 85,909 Fr. 55
Cts. wurde durch Schiedsgerichtsspruch vom 16. Mai 1914 auf 5 % und der
Zinsbeginn auf den 24. September 1908 festgesetzt. Die Solothurn-Münster
Bahn hat an diese Schuld am 8. Mai 1914 Fr. 66,800 und am 23. Juni 1914
68,320 Fr. 60 Cts. abbezahlt, so dass sie der Buss A.-G. noch 350,788
Fr. 95 Cts. nebst Zins schuldete.

Die finanzielle Notlage, in welche die SolothurnMünster-Bahn infolge
des Krieges geriet, verhinderte sie, weitere Zahlungen an die Buss
A.-G. zu leisten. Diese hob gegen die Bahn Betreibung an, die sie bis
zur Konkursandrohung fortführte. Am 25. April 1916 stellte sie beim
Bundesgericht das Gesuch um Anordnung der Zwangsliquidation der Solothum
Münster Bahn, welches sie jedoch, nachdem inzwischen der Bundesrat
der Bahn eine ausserordentliche Stundung für ihre sämtlichen Schulden
bis 31. Dezember 1919 (gemäss Art. 78 ff. des BG über Verpfändung und
Zwangsliquidation von Eisenbahnuntemehmungen) gewährt und die Bahn eine
Sanierung des Unternehmens angebahnt und dabei auch die Elektrifikation
ins Auge gefasst hatte, am 1. März 1920 zurückzog, gegen die Verpflichtung
seitens der Bahn, dass im Falle der Einleitung einer neuen Betreibung
nicht Rechtsvorschlag erhoben werde.

Die Solothurn Münster Bahn musste jedoch im Jahre 1920, um den Betrieb
aufrechtzuerhalten, die Hilfe des Bundes und der beteiligten Kantone
und Gemeinden (gemäss dem BB vom 18. Dezember 1918 über Hilfeleistung an
notleidende Transportunternehmen) in Anspruch nehmen ; dabei wurde auf die
Durchführung der Elektrifikation der Kosten wegen einstweilen verzichtet.

252 siObligationenrecht. N° 44.

B. Nachdem sich die Verhältnisse wieder einigermassen gebessert
hatten und der auf den 1. April 1922 fällig gewordene Coupon auf dem
Hypothekaranleihen

I. Ranges hatte eingelöst werden können, wurde ein Sanierungsvorschlag
ausgearbeitet und den Gläubigern vorgelegt. Nach einer zweiten
Gläubigerversammlung

vom 24. Juni 1922 wurde die Sanierung in folgender -

Weise durchgeführt : a) Das bisherige Aktienkapital im Betrage von
4,826,500 Fr., eingeteilt in 9653 Aktien von je 500 Fr., wurde durch
Abschreibung von 315 oder von 300 Fr. auf jeder Aktie auf 1,930,600
Fr. herabgesetzt und als Stammaktienkapital erklärt. b) Die Gläubiger des
4%, % Hypothekaranleihens I. Ranges von 1,250,000 Fr. verzichteten auf die
(nneingelöst gebliebenen) Semesterzins Coupons pro 1. Oktober 1916 und
1. April 1917 von je 22 Fr. 50 Cts. und erklärten sich einverstanden, dass
die Zinscoupons vom ]. Oktober 1917 bis 1. Oktober 1921 im Gesamtbetrage
von 202 Fr. 50 Cts. für jede Obligation (9x22 Fr. 50 Cts.) in
Prioritätsaktien I. Ranges von je 200 Fr. umgewandelt werden, wogegen der
Zinsendienst mit Wirkung vom 1. April 1922 für diese Obiigationenkategorie
wieder aufgenommen wurde. Die Maximaldividende für die neu geschaffenen
Prioritätsaktien I. Ranges wurde auf 5% festgesetzt. c) Die Gläubiger
bezw. Solidarbürgen des 4 % Hypothekaranleihens II. Ranges von ebenfalls
1,250,000 Fr. verzichteten auf die Einlösung '.bezw. Rückzahlung der
Semesterzins-Coupons vom 1. Oktober 1915, 1. Oktober 1916 und ]. Oktober
1917 und waren mit der Umwandlung der übrigen Zinscoupons bis 1. April
1922 in Prioritätsaktien Il. Ranges von je 5000 Fr. einverstanden. Die
Maximaldividende für diese Aktien wurde auf 41/2 % festgesetzt. d)
Die Gläubiger der sog. schwebenden Verbindlichkeiten (worunter die
Buss A.-G.), die sich einschliesslich Zinsen auf 1,102,433 Fr. 98
Cts. beliefen, verzichteten ab 1. Januar 1915 auf die aufgelaufenen
Zinsen und verpflichteten sich, für die so verbliebenen

Obligationenrecht. N° 44. 253

Schuldbeträge von 845,000 Fr. Prioritätsaktien III. Ranges von je 5000
Fr. mit einer Maximaldividende von

