360 Obligationenrecht. N° 54.

54. Urteil der II. Zivilahteilung vom 14. September 1922
i. S. Cooperativa. Italiana gegen Bezio. Die-Anfechtung von Vereinsund
Genossenschaftsbeschlüssen steht nur den Mitgliedern zu. Die statuten
können bei Wegfall gewisser Eigenschaften in der Person der Mitglieder
den a u t o m a t ischen Verlust der Mitgliedschaft ver--

sehen. Verlust der Mitgliedschaft zufolge Austrittes aus einem anderen
Verband.

A. Die Beklagte, die Società Cooperativa Italiana in Zürich, ist eine im
Handelsregister eingetragene Genossenschaft, die nach ihren Statuten die
Förderung des sozialdemokratischen Zusammenwirkens bezweckt. Sie betreibt
in Zürich eine speise-wirtschaft und den Verkauf von Wein. Mitglied
der Genossenschaft ist die italienische sozialdemokratische Sektion
Zürich, eine Sektion der mit der italienischen sozialdemokratischen
Partei in direkter Verbindung stehenden Ita-lienischen sozialistischen
Partei der Schweiz und sodann (Art. 7 der Statuten) jeder italienische
Sozialdemokrat, der mindestens einen 'Anteilscbein von 10 Fr. erworben
hat. Jedes Mitglied ist berechtigt, von den Geschäftshüchern Einsicht
zu nehmen unter Vorweisnng des persönlichen Anteilscheines, sowie der
Mitgliedkarte der Sektion, aus der ersichtlich sein muss, dass der
vorgeschriebene Beitrag bis auf die drei vorhergehenden Monate bezahlt
wurde (Art. 8 der Statuten). Unter dem Titel Anteilscheine bestimmt
Art. _40 der Statuten: Sollte ein Mitglied aus irgend welchem Grunde
der sozialdemokratischen Sektion nicht mehr angehören, so kann es auch
nicht mehr iii der Genossen-

schaft bleiben. Der auf Anteilscheine einbezahlte Betrag .

muss alsdann dem Betreffenden zurückerstattet werden. Wie sich aus den
Protokollen der Beklagten ergibt, wurden die Gewinne aus dem Betrieb
der Speisewirt-

Obligationenrccht. N° 54. 361

schaft und aus dem Weinhandel regelmässig der Sektlon " '
ewresen. Zlkäkekilng 14. Februar 1917 beschloss die Generalversammlung
der Cooperativa, dass in Zukunft alle uMitglieder der italienischen
sozialistischen Sektion Zurich ohne Einzahlung Mitglieder der
Genossenschaft sem sou[Îieen.Errîichtung der Sovietrepublik, die,
Spaltung der italienischen sozialistischen Partei in Italien im Januar
1921, die Gründung einer kommunistischen Partei in Zürich im März
1921 veranlasste auch die Italienische sozialistische Partei in der
Schweiz , zu diesen Problemen Stellung zu nehmen. Auf Grund einer in den
einzelnen Sektionen vorgenommenen Abstimmungwurge auf einem Kongress
in Zürich vom 9. n. 10. April 19-l konstatiert, dass die Italienische
soz1ahstische Partei in der Schweiz mit Mehrheit beschlossen hatte,_bei_
der sozialdemokratischen Partei zu verbleiben. 13er diese; Abstimmung im
Gesamtverein hatte die. Sektion Zune mehrheitlich, nämlich mit 35 gegen
19 Stimmen, kom' ' e timmt. . . mxlnlistllgcltdxärisl 1921 hielten die
in der SektionZürich in der Minderheit gebliebenen 19 Mitglieder eine
Versammlung ab, zu der die kommunistische Mehrheit nicht eig-geladen
worden war. In dieser ifersammlung war-: konstatieit, dass die 34
Mitglieder, die fur den Uhertrrt ' zur kommunistischen Partei gestimmt
hatten, aus dc; italienischen sozialistischen Sektion ,Zürich und
dami auch aus der Cooperativa ausgeschieden seien, ferner schritt die
Versammlung, da der ganze Vorstand zur Mehrheit gehörte, zur Wahl eines
neuen inrstandes, der in der Folge auch ins Handelsregister eingetragen
tätigen dieses Vorgehen der Minderheit protestieätle die Mehrheit in
einer Versammlung vom 7. Mai ,19.13. Am 20. Juni 1921 sodann erhob der
zur Mehrheit gehörende Kläger Bezio gegen die Cooperativa die voi-

