538 Prozess:-echt. N° 82.

machung weiterer Ansprüche, durch die allein schon die bundesgerichtliche
Kompetenz gegeben sei, zur Beurteilung durch das Bundesgericht gelange;
denn Wenn es den Parteien anheimstünde, die Höhe eines derartigen
Anspruchs erst vor Bundesgericht festzusetzen, so hätten'sie es in der
Hand, durch Einsetzung eines entsprechend hohen Betrages zu bewirken,
dass in einer Streitsache, die sonst im schriftlichen Verfahren zu
erledigen wäre, eine mündliche Parteiverhandlung angeordnet werden
müsste. Dafür, dass die Präzisierung des Streitwertes, aus der sich die
Lösung der Frage ergibt, ob jeweilen das mündliche oder das schriftliche
Berufungsverfahren zutreffe, nicht erst anlässlich der Berufung an das
Bundesgericht erfolgen darf, spricht auch der Umstand, dass ,es, wie für
die Frage der Zuständigkeit des Bundesgerichts an sich, so auch für die
Bestimmung des einzuschlagenden Berufungsverfahrens auf den Streitwert
nach der Prozesslage vor der letzten kantonalen Instanz ankommt (OG
Art. 59 in Verbindung mit 71; WEISS, Berufung 75 u. 108 VI). Darnach muss
bei Schadenersatzund ähnlichen Streitigkeiten im Sinn von Art. 63 Ziff. 1
OG, bei denen nach dem Streitwert das mündliche Berufungsverfahren in
Frage kommen kann, richtigerweise schon in der Klage, spätestens aber
vor der obern kantonalen Instanz angegeben werden, ob der Streitwert
8000 Fr. erreicht oder nicht; erfüllt der Kläger dieses Erfordernis
nicht und ergibt sich auch sonst aus den kantonalen Akten nicht, dass
tatsächlich ein 8000 Fr. erreichender Betrag gefordert wird und vor der
obern kantonalen Instanz noch streitig war, so trifft das schriftliche
Berufungsverfahren zu, selbst wenn in der Berufungserklärung nachträglich
angegeben wird, der Streitwert erreiche oder übersteige 8000 Fr. Denn
damit das mündliche Berufungsverfahren angeordnet wird, muss nach
Art. 71 Abs. 3 OG feststehen, dass der Streitwert 8000 Fr. erreicht.
3. Im vorliegenden Fall hätte deshalb der Kläger

Prozessreeht. N° 83. ' 539

eine die Berufung begründende Rechtsschrift einreichen sollen. Da
im schriftlichen Berufungsverfahren die schriftliche Begründung der
Berufung eine Prozessvoraussetzung ist (Art. 67 Abs. IV OG; BGE 51 II
343
ff : Plenarentscheid des Bundesgerichts vom 3. Juli 1925 i. S. Moos
g. Kaufmann), macht die Unterlassung dieser Vorkehr die Berufung
unwirksam.

Demnach erkennt das Bundesgericht: Auf die Berufung wird nicht
eingetreten.

83. Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. Dezember 1925
i. S. Erbengemeinsohaft Stamm gegen Stamm.

Die Erben eines während der Dauer des Scheidungsprozesses verstorbenen
Ehegatten sind nicht befugt, den bei dessen Tod noch pendenten
Scheidungsprozess fortzusetzen. Sie haben auch keinen Anspruch auf
Feststellung des Scheidf nngsanspruches des verstorbenen gegen den
überlebenden Ehegatten, um damit einen Ausschluss des letztem von der
Erbberechtigung wegen Erbunwürdigkeit zu erwirken.

Das ZGB enthält keine Vorschrift, wonach ein infolge Weitere zuges
nicht in Rechtskraft erwachsenes Scheidungsurteil infolge des Todes
eines Ehegatten rechtskräftig werde.

A. Mit Urteil vom 24. Juni 1925 hat das Kantons-' gericht Schaffhausen die
von Frau Verena Stamm Walter gegen ihren Ehemann Georg Stamm eingereichte"
Scheidungsklage gutgeheissen und die Ehe der Parteien als mit heute
gänzlich geschieden erklärt. '

B. Gegen diesen Entscheid hat der Beklagte am' 30. Juni 1925 die Berufung
an das Obergericht des Kane tons Schaffhausen erklärt.

