464 Erbrecht N° 71.

2. Die Zuweisung des landwirtschaftlichen Gewerbes an die Klägerin
wird aber auch nicht etwa dadurch ausgeschlossen, dass der Erblasser
durch Ehevertrag ' der Beklagten das lebenslängliche Nutzniessungsund
Verwaltungsrecht an seiner ganzen Erbschaft zugesichert hat. Wie sich
aus Art. 473
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 473 - 1 Unabhängig von einer allfälligen Verfügung über den verfügbaren Teil kann der Erblasser dem überlebenden Ehegatten, der überlebenden eingetragenen Partnerin oder dem überlebenden eingetragenen Partner durch Verfügung von Todes wegen gegenüber den gemeinsamen Nachkommen die Nutzniessung am ganzen ihnen zufallenden Teil der Erbschaft zuwenden.
1    Unabhängig von einer allfälligen Verfügung über den verfügbaren Teil kann der Erblasser dem überlebenden Ehegatten, der überlebenden eingetragenen Partnerin oder dem überlebenden eingetragenen Partner durch Verfügung von Todes wegen gegenüber den gemeinsamen Nachkommen die Nutzniessung am ganzen ihnen zufallenden Teil der Erbschaft zuwenden.
2    Diese Nutzniessung tritt an die Stelle des dem Ehegatten, der eingetragenen Partnerin oder dem eingetragenen Partner neben diesen Nachkommen zustehenden gesetzlichen Erbrechts. Neben dieser Nutzniessung beträgt der verfügbare Teil die Hälfte des Nachlasses.
3    Heiratet der überlebende Ehegatte wieder oder begründet er eine eingetragene Partnerschaft, so entfällt die Nutzniessung auf jenem Teil der Erbschaft, der im Zeitpunkt des Erbgangs nach den ordentlichen Bestimmungen über den Pflichtteil der Nachkommen nicht hätte mit der Nutzniessung belastet werden können. Diese Bestimmung gilt sinngemäss, wenn die überlebende eingetragene Partnerin oder der überlebende eingetragene Partner eine neue eingetragene Partnerschaft begründet oder heiratet.
ZGB ohne weiteres ergibt und die Beklagte durch ihre
Erklärung vom 26. März 1923 auch selbst anerkannt hat, unterliegt diese
Zuwendung der Herabsetzung, und zwar würde offenbar die Beschränkung der
Nuthiessung auf das Landudrtsehaftsgewerbe nicht genügen, um sie auf das
erlaubte Mass herabzusetzen, weil jenes den haupt-sächlichsten Teil der
Erbschaft ausmacht. Allein selbst wenn es sich hiemit anders verhielte, so
liesse sich daraus nichts gegen den Anspruch der Klägerin auf Zuweisung
des Gewerbes herleiten, sondern würde nur die Übernahme zu vollem
Genuss auf den Zeitpunkt des Todes der Beklagten hinausgeschoben. Die
Beklagte hat denn auch in der heutigen Verhandlung nicht mehr von dem
ihr zugesicherten Nutzuiessungsrecht, sondern nur noch von dem ihr durch
Testament vermachten lebenslänglichen Hausund Wohnrecht behauptet, dass es
der Zuweisung des Gewerbes an die Klägerin entgegenstehe. Indessen umfasst
dieses Recht nach Art. 777
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 777 - 1 Das Wohnrecht wird im Allgemeinen nach den persönlichen Bedürfnissen des Berechtigten bemessen.
1    Das Wohnrecht wird im Allgemeinen nach den persönlichen Bedürfnissen des Berechtigten bemessen.
2    Er darf aber, falls das Recht nicht ausdrücklich auf seine Person beschränkt ist, seine Familienangehörigen und Hausgenossen zu sich in die Wohnung aufnehmen.
3    Ist das Wohnrecht auf einen Teil eines Gebäudes beschränkt, so kann der Berechtigte die zum gemeinschaftlichen Gebrauch bestimmten Einrichtungen mitbenutzen.
ZGB nicht schlechthin das ganze Haus, sondern
bemisst sich nach den persönlichen Bedürfnissen der Beklagten, wobei im
Sinne des Testaments auch ihr kleines Handelsgewerbe zu berücksichtigen
ist; es steht also dem Aufzug der Klägerin nicht grundsätzlich entgegen.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird begründet erklärt, das Urteil des Obergerichts des
Kantons Aargau vom 14. Juli 1924 aufgehoben und die Klage zugesprochen.

Sachenrecht. N° 72. 465

IV. SACHENRECHT

___ _

DROITS REELS

72. Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Juni 1924 i. S. Eidenbenz gegen
Museumgesellschafi Zürich. Ablösung einer Dienstbarkeit durch den

Richter, Voraussetzungen. ZGB Art. 736.

