14. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. Februar 1922 i. S. Immobilien-Betriebs-Gesellschaft gegen Weinberger. SchKG Art. 106 ff. : Verwirkung des Rechtes, einen gepfändeten oder mit Arrest belegten
Gegenstand zu Eigentum anzusprechen, wegen verspäteter Geltendmachung
der Ansprache: Trotz Ablauf der zehntägigen Frist seit Kenntnisnahme, von
der Beschlagnahme tritt die Verwirkung nicht ein, wenn die Nichtanmeldung
durch die besonderen Verhältnisse des Falles gerechtfertigt oder doch entschuldigt wird.

A. Die Klägerin, die Immobilien-Betriebs Gesellschaft m. b. H. in
Berlin, hatte von der Korsotheatergesellschaft in Zürich deren Theater
in Pacht genommen und verpachtete es durch ihren Zürcher Vertreter,
Dr. O. Neumann Hofer, für den Operettenbetrieb an Direktor Jean Kren
weiter. Der Unterpachtvertrag lautete auf den Namen Neumanns selbst. In
diesem Vertrag waren Direktor Kren 45% der Tageseinnahmen zugesichert
werden. In der Folge kam Kren in finanzielle Schwierigkeiten. Laut
einem dem Dr. Neumann ausgestellten Schuldanerkenntnis schuldete er
diesem 34,000 Fr. Ani 28. Dezember 1920 schloss Kren mit der Klägerin in
Beriin zwei Abkommen ab, in denen er anerkannte, dass die Dr. Neumann
ausgestellte Schuldanerkennung für Rechnung der Klägerin gehe, ferner
trat er der Klägerin zur Sicherung ihrer Ansprüche seinen in der Schweiz
befindlichen u Kostüm-Fundus ab und ermächtigte gleichzeitig Dr. Neumann,
für die Schuld von 34,000 Fr. ratenweise aus den ihm vorbehaltenen 45%
Betriebseinnahmen Deckung zu suchen. Am 5. Fe-

AS 48 III 1922 4

50 Schuldbetreibungs und Konkursrecht (Zivilabteilungen). N° 14.

bruar 1921 kam zwischen Kren und Neumann ein weiterer Vertrag zustande. In
diesem verzichtete Kren auf alle Betriebsergebnisse, wogegen Neumann
es übernahm, die Gagen des Personals bis auf 20,000 Fr. sicherzustellen
und die ursprünglich Kren zugesicherten 45% Betriebseinnahmen in erster
Linie zur Deckung der Gagen und sodann teilweise zur Deckung weiterer
Verbindlichkeiten zu verwenden. In einem Art. S wird

ferner bestimmt: Nach besonderem Abkommen schuldet .

Kren Neumann-Hofer bezw. der Immobilien-BetriebsGesellschaft
in. b. H. 34,000 Fr., die in bestimmten Raten zurückgezahlt werden
sollen. Neumann-Hofer ist bereit, den ihm übereigneten Fundus von 5000
Fr. als die erste Rückzahlungsrate der 34,000 Fr. anzunehmen,

sofern er pfandfrei ist-. Kren soll aber berechtigt sein,

zum Schluss der Spielzeit den Fundus für 5000 Fr. zurückzuerwerben,
sofern seine Schulden an NeumannHofer bezahlt sind. Die weiteren fähigen
Raten werden bis Ende April gestundet. '

Am 24. Januar 1921 schon hatte der Beklagte Weinberger in
Zürich gegen Kren für eine Forderung von 7938 Fr. 92 Cts. einen
Arrest erwirkt. Verarrestiert wurden die Kren nach dem Pachtvertrag
zugesicherten 45 % der Betriebseinnahrnen bis zum Betrage von 8700 Fr,
sowie die Dekorationen und Kostüme im Korsetheater. Sämtliche Objekte
wurden jedoch von Dr. Neumann zu Eigentum angesprochen, der auch, als
der Gläubiger die Vindikation nicht anerkannte, am 24. Februar 1921
in eigenem Namen Widerspruchsklage erhob. Mit Urteil vom 11. Mai 1921
wies der Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich die Klage mangels
Aktivlegitimation Neumanns ab, weil sich in der Beweisverhandlung vom
21. April 1921 herausgestellt

habe, dass Dr. Neumann beim Abschluss der Verträge _

mit Kren überall nur als Vertreter der Immobilien-Betriebs-Gesellschaft
gehandelt und als deren Angestellter mit fester Gage die
Theaterunternehmung auf ihre Rechnung geführt habe.Schuldbetreibungs
und Konkursrecht (Zivilabteilnngen). N° 14. 51