C. Noch bevor über diese Berufung entschieden werden konnte, starb die
Klägerin am 15. August, worauf ihr ehemaliger Vertreter, Dr. lsler,
am 10. September beim Obergerieht den Antrag stellte, es sei dieB e r
u f u n g als durch den Tod der Klägerin gegen-.

540 Prozessrecht. N° 83.

standslos geworden abzuschreiben, womit es beim erstinstanzlichen
Scheidungsurteil sein Bewenden habe. Der Beklagte beantragte, es sei
die K] a g e als gegen. standslos abzuschneiden

D. Mit Beschluss vom 9. Oktober 1925 hat das Obergericht, in
Übereinstimmung mit dem Antrag des Beklagten, die Klage als gegenstandslos
abgeschrieben, weil durch die vom Beklagten eingereichte Berufung das
kantonsgerichtliche Urteil nicht in Rechtskraft erwachsen, sodass die
Ehe durch den noch vor Beurteilung der Berufung eingetretenen Tod der
Klägerin aufgelöst worden sei.

E. Gegen diesen Entscheid haben die Erben der verstorbenen Klägerin:
Joh. Walter, Joh. Walter-Midler, Wilhelm Walter-Boll, Albert Walter,
Hans Peyer, Louise Walter Walter und Emil Walter am 29. Oktober
die zivilrechtliche Beschwerde (wegen Anwendung kantonalen statt
eidg. Rechtes) an das Bundesgericht erklärt mit dem Begehren: Es sei der
angefochtene Beschluss des Obergerichts aufzuheben und zu entscheiden,
dass durch den am 15. August 1925 erfolgten Tod der Klägerin nicht die
Klage und die Urteilsansprüche der Klägerin, wohl aber die vom Beklagten
gegen das Urteil des Kantonsgerichts angemeldete Berufung gegenstandslos
geworden sei, sodass es bei der Scheidung der Ehe Stamm Walter mit Wirkung
auf den im kantonsgerichtlichen Urteil angegebenen Tag (24. Juni 1925)
sein Bewenden habe ; eventuell sei unter Aufhebung des angefochtenen
Beschlusses die Sache zur neuen Beurteilung der durch den Tod der Klägerin
geschaffenen Prozessrechtslage an das Obergericht zurückzuweisen, wobei
die neue Entscheidung dem eidg. Recht keinen Eintrag tun dürfe.

F. Am 31. Oktober 1925 reichten die Erben der Klägerin sodann noch eine
Berufung ein mit dem Begehren: Es sei der angefochtene Beschluss des
Obergerichtes vom 9. Oktober 1925 aufzuheben und zu

Preises-steckt N° 83; 541 hefinden, dass die durch Urteil des
Kantonsgerichtes vom 24. Juni 1925 auf Begehren der Klägerin
ausgesprochene Ehescheidung mit den daraus hervorgehenden
vermögensrechtlichen Folgen bestätigt werde, dass demgemäss die durch
Urteil wohl erworbenen Rechte der Klägerin durch deren Tod nicht erloschen
seien, sondern dass infolge ihres Todes vom Obergericht lediglich der
Prozess, nicht aber die Klageansprüche oder Urteilsansprüche abzuschreiben
waren.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :.

L. Es ist davon auszugehen, dass nur die Prozessparteien selber in einem
Prozesse Parteirechte geltend machen ,können, wozu auch die Einleitung
einer Berufung bezw. einer zivilrechtlichen Beschwerde gehört. Es
fragt sich daher im vorliegenden Falle in erster Linie, ob den Erben der
Ehescheidungsklägerin überhaupt Parteiqualität zuerkanntwerden könne. Das
ZGB gewährt in den Art. 137 ff. nur den Ehegatten selber Parteirechte im
Ehescheidungsprozess, und es kann, entsprechend dem höchstpersönlichen
Charakter dieser Klagen, ein bereits angehobener Scheidungsprozess
nicht von den Erben einer Partei weitergeführt werden. Das kommt
dadurch zum Ausdruck, dass vom Gesetzgeber in der verwandten Materie
der ,Ehenichtigkeit durch Art. 135 Abs. 2 ZGB ausdrücklich bestimmt
werden ist, dass die Erben eine bereits angehobene Eheungültigkeitsklage
fortsetzen können, während eine gleiche Bestimmung für die Ehescheidung
nicht getroffen wurde. Es darf nicht angenommen werden, dass dies
eine bloss unabsichtliche Unterlassung gewesen sei, die ,eine analoge
Anwendung des Art. 135 Abs. 2 ZGB durch den Richter erheischte. Sondern
es ist eine solche Bestimmung im Ehescheidungsrecht offenbar absichtlich
unterbiieben, weil es der hierorts geltenden Auffassung über das Wesen der
Ehe widerspricht, Andern als den Ehegatten selbst ein Dispositions-recht
über die Frage einer Schei--