A. Auf der Liegenschaft der Kläger an der Ràmiund Stadelhoferstrasse in
Zürich lastet zu Gunsten der Liegenschaft der Beklagten, in der sie ihre
Bibliothek und Lesesäle einrichten will, die Dienstbarkeit des Verbotes,
die bestehenden Gebäulichkeiten höher zu führen. Diese Dienstbarkeit wurde
im Jahre 1771 begründet. Die Kläger wollen auf der belasteten Liegenschaft
einen hohen Neubau Zu Mietwohnungen errichten. Dieser Neubau wird von
der Baubehörde nur bewilligt, wenn die Stadelhoferstrasse verbreitert
wird; in welchem Masse die Verbreiterung die klägerische Liegenschaft
anschneiden wird, steht noch nicht fest.

B. Mit ihrer Klage verlangen die Kläger unentgeltliche Ablösung der
Dienstbarkeit, eventuell Ablösung gegen eine vom Gericht festzusetzende
Vergütung.

Das Obergericht des Kantons Zürich hat mit Urteil vom 11. März 1924, in
Bestätigung des ,Urteils des Bezirksgerichts Zürich, die Klage abgewiesen
und die Kosten den Klägern auferlegt.

C. Mit der Berufung verlangen die Kläger Gutheissung der Klage,
event. Rückweisung des Prozesses an die Vorinstanz zur Beweisergänzung
unter Kostenund Entschädigungsfolge.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

Das auf Löschung der Dienstbarkeit ohne Entschädigung gerichtete
Klagebegehren erweist sich ohne

466 Sachenrecht. N°32.

weiteres als unbegründet, nachdem feststeht, dass die Dienstbarkeit
für das berechtigte Grundstück _ immer noch ein erhebliches Interesse
hat. Die Kläger haben, um den Untergang jeglichen Interesses der Beklagten
zu erweisen, behauptet, der einzige Zweck der Dienstbarkeit habe darin
bestanden, den Bewohnern des auf dem berechtigten Grundstück stehenden
Gebäudes den Ausblick gegen den See zu ermöglichen, dieser sei aber seit
der Errichtung der Dienstbarkeit so wie so, durch andere, auf unbelasteten
Grundstücken errichtete Gebäude verloren gegangen. Allein eine solche
Beschränkung der Dienstbarkeit ergibt sich weder aus dem Wortlaut des
jetzigen Eintrages, der unbeschränkt jedes Höherbauen verbietet, noch
aus der Fassungwie sie bei der Errichtung im Jahre 1771 gewählt wurde,
die ausdrücklich als Zweck neben der Erhaltung der Aussicht sonstige
aus der Höherführung von Gebäuden entstehende Beschwerden erwähnt. Wie
die Vorinstanz tatsächlich und darum für das Bundesgericht verbindlich
feststellt, kommt nach der örtlichen Lage vor allem auch das erhebliche
Interesse an der Erhaltung von Licht und Luftzutritt und die Abwehr
von Lärm und sonstigen Immissionen, die bei intensiverer Bebauung der,
belasteten Liegenschaft entstehen, in Betracht.

Aber auch das auf Art. 736 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 736 - 1 Hat eine Dienstbarkeit für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren, so kann der Belastete ihre Löschung verlangen.
1    Hat eine Dienstbarkeit für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren, so kann der Belastete ihre Löschung verlangen.
2    Ist ein Interesse des Berechtigten zwar noch vorhanden, aber im Vergleich zur Belastung von unverhältnismässig geringer Bedeutung, so kann die Dienstbarkeit gegen Entschädigung ganz oder teilweise abgelöst werden.
ZGB gestützte Begehren auf Ablösung
gegen Entschädigung kann nicht geschützt werden. Zwar steht fest, dass
sich die Belastung für die belastete Liegenschaft infolge der Ausdeh-nung
der Stadt seit der Errichtung gewaltig gesteigert hat. Während bei der
Errichtung und bis vor wenigen Jahrzehnten das belastete Grundstück vor
oder doch an der Peripherie der Stadt in ländlichem Umgelände lag, sodass
das Bauverbot wenig spürbar war, ist es jetzt ins Geschäftszentrum der
Stadt hineingeriickt, in dem die Baubeschränkung naturgemäss äusserst
drückend wird. Allein auch das Interesse des berechtigten

Sachenrecht. N° '?2. 467

Grundstücks an der Erhaltung der Dienstbarkeit ist gewachsen, weil auch
der Wert des berechtigten Grundstücks gestiegen ist und weil, wie die
Vorinstanz tatsächlich feststellt, infolge der baulichen Entwicklung
des Quartiers vor allem das Interesse an der Lichtzufuhr, aber auch
dasjenige an der Fernhaltung von grossen Mietoder Geschäftshäusern von der
unmittelbaren Nachbarschaft mit ihrer Unruhe und sonstigen Inkonvenienzen
sowohl allgemein wie auch besonders für Gebäude wie speziell das der
Beklagten mehr wie je von grosser Bedeutung geworden ist.