Noch am Tage der Beweisverhandlung meldete die Klägerin ihrerseits beim
Betreibungsamt Eigentumsansprache an den 45% Betriebseinnahmen an und
erhob sodann am 17. Mai 1921, gemäss Art. 107
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 107 - 1 Schuldner und Gläubiger können den Anspruch des Dritten beim Betreibungsamt bestreiten, wenn sich der Anspruch bezieht auf:
1    Schuldner und Gläubiger können den Anspruch des Dritten beim Betreibungsamt bestreiten, wenn sich der Anspruch bezieht auf:
1  eine bewegliche Sache im ausschliesslichen Gewahrsam des Schuldners;
2  eine Forderung oder ein anderes Recht, sofern die Berechtigung des Schuldners wahrscheinlicher ist als die des Dritten;
3  ein Grundstück, sofern er sich nicht aus dem Grundbuch ergibt.
2    Das Betreibungsamt setzt ihnen dazu eine Frist von zehn Tagen.
3    Auf Verlangen des Schuldners oder des Gläubigers wird der Dritte aufgefordert, innerhalb der Bestreitungsfrist seine Beweismittel beim Betreibungsamt zur Einsicht vorzulegen. Artikel 73 Absatz 2 gilt sinngemäss.
4    Wird der Anspruch des Dritten nicht bestritten, so gilt er in der betreffenden Betreibung als anerkannt.
5    Wird der Anspruch bestritten, so setzt das Betreibungsamt dem Dritten eine Frist von 20 Tagen, innert der er gegen den Bestreitenden auf Feststellung seines Anspruchs klagen kann. Reicht er keine Klage ein, so fällt der Anspruch in der betreffenden Betreibung ausser Betracht.
SchKG die vorliegende
Widerspruchsklage auf Anerkennung dieses Anspruches.

Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage wegen verspätete-r Anmeldung
der Eigentumsansprache und sodann aus materiellen Gesichtspunkten

B. Mit Urteil vom 26. September 1921 hat das Obergericht des Kantons
Zürich in Bestätigung eines

Entscheides des Einzeltichters des Bezirksgerichtes Zü-

rich die Verspätungseinrede geschützt und die Klage abgewiesen. Beide
Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass nach der bundesgerichtlichen
Praxis Drittansprüche an gepfändeten oder verarrestierten Objekten für
die betreffende Betreibung als verwirkt zu betrachten seien, wenn der
Dritte sie nicht innert 10 Tagen seit Kenntnisnahme von der Pfändung
oder von der Arrestlegung zur Anmeldung gebracht habe. Im vorliegenden
Falle müsse die Kenntnis Neumanns als des Vertreters der Klägerin dieser
letzteren als eigene Kenntnis angerechnet werden, die Ansprüche der
Klägerin hätten daher innert zehn Tagen von jener Kenntnisnahme Neumanns
an angemeldet werden sollen.

C. _ Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die Berufung an das
Bundesgericht ergriffen mit dem Antrag auf Gutheissung der Klage.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. Schon in dem Urteil in Sachen Knight (AS 37 I S. 465), durch das die
Praxis des Bundesgerichts bezüglich der Verwirkung der Anspruchsrechte
festgelegt worden ist, wurde die Einführung der Verwirkungsfrist damit
begründet, dass es unbillig erscheine, den Gläubiger von der Willkür
allfälliger Drittansprecher abhängen zu lassen. Liesse man, so führte
jenes Urteil aus, die Anmeldung von Drittansprüchen unbeschränkt

52 Schnldhetreibungsund Konkursrecht ('Zivllabteilungen). N° 14. zu,
so wäre der Gläubiger der Gefahr ausgesetzt, dass

Drittansprecher aus bösem Willen oder Nachlässigkeit

mit der Anmeldung so lange zuwarten würden, bis eine Nachdeckung durch
Besehlagnahme anderer Gegenstände für den Gläubiger nicht mehr, oder
nur noch in

Konkurrenz mit andern Gläubigern möglich Wäre; ein

Ansprecher aber,. der in der Lage gewesen sei, seine Ansprache früher
geltend zu machen, müsse, wie e contrario schon aus Art. 107 Abs. 4
hervorgehe, sich gefallen lassen, dass sein stillschweigen als Verzicht
be-

trachtet werde. Diese selben Gesichtspunkte sind auch -

in späteren Entscheidungen (AS 38 I S. 794 ;40 III S. 141 ; 41 III S. 114)
zur Begründung der Verwirkung angeführt worden.