5% zu übernehmen. Für ihre Gesamtforderung von 514, 909 Fr. 13 Cts., die
auf rund 400,000 Fr. herabgesetzt Wurde, erhielt die Buss A..-G 80 Aktien
dieser Kategorie. e) Hinsichtlich der Verwendung des Reingewinnes wurde
bestimmt, dass ein nach Ausrichtung der festgesetzten Maximaldividenden
auf die Prioritäteaktienkapitalien verbleibender Überschuss zur Äufnung
eines Amortisationsfonds zu verwenden sei und dass die Kapitalien dieses
Fonds zur Rückzahlung der Prioritätsaktien I. und II. Ranges verwendet
werden sollen in der Weise, dass erst nach vollständiger Rückzahlung
der Aktien I. Ranges die Rückzahlung auf denjenigen II. Ranges erfolgen
dürfe. Die Generalversammlung habe sowohl den Umfang der Einlagen in den
Amortisationsfonds, als auch das Mass der auf den Prioritätsaktien zu
leistenden Rückzahlungen zu bestimmen. Eine Dividende auf die Stammaktien
dürfe nicht ausgerichtet werden, solange die Prioritätsaktien I. und
II. Ranges nicht vollständig zurückbezahlt seien.

Nachdem der Sanierungsvorschlag von den Gläubigern und Aktionären
mit den erforderlichen Mehrheiten angenommen worden war, wurden
in derGeneralversammlung der Aktionäre vom 24. März 1923 die dem
Sanierungsvertrag entsprechenden Statutenänderungen beschlossen.

Aus den neuen Statuten sind folgende Bestimmungen hervorzuheben:

§ 5: Das Grundkapital beträgt 3,280,600 Fr. und zerfällt in:

1. Prioritätsaktienkapital I. Ranges von 250,000 Fr., eingeteilt in 1250
Aktien von 200 Fr.;

2. Prioritätsaktienkapital II. Ranges von 250, 000 Fr., eingeteilt'
in 50 Aktien von 5000 Fr. , .

3. Prioritätsaktienkapital III. Ranges von 850, 000 Fr. ., eingeteilt
in 170 Aktien von 5000 Fr.;

AS 53 11 4927 ' 18

254 _ Obligationenrecht. N° 44.

4. Stamaktienkapital von 1,930,600 Fr., eingeteilt in 9653 Aktien von
200 Fr.

§ 8: Die Prioritätsaktien geniessen die in diesen Statuten normierten
Vorzugsrechte am jährlichen Reinertrag ; im übrigen haben alle Aktien
ohne Unterschied im Verhältnis des Kapitals, das sie repräsentieren,
Anteil an dem Gesellschaftsvermögen.

g 37: Der nach Dotierung des Erneuerungsfonds, Abschreibung der
zu amortisierenden Verwendungen und Speisung des Reservefonds vom
Betriebsüberschuss verbleibende Reingewinn steht zur Verfügung der
Aktionäre in dem Sinne, dass zunächst den Prioritätsaktien I. Ranges
eine Dividende bis zu 5 %, hernach denjenigen II. Ranges eine solche
bis zu 41/2 % und schliesslich denjenigen III. Ranges eine solche bis
zu 5 % des betreffenden Aktienkapitals zufällt. _Der noch verbleibende
Reingewinn soll zur Äufnung eines Amortisationsfonds verwendet werden. Die
Kapitalien dieses Fonds sind zur Rückzahlung der Prioritätsaktien
I. und II. Ranges zu verwenden und zwar in der Weise, dass erst nach
vollständiger Rückzahlung der Aktien 1. Ranges die Rückzahlung auf
denjenigen II. Ranges erfolgen darf. solange die Prioritätsaktien I. und
II. Ranges nicht vollständig zurückbezahlt sind, darf eine Dividendeauf
den Stammaktien nicht ausgerichtet werden. Die Generalversammlung bestimmt
gemäss den vorstehenden GrundSätzen, welche Dividenden auszubezahlen
sind, in welchem Umfange die Einlagen in den Amortisationsfonds und die
Rückzahlungen aus demselben an die Prioritätsaktien I. und II. Ranges zu
geschehen haben und was auf neue Rechnung vorzutragen ist. Die Auszahlung
der Dividende erfolgt nach der Genehmigung der Rechnungen durch die
zuständigen Behörden auf den vom Verwaltungsrate bestimmten Zeitpunkt. --

Die beschlossenen Änderungen wurden sowohl vom eidgenössischen
Eisenbahndepartement als auch vom Grossen Rate des Kantons Bern genehmigt
und traten

Obligationenrecht. N° 44. 255

mit dem Eintrag in das Handelsregister ln Rechtskraft.

Durch Beschluss der Generalversammlung vom 28. Juni 1924 wurde
Art. 5 der Gesellschaftsstatuten noch dahin abgeändert, dass das
Prioritätsaktienkapital II. Ranges und damit das ganze Grundkapital um
50,000 Fr. (entsprechend dem Betrag der uneingelöst gebhebenen Coupons
per 1. Oktober 1922 und 1. April 1923), d. h. auf 300,000 Fr. bezw. auf
3,330,600 Fr. erhöht wurden.

C. Während die Gewinnund Verlustrechnung des Geschäftsjahres 1922 mit"
einem Passivsaldo von 395,683 Fr. 9? Cts. abgeschlossen hatte, der auf
neue Rechnung vorgetragen werden war, ergab der Rechnungsabschluss pro
1923 einen Überschuss von 13,756 Fr. 01 Ct., den die Generalversammlung
der Aktionäre ebenfalls auf neue Rechnung vorzutragen beschloss. (In
der Gewinnund Verlustrechnung pro 1923 figuriert unter den Einnahmen
u. a. eine Nachvergütung der Eidgenossenschaft von 88, 782 Fr. _54
Cts. für Militärtransporte während des Grenzbesetzungsdienstes.)