Nun hat allerdings die von den kantonalen Instanzen eingeholte Expertise
den Schaden, welcher der Beklagten aus der Löschung der Dienstbarkeit
entstehen würde, nur auf 10,000 Fr. geschätzt, während sie den Mehrwert,
welcher der klägerischen Liegenschaft aus der Ablösung erwachsen würde,
auf 65-70,000 Fr. bewertet. Die Kläger fechten gestützt hierauf die
Feststellung der Vorinstanz, dass das Interesse der Beklagten an der
Erhaltung nicht unverhältnismässig geringer sei als dasjenige der
Kläger an der Löschung, als aktenwidrig an. Allein die Bedeutung der
Dienstbarkeit auf die das Gesetz abstellt, lässt sich im vorliegenden
Falle nicht genau in Geld abschätzen und es genügt auch die durch
Geldschätzung gefundene Differenz zwischen den beidseitigen Interessen
nicht zur Begründung der gesetzlichen Ablösungspflicht. Das Gesetz spricht
wohl absichtlich nicht einfach von einem geringeren Wertverhältnis,
sondern geht davon aus, dass die Dienstbarkeit von geringer Bedeutung
geworden sei. Die Ablösungspflicht beruht auf dem Gedanken der Verhütung
eines Rechtsmissbrauches durch den Berechtigten, wenn die Dienstbarkeit
für ihn von geringer Bedeutung ist, während sie für den Belasteten eine
unverhältnismässig schwere Last ist. Diese Voraussetzung-ist aber schon
durch die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ausgeschlossen,
aus denen die grosse Bedeutung gder

468 Sachenrecht. N° 72.

Dienstbarkeit auch für die Beklagte hervorgeht Dazu kommt, dass die
Schätzung des Interesses der Beklagten durch den Experten davon ausgeht,
dass geordnete Strassenverhältnisse zu stande kommen , womit darauf
hingewiesen wird, dass nur bei starker Verhreitenmg

der Stadelhoferstrasse auf der Seite der klägerischen si

Liegenschaft die Lichtzufuhr für die Beklagte so ermöglicht Wii:-de,
dass für sie ein noch grösserer Nachteil vermieden würde. Die Vorinstanz
stellt aber fest, dass eine solche Verbreiterung der Strasse noch
nicht gesichert sei und dass sich die Kläger weder zu einer bestimmten
Art der Bebauung noch der Bewerbung der Beute verpflichteten. Es ist
daher die Voraussetzung, unter welcher der Experte das Interesse der
Beklagten auf 10,000 Fr. wertete, nicht als gesichert zu betrachten.
Abgesehen hievou müsste aber auch vorerst ein anderes sachgemässes
Mittel sur Befriedigung der beidseitigen Interessen gewählt werden,
bevor die Beklagte zur Ablösung genötigt würde; wäre es möglich, durch
Verbreiterung der Strasse der Liegenschaft der Beklagten genügend Licht
zuzuführen und durch die Art der Bebauung und Benützung der Liegenschaft,
der Kläger die sonstigen Interessen der Beklagten an der Servitut, zu
befriedigen, so bestände kein genügender Grund zur Ablösung. Da nach
den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz diese Befriedigung
der beidseitigen Interessen von den Klägern noch nicht durch positive
Vorschläge zu erreichen versucht wurde, rechtfertigt sieh es auch schon
darum nicht die Klage zuzusprechcn.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich vom 11. März 1924 bestätigt.

Obiigationenrecht. N° 73. 469

V. OBLIGATIONENRECHT

DROIT DES OBLIGA'TIONS

73. Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Juni 1924 i. S. Frledlin und
Genossen gegen un Baerle.

Art. 55
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 55 - 1 Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
1    Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
2    Der Geschäftsherr kann auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist.
OR. Haftung des Geschättsherrn : Begriff des
Geschäftsherrn. Dienstliche Vorrichtung ?

A. Der Chauffeur Josef Bürkli stand im Dienste der Firma van Baerle &
C13 in Münchenstein bei Basel und hatte laut Arbeitsvertrag ausser dem
Lastwagen der Firma auch den Personenwagen des beklagten Firmateilhabers
zu bedienen. Es war ihm untersagt, ohne spezielle Erlaubnis für
Andere. Kommissionen zu besorgen oder Drittpersonen mitzuführen. Sonntag,
den 30. Januar 1921 abends gegen halb neun Uhr trug ihm der von einer ohne
ihn unternommenen Ausfahrt nach seiner Wohnung in Basel zurückgekehrte
Beklagte auf, den Personenwagen wieder nach dem Fabrikgebäude der
Firma in Münchenstein zu verbringen. Der Beklagte gibt an, Bürkli habe
sich freiwillig hiezu anerboten, er wäre zu einer solchen Privatfahrt,
zumal an einem Sonntag, nicht verpflichtet gewesen. Statt sich nun ohne
weiteres seiner Aufgabe zu eutledigen, unternahm Bürkli mit seiner Braut,
deren Schwester und deren Schwager eine Vergnügungsfahrt nach Grellingen
und zurück über Aesch und Reinach nach Ruchfeld bei Basel. Nach einem
Aufenthalt in der dortigen Wirtschaft und nach Aufnahme zweier weiterer
Fahrgäste fuhr er wiederum Reinach zu, um auf dem Umwege über Reinach,
Domach und Arlesheim nach Münchenstein zu gelangen. Unweit von Ruehfeld
stiess er nachts elf Uhr durch eigene Fahrlässigkeit mit einem Break
zusammen, wodurch dessen Insassen, die heutigen Kläger, zum