A. STAATSRECHT DROlT PUBLIC

I. GLEICHHEIT VOR DEM GESETZ

(RECHTSVERWEIGERUNG)

EGALITE' DEVANT LA LOL (DEN! DE JUSTmE)

48. Urteil vom 16. Dezember 1927 i. S. Bin-,hier gegen Graubünden.
Rechtsnngleich der Nichtzulassung ausserkantonaler Motor--

fahrràder während den KantonseinWohnern das Fahren mit Motorrädern
gestattet ist.

A. Das hündnerische Gesetz über teilweise Zulassung des Automobile. vom
21. Juni 1925 bestimmt in Art. 1, dass für gewisse öffentliche Zwecke der
Verkehr mit Motorfahrzeugen auf sämtlichen Strassen des Kantons gestattet
sei, öffnet in Art. 2 bestimmte Strassen, vorab die an die Kantonsgrenze
führenden, dem Verkehr mit Personenautomobilen bis zu acht Sitzplätzen,
erklärt in Art. 3 im übrigen die Gemeinden für berechtigt, von sich
aus den Verkehr für das Personenautomohil innerhalb ihres Gebiets ganz
oder teilweise zu gestatten, befasst sich in Art. 4 Abs. 1 3 mit den
Voraussetzungen für die Zulassung von Lastautos und bestimmt sodann über
den Verkehr mit Motorfahrzeugen, dass deren Verwendung ohne Einschränkung
und Belastung mit Gebühren gestattet sei, soweit sie ausschliesslich
landwirtschaftlichen Zwecken und dem Strassenunterhalt dienen (Abs. 4) und
in Abs. 5 : Fahrräder mit eingesetzt-ern Hilfsmotor, sowie Motorfahrräder
sind auf allen gemäss Art. 2 und 3 geöffneten Strassen für Kantons--

AS 53 I 1927 22

346 , Staatsrecht.

einwohner erlaubt, woran sich eine Bestimmung über die Zulassung von
Gesellschaftswagen anschliesst. Zu. widerhandlungen gegen die Bestimmungen
über den Verkehr mit Automobiien sind in Art. 6 mit Busse bis 2000
Fr. bedroht. Die Übertretung der Vorschriften über die Fahrgeschwindigkeit
und den andern strassenpolizeilichen Vorschriften sind der Kompetenz
der Gemeindepolizeiorgane unterstellt, alle andern Bussfälle sind vom
Kleinen Rat zu erledigen. Die kleinrätliche Vollziehungsverordnung zu
diesem Gesetz, vom 22. Juni 1925, setzt unter II. Taxen und Steuern-
in Art. 3 die jährlich zu zahlenden Taxen fest, die für die im Kanton
Graubünden stationierten Motorwagen, Per-sonenund Lastwagen sowie
Traktoren zu bezahlen sind, in Art. 4 die für Motorräder jährlich für
die Verkehrsbewillignng zu bezahlenden Gebühren und sieht in Art. 9 für
Personenautomobile, Lastund Gesellschaftswagen, die von auswärts kommen,
sog. Einreisegebühren vor. In Art. 27 ist die Strafandrohung des Gesetzes
wiederholt.

Durch Entscheid vom 12. September 1927 ist Karl Birchler in St. Gallen
vom Kleinen Rat des Kantons Graubünden der Übertretung von Art. 4 Abs. 5
des erwähnten Gesetzes schuldig erklärt und auf Grund von Art. 27 der
Vollziehungsverord nung zur Zahlung einer Busse von 10 Fr. verurteilt
werden, weil er Sonntag den 16. Juli mit seinem Motorrad den Kanton
Graubünden befahren hatte. Die Einwendung, Birchler habe das Verbot
nicht gekannt, da eine Verbottafel auf der von ihm befahrenen Strasse
nicht aufgestellt gewesen sei, wurde damit erledigt, dass in der vom
eidg. Justizund Polizeidepartement herausgegebenen Zusammenstellung
der besondern Bestimmungen über den Verkehr mit Motorfahrzeugen in der
Schweiz, die den Automobilisten und Motorradfahrern bekannt sein müsse,
in der den Kanton Graubünden betreffenden Rubrik das bündnerische Verbot
der Einreise von Motorfahrzeugen ausdrücklich erwähnt sei.