Die Gewinnund Verlustrechnung für das Geschäftsjahr 1924, wie sie von der
Direktion dem Verwaltungsrat vorgelegt wurde, erzeigte einen 'Reingewinn
von 134,390 Fr. 51 Cts., bezw. nach Abzug der Einlage von 20,000 Fr. in
den Reservefonds, von 114,390 Fr. 51 Cts., den die Direktion wie folgt zu
verwenden beantragte : a) Ausrichtung einer Dividende von 5 % mit zusammen
12,500 Fr. an die Prioritätsaktien I. Ranges ; 11) Bildung eines Fonds
zur Elektrifikation und Zuwendung einer erstmaligen Einlage von 80,000
Fr. an denselben; 0) Vortrag auf neue Rechnung: 21,890 Fr. 51 Cts.

In der Verwaltungsratssitzung vom 6. Juni 1925 wies der Präsident
darauf hin, dass die'Ausrichtung einer Dividende von 41/Z % an die
Prioritätsaktien II. Ranges und von 5 % an diejenigen III. Ranges (mit
zusammen 56,000 Fr.) eine erhebliche Reduktion der verfügbaren Mittel,
Welche infolge von Rekonstruktionsarbeiten im Weissenstein Tunnel seit
31. Dezember 1924 bereits von

256 , Obligationenrecht. N°, 44.

226,000 Fr. auf rund 150,000 Fr. zurückgegangen seien, im Gefolge haben
Würde und dass die Elektrifikation nach fachmännischer Auffassung
dringlich geworden sei.

Von anderer Seite wurde der Meinung Ausdruck gegeben, dass sich die Anlage
einer spezialreserve in erster Linie für die im Tunnel auszuführenden
Arbeiten rechtfertige. Der Vertreter der Buss A.-G., Dir. Ammann, erhob
Einsprache gegen die von der Direktion vorgeschlagene Gewinnverteilung und
beantragte Ausrichtung der in den Statuten vorgesehenen Maximaldividende
an die Prioritätsaktien II. und III. Ranges. Er unterlag jedoch mit diesem
Antrag, und es beschloss der Verwaltungsrat (mit sämtlichen stimmen gegen
diejenige des Herrn Ammann), der Generalversammlung zu beantragen, es
seien die Vorschläge der Direktion zu genehmigen, wobei immerhin der
neu zu bildende Fonds als Fonds für Verbesserung der Bahnanlage und
Elektrifikation zu bezeichnen sei.

An der ordentlichen Generalversammlung vom 27. Juni 1925 erneuerte
Dir. Ammann den, bereits im Schosse des Verwaltungsrates gestellten
Antrag (Ausrichtung einer Dividende von 41X2 % an die Prioritätsaktien
II. Ranges, von 5 % an diejenigen III. Ranges und Zuweisung des
verbleibenden Restes an den Amortisationsfonds für Rückzahlung der
Prioritätsaktien I. und II. Ranges); der Antrag wurde Wiederum abgewiesen
und die Gewinnverteilung imsinne des Vorschlages des Verwaltungsrates
geregelt, wogegen Ammann Protest zu Protokoll erklärte. .

D. Am 3. September 1925 hob die Buss A.-G. beim Richteramt Solothurn
Lebern gegen die SolothurnMünster Bahn Klage an, mit den Rechtsbegehren :

t( 1. Es sei der Beschluss der Generalversammlung der beklagtischen
Gesellschaft vom 27. Juni 1925 betreffend Verwendung des Reingewinnes von
114,390 Fr. 51 Cts. vorbehältlioh der Verfügung, dass 12,500 Fr. als Divi-

Obligationenrecht. N° 44. 257

dende auf die Prioritàtsàktien I. Ranges auszurichten sind, als ungültig
zu erklären. .

2. Die Beklagte sei zu Verurteilen, der Klägerin als Eigentümerin von
80 Prioritätsaktien III. Ranges von je 5000 Fr. eine Dividende von 5 %
mit zusammen 20,000 Fr. auszurichten, nebst Zins zu 5 % vom 11. Juli
1925-an. ·

3. Die Beklagte sei anzuweisen, den vom Gewinnsaldo von 114,390 Fr. 51
Cts. nach Abzug der den Prioritäteaktien zukommenden Maximaldividende
von zusammen 68,500 Fr. verbleibenden Überschuss einem Amortisationsfonds
zur Rückzahlung der Prioritätsaktien I. und II. Ranges zuznwenden.

E. Das Obergericht des Kantons Solothurn hat mit Urteil vom 30. Oktober
1926 die Klage gänzlich abgewiesen.

F. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die Berufung. an das Bundesgericht
erklärt, mit dem Antrag auf Gutheissung der Klage. si

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. In ihrer Eigenschaft als Aktionärin der Beklag' ten ist die Klägerin
zur Anfechtung des von ihr als statutenwidrig angesehenen Beschlusses der
Generalversammlung der Aktionäre vom 27. Juni 1925 nach feststehender
Rechtsprechung des Bundesgerichts legitimiert (vgl. BGE 20 S. 950
kf.;2611434; 27 II 235; 28 H 489 u. a. m.). si

Andrerseits unterliegt die Anfechtungsklage des Aktionärs, wie das
Bundesgericht in zwei neuesten Entscheidungen (BGE 53 II 45 f. u. 228
ff.) ausgesprochen hat, nicht etwa der einmonatigen Klagefrist des
Art.. 75 ZGB.