542 Prozessrecht. N° 83.

dung zu gewähren, und zwar selbst dann, wenn es sich nur um die
Fortführung einer schon erhobenen Klage handelt, die ja immer noch
vom klagenden Ehegatten, ' wenn er noch gelebt hätte, wieder hätte
zurückgezogen werden können (vgl. auch GMÜR, Kommentar, Vorbemerkungen
zum 4. Titel V. Ziffer 4 S. 153/54). Auf demselben Boden steht auch
das französische Recht, das in dem durch das Gesetz vom 18. April 1886
abgeänderten Art. 244 CC die Bestimmung enthält, dass die Scheidungs-klage
erlösche, wenn der eine Ehegatte stirbt, bevor das Scheidungsurteil
durch Eintragung in die staatlichen Zivilstandsregister unwiderruflich
geworden ist. Diese Vorschrift die eine frühere Kontroverse über diese
Frage beseitigte wurde seinerzeit damit begründet, dass das intérét moral
dem intérét pécuniaire vorgestellt werden müsse (vgl. Pandectes francaises
Bd. 24 Nr. 1008 und 1009 S. 383; DALLOZ, Nouveau Code civil, zu Art. 244
§ 2 Nr. 95 ff. S. 534 ff.). Es ist zudem darauf hinzuweisen, dass das
Ehescheidungsurteil ein Gestaltungsurteil ist, das erst die Ehescheidnng
herbeiführt, entgegen dem Urteil betreffend Ungültigkeit einer Ehe,
das ein Feststellungsurteil darstellt. Ist aber eine Ehe bereits durch
den Tod eines der beiden Ehegatten aufgelöst worden. so entfällt damit
notwendigerweise die Grundlage für eine Scheidung. Es könnte sich somit
nur fragen, ob die Erben allenfalls einen Anspruch auf Feststellung des
SeheidungsanSpruches des Verstorbenen gegen denüberlebenden Ehegatten
besitzen, um damit allenfalls einen Ausschluss des überlebenden Ehegatten
von der Erbberechtigung wegen Erbunwürdigkeit zu erwirken. Ein solcher
Erbunwürdigkeitsgrund müsste aber im Gesetze ausdrücklich erwähnt sein,
das ist im ZGB entgegen dem deutschen Recht (gg 1933 und 2077 BGB)
nieht gesehehen. Zudem könnte ein derartigerAnspruch ohnehin niemals
im Wege der Fortsetzung .des Scheidungsprozesses durch die Erben zur
Entscheidung gelangen, sondern es wäre hierüber auf

Prozessrecht. N° 83. 543

alle Fälle ein neues Verfahren (eine Erbschaftsklage) durchzuführen. So
bestimmt denn auch das deutsche Recht in § 528 ZPO, dass wenn einer
der Ehegatten vor der Rechtskraft des Scheidungsurteils stirbt, der
Rechtsstreit als erledigt anzusehen sei, woraus sich ergibt, dass über
die Frage der Erbunwürdigkeit des überlebenden Ehegatten in einem neuen
Verfahren zu entscheiden ist.

Fehlt somit den Erben eines verstorbenen Ehegatten die Legitimation,
den von diesem angehobenen Scheidungsprozess fortzusetzen, weil sie
überhaupt nicht, weder als Hauptpartei noch als Nebenpartei, in den
Prozess eintreten können, so ist ihnen auch die Möglichkeit einer Berufung
bezw. einer zivilrechtlichen Beschwerde gegen einen den Scheidungsprozess
erledigenden Abschreibungsbeschluss genommen. Es kann daher auf die
Berufung bezw. die zivilrechtliche Beschwerde der Erben der Klägerin
mangels ihrer Aktivlegitimation nicht eingetreten werden.