362 Obligatlonenrecht. N° 54.

liegende Klage auf Aufhebung der in der Versammlung vom 15. April 1921
gefassten Beschlüsse und Löschung des Eintrages, durch welchen die neuen
Vorstandsmitgheder im Handelsregister vorgemerkt wurden. Zur Begründung
führte er aus, die Beschlussfassung vom 15. April 1921 sei schon aus
formellen Gründen, nicht richtige Einladung der Mitglieder etc., ungültig,
aber auch materiell erscheine sie als anfeehtbar; durch den Übertritt
zur kommunistischen Partei habe die Mehrheit ihre Mitgliedschaft
nicht verloren, auch sei nicht etwa ein Beschluss der Cooperativa,
wonach die Vertreter der kommunistischen Richtung ausgeschlossen worden
wären, gefasst worden ; eventuell gehöre die Minderheit, die sich zu
den communisti unitari, im Gegensatz zu den communisti puri, bekenne,
selber nicht mehr zur sozialdemokratischen Partei.

Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage, und machte geltend,
durch ihre Stellungnahme in der Abstimmung der Gesamtpartei sei die
kommunistische Mehrheit aus der Sektion Zürich der Italienischen
sozialistischen Partei in der Schweiz ausgeschieden. Dieser Austritt
habe für sie ipso jure den Verlust der Mitgliedschaft der Cooperativa zur
Folge gehabt, eventuell sei die Anfechtung des Beschlusses vom 15. April
1921 nach Art. 75
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 75 - Beschlüsse, die das Gesetz oder die Statuten verletzen, kann jedes Mitglied, das nicht zugestimmt hat, von Gesetzes wegen binnen Monatsfrist, nachdem es von ihnen Kenntnis erhalten hat, beim Gericht anfechten.
ZGB verspätet.

B. Während die erste Instanz die Klage abwies, hat das Obergericht des
Kantons Zürich mit Urteil vom 18. März 1922 die angefochtenen Beschlüsse
aufgehoben.

C. Gegen diesen Entscheid richtet sich die Berufung der Beklagten,
mit der sie Abweisung derKlage beantragt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. Da die Anfechtung der Beschlüsse juristischer ss

Personen Vereine, Genossenschaften etc. nur deren. Mitgliedern zusteht,
ist der Kläger zur Klage nur legitmnert, wenn er zur Zeit, als die
streitigen Beschlüsse

Obligationenrecht. N° 54. 363

gefasst wurden, noch Mitglied der Beklagten war. Die Vorinstanz hat
dies angenommen, weil entgegen der Ansicht der Beklagten, die Mehrheit
der Mitglieder der Genossenschaft durch ihren Austritt aus der Sektion
Zürich der italienischen sozialistischen Partei in der Schweiz ihre
Mitgliedschaftsrechte gegenüber der Genossenschaft nicht verloren habe.

Dabei äussert die Vorinstanz zunächst zu unrecht Zweifel darüber,
ob überhaupt für Personenverbände nach Art der Beklagten (für
Aktiengesellschaften gelten besondere Grundsätze) ein solcher
automatischer Verlust der Mitgliedschaft in den Statuten vorgesehen werden
dürfe. Allerdings fallen dabei bloss interne Veränderungen in der Person
der Mitglieder, blosse Gesinnungswechsel, schon der Beweisschwierigkeiten
wegen als Ausschliessungsgründe ausser Betracht. Soweit es sich dagegen
um äusserlieh in die Erscheinung tretende Ereignisse handelt, die ohne
weiteres festgestellt werden können, wie dies hinsichtlich des im Streite
liegenden Austrittes aus einer andern Vereinigung zutrifft, besteht
kein Grund, einen besondern Ausschliessungsbeschluss zu verlangen
(vgl. VON THUR I S. 544; EGGER N. 4 zu Art. 70). Warum durch die
Zulassung derartiger Ausschlussbestimmungen der Vereinsterror befördert
würde, wie die erste Instanz annimmt, ist nicht einzusehen. Für :die
grosse Zahl moderner Interessenverbände aber, die ihre Mitglieder nach
rein äusserlichen Eigenschaften rekrutieren (Hauseigentümervereine,
Mietervereine etc.), würde es eine unnütze Formalität bedeuten, wenn
bei Wegfall der für die Mitgliedschaft in den Statuten vorausgesetzten
Eigenschaften in der Person von Mitgliedern jeweils ein besonderer
Ausschliessungsbeschluss gefasst werden müsste.