2. Die Beklagte nimmt gegenüber der Klage in erster Linie den
Standpunkt ein, es fehle überhaupt für das Geschäftsjahr 1924 an einem
zur Verfügung der Aktionäre stehenden Reingewinn i. S. von § 37 der
Ge-sellschaftsstatuten, so dass bereits aus diesem Grunde

258 Obligationenrecht. N° 44.

von einer Verletzung der statutarischen Gewinnverteiiungsvorschrikten
nicht die Rede sein könne. Allein diese von der Vorinstanz nicht näher
auf ihre Stichhaltigkeit geprüfte Einwendung scheitert schon daran, dass
ja durch die Bilanz pro 1924, wie sie der Generalversammlung vorgelegt
und von dieser, wie auch vom Eidgenössischen Eisenbahndepartement als
Aufsichtsbehörde, genehmigt worden ist, ein Reingewinn von 114,390 Fr·
51 Cts. ausgewiesen ist, über den die Generalversammlung vom 27. Juni
1925 auch tatsächlich verfügt hat. In dem von der Direktion und dem
Verwaltungsrat der Generalversammlung erstatteten Geschäftsbericht
pro 1924wird denn auch ausdrücklich erklärt, dass nach der Verzinsung
der festen Anleihen und schwebenden Schulden, der reglementarischen
Einlage in den Erneuerungsfonds und einer auf 20,000 Fr. festgesetzten
ordentlichen Einlage in den Reservefonds sich ein z u r V e r f ii
gung der Aktionäre verbleibender Aktiv-Saldo von 114,390 Fr. 510113.
,ergebe, für dessen Verwendung auf den dem Berichte beigefügten Antrag
des Verwaltungsrates verwiesen werde. Es ist nicht recht verständlich,
wie bei dieser Sachlage die Beklagte an ihrer Bestreitung, dass pro 1924
ein solcher Reingewinn vorhanden gewesen sei, festhalten kann. Nach ihrer
Auffassung kommen vom Betrage von 114,390 Fr. 51 Cts. in Abzug einmal der
13,756 Fr. 01 Ct. hetragende Übertrag vom Jahre I923, ferner der Vortrag
auf neue Rechnung im Betrage von 21,890 Fr. 51 Cts., sowie der Unterschied
zwischen der summe der disponiblen Mittel pro 31. Dezember 1923 und
derjenigen auf den 3. Juni 1925, eventuell die Nettobauverwen dungen pro
1924 im Betrage von 71,730 Fr. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, dass
der handelsrechtliche Reingewinn i. S. der Art. 629
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 629 - 1 Die Gesellschaft wird errichtet, indem die Gründer in öffentlicher Urkunde erklären, eine Aktiengesellschaft zu gründen, darin die Statuten festlegen und die Organe bestellen.
1    Die Gesellschaft wird errichtet, indem die Gründer in öffentlicher Urkunde erklären, eine Aktiengesellschaft zu gründen, darin die Statuten festlegen und die Organe bestellen.
2    In diesem Errichtungsakt zeichnen die Gründer die Aktien und stellen fest, dass:
1  sämtliche Aktien gültig gezeichnet sind;
2  die versprochenen Einlagen dem gesamten Ausgabebetrag entsprechen;
3  die gesetzlichen und statutarischen Anforderungen an die geleisteten Einlagen im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Errichtungsakts erfüllt sind;
4  keine anderen Sacheinlagen, Verrechnungstatbestände oder besonderen Vorteile bestehen als die in den Belegen genannten.325
3    Wird das Aktienkapital in ausländischer Währung festgelegt oder werden Einlagen in einer anderen Währung geleistet als derjenigen des Aktienkapitals, so sind die angewandten Umrechnungskurse in der öffentlichen Urkunde anzugeben.326
und 630
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 630 - Die Zeichnung bedarf zu ihrer Gültigkeit:
1  der Angabe von Anzahl, Nennwert, Art, Kategorie und Ausgabebetrag der Aktien;
2  einer bedingungslosen Verpflichtung, eine dem Ausgabebetrag entsprechende Einlage zu leisten.
OR, auf den
die Aktionäre pro rata Anspruch haben, soweit er nach den Statuten zur
Verteilung unter sie bestimmt ist, nicht Betriebsgewi nn ist, sondern
Vermögensstand, nämlich derObligationenrecht. N° 44. 259