Gleichheit vor dem Gesetz. N° 48. 347

B. Gegen diesen Entscheid hat Birchler am 14. Oktober staatsrechtliche
Beschwerde erhoben, in der er beantragt, derselbe sei aufzuheben, und
es sei festzustellen, dass Art. 4 Abs. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
des Gesetzes vom 21. Juni 1925
mit Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV in Widerspruch stehe. Es wird geltend gemacht, durch jene
Bestimmung würden die Kantonseinwohner in unzulässiger Weise begünstigt ;
die Einwohner anderer, Kantone könnten beanspruchen, diesen gleichgestellt
zu werden, da kein plausibler Grund bestehe, die Motorradfahrer anderer
Kantone von den Strassen des Kantons Graubünden fernzuhalten. Gründe
der Verkehrssieherheit könnten für diese Beschränkung nicht ins Feld
geführt werden. Die einfachsten verkehrspolitischen Erwägungen zeigten,
dass das fragliche Verkehrsverbot mit den Notwendigkeiten des modernen
Verkehrsund Gesehäftslebens unvereinbar sei. Mit einer Verangemeinerung
solcher Schranken käme man auf Zustände zurück, wie sie vor 100 Jahren
bestanden, wo kantonale Zölle und Abgaben an den Kantonsgrenzen erhoben
wurden. Der Kanton Graubünden gehe noch weiter und verweigere den von
auswärts kommenden Motorfahrrädern überhaupt den Durchlass. Das sei mit
der BV, speziell mit deren Art. 4 nicht vereinbar.

C. Der Kleine Rat von Graubünden bemerkt in seiner Vernehmlassung,
das Gesetz vom 21. Juni 1925 sei auf Grund eines Volksbegehrens
entstanden. ei Die Initianten gingen bei der Aufnahme des angefochtenen
Absatzes von Art. 4 von der Erwägung aus, dass die beschränkte Zulassung
des Motorrades für die Kantonseinwohner volkswirtschaftlich geboten, die
unumschränkte Zulassung des Motorrades ausserkantonaler und ausländischer
Provenienz zur Zeit der Konsequenzen wegen unmöglich sei. Bei der vielfach
unübersichtlichen Anlage unserer Bergstrassen und bei ihrem grossen
Gefälle gefährdet das Motorrad den Verkehr mehr als das Personenund
Lastautomobil, und für die Kurorte, die im Erwerbsleben unseres Kantons
beinahe die Haupt-

348 } Staatsrecht. rolle spielen, würde die Überhandnahme dieses Vehikels
geradezu den Ruin bedeuten. Aus diesen Gründen

hatten die Initianten geglaubt, das fremde Motorrad ' vorläufig, bis
und so lange der Kanton die notwendigen Strassenverbesserungen würde
durchgeführt haben, vom Verkehr in unserem ausgesprochenen Gebirgskanton
ausschliessen zu müssen, dies auch in der Erwartung, dass die Technik
inzwischen an diesem Fahrzeug Verbesserungen anbringen wiirde, die es
mit Bezug auf seine jetzt noch nicht zu Unrecht perhorreszierte Lärm-,
Rauchund Gestankentwicklung etwas vorteilhafter als bisher gestalten
würde. Es wird wiederum darauf verwiesen, dass die Bestimmung in die
vom eidg. Justizund Polizeidepartement herausgegebene Zusammenstellung
der besonderen Bestimmungen über den Verkehr mit Motorfahrzeugen in
der Schweiz aufgenommen worden und damit als den ausser-gewöhnlichen
Verhältnissen des Kantons Graubünden angemessen sanktioniert und
zur allgemeinen Kenntnis gebracht worden sei. Die angefochtene
Gesetzesbestimmung richtet die Spitze nicht, wie der Beschwerdeführer
annimmt, gegen die Motorradfahrer anderer Kantone, sie ist einfach eine,
unter den jetzt noch vorherrschenden ungünstigen Strassenverhältnissen,
von zwingenden Notwendigkeiten diktierte Prohibitivmassnahme und
Vorsichtsmassregel und zwar zu Gunsten der einheimischen Bevölkerung,
der fremden Gastung, und liegt, wie gezeigt, nicht zuletzt im eigensten
Interesse der ausserkantonalen .Motorradfahrer, da Einwohner anderer
Kantone, die mit unseren Strassenverhältnissen allzuwenig bekannt,
in unserem Gebirgskanton grossen Gefahren exponiert sein würden.
Der Kleine Rat spricht deshalb die Hoffnung aus, das Bundesgericht möge
die angefochtene Gesetzesbestimmnng schützen und den Rekurs abweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. Während das Gesetz vom 21. Juni 1925 für den Verkehr mit Automobiien
auf dem graubtindnerisehen