Zu untersuchen bleibt dagegen, ob wirklich die Statuten der Beklagten
für den Fall des Austrittes aus der Sektion Zürich den Verlust der
Mitgliedschaft vorsehen. Dabei ist nicht schon entscheidend, dass
unter dem

384 Obiigationenrecht. N° 54. Titel Mitgliedschaft eine Bestimmung,
wonach die

Mitgliedschaftsrechte mit dem Austritt aus der Sektion

ohne weiteres dahinfallen, fehlt, und dass auch in Art. 40 nicht
ausdrücklich von einem automatischen Ausschluss die Rede ist, sondern nur
allgemein davon, dass ein aus der Sektion ausgeschiedener Genosse nicht
mehr Mitglied der Genossenschaft b l e i he n könne. Auch die Auslegung
der Statuten einer juristischen Person darf nicht ausschliesslich auf den
Wortlaut abstellen, sondern muss alle Begleitumstände berücksichtigen,
die einen Schluss auf den wirklichen Willen zulassen, der den betreffenden
Satzungen zu Grunde liegt.

_I lievon ausgegangen zeigt nun aber schon der italienische Urtext des
Art. 40 der Statuten, dass in der Tat der Verlust der Mitgliedschaft in
der Sektion ohne weiteres den Verlust der Mitgliedschaftsrechte gegenüber
der Genossenschaft mit sich ziehen sollte. Zugegebenermassen spricht
Art. 40 in der italienischen Fassung nicht bloss davon, dass der aus der
Sektion ausgetretene Genosse nicht mehr in der Genossenschaft bleiben
könne, sondern dass er seine Mitgliedschaft verliere. Ins Handelsgregister
wurde allerdings eine deutsche Übersetzung der Statuten eingetragen,
allein den wirklichen Willen der Genossen, deren Muttersprache das
Italienische ist, gibt jedenfalls die italienische Fassung wieder.

Ferner hat die Beklagte mit Recht auf Art. 8 der Statuten verwiesen,
wonach für die Ausübung gewisser Mitgliedschaftsrechte der Nachweis
verlangt wird, dass die Pflichten der Sektion gegenüber erfüllt wurden.
Wenn diese Bestimmung auch nur den Spezialfall der Einsichtnahme in
die Bücher der Beklagten regelt, so geht doch aus ihr hervor, dass die
Statuten die Mitgliedschaft der Sektion als notwendige Grundlage der

Ausübung der Mitgliedschaftsrechte gegenüber der Ge.

nossenschaft betrachten. Endlich aber ist der automatische Verlust der
Mitgliedschaft mit dem Austritt aus der Sektion durch

Obligationenrecht. N° 54. 365

die Verhältnisse auch innerlich begründet. Er entspricht den engen
Beziehungen, die zwischen den beiden Ver-

einigungen bestehen,. der Übereinstimmung in den

Verbandszwecken, der Tatsache, dass nach dem Beschluss vom 14. Februar
1917 die Mitglieder der Sektion schlechthin auch Mitglieder der
Cooperativa sein sollen, der Verwendung ferner, die die Betriebsergebnisse
der Beklagten fanden. Alle diese Umstände lassen die Beklagte als eine
eigentliche Nebenunternehmung der Sektion erscheinen, deren Mitgliedschaft
nach der Meinung der Statuten der Cooperativa von derjenigen der Sektion
nicht getrennt werden sollte.

2. Zu Zweifeln könnte dagegen die Frage Anlass geben, ob überhaupt
der Kläger und mit ihm die kommunistische Mehrheit aus der Cooperativa
ausgetreten seien. Dle blosse Stimmabgabe zu Gunsten der kommunistischen
Richtung bei Anlass der Abstimmung im schweizerischen Gesamtverein
bedeutete an sich noch keineswegs, dass die kommunistisch Stimmenden sich
der sozialistisch stimmenden Mehrheit nicht unterziehen wollten. Allein
die kommunistische Mehrheit der Sektion Zürich hat schon vor Beginn des
Prozesses der Beklagten gegenüber durch den Anwalt des Klägers zugegeben,
dass sie aus der Sektion ausgetreten sei (Brief vom 23. Mai 1921),
und sodann hat der Kläger im Prozesse selber immer nur bestritten,
dass der Austritt aus der Sektion für ihn ipso jure den Verlust der
Mitgliedschaft zur Folge gehabt habe, nie dagegen, dass er tatsächlich
aus der Sektion aus getreten sei. Übrigens entspricht dies, wie aus der
bei den Akten liegenden Nummer des Avvenire del Lavoratore vom 15. April
1921 hervorgeht, offenbar auch den wirklichen Verhältnissen. Die Genossen,
die für die kommunistische Richtung gestimmt hatten, werden im genannten
Blatte durch ein kommunistisches Comitee zu neuem 'Zusammenschluss in
einen neuen Verband aufgefordert, wobei der betreffende Artikel vom
Eintritt der Trennung

366 . Obngationenrecht. N' 55.

in der alten Partei als von einer vollzogenen Tatsache spricht.