Überschuss der Aktiven über die Passiven, wenn Grundkapital, Reserven
und ähnliche Fonds unter die letzteren eingestellt werden, und dass
er sowohl aus dem Betrieb, als aus Vermögenszuwachs stammen oder
auch aus blossen Buchoperationen, wie beispielsweise einem Übertrag
vom Vorjahre, sich ergeben kann. Die Auffassung der Beklagten, dass
ein solcher Übertrag eine Art Reserve zur ungestörten Fortsetzung
des Betriebes darstelle, die grundsätzlich nicht mehr zur Verfügung
der Aktionäre stehe, ist unzutreffend ; es kann darin vielmehr nur
ein Verzicht der Aktionäre erblickt werden, im 1) e t re ff e n d e
n J a h r die auf neue Rechnung vorgetragene Summe zur Verteilung zu
bringen (vgl. ZIMMERMANN, Jahresbilanz der A. G. S. 175 /6; FOLLIET,
Bilan ds. les soc. anon. S. 283). Unhaltbar ist auch der Standpunkt,
dass die Summe von 21,890 Fr. 51 Glas., welche die Generalversammlung
vom 27. Juni 1925 selber auf neue Rech-

nung vorzutragen beschlossen hat, nicht als unter den

zur Verfügung der Aktionäre stehenden Reingewinn fallend angesehen werden
könne da ja sonst die Generalversammlung die in Frage stehende Verfügung
gar nicht hätte treffen können ,sowie, dass die angebliche Reduktion
der disponiblen Mittel d. h., nach der Auffassung der Beklagten, der
Differenz zwischen den Aktivbilanzposten Vertbestànde und Guthaben und
dem Passivposten Reservefonds bei der Festsetzung des Reingewinnes
i. S. von Art. 629
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 629 - 1 Die Gesellschaft wird errichtet, indem die Gründer in öffentlicher Urkunde erklären, eine Aktiengesellschaft zu gründen, darin die Statuten festlegen und die Organe bestellen.
1    Die Gesellschaft wird errichtet, indem die Gründer in öffentlicher Urkunde erklären, eine Aktiengesellschaft zu gründen, darin die Statuten festlegen und die Organe bestellen.
2    In diesem Errichtungsakt zeichnen die Gründer die Aktien und stellen fest, dass:
1  sämtliche Aktien gültig gezeichnet sind;
2  die versprochenen Einlagen dem gesamten Ausgabebetrag entsprechen;
3  die gesetzlichen und statutarischen Anforderungen an die geleisteten Einlagen im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Errichtungsakts erfüllt sind;
4  keine anderen Sacheinlagen, Verrechnungstatbestände oder besonderen Vorteile bestehen als die in den Belegen genannten.325
3    Wird das Aktienkapital in ausländischer Währung festgelegt oder werden Einlagen in einer anderen Währung geleistet als derjenigen des Aktienkapitals, so sind die angewandten Umrechnungskurse in der öffentlichen Urkunde anzugeben.326
OR und § 37 der statuten in Anschlag zu bringen sei,
ganz abgesehen davon, dass in Wirklichkeit die Differenz zwischen jenen
beiden Posten Ende 1924 einen höheren Betrag ausmachte (226,415 Fr. 07
Cts.) als Ende 1923 (169,237 Fr. 62 Cts.). Vollends kann der Beklagten
nicht zugegeben werden, dass der Reingewinn sich naturgemäss um den
Betrag der Nettobauverwendungen pro 1924 (71,730 Fr., wovon 66,810
Fr. auf Konsolidierungsarbeiten im Tunnel entfallen), auf welche in
anderem Zusammenhange näher einzutreten sein wird, reduziere.

260 Ohligationenrecht. N° 44.

3. Ist also von einem zu verteilenden Reingewinn von 114,390 Fr. 51
Cfs. auszugehen, so lässt sich jedenfalls dagegen nichts einwenden,
dass die Generalversammlung vom 27. Juni 1925 hievon 21,890 Fr. 51 Cts.
auf neue Rechnung vorgetragen hat. Denn wenn auch die Statuten in § 37
Abs. II bestimmen, dass der nach Ausrichtung der Maximaldividende an
die Prioritätsaktien I., II. und III. Ranges verbleibende Reingewinn
zur Äufnung eines Fonds verwendet werden solle, mittelst dessen
die Prioritätsaktien I. und II. Ranges zurückzuzahlen seien, so ist
andrerseits in § 37 Abs. IV ausdrücklich auch von einem Vortrag auf neue
Rechnung die Rede, in der Weise, dass die Generalversammlung zu bestimmen
habe, in welchem Umfange die Einlagen in den Amortisationsfonds und die
Rückzahlungen aus demselben an die Prioritätsaktien I. und II. Ranges
zu erfolgen haben und was auf neue Rechnung vorzutragen sei . . '

' Dagegen fragt es sich, ob angesichts der Vorschriften der Statuten
über die Gewinnverteilung die Generalversammlung berechtigt gewesen
sei, eine Einlage von 80,000 Fr. in einen neu zu schaffenden Fonds für
Verbesserung der Bahnanlage und Elektrifikation zu beschliessen. Die
Entscheidung hängt davon ab, ob es sich bei dieser Zuwendung um eine
Reserveanlage im Sinne von Art. 631 Abs. II OR handle. Nach dieser
Bestimmung, die zwingenden Rechts ist, kann die Generalversammlung vor
Verteilung der Dividende auch solche Reserveanlagen beschliessen, die
nicht in den Statuten vorgesehen sind, sofern die Sicherstellung des
Unternehmens es erfordert. Ob diese Voraussetzung zutrifft, wofür die
Beweislast der Gesellschaft obliegt, hat im Streitfalle der Richter
zu entscheiden. Nach feststehender Rechtsprechung ist dabei kein zu
strenger Masstab anzulegen und im Zweifel dem Verfügungsrechte der
Generalversammlung und dem Bestreben, das Unternehmen sicherzustellen,
gegenüber demjenigen auf ErreichungObligationenrecht. N° 44. 261

eines baldigen Reingewinnes der Vorzug zu geben (BGE 29 II 466; HOFFMANN,
Ber. z. Rev. d. zweiten Teiles d. OR S. _60; FOLLIET, loc. cit. S. 184).