Nach dieser ratio der Verwirkungsfrist kann aber ein

Zweifel nicht bestehen, dass, auch wenn der Drittensprecher Kenntnis von
der Beschlagnahme erlangt hat, immer da eine Verwirkung nicht angenommen
werden darf, wo die vorstehend angeführten Gesichtspunkte nicht zutreffen,
d. h. wo die Nichtanmeldung durch die besonderen Umstände gerechtfertigt,
oder doch'entschuldigt wird.

. 2. Diese Erwägungen müssen im vorliegenden Falle 'zur Abweisung der
Verspätungseinrede führen. Allerdings hat schon das Beweisverfahren im
ersten Wider--

,spruchsverfahren und die Stellungnahme der Klägerin

im vorliegenden Prozesse gezeigt, dass das Verhältnis

;der Klägerin zu Dr. Neumann unter den Parteien als direktes
Stellvertretungsverhältnis gedacht war. so hat die Klägerin im
vorliegenden Prozess vor Einzelrichter erklären lassen, Neumann sei ihr
Vertreter in Zürich gewesen und habe als solcher die Verträge ,mit Kren
abgeschlossen, er stehe in einem Dienstverhältnis zu

ihr und beziehe eine feste Gage. In einer Zuschrift an Î

das Betreibungsamt Zürich vom 19. März 1921 sodann umschreibt die
Klägerin Neumanns Stellung dahin, er wahre ihre Interessen bezüglich der
Theater-unterneh-Schuldbetreibungs und Konkursreeht (Zivllabteilungen). N°
14. 53

mutigen in der Schweiz. Uebereinstimmend äussert sich Neumann im ersten
Widerspruchsverfahren in seiner persönlichen Befragung : aus allen-mit
Kren abgeschlossenen Verträgen sei er nicht persönlich berechtigt oder
verpflichtet, da er das ganze Theater-unternehmen nur für Rechnung
der Klägerin und zwar gegen feste Gage geführt habe. Ueberall wo in
den Abmachungen mit Kren sein Name figuriere, sei daher die Klägerin
gemeint. Endlich aber hat die Klägerin auch eine ganze Reihe von
Abmachungen Neumanns anerkannt und die daraus resultierenden Rechte und
Pflichten als eigene Rechte und Verpflichtungen behandelt.

Allein über diesen Charakter ihres Verhältnisses waren ' offensichtlich
zur Zeit der Arrestlegung weder Dr. Neumann noch die Klägerin ivalaren,
jedenfalls aber entsprach ihm sdas Verhalten Neumanns gegenüber Kren in
keiner Weise. Statt konsequent als Vertreter der Klägerin aufzutreten,
gerierte sich Neumann Kren gegen-. über bei zahlreichen Gelegenheiten als
Selbstkontrahentij Insbesondere kontrahierte er auch, wie aus der person-
lieben Einvemahme Neumanns (Protokoll S. 15 des Pro- zesses 118/21)
hervorgeht, als er den Unterpachtvertrag abschloss, der als Grundlage
aller nachträglichen Abmachungen mit Kren betrachtet werden muss, in
eige-Isi nem Namen. Ebenso ging der Vertrag vom 5. Februar 1921 wieder
im wesentlichen auf Neumanns Namen; Neumann garantierte die Gagen der
Schauspieler, in Art. 3 wird von Neumann als dem Forderungsberechtigten
geSprochen, ferner wird Neumann als derjenige bezeichnet, dem der
Kostüm-Fundus abgetreten worden sei, insbesondere aber erklärte Kren
hinsichtlich der heute streitigen 45% der Betriebseinnahmen wiederum
ausdrücklich, er habe sie Neumann zediert. In dem gleichen Vertrage,
vor-allem aber in den Abmachungen vom 28. Dezember 1921, wird dagegen
wieder die Klägerin als Berechtigte aufgeführt. Ih r schuldet Kren,
nach diesen letzteren Verträgen, die 34,000 Fr., durch

54 Schuldbetreibungs und Konkursrecht (Zivilahteilungen). N° 14.

Zahlungen an sie soll er sich von den Verpflichtungen Neumann gegenüber
befreien können. Trotzdem wird dann aber auch in diesen Schriftstücken
festgestellt, die Klägerin und Dr Neumann sollen Kren bis zu einem
gewissen Betrage belangen können. Bei dieser Verwir-

rung in den rechtlichen Beziehungen ist es begreif-_

lich, wenn Neumann sich nicht klar war, ob er für sich oder für die
Klägerin den Anspruch auf die 45 % Betriebseinnahmen anmelden sollte,
und wenn auch seine Kenntnis der Klägerin angerechnet werden muss, so

handelte es sich auch für sie nicht um eine Kenntnis, die s

sie als Laiin in die Lage versetzt hätte, zu ersehen, welche rechtlichen
Konsequenzen sie zu ziehen hatte. Die Voraussetzungen, von denen die
Praxis des Bundesgerichts ausgeht, dass der Drittansprecher aus bösem
Willen oder eigentlicher Nachlässigkeit die Abklärung der Eigentums-frage
hinauszieht, waren also für sie nicht gegeben.