Gleichheit vor dem Gesetz. N° 48. 349

Strassennetz eine Unterscheidung zwischen Kantonseinwohnern und
Kantonsfremden nicht macht, heschränkt es in Art. 4 Abs. 5 für die
Motorfahrräder und die Fahrräder mit Hilfsmotoren die Benutzung
der Strassen (in dem in Art. 2 und 3 umschriebenen Umfang) auf die
Kantonseinwohner. Diese Ordnung ist schon deshalb auffallend, weil
schwer erkennbar ist, weshalb der Automobilverkehr diesbezüglich anders
behandelt wird, als der Verkehr mit Motorfahrzeugen. Wenn etwa davon
ausgegangen werden wollte, dass das Motorfahrzeug grössere Gefahren für
die Sicherheit des Strassenverkehrs mit sich bringt, so liesse sich damit
vielleicht ein allgemeines Verbot dieses Fahrzeugs oder die Aufstellung
strengerer Vorschriften rechtfertigen, nicht aber eine Ordnung, nach der
seine Benutzung nur den Kantonseinwohnern gestattet ist. Denn die grössere
Gefahr gegenüber dem Automobil liegt im Fahrzeug und hängt nicht davon
ab, wo der Fahrer wohnt. Aber abgesehen hievon erscheint. die Bestimmung
in Art. 4 Abs. 5 des Gesetzes mit dem verfassungsmässigen Grundsatz
der Rechtsgleichheit nicht vereinbar. Denn ein vernünftiger Grund, nur
den Kantonseinwohnern die Benutzung der Strassen mit Motorfahrrädern zu
gestatten und Kantonsfremde davon auszuschliessen, besteht nicht. Was
zunächst die Sicherheit des Strassenverkehrs betrifft, so kommt es beim
einzelnen Fahrzeug von vorneherein nicht auf die Herkunft des Fahrers
an. Die Fernhaltung ausserkantonaler Fahrer könnte sich daher höchstens
aus dem Gesichtspunkt rechtfertigen, dass die Gefahr mit der Zahl der
Motorfahrzeuge wächst, welche die Strasse benützen. Allein dann müsste die
Grenze nach einem diese Zahl berücksichtigenden Masstab gezogen werden;
einen solchen gibt aber die Kantonszugehörigkeit des Fahrers nicht ab,
da ganz unsicher ist und keinerlei Anhaltspunkte dafür geliefert worden
sind, wie sich das Verhältnis der Kantonseinwohner, die Motorfahrzeuge
besitzen und benutzen, zu auswärtigen, die auf Motorfahrzeugen in den
Kanton fahren wollen,

350 staatsrecht.