Im vorliegenden Falle ist indessen in Betracht zu ziehen, dass man es
mit zwei Kategorien von Aktionären zu tun hat : den Prioritätsaktionären
einerseits und den Stammaktionären andrerseits. Während die ersteren die
in § 37 der Statuten umschriebenen Vorzugsrechte am jährlichen Reinertrag
geniessen, ist ihnen irgendwelches Vorrecht bei der Verteilung des
Liquidationsergebnisses nicht eingeräumt, sondern es bestimmt § 8 der
Statuten ausdrücklich, dass alle Aktien ohne Unterschied im Verhältnis
des Kapitals, das sie repräsentieren, Anteil am Gesellschaftsvermögen
haben. Daraus folgt, dass die Prioritätsaktionäre der Vorrechte,
die ihnen an der in Frage stehenden Summe von 80,000 Fr. zustanden,
sofern über dieselbe gemäss dem statutarischen Verteilungsmodus verfügt
wurde Ausrichtung der vollen statutarischen Vorzugsdividende, Vortrag
des Überschusses auf neue Rechnung oder Einlage in einen Fonds zur
Rückzahlung der Prioritätsaktien I. und II. Ranges, und in beiden
Fällen Erhöhung der zukünftigen Dividendenchanoen verlustig gehen,
wenn jener Betrag in einen Spezialfonds gelegt wird, an welchem alle
Ak-tionäre gleichen Anteil haben. Da somit die angefochtene Reserveanlage
im Ergebnis auf eine Besserstellung der stammaktionäre zum Nachteil
der Prioritätsaktionärc hinausläuft, so darf ihre Notwendigkeit zur
Sicherstellung des Unternehmens nicht ohne genügenden Nachweis bejaht
werden, und es kann bei einem solchen Viderstrcit der Interessen in
Bezug auf die Zweckmässigkeit der Reserveanlage, Wie auf ihre Bemessung,
der Richter nicht in erster Linie auf das Ermessen der Generalversammlung
abstellen, wie es sonst bei der Beurteilung von Streitfällen aus Art. 831
Abs. II OR im allgemeinen zutrifft (BGE 29 II 466). .

Zum nämlichen Ergebnis dürfte auch die Erwägung

262 Obligationenrecht. N° 44.

führen, dass die Klägerin ihre Prioritätsaktien nicht auf normalem Wege
(durch Zeichnung oder nachträgliche Anschaffung) erworben hat, sondern
dass sie in ihrer Eigenschaft als Gläubigerin der Beklagten anlässlich
der Sanierungsaktion mit der Übernahme der Aktien abgefunden worden ist,
wobei ihre Gesamtforderung gleichzeitig von 514,969 Fr. ,13 Cts. auf
400,000 Fr. herabgesetzt wurde ; wenn sie sich dabei, wie es nahe lag,
ein Vorzugsrecht auf den jährlichen Reingewinn ausbedang, so darf dieses
Vorrecht nicht nachträglich durch Anlage ausserordentlicher Reserven, die
weder im Sanierungsvertrag, noch in den revidierten Gesellschaftsstatuten
vorgesehen sind, illusorisch gemacht werden, es wäre denn, dass seit
der Sanierung eingetretene Tatsachen derartige Reserveanlagen erheischten.

4. Prüft man von diesen Gesichtspunkten aus den angefochtenen
Generalversammlungsbeschluss, so ergibt sich folgendes :

a) Die Frage der Elektrifikation der SolothurnMünster Bahn ist
schon lange vor Durchführung der Sanierungsaktion aufgeworfen und
von den Gesellschaftsorganen zum Gegenstand der Untersuchung gemacht
worden. Es genügt in dieser Hinsicht ein Verweis auf die Ausführungen
in den Geschäftsberichten pro 1905 und 1908. Nach dem Kriege wurde die
Angelegenheit wieder aufgegriffen, dann aber offenbar der hohen Kosten
wegen fallen gelassen. Hätten die Gesellschaftsorgane sich im Zeitpunkt
der Sanierung ernstlich mit dem Gedanken getragen, die Elektrifikation
in absehbarer Zeit durchzuführen und zu diesem Zwecke einen aus dem
Reingewinn vor Austeilung von Dividenden an die Prioritätsaktien II. und
III. Ranges zu speisenden Spezialfonds anzulegen, so hätten die Gebote
von Treu und Glauben verlangt, dass hievon im SanierungSVertrag und in
den revidierten Statuten Erwähnung getan werde. Jedenfalls aber fehlt
ein genügender Beweis dafür, dass die Sicherstellung des Unternehmens
im Jahre 1925 die An-Obligationenrecht. N° 44. 263