Es hätte sieh für die Gesellschaft allerdings darum handeln können,
neben derjenigen Neumanns selber noch eine eventuelle Ansprache
anzumelden. Hiezu bestand jedoch um so weniger Veranlassung, als ja der
Gläubiger schon durch die Vindikation Neumanns darüber aufgeklärt wurde,
dass das Eigentum des Schuldners bestritten werde.

,Das angefochtene Urteil, ist daher aufzuheben und die Sache zu
materieller Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird zugesprochen, die Verspätungseinrede abgewiesen und
die Sache zu neuer Entscheidung über die materiellen Streitpunkte an die
Vorinstanz zurückgewiesen.Sanierung von Eisenbahnunternehmungen. N° 15. 55

B. Sanierung von Eisenhahnunternehmungen. issainissemenl. des entreprises
de 'uhemins de fer.

BESCHLUSSE DER ZIVILABTEILUNGEN

DÉCISIONS DES SECTIONS CIVILES

15. Beschluss der II. Zivila'bteilung vom 1. März 1922
i. S. Jungfraubahn-Gesellschaft.

Sanierung einer Eisenbahnunternehmung gestützt auf die Verordnung über
die Gläubiger-gemeinschaft bei Anleihensobligationen; Genehmigung der
Gläubigerheschlüsse:

GGV Art. 13 : Zulässigkeit der Beschlussfassung über erst in der
Versammlung eingebrachte Anträge, welche nicht Eingriffe in die
Gläubigerrechte zum Gegenstand haben (Erw. 1).

GGV Art. 10: Vom Schuldner verpfändete Obligationen können durch den
Faustpfandgläubiger in der Versammlung vertreten werden (Erw. 1).

GGV Art. 22, 29 (in der Fassung vom 25. April 1919), VZEG Art. 68
SR 742.211 Bundesgesetz vom 25. September 1917 über Verpfändung und Zwangsliquidation von Eisenbahn- und Schifffahrtsunternehmungen
VZEG Art. 68 - Der angenommene Nachlassvertrag wird vom Bundesgerichte bestätigt, wenn:
1  für die übernommenen Leistungen genügende Sicherheit bestellt ist. Die Bestellung von Sicherheit kann der Unternehmung erlassen werden, wenn sich dies nach der Natur der zugesicherten Leistung rechtfertigt, oder wenn die einzelnen Gläubiger ausdrücklich darauf verzichten;
2  die Bestimmungen des Nachlassvertrages den Interessen der Gläubiger angemessen sind und zwischen den einzelnen Gläubigergruppen ein Verhältnis wahren, das der Billigkeit und dem bisherigen Range der Forderungen genügend Rücksicht trägt;
3  die Unternehmung sich keine unredlichen oder grobfahrlässigen Handlungen oder Unterlassungen zum Nachteil der Gläubiger hat zuschulden kommen lassen.
Ziff. 2
: Wahrung der Interessen der Obligationäre durch die gefassten Beschlüsse
(Angemessenheit derselben) im allgemeinen. Im besonderen :

Voraussetzungen, unter denen einem unversicherten Gläubiger eine
Vorzugsstellung eingeräumt werden darf.

Voraussetzungen, unter denen Anleihen verschiedenen Ranges gleich
behandelt werden dürfen (Erw. 3).

A. Die Jungfraubahngesellschaft mit einem in Aktien von 500 Fr. zerlegten
Grundkapital von 4,500,000 Fr. hat drei durch Eisenbahnpiandrecht
versicherte, zu 5 % .Verzinsliche Obligationenanleihen ausgegeben,
nämlich.

a) ein Anleihen 1. Ranges auf der Strecke ScheideggEismeer von 2,
500,000 Fr., eingeteilt in 5000 Obligationen zu 500 Fr. .,

b) ein Anleihen 2. Ranges auf der Strecke ScheideggEismeer von 1,500,000
Fr., eingeteilt in 1500 Obligationen zu 1000 Fr.;

c) ein Anleihen 1. Ranges auf der Strecke EismeerJungfraujoch von
3,000,000 Fr., eingeteilt in 3000