2. Ob in einem künftigen Erbschaftsprozesse die Erben der Klägerin
gestützt auf die erstinstanzliche Gutheissung der Ehescheidung
Aherkennung des Erbrechtes des Beklagten verlangen könnten, ist in
diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Immerhin mag dazu auf die obige
Ausführung darüber verwiesen werden, dass eine Klage auf Feststellung
des Scheidungsan-spruches der verstorbenen Klägerin (um daraus
eine Erbunwürdigkeit des Beklagten herzuleiten) in Ermangelung einer
bezüglichen gesetzlichen Bestimmung nicht gutgeheissen werden könnte. Nun
bezwecken aber die Erben der Klägerin nicht die Feststellung einer solchen
Erbnnwürdigkeit, sondern ihre Rechtsauffassung geht dahin, es sei durch
den Tod der Klägerin das bereits ergangene erstinstanzliche Urteil, trotz
der durch die Berufung des Beklagten eingetretenen Suspensivwirkung, in
Rechtskraft erwachsen. Ob diese Auffasung nach dem kantonalen Prozessrecht
richtig sei oder nicht, vermag das Bundesgericht nicht zu überprüfen.

544 Prozessrecht. N° 83.

Dagegen ist, entgegen der Ansicht der Erben der Klägerin, zu bemerken,
dass vom Standpunkt des Bundesrechtes aus der Abschreibung der Klage,
wie sie durch die Vorinstanz erfolgte, nichts entgegenstand. Denn das ZGB
enthält nirgends eine Vorschrift, wonach im Falle des Todes einer Partei
ein infolge Weiterzuges nicht in Rechtskraft erwachsenes erstinstanzliches
Scheidungsurteil nachträglich trotzdem rechtskräftig werde. Gewiss wäre
eine solche Regelung an sich nicht unbillig, mit Rücksicht darauf,
dass das ZGB die Erbunwürdigkeit eines über-lebenden Ehegatten, dem
gegenüber der verstorbene Ehegatte einen Anspruch auf Scheidung aus
Verschulden des erstem besass, nicht kennt. Es geht nun aber nicht an,
eine solche vorwiegend das Prozessrecht beschlagende Bestimmung im Wege
der Lückenausfüllung in das Gesetz hineininterpretieren zu wollen,
nachdem die Regelung des Verfahrens d. h. also auch die Bestimmungen
über die Wirkungen des Weiterzuges eines Urteils an eine obere kantonale
Instanz grundsätzlich den Kantonen überlassen werden ist. Vielmehr
müssen da, wo das ZGB nicht ausdrücklich selber, ausnahmsweise eine
Verfahrensvorschrii't aufstellte, die Grundsätze des bezüglichen
kantonalen Prozessrechtes zur Anwendung gelangen. Die Behauptung der Erben
der Klägerin, die bisherige bundesgerichtliche Praxis gehe dahin, dass
nach Bundesrecht der Tod eines Ehegatten im Stadium der Appell'aticn nur
zum Wegfall der ssssAppeiiation und zur Aufrechterhaltung des Urteils der
unteren Instanz führe, geht fehl. Im ersten der angerufenen Urteile (BGE
43 II S. 454 ff.) handelte es sich nicht um die vorliegende Frage. Wenn
sodann im zweiten Falle i. S. Margot (BGE 46 II 178 ff.) entschieden
wurde, dass die Berufung gegenstandslos geworden sei, so wollte damit,
wie sich aus den Motiven ergibt, nicht gesagt werden, dass die durch
die Vorinstanz ausgesprochene Scheidung nunmehr bestehen bleibe, sondern
dass infolge des Todes der einen Partei keine Scheidung mehr aus-

Prozessrecht. N ° 83. 545

gesprochen werden könne und daher auch die Berufung dahinfalle. Es mag
übrigens noch darauf hingewiesen werden, dass diese Entscheide ohnehin
nicht ohne weiteres für den vorliegenden Fall präjudiziell wären, da
im gegenwärtigen Falle der Tod einer Partei während des k a n t o n
a l e n Berufungsverfahrens und nicht wie im Falle Margot während des
eidg. Berufungsverfahrens eingetreten ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Auf die zivilrechtliche Beschwerde sowie auf die Berufung wird nicht
eingetreten.

AS 51 Il 1925 36