Iegung eines Spezialfonds zu Elektrifikationszwecken erforderte. Dieser
Nachweis hätte, da es sich um eine Frage handelt, deren Beantwortung
Fachkenntnisse auf technischem und finanziellem Gebiete voraussetzt, nur
durch eine gerichtliche Expertise erbracht werden können. Die Beklagte
hatte denn auch selbst in der Antwort auf die Klage und in der Duplik
die Einreichung eines Privatsachverständigengutachtens in Aussicht
gestellt, welche unterblieben ist. Der Auffassung der Vorinstanz,
die Beurteilungsmöglichkeit sei in der Hauptsache anhand notorischer
Tatsachen gegeben , kann umsoweniger beigestimmt werden, als bei der
Würdigung der Frage, ob die Einführung des elektrischen Betriebes als
ein Gebot der Sicherstellung des Unternehmens angesehen werden könne,
naturgemäss nicht nur die allgemeinen technischen und wirtschaftlichen
Bedingungen einer fachmännischen Untersuchung zu unterWerfen, sondern
namentlich auch die besonderen Verhältnisse der SolothurnMünster-Bahn
in Berücksichtigung zu ziehen sind.

b) Der zweite Zweck, dem die von der Generalversammlung vom 27. Juni 1925
beschlossene Spezialreserve dienen soll, besteht in der Verbesserung
der Bahnanlage . Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann zwar
nicht schon daraus, dass der neu zu bildende Fonds nicht von Anfang an,
sondern erst in der Verwaltungsratssitzung vom 6. Juni 1925 als Fonds
für Verbesserung der Bahnanlage und Elektrifikation be-zeichnet wurde,
geschlossen werden, dass die Schaffung eines Spezialfonds für Verbesserung
der Bahnanlage nicht ernstlich als zur Sicherstellung des Unternehmens
erforderlich erachtet wurde. Doch ist die Beklagte auch hier wieder den
Nachweis schuldig geblieben, dass im Jahre 1925 eine Gefahr bestand,
dass in nächster Zeit ausserordentliche Arbeiten zur Verbesserung der
Bahnanlage auszuführen sein werden. Wie aus dem Beweisdekr'et vom 6. April
1926 hervorgeht, ist von einer ge--

richtlichen Expertise hierüber, welcher sich die Klägerin

264 Obligationenrecht. N° 44.

nicht widersetzt hatte, nur wegen der ablehnenden Haltung der Beklagten
Umgang genommen worden. Nachgewiesen ist dagegen, dass die Beklagte im
Jahre 1924 für Konsolidierungsarbeiten im Weissenstein-Tunnel 66,810
Fr. und für ähnliche Arbeiten im Jahre 1925 56,420 Fr. 75 Cts. +
10,080 Fr. 90 Cts. = 66,501 Fr. 65 Cts. ausgelegt hat, um welche
Beträge sich der erste Aktivposten der Bilanz : Baukonto der Bahn
erhöht hat. Auch für das Jahr 1926 war speziell für das Schleugewölbe
im Tunnel eine Ausgabe von 41,000 Fr. vorgesehen. Die Beklagte hält
nun dafür, dass als buchmässiges Äquivalent dieser Auslagen, die
gemäss der Vorschrift des Eisenbahnrechnungsgesetzes auf Baukonto
gebucht, aber aus den Betriebseinnahmen bezahlt worden seien, ein
entsprechender Betrag als Spezialreserve in die Passiven der Bilanz
aufgenommen werden müsse, ansonst man dazu gelangen würde, Dividenden
nicht aus dem Betriebsüberschuss des Geschäftsjahres auszusehütten,
sondern unzulässigerweise aus vor der Sanierung angesammelten
disponiblen Mitteln . Allein auch dieser Standpunkt erweist sich als
unstichhaltig. Durch die vorschriftsgemäss auf Baukonto gebuchten
Nettobauverwendungen pro 1924 ist eine Verbesserung der Bahnanlage
i. S. Von Art. 5 Abs. 1si des Eisenbahnrechnungsgesetzes und damit
eine Erhöhung des Gesellschaftsvermögens bewirkt werden ; da aber
nach § 8 der Gesellschaftsstatuten alle Aktionäre an demselben in
gleicher Weise Anteil haben, während die Prioritätsaktionäre nur ein
Vorrecht auf dem Reingewinn geniessen, geht es grundsätzlich nicht an,
zur Erhöhung des Gesellschaftsvermögens einen Teil des Reingewinnes
zu verwenden. Ein solcher Eingriff in die wohlerworhenen Rechte der
Prioritätsaktionäre Würde sich aus dem Gesichtspunkte des Art. 631
Abs. II OR nur rechtfertigen, wenn es sich um nicht zu umgehende
Arbeiten dringlicher Natur handeln würde, deren Kosten nur aus den
Betriebseinnahmen bestritten werden könnten. Die Klä-