gestaltet. Die volkswirtschaftliche Erwägung sodann, dass diese Art von
Motorfahrzeugen für Kurorte unerwünscht sei und bei Überhandnahme zu ihrem
Ruin führen würde, mag vielleicht zu einem gänzlichen Verbot Anlass geben,
bildet aber keine haltbare Begründung für die unterschiedlicheBehandlung
einheimischer und fremder Motorfahrräder. Die den Kantonseinwohnern
eingeräumte Befugnis führt dazu, dass die Strassen, die an die
Kantonsgrenze führen, wohl von den Kantonseinwohnern zum Verkehr mit
anderen Kantonen oder dem Ausland mit Motorfahrrädern befahren werden
dürfen, nicht aber umgekehrt, was mit der Zweckbestimmung dieser
Strassen in Widerspruch steht und jene Befugnis zu einer sachlich
ungerechtfertigten Begünstigung der Kantonseinwohner stempelt. Danach
vermag die Fernhaltung der auswärtigen Besitzer von Motoflahrradem
von den Bündnerstrassen vor Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV nicht zu bestehen (vgl. dazu den
bundesgerichtlichen Entscheid i. S. d'Arcis gegen Glarus, BGE 48 I S. ]
ff.). Dass die angefochtene Bestimmung in die vom eidg. Justiz-und
Polizeidepartement herausgegebene Zusammenstellung der in der Schweiz
fùr den Verkehr mit Motorfahrzeugen geltenden Bestimmungen aufgenommen
worden ist, hat für die Frage ihrer Verfassungsmässigkeit keine
Bedeutung. Die gestützt auf das bezügliche Verbot gegen den Rekurrenten
ausgesprochene Busse muss deshalb aufgehoben werden, während über das
weitere Beschwerdebegehren, es sei die Bestimmung in Art. 4 Abs. 5
des Gesetzes vom 21. Juni 1925 als verfassungsrechtlich unzulässig zu
erklären, da es sich nur als Motiv ffir das erste Begehren darstellt,
nicht selbständig zu entscheiden ist.

ss2. Damit ist nicht entschieden, ob nicht von Motorfahrrädern, die in
den Kanton Graubünden hineinfahren wollen, wie von andern Motoriahrzeugen
eine sog. Einreisegebühr verlangt werden kann und in welchem Masse,
wozu eine Ergänzung der kleinrätlichen Vollziehungs-Gleichheit vor dem
Gesetz. N° 49. 351

ver-ordnung erforderlich wäre. Durch den vorliegenden Entscheid
werden ferner die allgemein für den Verkehr mit Motorfahrzengen und
insbesondere mit Motorrädern aufgestellten Bestimmungen nicht berührt,
wie es den zuständigen kantonalen Behörden auch unhenommen bleibt,
andere besehränkende Bestimmungen für den Verkehr mit Motorfahrrädern
aufzustellen, oder diese gänzlich auszuschliessen, vorausgesetzt, dass
sich derartige Vorschriften nieht nur gegen Auswärtige richten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

Die Beschwerde wird dahin begründet erklärt, dassädie gegen den
Rekurrenten ausgesprochene Busse aufgehoben wird.

49. Urteil vom 23. Dezember 1927 i. S. Wörler gegen
Polizeigerichtspräsident Baselstadt. Bestrafung der Veranstalter einer
ohne polizeiliche Bewilligung abgehaltenen Demonstrationsversammlung
wegen Verkehrsstörung (§ 130 des baselstädtischen Polizeigesetzes),
begangen durch Unterlassung vorbeugender Anordnungen gegen solche
Störungen. Anfechtung wegen Verletzung der Versammlungsfreiheit (Art. 56
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 56 Beziehungen der Kantone mit dem Ausland - 1 Die Kantone können in ihren Zuständigkeitsbereichen mit dem Ausland Verträge schliessen.
1    Die Kantone können in ihren Zuständigkeitsbereichen mit dem Ausland Verträge schliessen.
2    Diese Verträge dürfen dem Recht und den Interessen des Bundes sowie den Rechten anderer Kantone nicht zuwiderlaufen. Die Kantone haben den Bund vor Abschluss der Verträge zu informieren.
3    Mit untergeordneten ausländischen Behörden können die Kantone direkt verkehren; in den übrigen Fällen erfolgt der Verkehr der Kantone mit dem Ausland durch Vermittlung des Bundes.

BV) und Willkür (Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.


BV). Abweisung.

* A. Die. Vorstände der kommunistischen und sozialdemokratischen Partei
sowie des Gewerkschaftskartells Basel hatten auf Mittwoch den 10. August
1927 nachmittags 4 Uhr die Arbeiter und Angestellten zu einer Versammlung
auf den Marktplatz zusammenberufen, um gegen die Hinrichtung von Saeco
und Vanzetti zu protestieren. Durch die Ansammlung der Demonstranten
und der Neugierigen wurde lediglich die Marktplatzi n s e l in Anspruch
genommen. Abgesehen vom Augenblick des Zumarsches und Abzuges hätte
daher die

* Gekürzter Tatbestand.