Der Kläger ist daher zur Klage nicht legitimiert, und es kann
dahingestellt bleiben, ob im übrigen die Voraussetzungen zur Anfechtung
der streitigen Beschlüsse gegeben Wären.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird gutgeheissen und die Klage abgeWiesen.

55. Urteil der I. Zivilabteilung vom 19. September 1922
i. S. Elektrizitätswerke des Kantons Zürich gegen Ronald. Vertrag über
Lieferung elektrischen

S t r o m 3. Rechtliche Natur : er ist Kaufvertrag, wenn

Vertragsgegenstand lediglich das Zuleiten des Stromes

ist. Fällt der Stromiieferungsvertrag dahin, wenn die

Fabrik des Bezügers, für die der Strom ausschliesslich bestimmt war,
abgebrannt ist ?

A. Die Kläger, Elektrizitätswerke des Kantons Zürich, haben am
26. September / 31. Dezember 1918 mit den Rechtsverfahren des Beklagten,
den Gebrüdern Renold, welche in Niederweningen eine Häckselfabrik
betrieben, auf die Dauer von'lO Jahren, vom ]. Januar 1919 hinweg,
einen Stromlieferungsvertrag abgeschlossen, laut dem sie den Gebrüdern
Renold, als Abonnenten, elektrische Energie im Umfang von zirka 30 KW für
Kraftbetrieb und Beleuchtung ihrer Häckselfabrik-liefern sollten. Die
Kläger erstellten auf ihre Rechnung die Hochspannungszuleitung bis und
mit dem Ausschalter vor der Transformatorenstation der Abonnenten. Der
Vertrag ordnet sodann die Eigentumsverhältnisse an den Installationen,
setzt den Stromabgabepunkt, sowie das Stromsystem und die Stromqualität
fest, und regelt

Obligationenrecht. N° 55. 367

den Fall von Unterbrechungen in der Energielieferung. Aus Art. 7 sind
folgende Vorschriften hervorzuheben: Der Abonnent wird seinen ganzen
Energiebedarf bei den Werken decken, sofern und soweit diese in deL-'
Lage sind, jenem Bedarf zu entsprechen. Der Abonnent verwendet die
Energie nur innerhalb seines industriellen Etablissements und gibt an
Dritte keine Energie ab. Art. 8 ordnet die Strompreise, und bestimmt
am Schluss : Im Ganzen garantiert der Abonnent den Werken einen Mindest
Nettobetrag jährlicher Strommiete von 1000 Fr.

Am 8. September 1919 brannten die Fabrik und das Lagerhaus der Gebrüder
Renold ab. Diese machten den Klägern am 26 September 1919 hievon Anzeige,
und erklärten, durch dieses, auf höherer Gewalt beruhende Brandunglück
falle auch der Stromlieferungsvertrag dahin..

Die Kläger protestierten hiegegen mit Zuschrift vom 30. September
1919. Sie bestritten, dass höhere Gewalt vorliege, und machten
geltend, dass auch eine solche die Abonnenten nicht hindern
wurde, das Etablissement z. B. mit der Entschädigung der kantonalen
Brandassekuranz-Anstalt Wieder aufzubauen, und alsdann den Energiebezug
fortzusetzen. Dagegen erklärten die Kläger sich aus Entgegenkommen zu
einer Sistierung des Stromlieferungsvertrages für die Dauer eines Jahres
bereit, unter entsprechender Verlängerung des Vertrages, und in der
Meinung, dass nach Ablauf der Frist sie ihre vertraglichen Rechte, also
mindestens den Anspruch auf die vertragliche jährliche Minimal-garantie
Wieder geltend machen werden.

Die Gebrüder Renold antworteten hierauf am 2. Oktober 1919, sie seien
einverstanden, dass der Vertrag solange sistiert bleibe, bis sie nach
Vollendung eines Neubaues in die Lage kommen , wieder elektrische Energie
zu benötigen, ohne Festlegung einer bestimmten Zeit.; eine Aufrechnung
der vertraglichen Minimalgarantie

AS 48 I 1922 24