Obiigationenrecht. N° 44. 265

gerin hat die Notwendigkeit der Ausführung der Arbeiten nicht bestritten,
wohl aber (in der heutigen Verhandlung) deren Dringlichkeit. Wie dem
auch sein mag, so fehlt es unter allen Umständen an einem genügenden
Nachweis dafür, dass der Beklagten zur Deckung der Kosten, ohne das
Unternehmen zu gefährden, keine anderen Mittel zur Verfügung standen,
als die laufenden Betriebseinnahmen. Ausser Betracht fiel naturgemäss der
in der Bilanz pro 1924 figurierende Buchposten: Spezialreservefcnds aus
amortisiertem Aktienkapital etc. (2,900,000 Fr.) und ebenso angesichts
seiner besonderen Zweckbestimmung (Eisenhahnrechnungsgesetz Art. 11)
der Posten Erneuerungsfonds (318,610 Fr. 25 Cts.). Ob die Beklagte den
ordentlichen Reservefonds, dessen Zweck laut § 36 der statuten in der
Bestreitung ausserordentlicher und unvorhergesehener Ausgaben besteht,
und speziell die demselben im Jahre 1923 zugewiesene Vergütung für
Militärtransporte hätte in Anspruch nehmen können, kann dahingestellt
bleiben, da die Beklagte ausserdem auf Ende des Geschäftsjahres 1923
laut Bilanz über Wertbestände und Guthaben im Betrage von 259,237 Fr. 62
Cts. bezw., nach Abzug des Reservefonds, von 169,237 Fr. 62 Cts. verfügte,
welcher Betrag in den folgenden Jahren noch eine namhafte Erhöhung
erfahren hat. Der Nachweis dafür, dass zur Erhaltung der Solidität des
Unternehmens davon abgesehen werden musste, die Kosten der Tunnelarbeiten
aus diesem Posten zu bestreiten, lag der Beklagten ob und hätte Wiederum
nur durch eine gerichtliche Expertise erbracht werden können. Überdies
scheitert die Argumentation der Beklagten daran, dass anlässlich der
Sanierung der Solcthurn-Münster Bahn wohl die Schaffung eines Reservefonds
vorgesehen worden war, sowie die Äufnung eines Fonds zur Rückzahlung der
Prioritätsaktien I. und H. Ranges (die naturgemäss der Sicherstellung des
Unternehmens dient), keineSWegs aber die Schaffung einer Spezialreserve
zur Deckung der Kosten

266 Obligationem'ecbt. N° 44.

der Tunnelkonsolidierungsarbeiten, obschon man damals über die
Notwendigkeit der Fortsetzung dieser Arbeiten, für die im Jahre 1922
bereits 79,479 Fr. ausgelegt worden waren, nicht im Unklaren sein konnte.

5. Aus allen diesen Gründen ist nicht nur gemäss dem Klagebegehren 1 der
Generalversammlungsbeschluss vom 27. Juni 1925 betreffend die Verwendung
des Reingewinnes von 114,390 Fr. 51 Cts. pro 1924 vorbehaltlich der
Ausrichtung einer Dividende von 12,500 Fr. an die Prioritätsaktien
I. Ranges und der Ausscheidung eines Vortrages auf neue Rechnung von
21,890 Fr. 51 Cts. aufzuheben, sondern die Klage auch hinsichtlich des
Rechtsbegehrens 2, rnit dem die Klägerin Ausrichtung einer Dividende von
5% auf den ihr gehörenden 80 Prioritätsaktien III. Ranges von je 5000
Fr. fordert, zu schützen. Denn nach feststehender Rechtsprechung des
Bundesgerichts bedarf es einer besonderen Beschlussfassung zur Entstehung
des Dividendenrechtes in dem Falle, wo die Statuten die Verteilung und das
Mass der Dividende genau regeln, nicht und sind demgemäss die Aktionäre,
denen durch einen statntenwidrigen Beschluss die Dividende entzogen worden
ist, berechtigt, Wiederherstellung der Verletzung nicht nur in der Form
der Ungültigkeitserklärung des Beschlusses zu verlangen, sondern auch,
Wie hier, in der Form der Klage auf Leistung der widerrechtlich entzogenen
Dividende (BGE 29 II 469/70).

Auch kann nicht in Abrede gestellt werden, dass die Klägerin ein
erhebliches Interesse daran hat, dass der Überschuss von 24,000 Fr., der
sich nach Auszahlung der den Prioritätsaktionären I., II. und III. Ranges
zukommenden statutarischen Maximaldividende von zusammen 68,500 Fr. und
nach Übertragung von 21,890 Fr. 51 Cts. auf neue Rechnung ergibt, gemäss
§ 37 Abs. II der Gesellschaftsstatuten in einen Amortisationsfonds zur
Rückzahlung der Prioritätsaktien I. und II. Ranges gelegt werde, und es
ist deshalb auch

Obligationenrecht . N° 44. 267

Klagebegehren 3 in diesem beschränkten Umfange gutzuheissen.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung der Klägerin wird begründet erklärt und das Urteil des
Ubergerichts des Kantons Solothurn vom 30. Oktober 1926 abgeändert
wie folgt:

&) Der Beschluss der Generalversammlung der Beklagten vom 27. Juni 1925
betreffend Verwendung des Reingewinnes von 114,390 Fr. 51 Cts. pro 1924
wird vorbehaltlich der Ausrichtung einer Dividende von 12,500 Fr. an die
Prioritätsaktien I. Ranges und der Ausscheidung eines Vertrages auf neue
Rechnung von 21,890 Fr. 51 Cts. aufgehoben.

b) Der Klägerin ist für ihre Prioritätsaktien Ill. Ranges eine Dividende
von 20,000 Fr. nebst 5% Zins seit ll. Juli 1925 auszurichten.

c) Der nach Auszahlung der den Prioritätsaktionären I., II. und
III. Ranges zukommenden Maximaldividende und nach Übertragung von 21,890
Fr. 51 Cts. auf neue Rechnung verbleibende Überschuss von 24,000 Fr.
ist in einen Amortisationsfonds zur Rückzahlung der Prioritätsaktien
I. und II. Ranges zu legen.